Politik | Absurdität

Die Abschiebung

Die Hochpustertaler Gemeinden verlangen, dass alle Personen, die einen Zweitwohnsitz haben, umgehend Südtirol verlassen und in ihre Heimatgemeinde zurückkehren. Update.
sexten_neu.jpg
Foto: Tourismusverband Hochpustertal
Die Gemeinden kassieren viel Geld, die Wirtschaft verdient ordentlich an ihnen und man wirbt um sie. So ist es in Friedenszeiten.
Inzwischen befindensich Italien und Südtirol aber im Krieg. Im Krieg gegen die Corona-Pandemie. In Kriegszeiten gilt das alles nicht mehr. Die elementarsten Bürgerrechte werden außer Kraft gesetzt,und das Land verwandelt sich über Nacht in einen Polizeistaat mit Ausgangssperre.
Welche Blüten diese Ausnahmesituation dabei treiben, kann man jetzt in Südtirol verfolgen. Auf den Straßen von Innichen und Sexten werden die Bewohner nicht nur nach der obligatorischen Eigenerklärung gefragt, die es erlaubt,aus triftigen Gründen das Haus zu verlassen. Man geht in denHochpustertaler Gemeinden viel weiter. Die Menschen werden von der Gemeindepolizei auch nach ihrem Wohnsitz und Hausarzt gefragt.
Der Grund liegt an einem Dekret, das man seit heute südtirolweit so restriktiv interpretiert, dass es einer amtlichen Abschiebung gleich kommt.
An diesemFreitag hat der Sextner Bürgermeister Fritz Egarter folgende offizielle Mitteilung verschickt:
 
Die Mitteilung ging über den Tourismusverein an alle Tourismustreibenden in Sexten.
Schon am Donnertag hat die Innichner Bürgermeisterin Rosmarie Burgmann eine ähnliche „dringende Mitteilung“ verschickt.
Burgmann schreibt darin:
 
„Hingewiesen auf Art. 1, Abs. 1, Buchst. a) des DPMR vom 08.03.2020, der besagt, dass sich Personen von ihrem Wohnort nur aus arbeits- oder gesundheitlichen oder aus Gründen zwingender Notwendigkeit entfernen dürfen. Im Falle von Kontrollen durch die Polizeikräfte ist eine Eigenerklärung abzugeben, in der erklärt wird, warum man sich vom Wohnort entfernt hat; 
FORDERT
alle Personen auf, die sich aktuell auf dem Gemeindegebiet von Innichen befinden, aber ihren Wohnsitz und Hausarzt außerhalb der Provinz Bozen haben, sich umgehend in der Gemeinde Innichen unter der Telefonnummer 0474/916682 bzw. E-Mail Adresse [email protected] bzw. bei den Ordnungskräften zu melden.“
 
 
Der Sinn dieser Aktion, die sich keineswegs auf die beiden Hochpustertaler Gemeinden beschränkt, sondern über das Gadertal  und Grödenin ganz Südtirol angewandt wird, ist eindeutig. Alle Personen, die ihren Hauptwohnsitz und ihren Hausarzt nicht in der Gemeinde haben, müssen das Dorf verlassen.
Während das staatliche Dekret von Regierungschef Giuseppe Conte eine Kann-Bestimmung vorsieht, die besagt, dass jeder Bürger und jede Bürgerin jederzeit an ihren Wohnsitz zurückkehren kann, wird hier die Gesetzlage zu einer Muss-Bestimmung uminterpretiert.
„Ich bin seit vielen Jahren mehr als ein halbes Jahr in Sexten“, ist ein Mailänder empört, der seit Ende November in seiner Zweitwohnung in Sexten lebt und sich an alle gesetzlichen Vorgaben zum  Covid 19 Virus hält, „und jetzt soll ich über Nacht nach Mailand zurückgeschickt werden“.
Obwohl eine erzwungene Fahrt der Menschen über Hunderte von Kilometern auch aus sicherheitspolitischen und hygienischen Gründen ein völliger Widersinn ist, scheint man in Südtirol diese Gangart umsetzen zu wollen.
Diese amtliche Abschiebung rückt auch den Aussagen von HGV-Präsident Manfred Pinzger im Salto.bz-Interview in ein neues Licht. Weil die Hotels geschlossen sind, wissen viele ausländische Saisonarbeiter nicht mehr wohin. Ihre Heimatländer – wie etwa Rumänien oder Slowenien – lassen sie nicht einreisen. Mit diesen kommunalen Verordnungen dürfen sie aber auch am Arbeitsplatz nicht mehr bleiben, weil sie weder Wohnsitz noch Hausarzt in der Gemeinde haben. Sie alle sind damit ebenso von dieser Abschiebung direkt betroffen.
Wie heißt es doch in der klassischen Südtirolwerbung: „Zu Gast in Südtirol...“
Das gilt ab heute nicht mehr. Denn der Gast wird abgeschoben.

Update am 13.03.2020 um 17.15 Uhr

Die Maßnahmen der Hochpustertaler Gemeinden fußen auf das Notdekrert Nr 8/2020 vom 12.03.2020, das Landeshauptmann Arno Kompatscher am Donnerstag erlassen hat. Dort heißt es auf Seite 7:
 
"Der Landeshauptnann verordnet den Touristen, Feriengästen, Urlaubsreisenden und aus sonstigen Gründen auf dem Landesgebiet anwesenden Menschen, die in Südtirol nicht ihren Wohnsitz haben, die Rückkehr zum eigenen Wohnsitz anzutreten, damit sie eventuell die Versorgung durch den eigenen Allgemeinarzt oder Kinderarzt freier Wahl in Anspruch nehmen können."

Ein Zweitwohnung in Südtirol fällt anscheinend unter "sonstige Gründe". Demnach muss man zwar die GIS und alle anderen Steuern zahlen, wird es aber ernst, wird man abgeschoben.