Politik | Proporz

Ethnischer Kleinkrieg

Ein Streit um eine Stellenbesetzung beim Arbeitsunfallinstituts INAIL macht deutlich, wie kleingeistig und arrogant Südtirols Politik inzwischen geworden ist. Eine Posse.
INAIL
Foto: upi
Als neutraler Beobachter muss man meinen, man befindet sich im Kindergarten und nicht im Landtag.
Helmuth Renzler lässt diese Sichtweise nicht gelten. „Es geht darum gewissen Tendenzen einen Riegel vorzuschieben“, sagt der SVP-Landtagsabgeordnete. Christian Troger möchte genau davon nichts hören. „Ich will keinen ethnischen Konflikt“, sagt der SGK/UIL-Gewerkschafter nachdenklich.
Doch dieser ist längst ausgebrochen. Wobei es sich in diesem Fall um einen kindischen Streit handelt, bei dem vor allem die beteiligen Politiker eine mehr als peinliche Figur machen. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie kleingeistig und arrogant Südtirols Politik inzwischen auftritt, wenn es darum geht ethnische Pfründe zu verteidigen.
 

Das Einvernehmenskomitee

 
Die Posse spielt sich in einem institutionellen Organ ab, das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist: Dem sogenannten Einvernehmenskomitee für die Staatsstellen.
Per Durchführungsbestimmung vor über drei Jahrzehnten eingerichtet, ist das Einvernehmenskomitee ein Organ des Landtages, das als eine Art Verbindungsglied zwischen Staat und Land gilt. Tätig wird es vor allem bei der Stellenbesetzung in den staatlichen Einrichtungen wie INPS oder INAIL, aber auch in anderen Sektoren, wie Eisenbahn, Post oder Agentur der Einnahmen.
 
 
Man tut sich nicht nur schwer gesetzliche Bestimmungen dazu zu finden, auch im Landtag fristet diese Kommission eher ein Schattendasein. Meistens taucht das Einvernehmenskomitee in den Meldungen einmal alle fünf Jahre auf. Wenn der Landtag zu Beginn der Legislatur seine drei Vertreter für dieses Komitee wählt. Im Dezember 2018 wählte der Landtag Helmuth Renzler (SVP), Carlo Vettori (Lega) und Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) in das Komitee. Präsident des Einvernehmskomitee ist der Regierungskommisär. Rechtsmitglied ist der Präsident des INAIL-Landeskomitees. Das ist der Gewerkschafter iChristian Troger. 
 

„Gute Zusammenarbeit“

 
Am 11. Oktober 2019 verschickte die SVP-Fraktion im Landtag eine Pressemitteilung. Am Tag zuvor hatte ein Treffen des Einvernehmenskomitees mit der Spitze des Südtiroler Arbeitsunfallinstituts INAIL stattgefunden.
Zunächst haben wir uns darauf geeinigt, dass eine weitere Aufnahme einer Führungskraft der italienischen Sprachgruppe vorbehalten ist. Dies deshalb, weil letzthin Aufnahmen von Führungskräften deutscher Muttersprache durchgeführt worden waren“, lässt sich Helmuth Renzler in der eigenen Aussendung zitieren. Dazu wurde auf der Sitzung von allen Mitgliedern auch ein Einvernehmensprotokoll unterzeichnet.
Die Vertreter des Einvernehmenskomitees wurden zudem von Seiten des INAIL ersucht, sich mit den Parlamentariern in Rom in Verbindung zu setzen, damit diese bei der Generaldirektion der INAIL intervenieren. Der Grund: Für Südtirol sollen demnächst neue Stellen ausgeschrieben werden, da beim INAIL zur Zeit 35 Stellen unbesetzt sind. Der Stellenplan des INAIL sieht in Südtirol 104 Arbeitsstellen vor, davon sind aber nur sind 69 besetzt.
 
 
 
Helmuth Renzler am 11. Oktober: „Die Zusammenarbeit zwischen dem Einvernehmenskomitee und dem INAIL ist sehr gut und wir sind bemüht, dieses gute Einverständnis auch zukünftig aufrechtzuhalten, damit bei Bedarf im Sinne der Betroffenen so schnell wie möglich reagiert und entschieden werden kann und dies immer unter Anwendung der geltenden Bestimmungen wie Proporz und Zweisprachigkeit“.
Schöne Worte.
 

Zurückgezogene Unterschrift

 
Doch keine drei Wochen später, klingt das plötzlich völlig anders.
Am 28. Oktober schickt der Sekretär des Landtagspräsidiums im Auftrag von Helmuth Renzler ein Schreiben an den Präsidenten des INAIL-Landeskomitees Christian Troger und an die Südtiroler Landesdirektorin der INAIL Stefania Marconi.
In dem Schreiben heißt es:
 
Aufgrund ungenauer und mangelnder Informationen seitens der Verwaltung des INAIL anlässlich des Einvernehmens vom 10. Oktober 2019, sehen sich die Vertreter des Südtiroler Landtages im Einvernehmenskomitee L.Abg. Andreas Leiter Reber, L.Abg. Helmuth Renzler und L.Abg. Carlo Vettori gezwungen, Ihre Zustimmung zur Zuweisung an die italienische Sprachgruppe des öffentlichen Wettbewerbes für eine Stelle als Führungskraft der zweiten Stufe für den lokalen Stellenplan des INAIL in der Provinz Bozen zu widerrufen. 
Der Widerruf begründet sich unter anderem darin, dass die öffentliche Ausschreibung für eine Stelle, welcher mit Einvernehmen vom 24. April 2019 der deutschen Sprachgruppe vorbehalten wurde, nie zur Ausschreibung gelangt ist und nur über einen „Interpello“ besetzt wurde. Aus diesem Grund kann die am 10. Oktober 2019 der italienischen Sprachgruppe zugewiesene Stelle dieser nicht mehr vorbehalten werden, sondern muss wiederum der deutschen Sprachgruppe vorbehalten bleiben. 
Die unterzeichnenden Vertreter des Südtiroler Landtages im Einvernehmenskomitee L.Abg. Andreas Leiter Reber, L.Abg. Helmuth Renzler und L.Abg. Carlo Vettori ziehen hiermit Ihre Unterschrift vom Einvernehmensprotokoll der Sitzung vom 10. Oktober 2019 zurück und fordern das INAIL auf, dem Rechnung zu tragen.“
 
Der Rückzug kommt sowohl für Christian Troger, wie auch für die Südtiroler INAIL-Führung völlig überraschend. Die drei Landtagsabgeordneten fordern Troger in dem Schreiben auf, dafür zu sorgen, umgehend einen Wettbewerb auszuschreiben. Dabei endet die Depesche mit einer unmissverständlichen Drohung:
 
„Etwaige einseitige Maßnahmen und Durchführung bzw. Ausschreibung eines Wettbewerbes, welcher der italienischen Sprachgruppe vorbehalten ist, würde ohne neuerliches Einvernehmen unwiderruflich rechtliche Maßnahmen seitens des Landes Südtirol mit sich bringen.“

Wie aber kann man zuerst eine Protokoll unterzeichenen und keine drei Wochen später plötzlich die Unterschrift wieder zurückziehen? Und wie kann die Stimmung von eine angeblich guten Zusammenarbeit innerhalb so kurzer Zeit in eine Klagedrohung umschlagen?
Die Antwort auf diese Fragen findet man, wenn man sich die „ungenauen und mangelnden Informationen“ anschaut, die im Schreiben angesprochen werden. Dann wird auch klar, dass die Landtagsabgeordneten anscheinend zuerst unterschreiben und sich erst danach informieren.
 

Das Postenkarussell

 
In der Südtiroler INAIL spricht man seit langem in der Führungsetage deutsch. In den Bezirken Brixen und Meran sitzen deutschsprachige Beamte und Beamtinnen in der Direktion. Auch in der INAIL-Landesdirektion saß mit Robert Pfeifer jahrelang ein deutschsprachiger Südtiroler in der Spitze des Arbeitsunfallinstituts. Seit Pfeifer 2018 in Pension gegangen ist, wurde die Stelle noch nicht nach besetzt Sie wird interimistisch von der Direktorin der Trentiner INAIL-Landesdirektion Stefania Marconi mitgeleitet.
 
 
Die SVP und vor allem Helmuth Renzler wollen aber unbedingt wieder einen deutschen INAIL-Landesdirektor haben. Und man glaubte den geeigneten Mann auch gefunden zu haben. Peter Werth war zuerst bei der INAIL in Brixen tätig und ging dann als Beamter an den Rechnungshof. Im Frühjahr 2018 ließ er sich an das Arbeitsunfallinstituts zurückversetzen.
Für Helmuth Renzler und der SVP sollte er der neue Landesdirektor werden. Deshalb pochte man auch bereits beim Treffen des Einvernehmenskomitees Ende April auf die Ausschreibung und, dass diese Stelle sowie eine weiter der deutschen Sprachgruppe vorbehalten werden.
„Es ist leider kaum machbar, dass man in Rom im Sommer eine Ausschreibung vorbereitet und durchführt“, begründet Christian Troger die Tatsache, dass es bis heute nicht zu dieser Ausschreibung gekommen sei.
Dafür aber wurde eine andere Stelle frei. Ende Juli ging die Direktorin des Bozner INAIL-Bezirkes Mira Vivarelli in Rente. Diese Stelle wurde Peter Werth angeboten und er nahm sie auch gerne an.
Damit werden alle drei Bezirksdirektion erstmals von deutschsprachigen Beamten geleitet. Folgerichtig will man die Landesdirektion einem italienischen Bewerber oder einer Bewerberin vorbehalten. Das war dann auch das Einvernehmen, das man auf der Sitzung am 11. Oktober unterzeichnet hat.
 

Peinliche Situation

 
Wir wollen, dass zwei leitende Stellen der deutschen Sprachgruppe vorbehalten werden“, begründet Helmuth Renzler den plötzlichen Meinungsumschwung des Landtagstrios. Es sei bei der Sitzung am 11. Oktober zu „Missverständnissen gekommen“.
Wie absurd dieser Aussage ist, wird an einem Detail deutlich. Beim Treffen des Einvernehmenskomitees war auch Peter Werth anwesend. Man hätte ihn nur fragen müssen und dann hätten die Landtagsabgeordneten bevor sie unterschreiben, erfahren, dass Werth inzwischen als Bozner Bezirksdirektor vom Regierungskommissariat pragmatisiert wurde und dass er - nach Informationen von salto.bz - mit der Aufgabe auch glücklich und zufrieden sei. Doch daran haben Renzler & Co anscheinend nicht gedacht.
Der eigentliche Grund des plötzlichen Rückzugs ist dann auch ein anderer. Nach der großspurigen Pressemitteilung Renzlers kamen SVP und INAIL intern Proteste gegen das Zugeständnis auf. Deshalb korrigierte man einfach die eigene Entscheidung. Andreas Leiter Reber und Carlo Vettori spielen dabei anscheinend mit.
Christian Troger antwortet zwei Tages später, dass er "mit Bedauern, Erstaunen und Ungläubigkeit den Inhalt des Briefes zur Kenntnis genommen habe.". Troger hat jetzt eine neue Aussprache im Einvernehmenskomitee eingefordert. Diese soll nächste Woche stattfinden. Weil es in diesem Gremium keine Abstimmungen gibt, muss man sich einvernehmlich einigen.
 
 
 
Wie verhärtet die Fronten aber sind und wie stillos man dabei vorgeht, zeigt ein weiteres Details.
Helmuth Renzler schickte das Schreiben mit dem die Landtagsabgeordneten ihre Unterschriften zum Einvernehmensprotokoll zurückziehen auch an die INAIL-Personaldirektion nach Rom. Ausschließlich auf Deutsch. Es ist ein klarer Akt der Provokation. Und das ausgerechnet von einem, der bis vor wenigen Monaten Chef der SVP-Arbeitnehmer war. „Ich bin doch kein Übersetzungsbüro“, rechtfertigt Renzler gegenüber salto.bz diese Gangart.
Dabei trägt das Schreiben den Briefkopf des Südtiroler Landtages.
Ein gefundenes Fressen für alle jene, die in Rom auf Südtirol einschlagen wollen.

Na ja, ich denke daß diese Reibereien normal sind. Da schenkt keine Seite der anderen etwas. Es ist immer ein Ringen um Einflusssphären, insofern also normales Tagesgeschäft.

Do., 21.11.2019 - 08:23 Permalink

Wenn ich mich richtig erinnere, sollte anfänglich die Proporz-Pflicht nur 40 Jahre gelten, dann sollte genügen, dass die Bewerber/innen zweisprachig sind. 1972 + 40 wäre 2012. Ich weiß, diese Bestimmung wurde geändert: Vom Ziel sind wir immer noch meilenweit entfernt.
Bei den Proporz-Bestimmungen wurden viele Dinge nicht bedacht, sie wurden aber trotzdem rigide durchgezogen. Man hat dadurch der italienischen Sprachgruppe ein wichtiges Standbein beraubt: den öffentlichen Dienst. Plötzlich konnte der Sohn des Eisenbahners nicht mehr Lokführer werden und die Tochter des Richters nicht mehr Richterin, usw. Alle wissen, welche Stimmung solche Dinge zur Folge haben! In der Folge wurden die Italiener auch vieler Direktoren- und Primar-Jobs beraubt. Sie fühlen sich dadurch amputiert.
Parallel schwanden auch die Großbetriebe in der Industriezone, also brauchte es weniger Ingenieure, Periti, und anderes Technisches Personal. Mindestens eine Generation der Italiener mit höherem Bildungsabschluss oder spezialisierte Facharbeiter, mussten sich außerhalb Südtirol ihren Arbeitsplatz suchen. Deshalb schwand der italienische Anteil der Bevölkerung deutlich und jene Gemeinden mit hohen Anteil sind auch noch stärker überaltert. Und solche Dinge sollte Renzler wissen und bedenken!
Man sollte wenigstens heute flexibler sein und den Italiener auch noch einige Spitzenjobs zugestehen! Möglicherweise gibt es auch beim INPS - dem ehemaligen Arbeitgeber Renzlers - ein ähnliches Problem? Man las, dass Renzler sich letzthin für die pensionierten Altbauern eingesetzt habe. Denn dort geht nichts mehr vorwärts - das haben auch wir normalen Rentner bemerkt! Anscheinend gibt es auch dort einen großen Personalmangel! Und vielleicht spielt auch dort einen Rolle, dass der Direktorenposten seit Jahren von einen deutschen Direktorin besetzt wird? Das wäre ein Thema für einen weiteren Hintergrundbericht, Christoph F.!?

Do., 21.11.2019 - 10:05 Permalink

*...nach Rom. Ausschließlich auf Deutsch. Es ist ein klarer Akt der Provokation.*... Immer langsam bitte alles gleich als Provokation zu sehen. Da zündet ja Franceschini plötzlich selbst. Erinnere mich als damals Durnwalder ein Schreiben nach Wien auf Italienisch richtete, weil einer seiner Mitarbeiter italienischer Muttersprache aus welchem Grund auch immer dieses so vorbereitete. Und niemand sah dies als Provokation an. Eher als peinlich.

Do., 21.11.2019 - 12:08 Permalink

Ich denke, dass wir in der Weiterentwicklung unserer Autonomie den Zustand erreichen müssen, dass mit Aufgabenlösungen jene Personen beauftragt werden, die in einem fairen Auswahlverfahren, die besten Voraussetzungen an Lösungskompetenz mitbringen. Dies unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit.

Fr., 22.11.2019 - 09:41 Permalink