Es ist ein zweifellos überraschender Schachzug. Vier Monate nach dem verlorenen Vertrauensvotum zu Ferragosto bietet Matteo Salvini der von ihm fast täglich attackierten Regierung plötzlich einen Kompromiss an: ein comitato di salvezza nazionale, sostenuto da tutte le forze politiche di maggioranza e di opposizione. " Stiamo vivendo un momento drammatico in cui dovremmo fermarci e smettere di fare polemiche" fordert der Lega-Chef, selbst ein Meister der Dauerpolemik.
Doch für Salvini haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Im rechten Lager hat ihn die kämpferische Parteichefin der Fratelli d'Italia überholt und mit dem Überraschungserfolg der sardine ist ihm ein neuer, unerwarteter Gegner erwachsen, der von den frustrierten Wählern mit Neugier und Begeisterung aufgenommen wird. Und überall, wo Salvini im Wahlkampf in der Emilia-Romagna auftrat, demonstrierten in nächster Nähe Tausende gegen ihn. Sie bringen das auf die Plätze, was in der Politik längst auf der Strecke geblieben ist: Enthusiasmus, Phantasie, Lust auf Veränderung, Optimismus und Heiterkeit. Zehntausende waren es am Wochenende auf der römischen Piazza San Giovanni, unter ihnen viele Intellektuelle und Künstler wie die Sängerinnen Fiorella Mannoia und Paola Turci oder der Autor Erri De Luca. "Bisogna cambiare la percezione della politica", so Mitbegründer Mattia Sentori: "Siamo i partigiani del 2020". Ausgeschlossen hat Sentori die Beteiligung seiner Bewegung an Wahlen. Als eines der wesentlichen Anliegen nannte er die Abschaffung von Salvinis decreti di sicurezza.
Freilich gibt es auch andere Gründe, die den Lega-Chef zu seinem überraschenden Schritt bewogen haben. Er will rasche Neuwahlen und dazu wird nach der Reduzierung der Parlamentarier ein neues Wahlrecht benötigt, das die Lega im Alleingang unmöglich durchziehen kann.
Zudem gilt es als sicher, dass ein Grossteil der Abgeordneten und Senatoren wenig Lust verspürt, ihren Sitz schon vor Halbzeit der Legislatur zu räumen - mit dem Risiko, nicht mehr gewählt zu werden.
Dass Salvini der Regierung plötzlich Zusammenarbeit anbietet, ist pure Strategie: "Facciamo un passo indietro. Mettiamoci intorno a un tavolo e risolviamo i problemi dell'Italia. Decidiamo quali sono le cinque priorità del paese". Die zählt Salvini dann selbst auf: fondi per le infrastrutture strategiche, tagliare la burocrazia, politiche di crescita e aiuti alle imprese, tutela della salute , legge elettorale con preferenza per il sistema britannico.
Die erste Antwort auf Salvini Vorschlag kommt von der Fünf-Sterne-Bewegung. Di Maio: "Non merita risposta, ignoriamolo." Einer der sich vorerst nicht äussert, aber an dem Angebot sicher Interesse zeigt, ist Matteo Renzi. Denn die beiden grossen Egomanen unter den Parteichefs haben einen gemeinsamen Erzfeind , auf dessen Sturz sie hinarbeiten: Regierungschef Giuseppe Conte.
Lega-Senator Giorgetti hält schon einen möglichen Ersatz bereit: Mario Draghi. Dass der langjährige Chef der Europäischen Zentralbank sich für diesen
Posten interessiert, ist freilich mehr als unwahrscheinlich.