Immer, wenn die Möglichkeit einer Regierungskrise mit Neuwahlen näher rückt, wird Italiens Kaste von plötzlicher Aufregung und Unruhe geplagt: Kann ich bei einer drohenden Neuwahl meinen Sitz und die damit verbundenen Privilegien verteidigen? Diese Unruhe wird durch einen weiteren Faktor vergrössert: Am 12. Jänner tritt die im Oktober beschlossene
Reduzierung der Anzahl der Parlamentarier in Kraft. Die Zahl der Abgeordneten sinkt dann von 630 auf 400, jene der Senatoren von 315 auf 200 – ausser man findet einen Weg, um sie zu stoppen. Schlüssel dazu ist eine im Präsidium des Senats aufliegende Liste, in der die Zahl der Unterschriften von Tag zu Tag wächst. Eine im Gesetz vorgesehene Klausel speist die Hoffnung derer, die um ihre Wiederwahl bangen müssen. Sie sieht vor, dass ein Fünftel der Kammer oder des Senats eine Volksabstimmung über das Gesetz fordern kann.
Dafür reichen die Unterschriften von 65 Senatoren. Nach inoffiziellen Meldungen fehlen nur noch zehn.
Was passiert dann? Es wird eine Volksabstimmung anberaumt. Es gilt als sicher, dass die Bürger das Gesetz zur Reduzierung der Kaste billigen. Aber wenn die Regierung in den kommenden Wochen stürzt, gibt es Neuwahlen. Und die werden nach den alten Spielregeln durchgeführt, die fast 1.000 Parlamentarier vorsehen. Die beschlossene Reduzierung könnte dann erst beim nächsten Urnengang verwirklicht werden – zumal die Wahlkreise vorher neu gezeichnet werden müssen.
Immer, wenn die Möglichkeit einer Regierungskrise mit Neuwahlen näher rückt, wird Italiens Kaste von plötzlicher Aufregung und Unruhe geplag
Auch an einer anderen Front kämpft die Kaste gegen einen "unzumutbaren" Eingriff: Den Gesetzentwurf des M5S-Justizministers Alfonso Bonafede gegen die Verjährung von Straftaten. Aus den Reihen von Forza Italia, Partito Democratico und Italia Viva kommt eine Flut von Abänderungsanträgen gegen dieses Gesetz, mit dem die Verjährung nach dem Urteil erster Instanz gestoppt werden soll. Die Anwältekammer protestierte dagegen mit einer maratona oratoria vor dem römischen Palazzo di giustizia. Die Liste der Politiker und Unternehmer, die durch Verjährung vor Haftstrafen bewahrt wurden, ist lang und reicht von Giulio Andreotti über Silvo Berlusconi, Umberto Bossi, Denis Verdini bis zu Roberto Calderoli und Massimo D'Alema. Di Maio beschuldigt den Partito Democratico der Beibehaltung "della prescrizione ideata da Berlusconi". Nach unbestätigten Meldung hat Grillo den Fünf-Sterne-Chef aufgefordert, harte Töne zu vermeiden und einen Kompromiss zu suchen. Nun bleibt abzuwarten, ob der PD zu einer Kompromisslösung bereit ist. Über die Anzahl der verjährten Prozesse gibt es unterschiedliche Daten. Laut Justizministerium sind es rund 130.000 pro Jahr. An der Spitze liegt Turin mit 35 Prozent der dort laufenden Gerichtsverfahren, Schlusslicht ist Bozen mit 0,4 Prozent.