Politik | Einstieg in Ausstieg

Der Südtiroler Exit-Plan

Wie man sich beim Land die stufenweise Lockerung des Lockdowns für Südtirol vorstellt.
Exit
Foto: Pixabay

Das Dokument trägt den Titel “Covid-19 – Die Phase 2: Plan für Übergang in die Normalität”. Als Autor der siebenseitigen pdf-Datei scheint der Name von Ulrich Stofner auf. Stofner ist Ressortdirektor von Landeshauptmann Arno Kompatscher und wohl einer der federführenden Beamten, die derzeit an Szenarien arbeiten, wie das öffentliche Leben trotz Coronavirus wieder aufgenommen werden kann.

Ein möglicher “Exit-Plan” für Südtirol ist bereits ausgearbeitet. Er ist datiert auf den 10. April 2020, unterzeichnet von Arno Kompatscher. Auf Nachfrage von RAI Südtirol meint der Landeshauptmann: “Kein Kommentar.” Auch, weil die Strategie bereits öfters habe überarbeitet werden müssen. Denn Südtirol muss seinen Weg an die Vorgaben aus Rom anpassen. “Wann wir mit dem Projekt Wiedereinstieg beginnen können, hängt nicht nur von uns, sondern vom Staat ab, so Kompatscher.

Dennoch hat man beim Land eine klare Vorstellung davon, wie der Einstieg in den Ausstieg vonstatten gehen sollte.

“Der Lockdown muss unter spezifischen Bedingungen in der Zeit nach Ostern schrittweise aufgeboben werden”, heißt es in dem Dokument, das salto.bz vorliegt. Je nachdem, wie sich der Verlauf der Corona-Infektionen in den einzelnen Regionen und Autonomen Provinzen entwickelt, sollen die Lokalverwaltungen selbst entscheiden können, wie sie Wirtschaft, Gesellschaft und Bildungssystem wieder hochfahren. Dafür plädiert der Landeshauptmann schon seit Längerem. Ein weiterer Vorschlag: “Die Phase 2 benötigt ein klares Regelwerk sowohl für alle Bürger, als auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Jede Region und Autonome Provinz erlässt auf Grundlage der staatlichen Vorgaben ein Vademecum, das generelle Mindeststandards für Personen und Unternehmen festlegt.”

Die Umsetzung der Phase 2, also der Lockerungen, soll gemäß einem Stufenplan erfolgen. Hier die Details, wie sich Landeshauptmann Kompatscher die zeitliche Abfolge vorstellt:

 

Step 0

Erlaubt ist:

  • Bewegung und Spaziergänge im Freien nur mit Personen desselben Haushalts, unter Wahrung des Abstandes, Mundschutz ist notwendig in bewohntem Gebiet; ausgeschlossen sind jedenfalls sportliche Aktivitäten in Parks von Städten über 10.000 Einwohnern.
  • Bewegungen zwischen Gemeinden gemeinsam mit Familienmitgliedern, wenn diese in Fortbewegungsmitteln geschehen, die einen Kontakt mit Dritten ausschließen;

 

Step 1

Wer und was öffnet:

  • Baugewerbe: alle Baustellen mit dazugehörenden Tätigkeiten öffnen unter Anwendung der 1/20-Regel und unter Beachtung der Richtlinien des Paritätischen Komitees im Bauwesen vom 10.04.2020.
  • Produzierendes Gewerbe: produktive Tätigkeiten ohne direkte Kundenkontakte mit 1/20-Regel;
  • Kleinstbetriebe: alle Betriebe mit maximal 4 Mitarbeitern ohne direkte Kundenkontakte;
  • Arbeit im eigenen Betrieb: Alle Inhaber von Betrieben ohne direkte Kundenkontakte, wenn sich im Betrieb, einschließlich der Familienmitglieder, nur 4 Personen aufhalten; einschließlich der Möglichkeit der Belieferung anderer Betriebe;
  • Handel: Lieferdienste jeglicher Art
  • Gastronomie: Take Away-Angebote und Lieferdienste jeglicher Art (einschließlich Konditoren, Eishersteller)
  • Lieferungen und Montage mit Einhaltung der 1/20 Regel*
  • Dienstleistungen für Personen: Jeweils nur der Inhaber kann im Nahkontakt unter Einhaltung besonderer Regelungen und mit Schutzausrüstung Dienstleistung nur für je nur einen Kunden der selben Gemeinde erbringen;

Erlaubt ist zudem:

  • Essen abholen: Verzehrfertige Speisen können in einem Restaurant abgeholt werden;

 

Step 2

Wer und was öffnet:

  • Handel: alle Handelsgeschäfte bis zu 500 m2 und alle Handelsaktivitäten mit geringer Personalinteraktion, Gärtnereien und Handlung von Blumen und Pflanzen, Autohäuser, Möbelhäuser, Büchereien, Papierwarenhandlungen und drgl.: Kundenbeschränkung mit nicht mehr als einer 1 Person pro 20m2 (1/20-Regel). Handelsgeschäfte, die durch geschlossene Verbindungsräume mit anderen Geschäften verbunden sind, wie z.B. Einkaufszentren, bleiben weiterhin geschlossen;
  • Produzierendes Gewerbe mit 1/20-Regel: es öffnen alle Betriebe ohne direkten Kundenkontakt, in denen das Verhältnis zwischen Arbeitsfläche und Anzahl der Mitarbeiter mindestens 1 zu 20 beträgt (max. 1 Person pro 20m2).
  • Beherbergungsbetriebe nur mit Übernachtung und ohne Verpflegung (ausgenommen im Zimmer): Anwendung der 1/20-Regel: Ein Gast pro 20m2 Zimmerfläche. Zur Ermittlung der Höchstzahl der Gäste wird die Gesamtfläche der Gästezimmer durch 20 geteilt.
  • Restaurants und Bars mit 1/20-Regel: Restaurants öffnen zu Mittag, wenn auf 20m2 nicht mehr als ein Tisch steht, auf dem nur Personen des selben Haushalts sitzen. Es darf nur einen Turnus geben, nach jedem geschieht eine vollständige Desinfektion. Neu erschlossene Außenflächen können kleine Innenflächen kompensieren.
  • Dienstleistungen für Personen mit Nahkontakt: (z.B. Friseure und Kosmetiker) nur unter Einhaltung besonderer Regelungen und mit Schutzausrüstung, nur auf Vorbestellung für Kunden der selben Gemeinde und unter Einhaltung 1/20 Regel.

Erlaubt ist zudem:

  • Kontaktsperre statt Ausgangssperre: Letztere wird aufgehoben. Es bleibt die Kontaktsperre, mit welcher unter Einhaltung der Abstandsregeln und mit Nasen- und Mundschutz das Haus verlassen werden darf. Allerdings bleibt das Verbot, sich mit anderen Menschen außer der Familie und Mitbewohner zu treffen.
  • Kirchen mit 1/20-Regel: Zusammenkünfte in Kirchen und anderer Glaubensgemeinschaften mit Personenbeschränkung von 1 Person pro 20m2.
  • Einzelsportaktivität: Sportliche Aktivität und Spaziergänge im Freien (unter Einhaltung der Abstandsregel und mit Mundschutz) auch in Parks von Städten über 10.000 Einwohnern.
  • Sporttrainings der Athleten: Profi- und Amateursportler können unter Einhaltung der 1/20-Regel wieder trainieren.

 

Step 3

Wer und was öffnet:

  • Restaurants, Bars und Mensen: öffnen zu Mittag und am Abend, es gilt weiterhin die 1/20-Regel; neu erschlossene Außenflächen können kleine Innenflächen kompensieren.
  • Beherbergungsbetriebe ohne Vollauslastung: 1/20-Regel: Ein Gast pro 20m2 Zimmerfläche. Zur Ermittlung der Höchstzahl der Gäste wird die Gesamtfläche der Gästezimmer durch 20 geteilt. Die maximale Gästezahl ergibt sich auch durch die Anwendung der bei Restaurants gültigen 1/20-Regel: die verfügbare offene und geschlossene Speisefläche wird durch 20 dividiert und mit 4 multipliziert. Freibäder öffnen mit Abstandregeln, nicht aber Hallenbäder und Saunen.
  • Handelsgeschäfte: alle öffnen, welche die 1/20-Regel einhalten; mit Ausnahme der Handelsgeschäfte, die durch geschlossene Verbindungsräume mit anderen Geschäften verbunden sind, wie z.B. Einkaufszentren, diese bleiben weiterhin geschlossen;
  • Dienstleistungen für Personen mit Nahkontakt wie zB. Friseure nur auf Vorbestellung gemeindeunabhängig und unter Einhaltung der 1/20-Regel: 1 Person pro 20m2.
  • Museen mit 1/20-Regel: Besucherbeschränkungen von nicht mehr als eine 1 Person pro 20m2
  • Öffentliche Verwaltungen: ausschließlich mit jenen Personen deren Anwesenheit für die Leistung der Dienste an Bürger und Unternehmen zwingend erforderlich ist.

Erlaubt ist zudem:

  • Reisen: erlaubt, abhängig von den Beschränkungen anderer Länder oder Regionen

 

Step 4

Wer und was öffnet:

  • Produzierendes Gewerbe: alle
  • Beherbergunsgbetriebe, Schutzhütten und Campingplätze: alle
  • Restaurants: alle
  • Cafè und Bars: alle
  • Handelsgeschäfte: alle mit Ausnahme jener, die durch geschlossene Verbindungsräume mit anderen Geschäften verbunden sind und in Summe eine Verkaufsfläche von über 5.000 m2 bilden.
  • Aufstiegsanlagen: alle
  • Kleinkunst, Sport- und Kulturveranstaltungen, öffentliche und private Feiern: mit Publikum von maximal 100 Personen unter Wahrung der Abstandsregeln.
  • Schwimmbäder, Sportzentren und Turnhallen mit maximal 100 Leuten.

Erlaubt ist zudem:

  • Sommerbetreuung für Kinder bis 14

 

Step 5

Wer und was öffnet:

  • Schulen, Universitäten und Kindergärten
  • Einkaufszentren: Verbundene Handelsgeschäfte jeglicher Größe, einschließlich Einkaufszentren;
  • Öffentliche Verkehrsmittel gehen wieder in Normalbetrieb mit Sicherheitsauflagen
  • Sportliche und kulturelle Veranstaltungen, einschließlich Kinos, Theater und Diskotheken mit Beschränkung auf maximal 500 Personen.

Erlaubt ist zudem:

  • Zusammenkünfte in Kirchen und anderer Glaubensgemeinschaften mit Beschränkung auf maximal 500 Personen.

 

Step 6

Wer und was:

  • Alles ist offen, allerdings gelten bis zum Übergang in die Normalität weiterhin die Abstandsregeln und die restlichen Regeln des Vademecums.
  • Großveranstaltungen und Messen,: sind ab jetzt ebenso zugelassen.

Step 6 gilt bis zur Einführung des Impfstoffs gegen Covid-19. Erst durch die Impfung kann die Phase 2 abgeschlossen werden und die Rückkehr in die vollständige Normalität vollzogen werden.

 

Es verwundert, dass dieser Plan nicht an international übliche Voraussetzungen gebunden scheint:
1. Ausreichend geeignete Schutzmasken für alle;
2. Vorheriger Übergang von Mitigation in Containment-Phase;
3. Ausreichend Tests, Chemikalien für Testauswertung bei Verdachtspersonen;
4. Ausreichend Ressourcen zur Nachverfolgung und Testen, sowie der Isolierung der Kontaktpersonen Infizierter.
Will man wirklich unabhängig vom Seuchengeschehen und ohne die nötigen Voraussetzungen zu erreichen, einen Fahrplan festlegen?

Do., 16.04.2020 - 13:21 Permalink

Auch dieses Strategiepapier scheint auf dem Irrglauben zu basieren, dass Städte gefährlicher sind als Dörfer, da in den Auflistungen der Zahlen immer Bozen an erster Stelle steht. Ebenso wird in den Karten z. b. von Stol https://www.stol.it/spezial/coronavirus-epidemie-lungenerkrankung-landk…, vermittelt, dass Bozen das Zentrum der Epidemie sei.
Ich habe mir die Mühe gemacht, die Top Ten nach Prozentverhältnis Einwohner - Verstorbene zu erarbeiten. Man sieht damit deutlich, dass an vorderste Stelle Landgemeinden sind und sich nur einige Stadtgemeinden darunter befinden. Ganz zu forderst stünde Montan mit 0.59% Tote, dann an zweiter Stelle die drei Gemeinden Auer, Wolkenstein und St. Leonhard in Passeier mit je 0.26%, darauf folgen: Kastelruth 0.25%, St. Ulrich 0.21%, Eppan 0.18%, Leifers und Bozen mit je 0.05% und Meran mit 0.04 Prozent.
Ich habe mich schon immer gewundert, dass alle Tabellen und Grafiken nur mit den Gesamtzahlen operieren, die unwillkürlich ein falsches Bild bezüglich der Gefährlichkeit vermitteln. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Regeln in Bozen und Leifers am strengsten gehandhabt werden!?

Do., 16.04.2020 - 15:27 Permalink
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G. P.

Vor allem an der 1/20-Regel werden viele zu knabbern haben. Man stelle sich eine Kirche oder eine Restaurant vor, wo sechs Leute drin sitzen, oder ein kleines Cafè mit zwei Leuten. Denn mehr gehen da nicht hinein.

Do., 16.04.2020 - 16:51 Permalink

"Zu knabbern" ist eine schöne Beschreibung für undurchführbar, und/oder wirtschaftlich total unrentabel.
In einer Kirche geht's ja noch, der Priester hält die Messe ja sowieso. Aber wenn ein Restaurant auf 100 qm statt 45-50 Gäste nur mehr 5 sitzen, in einer kleinen Bar nur mehr 1 Gast rein darf, wird das alles keinen Sinn haben.

Do., 16.04.2020 - 17:02 Permalink

Das wird seit Jahren diskutiert, und begonnen wurde nie. Nicht machbar, nicht finanzbar, nicht gewollt. Und Sie glauben wirklich, dass jetzt, wo wir in Europa Millionen neue Arbeitslose haben, Tausende Betriebe Konkurs gehen werden, normale Menschen das Essen und die Miete bald nicht mehr bezahlen können, genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt dafür?
Ich glaube das auch, aber es wird nicht so kommen. Nach Corona wird es leider gleich weitergehen wie nach dem Bankencrash, was bedeutet, die Reichen werden mit Corona noch reicher, und die anderen werden hoffentlich irgendwie überleben, genau so, wie letztes mal. Wir mussten verzichten, auf höhere Löhne, auf eine sichere Arbeitsstelle, damit die "Wirtschaft" sich erholt, und genauso wird es auch diesmal sein, vielleicht sogar noch schlimmer.

Do., 16.04.2020 - 20:49 Permalink

Dieses Dokument ist laut PK von LH Kompatscher ein Arbeitspapier und nicht offiziell veröffentlicht. Die Situation ändert sich - wie wir ja alle wissen - täglich. Irgend jemand muss wohl irgendwann anfangen ein solches Papier aufzusetzen. So oder ähnlich (unter Berücksichtigung von staatlichen und EU-Vorgaben) wird es wohl kommen, wenn die Zahlen in etwa so bleiben wie derzeit.

Do., 16.04.2020 - 19:59 Permalink

Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Landesregierung einen Plan mit Augenmaß und vor allem auch auf Grundlage der mittlerweile verfügbaren medizinisch wissenschaftlichen Erkenntnisse erstellt.
Auch wünsche ich mir, dass die Landesregierung den Landtag viel stärker in die Entscheidungsfindung mit einbindet.

Do., 16.04.2020 - 22:13 Permalink

Die ganzen Vorschläge des LH sind aus der Luft gegriffen, also ohne das Einverständnis der Verbände erstellt worden, man kennt sich nicht aus . Viele Kommentarschreiber haben mit ihren Beiträge den Nagel auf dem Kopf getroffen, Wieso werden nicht Eu-weit die selben Verordnungen angewannt?
Wieso will das Land Südtirol immer schlauer sein?
Wieso lassen wir und uns immer wieder an der Nase herumführen?
Wieso versteht das Land nicht, daß die 1/20 Regel nichts bringt außer Spesen für einen Betrieb.
Ich hoffe die Verbände machen Ihre Arbeit und helfen allen Betrieben.

Fr., 17.04.2020 - 07:53 Permalink