Henri Chenot
Foto: Facebook/Palace Merano Espace Henri Chenot
Gesellschaft | fritto misto

Chenot schiab o

Der Meister verlässt Meran. Ob lokale Prominenz die Promi-Lücke schließen kann?

Vor einigen Jahren ging ich mit einer Freundin in Meran aus. Wir landeten irgendwann in einem Gastgarten mit Live-Musik, es war ein lauer Sommerabend, eine Gruppe älterer Männer tanzte etwas ungelenk aber mit großer Entschlossenheit zu „Baila Morena“. „Schau her, das ist der Chenot“, flüsterte ich meiner Freundin zu und deutete auf einen untersetzten Grauhaarigen, der sich besonders abmühte, im Rhythmus zu bleiben. Den Rest des Abends verbrachte sie, die immer schon ein Faible für die Welt der Reichen und Schönen gehabt hatte, damit, den etwas überraschten aber durchaus erfreuten Herrn balzartig anzudancen. Vielleicht war dann ja ein kostenloser bioenergetischer Check-up durch den Meister drin.

Ja, Chenot hat den Glamour (bitte aus gegebenem Anlass französisch aussprechen: Glamuuur) nach Meran gebracht, er lockte die Stars ins bundesdeutsche Altersheim, und dafür gibt’s ein aufrichtiges Chapeau, Chenot! Wer Valentino im blütenweißen Anzug mit einer Selbstverständlichkeit durch den langen Dienstag trippeln sah als lustwandle er in Saint Tropez, wer Zizou, die weiße Katze, samt Gemahlin unter den Lauben bummeln sah, mit respektvollem Abstand verfolgt von kleinen Jungs („Frog DU ihn!“ „Na, frog DU!), der musste, so wie ich, zum Schluss kommen, dass doch nicht alles doof und dröge war in Meran. Man wuchs ein paar Zentimeter, auch als bloß Zugezogene, in dem Wissen, dass die Kurstadt sich nun offenbar einreihte in die Liste der Jetset Hotspots weltweit: Monaco, Marbella, St. Moritz, und eben Meran. Die Stadt, über die man sich sonst ärgerte, weil sie so aufregend war wie eingeschlafene Füße, musste also doch etwas Magisch-Mondänes haben, das die Promis wie die Fliegen anzog; man selbst war wohl schon zu abgestumpft, um es noch zu bemerken. Dass dieses etwas zu 99% Chenots Entschlackungskuren waren, wen kümmert’s? Dass Zidane und Co. auch eine Woche am Brenner gutgelaunt erduldet hätten, wenn der Detox-Guru sie dort entgiftet hätte, egal! Meran war plötzlich wer, und mit ihm die Meraner: Voilà!

Nach der Kilo-Konfession jetzt bitte eine Botox-Beichte, eine Orgien-Offenbarung oder zumindest ein Beischlaf-Bekenntnis: Freiwillige vor! Der Zeller Karl hat es bravourös vorgemacht, es ist echt nicht schwierig.

Nur vor diesem Hintergrund ist die Tragik zu verstehen, die Henri Chenots letzte Woche verkündeter Abgang für die Stadt bedeutet, und nicht nur für sie. Liest man die Meldungen, die Rai Südtirol zum Thema depeschenartig herausließ, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine  Redaktion unter Schock steht: Fürchten da Stammkunden um ihre zukünftigen Zellresonanzbehandlungen mit Hydroenergetischen Kuren, ergänzt durch Phyto-Fangopackungen? Lässt einen die Aussicht auf ein des Chenots beraubtes Dasein jegliche Regeln der Rechtschreibung und Syntax vergessen? Man las von einer „Kaurabteilung in der Schweiz“, in die der Meister flüchte, „Tosoloni“ habe ihn vergrault, obwohl er sogar „Berlsuconi“ ins Palace gebracht hatte, zur „Entschlakung“. Das alles in einem Tonfall, als würde Tante Traudl aus dem Nähkästchen plaudern: Da wurde gemunkelt und gemutmaßt, geseifenopert und Chenots Abwesenheit gar psychosomatisch erklärt: „Ein Streit sei der Grund, nicht eine Krankheit. Und wer im Streit beleidigt wird, der wird krank oder stellt sich zumindest krank.“ Soso. Usus bei Rai Südtirol? Auch der Grund für den Streit zwischen „Tosoloni“ und Chenot  war schnell gefunden: „Die Frau ist schuld!“ Cherchez la femme, na klar. Immer diese Franzosen.

 

Der bioenergetische Gipfel war dann erreicht, als ein ehemaliger Onorevole Tante Traudl sekundierte und seinerseits aus dem Nähkäst…, ach was, aus der Speisekammer plauderte. Ungewohnt offenherzig bekannte Karl Zeller in bester „Seitenblicke“-Manier: „Ich habe bei Chenot regelmäßig abgenommen!“ Das unwahrscheinliche Plaudertäschchen ging sogar ins Detail, die gediegenen Leser*innen darüber zu informieren, wie viele Kilos er jährlich im Palace ließ: „Ich habe jedes Jahr im Frühjahr fünf, sechs Kilo verloren. Das hat dann bis Weihnachten gehalten – und danach habe ich die nächste Kur begonnen.“ Seit 1995 ginge das so, und das ohne Jojo-Effekt – was einen Bekannten sogleich zu der erschreckenden Erkenntnis führte, Zeller könne demnach derzeit kaum mehr als 30 Kilo wiegen. Hoffen wir, dass dem nicht so ist, denn Herr Zeller: Wir brauchen Sie! Ihre Auskunftsfreude kommt uns jetzt, wo wir zukünftig in Meran auf Promis verzichten werden müssen, und wo Rai Südtirol endlich seine Bestimmung für den Boulevard gefunden hat, genau richtig! Sie haben doch gewiss noch sehr viel Spannenderes als Allerwelts-Gewichtsprobleme für uns auf Lager: Tell us more, Karl! Es ist dies nämlich die einzige Lösung für das Chenot-Dilemma: Wir müssen unsere lokale Prominenz dazu erziehen, uns regelmäßig Boulevardeskes zu liefern, um die unfreiwillige Klatsch-Entschlackung, die uns bevorsteht, energetisch auszubalancieren. Nach der Kilo-Konfession jetzt bitte eine Botox-Beichte, eine Orgien-Offenbarung oder zumindest ein Beischlaf-Bekenntnis: Freiwillige vor! Der Zeller Karl hat es bravourös vorgemacht, es ist echt nicht schwierig.

Übrigens: Dass der ältere Herr im Gastgarten doch nicht Chenot war, das habe ich erst zu vorgerückter Stunde bemerkt. Meine Freundin hat mir den Irrtum lange nicht verziehen. Dafür hat besagter Herr an jenem Abend gewiss eine Verjüngungskur genossen, dank Chenot, und doch ganz ohne dessen Zutun.

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Stereo Typ Mi., 22.01.2020 - 17:26

Sehr amüsant, die große Prominenz in der Provinz. Es nerven allerdings die inzwischen obligaten Seitenhiebe junger Frauen gegen alte Männer wie "eine Gruppe älterer Männer tanzte etwas ungelenk aber mit großer Entschlossenheit", "deutete auf einen untersetzten Grauhaarigen, der sich besonders abmühte, im Rhythmus zu bleiben". Ist irgendwie auch schon wieder sehr abgegriffen. Ansonsten, wie gesagt, sehr amüsant.

Mi., 22.01.2020 - 17:26 Permalink