water-4042627_1920.jpg
Foto: upi
Gesellschaft | Fritto Misto

Luttach geht uns alle an

Wenn wir aus der Tragödie eine Lehre ziehen können, dann diese: Wir alle tragen Verantwortung.
Ich hätte heute lieber eine heitere Kolumne geschrieben. Aber wie macht man das, wenn man einen Witz erzählen will, sich gedanklich aber dauernd schreckliche Bilder dazwischendrängen? Da kann keine Pointe gelingen.
Es ist furchtbar, was in Luttach passiert ist, furchtbar für die Opfer, die Toten und die Verletzten, furchtbar für ihre Angehörigen, furchtbar für die Einsatzkräfte, aber auch furchtbar für den Unfallverursacher.
Ganz egal, wie hart oder milde seine Strafe ausfallen wird: Man muss sich vor Augen halten, dass da einer dämlich und voll ins Auto gestiegen ist, und von einem Moment zum anderen sieben Menschen umgebracht hat. Ganz egal, wie viel Zeit er im Gefängnis absitzen wird: Die Schuld, sieben jungen Menschen getötet und andere seelisch und körperlich für ihr Leben gezeichnet zu haben, aus Fahrlässigkeit, Unbedachtheit, Selbstüberschätzung, die wird er wohl niemals mehr loswerden.
Nicht, dass ich ihn in Schutz nehmen möchte: Ein erwachsener Mensch sollte in der Lage sein, abzuschätzen, welche Folgen sein Handeln haben kann. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Aber wir lügen uns in die eigene Tasche, wenn wir jetzt so tun, als wäre dies ein Einzelfall, der mit uns allen nichts zu tun hat. Als wären in Südtirol nicht jedes Wochenende Menschen im Auto unterwegs, die ihren Führerschein los wären, würden sie kontrolliert. Als würde nicht jede/r von uns jemanden kennen, oder vielleicht selbst zu jenen gehören, die immer noch selbst fahren, auch wenn sie deutlich mehr als die gesetzlich erlaubten 0,5 Promille intus haben. Wenn Skrupel da sind, dann höchstens jene, dass man „erwischt“ werden könnte. Dass man sich selbst, oder noch schlimmer, eine/n Unschuldige/n, in Lebensgefahr bringen könnte, das ist kaum jemandem bewusst oder wird erfolgreich verdrängt. Wird schon nichts passieren. 
Wir lügen uns in die eigene Tasche, wenn wir jetzt so tun, als wäre dies ein Einzelfall, der mit uns allen nichts zu tun hat.
Ich höre im Bekanntenkreis immer wieder von Leuten, die nach dem Feiern unbeirrt selbst mit dem Auto nach Hause fahren. Meistens sind es Männer, die sich unter „feiern“ immer noch nicht viel anderes vorstellen können, als ordentlich Alk zu tanken. Ein Weichei, wer sagt, das war jetzt aber mein letztes Bier, ich muss noch fahren. Dai, eine Runde noch! Ein Weichei, wer sagt, okay, aber dann nehme ich ein Taxi. Als bräche ihnen der Penis ab, wenn sie sich heimfahren lassen. Neulich erzählte jemand von einem Standbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt, der eifrig mit seinen Kunden Glühwein kippen und dann noch etliche Kilometer nach Hause fahren würde. Jeden Tag. Der Ton, in dem erzählt wurde, war kein anklagender. Es war ein leichtes Kopfschütteln dabei, weil’s halt nicht ganz sauber ist, aber hey, was für ein Bursch.
 
 
Das ist das Narrativ, das wir ändern müssen: Das vom echten Mann, der eben hie und da einen über den Durst trinken muss und, mein Gott, dann halt auch mal angezwitschert am Steuer sitzt. Dabei sind wir alle gefragt. Angetrunken Auto zu fahren ist kein Kavaliersdelikt, und der, der’s macht, ist auch kein frecher Schlingel, sondern ein  verantwortungsloser Vollidiot. So lange wir aber so tun, als wäre es ein Jungenstreich, auf den wir Zeigefinger fuchtelnd und augenzwinkernd  nur scheinbar empört reagieren, so lange wird sich nichts ändern. Es braucht neben deutlich mehr Kontrollen vor allem  gesellschaftliche Ächtung und klare Ansagen von jedem von uns. Von Freunden und Bekannten, die sagen: „So fährst du heute ganz sicher nicht mehr heim!“. Von Angehörigen, die den Vollidioten ordentlich die Leviten lesen. Von Gastwirten, die ihren Kunden irgendwann auch mal sagen: „Für heute langt’s aber!“ und, wieso nicht, die Carabinieri verständigen, wenn sich einer nach fünf großen Bier (ungefähr zwei Promille) noch ins Auto setzt. Erscheint übertrieben? Nun, sie würden vermutlich ohne lang zu überlegen die Ordnungskräfte verständigen, wenn einer nach fünf großen Bier mit einer Pistole herumwachtelt. Auch ein Auto wird zu einer Waffe, wenn es von jemandem gesteuert wird, der seinen Sinnen nicht mehr trauen kann. Ob er noch heil und ohne Schaden anzurichten nach Hause kommt, hat dann mehr mit purem Glück als mit Geschick zu tun.

Wir brauchen aber zumindest in diesem Jahr gar keine Präventionskampagne mehr, weil die Berichterstattung über die Luttacher Tragödie dermaßen reißerisch und pietätslos ist, dass sie mehr Abschreckungspotenzial hat als jede noch so drastische Plakataktion.
 
Klare Worte, oder besser Bilder braucht es auch in den Informationskampagnen des Landes. Emojis sind lieb und nett und sprechen vielleicht Führerscheinneulinge an, die aber ohnehin nicht die problematischsten Autofahrer sind. Sie haben längst gelernt, auf den Shuttlebus auszuweichen, weil für sie die Null-Promille-Grenze gilt. Sieben Führerscheine wurden 2018 in der Altersklasse 15-19 wegen Trunkenheit am Steuer abgenommen, bei den 25-29-Jährigen waren es dann schon 89 (Spitzenreiter), und auch bei der Altersklasse zwischen 40 und 44, die es nun wirklich besser wissen müsste, sind es immer noch 63 eingezogene Führerscheine. Tendenz im Vergleich zum Vorjahr insgesamt sinkend, aber ja, es ist immer noch zu viel. Ob ästhetische Fotos von alkoholischen Getränken, versehen mit dem ausgelutschten „Wer trinkt, fährt nicht“-Warnhinweis ähnlich denen auf Zigarettenpackungen da wirklich abschreckend genug sind?. Oder nicht eher Lust auf ein Bierl machen?  
Wie wäre es damit, mal wirklich „keine Kompromisse“ zu machen  und knallhart die Realität zu zeigen statt netten aber halbherzigen Werbegags? In Irland etwa laufen seit Jahren Werbespots im Abendprogramm, die einem die Gefahren von Raserei und Alkohol am Steuer auf drastische Art und Weise vor Augen führen. Nichts für zarte Gemüter, sie seien gewarnt, aber gerade deshalb vergisst man sie nicht mehr. Möglicherweise brauchen wir aber zumindest in diesem Jahr gar keine Präventionskampagne mehr, weil die Berichterstattung über die Luttacher Tragödie dermaßen reißerisch und pietätslos ist, dass sie mehr Abschreckungspotenzial hat als jede noch so drastische Plakataktion.
Da sehen wir weinende Angehörige, lesen von einem „Schlachtfeld“ und Menschen, „die durch die Luft flogen“. Sehen lachende Gesichter, die jetzt Toten gehören, sehen den „Todesflitzer“, lesen den vollen Namen und Wohnort des Unfallverursachers und werden versorgt mit privaten Bildern aus seinem Facebook-Account. Wem Luttach jetzt keine Lehre ist, dem ist nicht zu helfen.