Chronik | 

Mario Monti bleibt im Amt

Mit der ungewohnlichen Ernennung eines Weisenrats hat der Staatspräsident die politische Krise auf Eis gelegt. Erst sein Nachfolger wird den Auftrag zur Regierungsbildung vergeben.

Es ist ein ungewöhlicher, aber keineswegs origineller Schachzug. Mit der überraschenden Einsetzung eines Weisenrats hat Staatspräsident Giorgio Napolitano die Gefahr vorzeitiger Neuwahlen gebannt. Premier Mario Monti bleibt damit mindestens bis Mai im Amt. Den Auftrag zur Regierungsbildung wird erst der neue Staatschef erteilen, der Ende April vom Parlament gewählt wird. Mit dieser Entscheidung hat Napolitano die drohende politische Krise aufs Eis gelegt. Der Weisenrat, dem Ökonomen, Juristen und einige Parteienvertreter angehören, soll nun in zwei kleinen Expertenteams Vorschläge für wirtschaftliche und politische Reformen erarbeiten und den Dialog zwischen den verfeindeten Parteien ankurbeln. Viel ist davon nicht zu erwarten. Daß dem zehnköpfigen Weisenrat keine einzige Frau angehört, ist unerhört. Skandalös, daß ausgerechnet das Staatsoberhaupt das in der Verfassung verankerte Gleichheitsprinzip so eklatant mit Füßen tritt. Die Parteien zeigten sich von Napolitanos Initiative wenig begeistert. Vor allem Berlusconis PDL will dem Waisenrat nur zehn Tage gewähren und besteht auf einer großen Koalition.  Bei deren Scheitern müßten sofortige Neuwahlen ausgeschrieben. Nun richtet sich das Scheinwerferlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die anstehende Wahl des neuen Staatspräsidenten in drei Wochen. Vieles spricht dafür, daß erneut eine"figura istituzionale"  ins höchste Staatsamt gehievt wird.
Ein politischer Dinosaurier wie Franco  Marini, Giuliano Amato oder Massimo D'Alema. Einer, der den Parteien möglichst wenig auf die Füße tritt. Beppe Grillo hat ein Referendum im Internet angekündigt, um den Kandidaten seiner Fünfsterne-Bewegung zu küren.

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Martin Geier Mo., 01.04.2013 - 10:15

Guter Artikel. Die Politik hat etwas Zeit gewonnen und die 10 Weisen sorgen dafür daß aus dem politischen Kessel etwas Druck genommen wird. Was im Artikel aber nicht vorkommt; die Einflussnahme Mario Draghis ist nicht zu unterschätzen; dazu hier:
http://www.salto.bz/de/article/31032013/mario-draghi-und-der-telefonhoe…

Es bleibt zweifelhaft ob die 10 Weisen ihrer zugedachten Rolle gerecht werden und imstande sind die festgefahrene Situation zwischen den Parteien zu entschärfen. Der PDL hat bereits klargemacht daß er nur für eine große Koalition zu haben ist; über Berlusconi schwebt aber auch aus seiner Sicht das Damoklesschwert daß sich PD und M5S dennoch auf eine Basis einigen; und sei es nur als 'desistenza'. Die Nagelprobe für alle wird die Wahl des Staatspräsidenten sein; meines Wissens soll sie am 22/4 über die Bühne gehen. Einigt sich der PD mit dem PDL kommt wohl ein Dinosaurier auf den Thron; mischt der M5S mit gibt es eine Chance daß eine alternative, national wie international anerkannte Persönlichkeit das höchste Amt im Staat erklimmt. Die Namen oben stehen für alles; nur nicht für Erneuerung. Speziell Massimo D'Alema gilt als Fürsprecher einer großen Koalition und hat schon vor vielen Jahren mit Hilfe der 'bicamerale' Berlusconi 'gerettet'.
Chancen und Risiken.

Mo., 01.04.2013 - 10:15 Permalink
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Andreas Pöder Mo., 01.04.2013 - 12:09

Ein nicht enden wollender Aprilscherz - oder die Wirklichkeit ist bisweilen bizarrer als ein Kabarett: Der Pd kürt in Vorwahlen den durchaus seriösen Salonlinken Bersani zum Ministerpräsidenten - wohl gemerkt nicht zum Spitzenkandidaten sondern direkt zum Ministerpräsidenten.
Etwa zwei Wochen vor der eigentlichen Parlamentswahl erkennen Bersani und Co. plötzlich, dass noch ein echter Wahlkampf zu führen wäre an dem auch andere Parteien teilnehmen.
In der Zwischenzeit hat der Wirtschaftsfachmann Monti, der die italienische Wirtschaft durch Schwächung der Kaufkraft und Erhöhung der Steuern sowie eine Barzahlungsgrenze von 999 Euro endgültig gegen die Wand fährt seine Kandidatur angemeldet.
Und auch der schon vermeintlich vom 87-jährigen Staatspräsidenten Napolitano in die Polit-Rente abgeschobene Berlusconi ließ sich noch schnell ein paar neue Haare einpflanzen, das Gesicht etwas glattkitten und ging wieder mit der alten Melodie aus Selbstbeweihräucherung und unerfüllbaren Versprechungen auf Rattenfang ( Die Berlusconi-Wähler mögen es mir verzeihen, wenn ich sie der Analogie mit dem Flötenspieler von Hameln wegen mit Nagern vergleiche, eigentlich gehören sie doch eher in eine Herde im Gleichklang blökender Schafe).
Und der Komiker Grillo mischt mit wüsten Beschimpfungen gegen die drei Erstgenannten den Wahlkampf auf, will mit seinen Leuten ins Parlament einziehen um alle, letztlich auch sich selbst wieder nach Hause zu schicken.
Die Umfrageexperten haben in ihre Kristallkugeln gesehen, Bersani schon mal zum Sieger erklärt, Monti einen rasanten Aufstieg bescheinigt, Berlusconi in die ewige Verdammnis gerechnet und Grillo herablassend einen Achtungserfolg zugebilligt.
Am Tag nach der Wahl dann das Erwachen: Bersani ist immer noch nur Spitzenkandidat des Pd, Monti ist Ministerpräsident von Napolitanos Gnaden aber ohne Volk, der aufpolierte Untote Berlusconi hätte um ein Haar tatsächlich die IMU aus eigener Tasche zurückzahlen müssen und Grillo muss plötzlich wirklich alle und auch sich selbst nach Hause schicken.
Bersani fasst sich nach dem ersten Schock wieder und besinnt sich darauf, dass seine Partei ja ihn zum Ministerpräsidenten gekürt hatte, also steht ihm das Amt verdammt noch mal auch zu. Berlusconi bietet sofort eine große Koalition mit dem 'Kommunisten' Bersani an, wenn man ihm nur den Quirinalspalast mit den vielen großen Festsälenüberlassen würde.
Monti erkennt, dass seine Liaison mit Angela Merkel doch weniger Stimmen bringt als Berlusconis Techtelmechtel mit Mubaraks 'Nichte'.
Und Grillo will den Auftrag eine Regierung zu bilden - wozu eigentlich? Um alle nach Hause zu schicken? Wohin eigentlich?
Bersani erbettelt von Napolitano den Auftrag, sich mehr als eine Woche lang von jedem öffentlich Ohrfeigen zu lassen, der in seine Nähe kommt und erfüllt diesem Auftrag gewissenhaft.
Dann stellt der greise Präsident fest, was ohnehin schon jeder wusste: Es gibt keine Parlamentsmehrhei für eine neue Regierung. Dazu hätte einfach ein Blick in die Zeitungen gereicht.
Und nun das besondere Husarenstück: Napolitano schwelgt plötzlich in Erinnerungen und entsinnt sich dunkel, schon vor etwa eineinhalb Jahren eine Regierung eingesetzt zu haben: Monti, den furchtlosen Ritter aller Banken und Wirtschaftslobbys, den Retter den Abendlandes. Und diese Regierung ist ja noch weiterhin im Amt, befindet Napolitano.
Er vergisst dabei die unwesentlichen Tatsachen, dass diese Regierung keine Mehrheit im neuen Parlament hat und diese Regierung von den Wählern abgewatscht wurde wie noch nie eine italienische Regierung zuvor.
Er, der Hüter der Verfaasung vergisst, dass er laut Art. 92 der Verfassung einen Ministerpräsidenten ernennen müsste. Nirgends steht, dass er nach einer Parlamentswahl einfach die Amtszeit eines Ministerpräsidenten mit Presseerklärung verlängern darf. Und dass eine Regierung laut Art. 94 der Verfassung das Vertrauen des Parlamentes haben muss ... man darf wohl annehmen des neuen Parlamentes.
Und der alte Mann im Quirinal setzt einen Rat der Weisen ein, nein gleich zwei Räte, welche die Probleme Italiens lösen sollen. Ist das nun eine Nebenregierung, eine Kommission oder was? Welche Befugnisse haben die beiden Weisenräte?
Die Parteien erklären zuerst eifrig ihre Zustimmung, merken dann aber, dass sie damit nach der Einsetzung der Regierung Monti ein zweites Mal entmachtet werden und beginnen zu Murren. Berlusconi möchte immer noch in den Quirinal, entweder selbts oder auf den Schultern einer seiner Getreuen.
Bersani will immer noch Ministerpräsident werden. Grillo will immer noch alle nach Hause schicken.
Frauenrechtlerinnen fehlt eine Frau in den Weisenräten, Südtiroler, oder besser ein SVPler sitzt auch keiner drin.
Nur Monti ist zufrieden. Er war, ist und bleibt Ministerpräsident.
Jetzt haben wir den Schlamassel: Zwei Päpste, zwei Staatspräsidenten (einen der drin ist und einer der rein will), mehrere Ministerpräsidenten und haufenweise Komiker.
Der Osterhase hat einen Riesenkorb voll Goggelen gebracht.

Mo., 01.04.2013 - 12:09 Permalink
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Peter Rabanser Mo., 01.04.2013 - 22:07

Gäbe es in Italien wirklich zehn Weise, die diesen Namen verdienen, wäre dieses Land nicht so verkommen.
Italiens Politiker sind eine Kaste für sich, die in erster Linie im Auge hat sich selbst zu bereichern und im übrigen keine Ahnung von dem hat was sie tun und noch weniger Ahnung davon, was sie dringend tun sollten. Grillo hat es in seinem berühmten Interview auf den Punkt gebracht. Wie man sieht hat er völlig Recht. http://www.youtube.com/watch?v=w7I9OwaPq7g

Draghi ist natürlich kein "unabhängiger" EZB-Presi. Draghi und Monti sind die Goldman-Männer in der EU, und können deshalb bestimmen, was in der EURO-Zone zu laufen hat! Draghi hat Napolitano extrem dazu bedrängt, nicht zurück zu tretten, damit er und Monti möglichst lange das Geschehen in der EURO-Zone im Goldmans Sinne bestimmen können!

Mo., 01.04.2013 - 22:07 Permalink
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Alberto Stenico Mo., 01.04.2013 - 22:35

Lieber Peter Rabanser, wenn Sie meinem dass Mario Monti und Mario Draghi zwei so gefährliche Italiener sind, dann sollten Sie auch etwas anderes merken: die Merheit der italienischen Wähler sind leider letzhin antieuropäer geworden, oder antiEuro(Lega, Cinque Stelle, PdL, teilweise SEL). Zum glück gibt's noch Italiener wie Monti und Draghi, sonst werden Wir in Kürze die Zollstange am Brenner wieder einbauen!

Mo., 01.04.2013 - 22:35 Permalink
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Martin Geier Mo., 01.04.2013 - 22:56

Antwort auf von Alberto Stenico

Mario Monti und besonders Mario Draghi haben ihre Meriten; klar ist aber auch daß die reine Sparpolitik gescheitert ist und die Politik die manch Südländern von Brüssel aufgezwungen wird weit weniger zur wirtschaftlichen Gesundung beiträgt sondern vielmehr das wirtschaftliche Netzwerk dieser Länder nachhaltig zerstört. Sparen und Reformen werden in Brüssel gerne als Tandem genannt; bringen tun aber nur Reformen etwas während in die Krise hineinzusparen eher dafür sorgt die Basis der späteren Erholung hinauszuziehen. Mario Draghi hat im Frühherbst das Richtige gemacht und zugesagt notfalls 'unbegrenzt' einzugreifen; auch die 'Rettung' für die Zyprioten(erinnern wir uns daß Zypern eine Steueroase ist und die Bankeinlagen das vier- bis fünffache des BIPs ausmachen) mit ihren Konsequenzen war für die Insel noch recht milde. Draghi fährt also eine vorsichtige Politik und ist verglichen mit dem handzahmen Hollande der eigentliche Gegenpol zu Merkel.
Italien muß sich aus seinem jahrelangen Stillstand lösen; als Land ist es auch zu groß einfach 'gerettet' zu werden. Sparpolitik haben die Italiener abgewählt; Reformen mögen sie sehr wohl und den € behalten(laut CorriereUmfrage) sowieso. Damit sind für die Politik die paletti gesetzt. Klar ist meiner Ansicht aber auch; setzt man Italien die Pistole an den Kopf ist der € default und Frankreich wird ihn dann wohl auch verlassen. Lieber als weitere Härten wird der € scheitern. Das ist zwar mA ein sehr unwahrscheinliches Szenario(auch wegen des Entgegenkommens durch die anderen Akteure); von der Hand zu weisen ist das Risiko aber nicht.
Ab einem bestimmten Punkt kippt eben die Stimmung.

Mo., 01.04.2013 - 22:56 Permalink
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Frank Blumtritt Mo., 01.04.2013 - 23:55

Der aus seinem Amt scheidende Chefarzt der Psychiatrie in Meran, Lorenzo Toresini, sagte: "ci vuole sogni, utopia e ironia - altrimenti questo lavoro è una schifezza..." Grillo sagt ungefähr das selbe in dem berühmten Interview, das Peter Rabanser zitiert. Vielleicht ist die Zeit wirklich reif dafür?... Grillo spricht von Dingen, die absolut keine Zollstangen kennen. Im Unterschied zur gängigen Politik spricht er die Themen an, die wirklich keine Grenzen kennen...

Mo., 01.04.2013 - 23:55 Permalink
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Alberto Stenico Di., 02.04.2013 - 07:09

Lieber Frank, ich stimme zu, es wäre viel besser den Ballast abwerfen und in richtung neue andere Ziele fliegen. Bleibt die Frage: wer muss unsere riesigen Schulden bezahlen ? ich hoffe, nicht meine Enkelkinder!

Di., 02.04.2013 - 07:09 Permalink