Gesellschaft | Interview

“Das war kein Pipifax”

Martin Ausserdorfer über eine Ausnahme-Woche als Bürgermeister von St. Lorenzen, seine Informationstätigkeit auf Facebook und die großen Emotionen im Schneechaos.
Martin Ausserdorfer mit Feuerwehr
Foto: Facebook/Martin Ausserdorfer

Als Bürgermeister von St. Lorenzen steht Martin Ausserdorfer einer der Gemeinden im Land vor, die vom jüngsten Schneechaos am heftigsten betroffen war. Zugeschneite und von Bäumen verlegte Straßen, eingerissene Stromleitungen, die Frage nach der Versorgung seiner Bevölkerung beherrschten Ausserdorfers Agenda in der vergangenen Woche. Ununterbrochen war er unterwegs – wie viele seiner Amtskollegen im Land. Die Rückkehr in den Alltag fällt dem 38-Jährigen hörbar schwer. “Wenn Sie mich fragen, was in diesen Tagen passiert ist  – ich bin nicht in der Lage zu sagen, da war zuerst A und dann B. Es war einfach alles eine Dynamik. Wenn du abends daheim warst, hast du auch nicht schlafen können, weil du im Gedanken bei all dem warst, was noch ansteht”, erklärt Ausserdorfer als ihn salto.bz am frühen Dienstag Abend am Telefon erreicht.

salto.bz: Herr Ausserdorfer, wie haben Sie als Bürgermeister der Gemeinde St. Lorenzen die Tage der vergangenen Woche erlebt?

Martin Ausserdorfer: Es war eine total intensive Zeit, wo ich wusste, dass ich für die Bürger in meiner Gemeinde da sein muss. Zugleich war es auch eine sehr emotionale und schöne Zeit.

Wie das?

Ich habe so viel Mannschaft gespürt, so viel Zusammenhalt, so viel Wir – das hat so viele Kräfte bei allen frei gemacht, an die niemand geglaubt hätte.

Ich glaube, meine Informationen haben dazu beigetragen haben, dass die Menschen verstanden haben, dass das alles nicht nur Pipifax war.

Sie sind, wie viele Bürgermeister im Pustertal und im ganzen Land wegen der heftigen Schnee- und Regenfälle beinahe pausenlos im Einsatz gestanden.  Wie anstrengend, wie ermüdend war das?

Ich will es mal so sagen: Die Holzarbeiter hatten eine körperlich ermüdende Arbeit zu verrichten, ich eben eine geistige.

Wie kann man sich die Rolle eines Bürgermeisters in einem solchen Ausnahmezustand vorstellen?

Der Bürgermeister ist der Chef des Zivilschutzes in der Gemeinde – und das habe ich einfach gefühlt. Mein Werkzeug war mein Handy: bei der Baufirma um den Bagger und das Personal anfragen, Stromaggregate und Transporte organisieren – und das alles in enger Abstimmung mit meinen drei Feuerwehren. Ich wollte wissen, was passiert, mir selbst ein Bild von den Problemen und Risiken machen – und habe auch die Verantwortung übernommen. Wenn ich eine Situation als zu gefährlich eingeschätzt habe, habe ich Einsätze abgebrochen. Denn ich möchte nicht, dass Menschen zu Schaden kommen. Wir hätten zum Beispiel auch nachts an der Stromleitung des nationalen Versorgers Terna arbeiten lassen können. Sicherheitsmäßig wäre das aber ein Wahnsinn gewesen. Denn links und rechts ist ein Baum nach dem anderen umgestürzt. Da habe ich ohne mit der Wimper zu zucken gesagt, zurück und Abgang! Es braucht auch Mut für Entscheidungen – und den haben wir immer gehabt.

 

Namentlich möchte ich die Feuerwehrhauptmänner Florian Gasser und Peter Kosta in Montal und Othmar Kammerer in Stefansdorf nennen – das war wirklich eine großartige Teamarbeit. Und ich glaube, meine Leute haben es auch total geschätzt, zu wissen, sie haben den Rücken frei. Für ein, zwei große Sachen, die über meine Gemeinde hinausgegangen sind, habe ich auch den Landeshauptmann angerufen und mich abgesichert. Ebenso wie den zuständigen Landesrat bei den Straßen. Aber ich war immer vor Ort. St. Lorenzen war eine der Gemeinden, die massiv von den Wetterereignissen betroffen war.

Hat es während der gesamten Zeit einmal einen Moment gegeben, wo Sie gesagt haben, es wird kritisch, die Situation könnte uns entgleiten? Oder hatten sie stets das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben?

Ich bin schon der Meinung, dass wir die Situation immer unter Kontrolle hatten – weil wir ein klares Prinzip hatten: Die Sicherheit für die Einsatzkräfte geht vor. Auch im Wissen, auf die Menschen, die sich hier aufopfern, warten Familien daheim. Ich habe auch gesagt: Wir brauchen keine Helden.
Die Nachbarschaftshilfe, die es hier gegeben hat, dieses Miteinander, unsere Dorfgemeinschaft war so stark. Alle haben mitgeholfen, jeder hat mitgedacht. Es war ein Zahnrad – und es ist alles aufgegangen.

Ich habe so viel Zusammenhalt, so viel Wir – das hat so viele Kräfte frei gemacht, an die niemand geglaubt hätte.

Neben Ihrer Präsenz und Koordination vor Ort haben Sie die Menschen über Facebook über die aktuellen Ereignisse, Ausfälle und Sperren informiert. Welche Reaktionen hat es darauf gegeben?

Ich muss gestehen, dass ich nicht einmal die Zeit gehabt habe, all die Kommentare durchzulesen. Mir haben nur die Leute gesagt, dass alle sehr froh waren, dass ich das gemacht habe. Eines aber tut mir sehr Leid: Ich habe erfahren, dass in den Social Media über andere Bürgermeister hergefahren worden ist – weil sie nicht so informiert haben wie ich es gemacht habe. Das war sicherlich nicht meine Absicht und dazu möchte ich sagen: Ich bin vielleicht 30, 40, 50 Jahre jünger und habe einen anderen Zugang zu sozialen Medien.

Darf man sich von seinem Bürgermeister erwarten, dass er einen über Facebook auf dem Laufenden hält – wo es doch andere, auch offizielle, Kanäle gibt?

Zu informieren habe ich als notwendigen Dienst gesehen. Meine Frau war daheim mit den Kindern, ohne Strom – sie wollte wissen, was los ist. Und ich habe mir gedacht, das können alle wissen und habe die Informationen auf Facebook gepostet. Ich glaube, dass diese am Ende dazu beigetragen haben, dass einige tatsächlich daheim geblieben sind und die Menschen verstanden haben, was wirklich los ist, dass es nicht nur Pipifax war, sondern ernsthafte Probleme gab. Aber die Kommunikation war für mich eigentlich eine Nebensache. Wir hatten so viel zu tun und Prioritäten zu setzen: Räum- und Sicherungsarbeiten, Stromversorgung, Krankentransporte – es waren allesamt außerordentliche Situationen! Und es haben so viele Emotionen hineingespielt… Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, welcher Wochentag gerade war. Denn wir haben alle kaum bis gar nicht geschlafen.

Wie ist die Lage in St. Lorenzen derzeit?

Es gibt noch mehrere Baustellen. Bis auf zwei, drei Höfe läuft die Energieversorgung in der Gemeinde großteils. Das zweite Thema sind die Straßen: Berg- und Gemeindestraßen haben wir in Ordnung, auf der Gadertaler Straße ist heute (Dienstag, Anm.d.Red.) wieder eine Mure niedergegangen, sie wird nach einer Sperre am Abend wieder geöffnet. Die Pustertaler Straße ist beim Kniepass nach einer Sperre zwischen Sonntag und Montag derzeit einspurig offen. Am Mittwoch wird sie wieder zweispurig befahrbar sein.

Wegen der Sperre beim Kniepass gab es Unverständnis.

Es gibt Leute, die sich ärgern, weil sie vielleicht zur Arbeit müssen und fragen, warum macht ihr die zu? Denn es ist keine unmittelbare Gefahr erkennbar. Ich aber bin oberhalb der Straße gestanden und mit den Schuhen im Matsch versunken. Ich habe gesagt, wir müssen die zusperren – und auch der Landesrat war für die Devise: Ja kein Risiko eingehen. Am Ende ist nichts passiert. Aber wenn wir die Straße nicht gesperrt hätten und weiter Gewicht drauf gedrückt hätte – man hat es bei der Pustererbahn gesehen –, hätte das gesamte Erdreich wegbrechen können. Denn da war alles nur mehr Schlamm und Matsch.

 

Was bleibt von den letzten Tagen?

Wir haben uns ja auch die Zeit genommen, in der Feuerwehrhalle zusammen ein Bier zu trinken und ich habe mit jedem einzelnen geredet. Jeder hatte auch das Bedürfnis, zu erzählen. An diesem Freitag Abend habe ich alle Einsatzkräfte zu einem gemeinsamen Essen in die Feuerwehrhalle Montal eingeladen. Den Pfarrer habe ich um ein Danke gebeten. Das ist auch ein Bedürfnis. Jeder ist dankbar, dass nichts passiert ist.

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Hans Hanser Mi., 20.11.2019 - 10:39

Ich weiß nicht, ich habe bei diesem Herrn den Verdacht, dass es ihm sehr stark um sein eigenes Ego geht und auch in Vergangenheit immer gegangen ist. Schließlich haben auch andere Pusterer Bürgermeister für deren Bevölkerung die Nacht zum Tag gemacht, medial dermaßen in Stellung gebracht hat sich jedoch nur dieser Herr.
Die Vielzahl der Absolventen eines Politikstudiums in der Südtiroler Landesverwaltung und deren in-house-Gesellschaften ist mir ebenfalls suspekt.

Mi., 20.11.2019 - 10:39 Permalink
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Michl T. Mi., 20.11.2019 - 11:21

Antwort auf von Hans Hanser

einem Politiker vorzuwerfen, dass er sich medial präsent zeigt ist so als würde man einem Fernfahrer vorwerfen er sei wenig daheim. That's part of the job.
Nachdem der Südtiroler Zivilschutz nicht in den sozialen Medien präsent ist (oder mir zumindest nicht auffällt?) nimmt ein Gemeindeverwalter, der sich zu helfen weiß, halt diese Kanäle selber in die Hand. und die meisten waren froh über die laufenden Updates und Warnungen aus erster Hand!
Gegen die "Direktvermarktung" von Mitteilungen der Politiker spricht eigentlich nur, wenn es gezielt darum geht Desinformation, Hetze und Diffamierung an den Mann/Frau zu bringen. siehe dazu @RealDonaldTrump

Mi., 20.11.2019 - 11:21 Permalink
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maximilian kollmann Mi., 20.11.2019 - 13:56

Wenn man den Artikel über BM Ausserdorfer liest bzw. weiss was die Bürgermeister das ganze Jahr über für die Gemeinschaft leisten hat man keinerlei Verständnis warum ihnen nicht endlich eine vernünftige Rente zugestanden wird.
Die Leistungen, der Zeitaufwand und die Verantwortung der Bürgermeister stehen in keinem Verhältnis zu denen eines einfachen Landtagsabgeordneten, die Entschädigung aber ist wesentlich schlechter.

Mi., 20.11.2019 - 13:56 Permalink
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Sepp.Bacher Mi., 20.11.2019 - 21:59

Antwort auf von maximilian kollmann

Tatsache ist aber auch, dass Südtirols Bürgermeister bereits mehr verdienen, als jene im Trentino, mit den selben Aufgaben und Kompetenzen, und diese wiederum mehr als jene anderer Regionen.
Ich fände es richtig, wenn die Gemeinden jeweils den Teil in die Rentenkasse einzahlen würden, in die der/die Betroffene sonst auch einzahlt. Am Ende erhält er/sie die Rente für die er/sie eingezahlt hat. Das selbe auch für Landespolitiker! Warum sollen sich Politiker nach Beendigung des Amtes noch vom Sack der Steuerzahler bereichern, wenn sie nichts Besonderes mehr leisten? Ja wenn er/sie vielleicht noch einen gut dotierten Verwaltungs- oder Aufsichtsratsposten neben der Rente erhält?

Mi., 20.11.2019 - 21:59 Permalink
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Christian Mair Mi., 20.11.2019 - 15:09

Was machen die Bürgermeister aber wenn gerade keine Katastrophe da ist? Vielleicht wären für Südtirol besser 20 statt weit über 100 Bürgermeister!

Dafür könnten Ingenieure, Lehrer, Hebammen, Pflegekräfte und viele weitere Positionen besetzt werden.

Die digitale Verwaltung und egovetnment wird das möglich machen.

Und weiter: statt privater Pensionsvorsorge, die in Märkte abfliesst, braucht es demokratische Mitbestimmung von regionaler Wirschaft, um Klimawandel, Arbeitsverknappung durch Digitalisierung, alternder Bevölkerung etwas entgegensetzen zu können!

Mi., 20.11.2019 - 15:09 Permalink
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Hans Hanser Mi., 20.11.2019 - 20:52

Antwort auf von Christian Mair

Ihre Ideen in allen Ehren, die digitale Verwaltung und das E-Government werden vieles schaffen.
Eines aber mit Sicherheit nicht, die Anzahl der Südtiroler Bürgermeister zu reduzieren. Wer die Chance hat Dorfkaiser zu werden und den Freunden Aufträge zu verschaffen, wird auf die Digitalisierung und auf alle vernünftigen Rationalisierungsmaßnahmen in der öffentlichen Verwaltung pfeifen.

Mi., 20.11.2019 - 20:52 Permalink
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Andreas Baumgartner Do., 21.11.2019 - 00:15

Antwort auf von Hans Hanser

Man kann dem Lorenzner Bürgermeister vieles vorwerfen - nicht aber seine Informationspolitik. Auch die Bürger etlicher umliegender Gemeinden waren über seine Facebook-Statusupdates froh, waren sie zeitweise doch die einzige Informationsquelle. Und es ist naheliegend, dass er die Informationen weitergibt, schließlich lagen etliche Problemquellen (beschädigte Terna-Leitung in Onach, Mure auf Bahnlinie in St. Lorenzen, Hangrutschung Kniepass) auf seinem Gemeindegebiet.

Do., 21.11.2019 - 00:15 Permalink