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Gesellschaft | Fritto Misto

Luttach geht uns alle an

Wenn wir aus der Tragödie eine Lehre ziehen können, dann diese: Wir alle tragen Verantwortung.
Ich hätte heute lieber eine heitere Kolumne geschrieben. Aber wie macht man das, wenn man einen Witz erzählen will, sich gedanklich aber dauernd schreckliche Bilder dazwischendrängen? Da kann keine Pointe gelingen.
Es ist furchtbar, was in Luttach passiert ist, furchtbar für die Opfer, die Toten und die Verletzten, furchtbar für ihre Angehörigen, furchtbar für die Einsatzkräfte, aber auch furchtbar für den Unfallverursacher.
Ganz egal, wie hart oder milde seine Strafe ausfallen wird: Man muss sich vor Augen halten, dass da einer dämlich und voll ins Auto gestiegen ist, und von einem Moment zum anderen sieben Menschen umgebracht hat. Ganz egal, wie viel Zeit er im Gefängnis absitzen wird: Die Schuld, sieben jungen Menschen getötet und andere seelisch und körperlich für ihr Leben gezeichnet zu haben, aus Fahrlässigkeit, Unbedachtheit, Selbstüberschätzung, die wird er wohl niemals mehr loswerden.
Nicht, dass ich ihn in Schutz nehmen möchte: Ein erwachsener Mensch sollte in der Lage sein, abzuschätzen, welche Folgen sein Handeln haben kann. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Aber wir lügen uns in die eigene Tasche, wenn wir jetzt so tun, als wäre dies ein Einzelfall, der mit uns allen nichts zu tun hat. Als wären in Südtirol nicht jedes Wochenende Menschen im Auto unterwegs, die ihren Führerschein los wären, würden sie kontrolliert. Als würde nicht jede/r von uns jemanden kennen, oder vielleicht selbst zu jenen gehören, die immer noch selbst fahren, auch wenn sie deutlich mehr als die gesetzlich erlaubten 0,5 Promille intus haben. Wenn Skrupel da sind, dann höchstens jene, dass man „erwischt“ werden könnte. Dass man sich selbst, oder noch schlimmer, eine/n Unschuldige/n, in Lebensgefahr bringen könnte, das ist kaum jemandem bewusst oder wird erfolgreich verdrängt. Wird schon nichts passieren. 
Wir lügen uns in die eigene Tasche, wenn wir jetzt so tun, als wäre dies ein Einzelfall, der mit uns allen nichts zu tun hat.
Ich höre im Bekanntenkreis immer wieder von Leuten, die nach dem Feiern unbeirrt selbst mit dem Auto nach Hause fahren. Meistens sind es Männer, die sich unter „feiern“ immer noch nicht viel anderes vorstellen können, als ordentlich Alk zu tanken. Ein Weichei, wer sagt, das war jetzt aber mein letztes Bier, ich muss noch fahren. Dai, eine Runde noch! Ein Weichei, wer sagt, okay, aber dann nehme ich ein Taxi. Als bräche ihnen der Penis ab, wenn sie sich heimfahren lassen. Neulich erzählte jemand von einem Standbetreiber auf dem Weihnachtsmarkt, der eifrig mit seinen Kunden Glühwein kippen und dann noch etliche Kilometer nach Hause fahren würde. Jeden Tag. Der Ton, in dem erzählt wurde, war kein anklagender. Es war ein leichtes Kopfschütteln dabei, weil’s halt nicht ganz sauber ist, aber hey, was für ein Bursch.
 
 
Das ist das Narrativ, das wir ändern müssen: Das vom echten Mann, der eben hie und da einen über den Durst trinken muss und, mein Gott, dann halt auch mal angezwitschert am Steuer sitzt. Dabei sind wir alle gefragt. Angetrunken Auto zu fahren ist kein Kavaliersdelikt, und der, der’s macht, ist auch kein frecher Schlingel, sondern ein  verantwortungsloser Vollidiot. So lange wir aber so tun, als wäre es ein Jungenstreich, auf den wir Zeigefinger fuchtelnd und augenzwinkernd  nur scheinbar empört reagieren, so lange wird sich nichts ändern. Es braucht neben deutlich mehr Kontrollen vor allem  gesellschaftliche Ächtung und klare Ansagen von jedem von uns. Von Freunden und Bekannten, die sagen: „So fährst du heute ganz sicher nicht mehr heim!“. Von Angehörigen, die den Vollidioten ordentlich die Leviten lesen. Von Gastwirten, die ihren Kunden irgendwann auch mal sagen: „Für heute langt’s aber!“ und, wieso nicht, die Carabinieri verständigen, wenn sich einer nach fünf großen Bier (ungefähr zwei Promille) noch ins Auto setzt. Erscheint übertrieben? Nun, sie würden vermutlich ohne lang zu überlegen die Ordnungskräfte verständigen, wenn einer nach fünf großen Bier mit einer Pistole herumwachtelt. Auch ein Auto wird zu einer Waffe, wenn es von jemandem gesteuert wird, der seinen Sinnen nicht mehr trauen kann. Ob er noch heil und ohne Schaden anzurichten nach Hause kommt, hat dann mehr mit purem Glück als mit Geschick zu tun.

Wir brauchen aber zumindest in diesem Jahr gar keine Präventionskampagne mehr, weil die Berichterstattung über die Luttacher Tragödie dermaßen reißerisch und pietätslos ist, dass sie mehr Abschreckungspotenzial hat als jede noch so drastische Plakataktion.
 
Klare Worte, oder besser Bilder braucht es auch in den Informationskampagnen des Landes. Emojis sind lieb und nett und sprechen vielleicht Führerscheinneulinge an, die aber ohnehin nicht die problematischsten Autofahrer sind. Sie haben längst gelernt, auf den Shuttlebus auszuweichen, weil für sie die Null-Promille-Grenze gilt. Sieben Führerscheine wurden 2018 in der Altersklasse 15-19 wegen Trunkenheit am Steuer abgenommen, bei den 25-29-Jährigen waren es dann schon 89 (Spitzenreiter), und auch bei der Altersklasse zwischen 40 und 44, die es nun wirklich besser wissen müsste, sind es immer noch 63 eingezogene Führerscheine. Tendenz im Vergleich zum Vorjahr insgesamt sinkend, aber ja, es ist immer noch zu viel. Ob ästhetische Fotos von alkoholischen Getränken, versehen mit dem ausgelutschten „Wer trinkt, fährt nicht“-Warnhinweis ähnlich denen auf Zigarettenpackungen da wirklich abschreckend genug sind?. Oder nicht eher Lust auf ein Bierl machen?  
Wie wäre es damit, mal wirklich „keine Kompromisse“ zu machen  und knallhart die Realität zu zeigen statt netten aber halbherzigen Werbegags? In Irland etwa laufen seit Jahren Werbespots im Abendprogramm, die einem die Gefahren von Raserei und Alkohol am Steuer auf drastische Art und Weise vor Augen führen. Nichts für zarte Gemüter, sie seien gewarnt, aber gerade deshalb vergisst man sie nicht mehr. Möglicherweise brauchen wir aber zumindest in diesem Jahr gar keine Präventionskampagne mehr, weil die Berichterstattung über die Luttacher Tragödie dermaßen reißerisch und pietätslos ist, dass sie mehr Abschreckungspotenzial hat als jede noch so drastische Plakataktion.
Da sehen wir weinende Angehörige, lesen von einem „Schlachtfeld“ und Menschen, „die durch die Luft flogen“. Sehen lachende Gesichter, die jetzt Toten gehören, sehen den „Todesflitzer“, lesen den vollen Namen und Wohnort des Unfallverursachers und werden versorgt mit privaten Bildern aus seinem Facebook-Account. Wem Luttach jetzt keine Lehre ist, dem ist nicht zu helfen.  
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Peter Gasser Mi., 08.01.2020 - 17:59

... dem ist anzufügen, dass
- sich heute schon die 12 - 15jährigen in der Öffentlichkeit ohne beschämend zu wirken volltrinken dürfen,
- es auch in Italien Jahr für Jahr viele tausend Neugeborene gibt, deren Gehirn von der ab und zu Alkohol trinkenden Schwangeren unwiederbringlich und irreversibel geschädigt wird und die zeitlebens mit dieser Beeinträchtigung leben müssen.

Mi., 08.01.2020 - 17:59 Permalink
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Peter Gasser Mi., 08.01.2020 - 18:47

Antwort auf von Ludwig Thoma

da widerspreche ich Ihrem ad personam gemachten Beitrag entschieden:
- wer im Alter von 12 bis 18 säuft, der wird eben der erwachsene Alkoholfahrer - diese Erkenntnis ist trivial; der Zusammenhang erkennbar gegeben.
- das zweite ist mir ein persönliches Anliegen: es ist ein Tabu-Thema, und hat mit Alkohol zu tun: es sei mir erlaubt, dies mit einzubeziehen, es schadet ja niemandem - und hilft vielleicht gar. (Ich nehme an, Sie sind vom Thema betroffen, da Sie so allergisch reagieren - das täte mir leid).

Mi., 08.01.2020 - 18:47 Permalink
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Peter Gasser Mi., 08.01.2020 - 18:55

Antwort auf von Simon Gufler

Antwort: Nein.
Da Ihre Aussage mit der meinen aber nichts zu tun hat, und nicht kausal verknüpft ist, hinkt meine Folgerung nicht.
Ich habe die 18 gesetzt, da man ab da den Autoführerschein machen kann.
Wer aber sucht, der findet - oder glaubt wenigstens, zu finden.
Trotzdem Danke für den Hinweis und die Beschäftigung mit meinem Beitrag.

Mi., 08.01.2020 - 18:55 Permalink
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gorgias Mi., 08.01.2020 - 18:02

Es braucht soziale Ächtung und konsequente Kontrollen. Vor jedem Dorfeingang gehört eine aktive Speedbox. Nur konsequente Dauerkontrollen für Alkohol und Geschwindigkeitsübertretung führen zu Verhaltensänderungen.

Ich stimme auch zu, dass es eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung ist.

Ich habe kein Verständnis, dass auf Südtirol1 nach den vielen Beiträgen mit ganz viel Betroffenheitssoße zu diesem tragischen Fall, gleich die Warnmeldungen kommen, wo gerade Geblitzt wird.

Es gibt noch viel zu lernen.

Mi., 08.01.2020 - 18:02 Permalink
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Alexandra Kienzl Mi., 08.01.2020 - 19:45

Ich sollte hinzufügen, Leute, die am Steuer dauernd auf's Handy schauen, und da zähle ich mich leider dazu, sind eine nicht minder große Gefahr im Straßenverkehr. Ich werd's mir in Zukunft tunlichst verkneifen.

Mi., 08.01.2020 - 19:45 Permalink
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David Gebhardi Do., 09.01.2020 - 10:18

Ein freier Wille (libero arbitrio - klingt besser!) ist das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. „Libero arbitrio appartiene alla volontà, o piuttosto è la volontà stessa, in quanto nell’agire ha facoltà di scelta”(Zitat). Frei übersetzt heißt das so viel wie: „der ‚freie Wille‘ gehört zur Willensfreiheit, oder vielmehr ist der Wille selbst, sein Handeln selbst zu bestimmen“. Hier und dafür als argumentierendes Beispiel Luttach hernehmend, den Überwachungsstaat auszurufen, ist sicher nicht der korrekte Weg. Vielmehr sollten wir auf Klischees achten, denen wir tagtäglich und unbewusst ausgesetzt sind bzw. werden. Nur ein paar Beispiele aus der Werbung: ‚no Martini no Party‘, was so viel bedeutet: wenn du kein Alkohol trinkst, amüsierst du dich nicht … Und wir beklagen uns, dass die Jugend trinkt? Oder die Sendung ‚La pupa e il secchione‘ … Und wir beklagen uns, dass es immer wie mehr Feminizide gibt? Oder aus der Politik: Pokern ist jetzt angesagt – cooles Pokerface auf Kosten der Menschheit, anstatt Diplomatie. Das sind Klischees mit denen wir heute leben und umgehen müssen. Reformation, geistige Umorientierung unserer Gesellschaft wäre hier angebracht. Moderation und Empathie anstatt ‚no limits‘ und Hypokrisie!

Do., 09.01.2020 - 10:18 Permalink
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Franz Berger Do., 09.01.2020 - 18:04

Da ich nur gelegentlich in Salto reinschaue, habe ich diesen Beitrag von Alexandra Kienzl erst jetzt gelesen. Bin voll damit einverstanden, besonders mit dem Satz "Es braucht neben deutlich mehr Kontrollen vor allem gesellschaftliche Ächtung und klare Ansagen von jedem von uns". Übers Maß Trinken und "volle Gas geben" wird bei uns großteils noch nicht nur toleriert, sondern bestaunt und in bestimmten Kreisen sogar verherrlicht. Da braucht es dringend eine Schubumkehr. Saufen und Rasen darf nicht nur generell geächtet werden, sondern durch ganz konkrete klare Worte und Handlungen, sodass die Betreffenden merken "Hoppla, damit verliere ich jegliche Achtung"

Do., 09.01.2020 - 18:04 Permalink
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G. P. Do., 09.01.2020 - 19:02

"Wem Luttach jetzt keine Lehre ist, dem ist nicht zu helfen."
Wie lange mag das Entsetzen, die Betroffenheit wohl anhalten? Ein paar Wochen. Im besten Falle ein paar Monate. Der Mensch ist so "programmiert", dass er zum eigenen Schutz schnell, sehr schnell sogar, vergisst. Er fällt recht bald in seine gewohnten, alten Muster zurück. Was in den allermeisten Fällen sogar gut ist ... bei diesem Thema aber natürlich schädlich.

Do., 09.01.2020 - 19:02 Permalink