Cycling Lifestyle
Salto.bz: Sie planen und realisieren Fahrradnetze in vielen Städten Europas. Angefangen hat alles in Bozen...
Patrick Kofler: Ich bin kein Techniker oder Planer, mein Fokus ist das menschliche Verhalten und alles, was es beeinflussen kann: Strukturen, Services und Kultur/Kommunikation. Bozen ist als erste Stadt zweigleisig gefahren; neue Radwege und emotionale Kommunikation – und ist damit zu Italiens Fahrradstadt Nummer Eins und zum international beachteten Beispiel aufgestiegen. Unsere Postkarten sind im deutschsprachigen Fahrradbereich Kult geworden.
Das Fahrrad galt in seinen frühen Jahren als Vehikel für Freiheit. Wie ist es Euch gelungen alten „Fahrrad“-Glanz wieder aufzupolieren und den Drahtesel wieder gesellschaftspolitisch relevant machen?
Wir schauen immer darauf, was der Gesellschaft grad wichtig ist; und dort docken wir mit dem Fahrrad an – in München ist es beispielsweise sehr in Mode. Deshalb haben wir dort unter anderem eine Radl&Fashion Show organisiert. Grundsätzlich arbeiten wir mit positivem Image, positiven Emotionen, mit bekannten Personen oder Orten. Fahrrad kann echt cool sein.
Ich glaube fest daran, dass Bozen eine Fahrradstadt wie Erlangen, Oldenburg oder Münster werden kann.
Das Auto hat eigentlich als Statussymbol ausgedieht. Viele Menschen glauben aber noch tatsächlich daran, sich unbedingt einen SUV kaufen zu müssen. In Gegenden mit engen Straßen und Gassen sind diese Autos ein unglaubliches Ärgernis. Was kann „Fahrradkultur“ dem protzigen Zeitgeist entgegensetzen?
Ich setze da mal coole Socken entgegen, die man im Auto gar nicht sehen würde. Ich habe sehr schöne, stylische Chinos an, die elastisch und wasserabweisend sind und auch reflektierende Elemente haben, genauso wie mein Jackett. Ich schwinge mich auf mein Titan Gravel Bike, rausche an den SUVs einfach vorbei und komme pünktlich und ohne Stress zu meinem Termin. Style, Freiheit, Schnelligkeit? Noch was?
Die Bewohner der Stadt Bozen haben sich gegen eine Trambahn entschieden. Die Politik und Sie interpretieren das als Signal für eine fortschrittliche Lösung im Sinne einer modernen Fahrradmobilität?
Aber sicher doch. Die Fahrradmobilität ist in Bozen schon ein starker Punkt, hat aber noch viel Entwicklungspotential. Bozen ist ja nicht sehr groß und es ist relativ flach. Weitere Distanzen und Höhenunterschiede können mit E-Bikes einfacher bewältigt werden. Bozen hat also noch viel Potential, das man jetzt noch mobilisieren kann. Ich glaube fest daran, dass Bozen eine Fahrradstadt wie Erlangen, Oldenburg oder Münster werden kann. Mit gar nicht so viel Aufwand wird Bozen zur Fahrrad-Avantgarde.
Ist es nicht eher so, dass Menschen sich einfach nicht gerne von der mittlerweile arg ins Stocken geratenen Automobilität trennen wollen?
Ja, es ist durchaus so. Alle werden und brauchen wir auch nicht überzeugen. Viele andere aber schon. Durch Kulturarbeit, innovative Services und mehr Platz für das Rad. Wir müssen auch verstehen, dass wir hier von Kulturprozessen sprechen, die auf gesellschaftlicher Ebene stattfinden und auch mal eine Zeit lang dauern werden. Da hilft keine Kampagne, die drei Monate lang dauert oder ein oder zwei neue Fahrradwege. Deshalb ist hier Kontinuität und Konsistenz gefragt – auch und vor allem seitens der Politik. Die Lösungen gibt es ja alle schon, da braucht man gar nicht so viel Neues erfinden. Sie müssen aber politisch durchgesetzt und vor allem durchgehalten werden – daran scheitert es meistens...
Südtirol könnte weltweit eine Top Mountain-Bike-Destination werden, wenn sich Touristiker mit Grundeigentümern einig würden und allgemein eine fahrradfreundliche Kultur entstehen würde.
In den 1990er Jahren wurde Südtirols bekanntester Radfreak Tilmann Walthaler noch von Südtirols größtem Verlagshaus abgeraten ein Buch über das Fahrradfahren am Berg zu veröffentlichen, da derartige Lektüre ohnehin keine Interessenten findet. Was hat sich seitdem verändert?
Das Freizeitradeln am Berg, im Tal und in der Ebene hat einen enormen Boom erfahren. Der Mensch hat einfach immer mehr Lust auf Natur, vielleicht weil die Städte immer anstrengender werden. Und das Fahrrad eignet sich einfach vorzüglich dazu, diese Lust auf Natur auszuleben. Im Gegensatz zum Wandern, hat man mit dem Fahrrad einen größeren Radius und kann super auf Entdeckungsfahrt gehen. In einigen Disziplinen des Mountainbikens kommt dann noch das Adrenalin-Element dazu; befeuert dadurch, dass man einfach mit Liftanlagen aufsteigen kann. Südtirol könnte weltweit eine Top Mountain-Bike-Destination werden, wenn sich Touristiker mit Grundeigentümern einig würden und allgemein eine fahrradfreundliche Kultur entstehen würde.
Wie attraktiv sind Kombinationsangebote – beispielsweise in Zusammenarbeit mit Eisen- oder Bergbahnen – für eine Fahrradmobilität der Zukunft ?
Im ländlichen Bereich spielt neuerdings das E-Bike eine wichtige Rolle, denn damit lassen sich leicht Distanzen bis zu 15 km bewältigen. Es braucht da aber auch gute Radwege; im ländlichen Bereich sind die Autos zu schnell unterwegs, als dass man Rad und Auto auf dieselbe Fahrbahn werfen könnte. Hier wären Fahrradschnellstraßen wünschenswert. Die Fahrradmitnahme in der Eisenbahn ist den Betreibern grundsätzlich ein Dorn im Auge, weil das Be- und Entladen der Fahrräder zu Verspätungen führt. Die Fahrradmitnahme wird aber ungeachtet dessen immer mehr und immer öfter gefordert werden. Es wäre also eine echte Innovation, wenn man sich diesen Belade- und Entladeprozess mal anschauen und ihn beschleunigen würde. Bisher, so habe ich den Eindruck, ist man dem immer ausgewichen und hat da nie richtig Hirnschmalz investiert. Das Potenzial wäre riesengroß.
Schließlich hat ja Einstein seine Relativitätstheorie auch am Fahrrad entwickelt.
In welchen Ländern hat das Fahrrad den höchsten Stellenwert? Und weshalb lässt sich in diesen Gegenden eine positive Einstellung zum Fahrrad erklären?
In Holland hat das Rad den höchsten Stellenwert. Stellen Sie sich vor, der Premierminister fährt zu einem internationalen Treffen der Regierungschefs mit dem Fahrrad. Sehr cool! Ich finde Holland eignet sich als Beispiel für Südtirol besser als Kopenhagen, da in Holland das ganze Land radelt und nicht nur eine Stadt. Auch in Baden Württemberg versucht die Landesregierung das ganze Bundesland zum Radeln zu bringen. Vor allem in Holland ist es historisch so gewachsen und nicht im Handumdrehen passiert; da sind schon mal 30 Jahre vergangen. Dazu ist auch zu sagen, dass Holland keine eigene Autoindustrie wie Deutschland oder Italien hat – das macht es in Holland vielleicht leichter, weil nicht so viele Arbeitsplätze dran hängen. Auf jeden Fall wäre ja schon cool, wenn unsere Landespolitiker sich ein schönes E-Bike kaufen würden und die dazu gehörigen, stylischen Anzüge, speziell für urbanes Radfahren entwickelt, um damit zu den Terminen zu erscheinen. Ich denke, sie würden dann auch bessere Entscheidungen treffen. Schließlich hat ja Einstein seine Relativitätstheorie auch am Fahrrad entwickelt.
Die Anzahl an E-Bikes steigt unaufhörlich. Wie stehen Sie zu diesem Phänomen?
Ich sehe das E-Bike ganz pragmatisch als Katalysator hin zu einer verstärkten Nutzung der Fahrräder im urbanen und regionalen Raum. Am Berg allerdings brauche ich es noch nicht.
Den Vergleich zwischen
Den Vergleich zwischen Einstein und den Südtiroler Landespolitikern finde ich vermessen. Grundlegend wird den e-bikes zuviel positives Statement zugeschanzt, schließlich vergisst man stets wie umweltschädlich deren Batterien sind.
Nur ein Hinterwäldlerland wie Südtirol und seine Gemeinden sind imstande massiv e-bikes anzukaufen und damit zu glauben dem aktuellen "Ich-rette-das-Klima-Hype" zu entsprechen. Dabei wird vergessen wie teuer die Geräte sind und da keine Statistiken geführt werden wieviel Wartungskosten verschlungen werden, sehe ich den Kosten-Nutzen-Effekt nicht. Aber wahrscheinlich ist ein Radverkäufer wieder mal gut mit den Gemeindestuben vernetzt....