Schubkraft für positiven Wandel
unibzone: Herr Prof. Krois, am vergangenen Wochenende haben 300 Menschen unter der Regie des Masterstudiengangs für Eco-Social Design an der Online-Konferenz “Beyond Crisis” teilgenommen. Haben Sie mit solch einer Resonanz gerechnet?
Kris Krois: Nein, das hat uns wirklich alle total positiv überrascht. Wir hatten auch noch mehr Anfragen, aber unsere Zoom-Lizenz ließ nicht mehr als 300 Teilnehmende zu. Um vor allem die Expert*innen-Inputs am Freitag Abend allen Interessierten zugänglich zu machen, haben wir dafür noch einen You-Tube-Stream eingerichtet. Ganz offensichtlich haben wir mit diesem Thema einen Nerv der Zeit getroffen. Wir sind natürlich nicht die einzigen, die nun fragen, wie man die aktuelle Krise für eine ökosoziale Transformation nutzen kann. Unsere Konferenz war auch eine Gelegenheit vieler dieser Akteure persönlich kennen zu lernen und gemeinsam zu arbeiten, auch an konkreten Projekten und Allianzen des Wandels.
Die Beyond-Crisis-Conference war nicht zuletzt eine Antwort auf eine der vielen Absagen der Coronakrise. Konkret: die erzwungene Verschiebung der für April geplanten alljährlichen Konferenz By Design or by Desaster auf Herbst. Ist eine Online-Konferenz ein Ersatz für eine echte Konferenz – oder kann sie vielleicht in manchen Aspekten mehr?
Sie hat uns zum Beispiel doppelt so viele Teilnehmende gebracht wie sonst an DoD-Konferenzen in Bozen teilnehmen. Und wir hatten nicht nur extrem viele Menschen, die aus allen Teilen des deutschsprachigen Raumes und Italiens mit dabei waren, sondern auch Teilnehmende aus Paris, New York oder selbst Südamerika….
Sprich: Online erreicht man mehr Menschen – und spart viele Flugkilometer?
Auf jeden Fall. Es ist ohnehin ein Widerspruch für Nachhaltigkeits-Konferenzen Menschen einzufliegen. Beides hat Vor- und Nachteile. Für eine DoD-Konferenz haben wir eine Vorbereitungszeit von 9 Monaten, während wir diese Online-Konferenz nun in einem Monat aufgestellt haben. Das war übrigens nur dank eines extrem engagierten Teams aus rund 30 Menschen möglich), die alle unentgeltlich und mit viel Begeisterung dazu beitrugen, dass diese Konferenz überhaupt möglich war. Neben dem Kernteam vom Studiengang für Eco-Social Design gehörten dazu auch viele Menschen aus unserem internationalem Netzwerk sowie einige Leute, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind, um mit anzupacken und ihre Expertise einzubringen. Ich möchte aber das Zusammensein an einem Ort, das vielfältige – auch spontane und zufällige – Momente der Begegnung ermöglicht, nicht missen. Wir werden in Zukunft versuchen die Vorteile beider Modi zu verbinden, in einem Konferenzformat, das die Beteiligung vor Ort und ein Mitwirken via Internet kombiniert.
Auf der Konferenz wurde sehr partizipativ gearbeitet. Neben Inputs von Designer*innen, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen konnten die Teilnehmenden selbst in mehr als 20 Workshops gemeinsam an bestimmten Aspekten dieser Transformation arbeiten. Hat das geklappt?
Ja, und zwar erstaunlich gut. Ich habe viele Rückmeldungen erhalten, wie produktiv und motivierend diese Zusammenarbeit zwischen Menschen war, die sich in den meisten Fällen noch nie zuvor getroffen hatten, aber eben alle an positiven Veränderungen arbeiten. Wir hatten ein vielfältiges Programm, mit Formaten, die unterschiedliche Weisen von Lernen, Zusammenarbeit und des Miteinander ermöglichen: neben den Inputs in der großen Runde und den Workshop-Sessions mit je bis zu 13 Teilnehmer*innen gab es morgens noch eine Session mit Yoga und Social Precensing Theatre sowie spaßbetonte Abendsessions mit Aperitiv, DJ und Konzert. Da zeigte der Bildschirm dann ein Mosaik von tanzenden Menschen, die sich gegenseitig zu komischen Figuren in ihren Wohnzimmern inspirierten.
Auch thematisch war die Arbeit recht breit gestreut – wenn auch alles unter der zentralen Frage stand “How to use the virus-induced situation to build up momentum for social-ecological transformation”, also wie kann in dieser durch einen Virus verursachten Krise Durchschlagskraft für eine soziale und ökologische Transformation hergestellt werden.
Sicher, denn aus dieser Frage ergeben sich viele weitere Aspekte. Diese hatte unser Team teilweise schon im Vorfeld, auch über die Analyse einer Menge von Veröffentlichungen zu dem Thema zusammengestellt, die wir auf der Webseite der Konferenz in einer Sammlung zur Verfügung stellen. Doch auch die Teilnehmenden waren im Rahmen der Anmeldung aufgefordert worden, ihre Sichtweise und ihre Erwartungen an die Konferenz einzubringen. Und daraus haben wir dann in sehr aufwändiger Arbeit die einzelnen Themenfelder zusammengestellt, an denen in den Workshops gearbeitet wurde.
Haben Sie einige Beispiele?
Ich würde eher die drei wichtigsten Stränge nennen, die sich unserer Auffassung nach aus der aktuellen Krise ergeben. Erstens: Sie hilft uns allen, besser zu erkennen, was wirklich wichtig ist - von unterbezahlten und jetzt doch so systemrelevanten Berufen wie jenem der Krankenpfleger*innen über die Erkenntnis, wie sehr uns das Zusammensein und die freie Bewegung in der Natur fehlen – nicht etwa der Stau und der Lärm. Wir erleben eben auch positive “Nebenwirkungen” der Krise, beispielsweise entlang sonst von Verkehrslärm und Staus belastenden Straßen eine Stille oder gute Luft wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das führt uns zum zweiten Punkt: den Schwachstellen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise, z.B. seiner globalisierten Lieferketten, die sich nun ebenfalls deutlicher als je zuvor zeigen. Hier sollte man gerade für eine Region wie Südtirol, die zurecht ihre Autonomie hoch hält, vor allem für Bereiche der Lebensmittelgrundversorgung, Energie und Bauen den Schluss ziehen, diese zu relokalisieren. Denn das würde nicht nur zu mehr Nachhaltigkeit führen, sondern auch zu mehr Resilienz, also Krisenfestigkeit. Und drittens sehen wir nun, dass tiefgreifende Veränderungen möglich sind.
Sprich, wenn wir angesichts eines Virus unser ganzes System herunterfahren können, muss auch angesichts Klimawandel, Artensterben oder tiefgreifenden sozialen Ungerechtigkeiten mehr drinnen sein?
Absolut. Und zwar ein bewusst gestalteter positiver Wandel, und nicht ein durch Notstand erzwungener. Künftig werden angebliche Sachzwänge oder die Ausrede “alternativlos” sicher nicht mehr so einfach hingenommen werden. Denn wir haben nun gesehen, wie viel möglich ist, wenn eine Gefahr erkannt wird. Und wie wir nicht zuletzt in einem Beitrag des Klimafolgenforschers Marc Zebisch zur Konferenz gesehen haben, in dem er die Coronakrise als Klimakrise im Zeitraffer dargestellt hat: die Gefahren durch die Klimakrise sind weit größer, schwerwiegender und wissenschaftlich besser erforscht als jene der aktuellen Krise.
Das Motto lautete also: Wir wollen nach dieser Krise gar nicht mehr in unsere alte Welt zurück?
Das war ganz stark zu spüren. Wir wollen nicht mehr zum Business as usual zurück, wir wollen ein besseres System, und deshalb gilt es jetzt, sich als Zivilgesellschaft dafür stark zu machen. Und zwar sofort, denn jetzt werden bereits Billionen-Euro-schwere Investmentpakete geschnürt, und die sollten nicht darauf abzielen, alles wieder so aufzubauen wie es war. Investiert werden sollte in solidarischen Lebens- und Wirtschaftsweisen, die unsere Lebensgrundlagen erhalten. In einen gerechten Green New Deal.
Wie wurde daran in der Konferenz gearbeitet?
Jede Arbeitsgruppe hat drei konkrete Vorschläge zu ihrem Thema ausgearbeitet, die dann am Ende in Kurzpräsentationen vorgestellt wurde. Und das war wirklich ein starker Moment, in dem klar wurde, dass eine solche Konferenz wie ein Katalysator wirkt, in dem viele Ideen zusammenkommen, miteinander verknüpft werden und am Ende alle gestärkt daraus hervorgehen.
Können Sie ein paar der Vorschläge nennen?
Einen Überblick der Ergebnisse wird es in den nächsten Tagen auf der Konferenz-Webseite geben. Nur um einige Beispiele zu nennen: der Vorschlag, die Hunderten Milliarden von Euro, die nun von der Europäischen Zentralbank über das Bankensystem in die Wirtschaft gepumpt werden, besser direkt über ein Bedingungsloses Grundeinkommen den Menschen selbst zukommen zu lassen, die dann damit ihrerseits die Wirtschaft beleben würden. So kommt das Geld auch dort an, wo es wirklich benötigt wird. Gleichzeitig wurde mit einem Diverse Economy Resource Funds eine entsprechende Bottom-up-Lösung vorgestellt, bei der sich Menschen im Bereich des ökosozialen Designs in dieser Krise gegenseitig unterstützen, indem sie einen Teil ihres Einkommens in eine “gemeinsame Brieftasche” fließen lassen. Einige spannende Vorschläge gab es auch zum Thema lebenswerte und nachhaltige Städte oder der Frage, wie wir die digitale Transformation so gestalten können, dass sie nicht zu noch mehr Kontrolle und Überwachung führt, sondern vielmehr zu einer freieren und offeneren Gesellschaft, in der Menschen miteinander kooperieren.
Viele Ideen, viel Gestaltungswillen – was passiert nun damit?
Es geht weiter. Einerseits haben schon viele Teilnehmende in den Workshops vereinbart, gemeinsam an ihren Themen weiterzuarbeiten. Auch werden wir als Masterstudiengang auf bereits geplanten Konferenzen, wie dem Ideensalon auf lokaler Ebene oder der Degrowth Konferenz in Wien Ende Mai sowie natürlich auf der By Design or by Disaster-Konferenz im Oktober am Thema dranbleiben. Darüber hinaus arbeiten wir aber aktuell bereits konkret daran, sowohl lokal als auch international breite Allianzen der Transformationswilligen, wie ich sie jetzt einmal nenne, zu etablieren. Vor allem lokal hat diese Idee eine sehr gute Resonanz gefunden, und wir werden bereits ziemlich bald konkrete Vorstellungen präsentieren können.
Wer soll dabei sein?
Alle, die an einer positiven Veränderung interessiert ist. Das sind nicht nur die üblichen Verdächtigen wie Scientists for Future, Fridays for Future, Gemeinwohlökonomie, Ökoinstitut, Dachverband für Natur- und Umweltschutz, etc. Gefragt sind alle Unternehmen, Verbände, Initiativen und Politiker*innen, die eine sozial-ökologische Wende wollen.
Das heißt, die momentane Krise kann auch ein Momentum für den Masterstudiengang für Eco-Social-Design sein, der bei seiner Gründung vor fast sechs Jahren noch von so mancher Seite misstrauisch beäugt wurde?
Ich denke, ökosoziales Design ist heute tatsächlich gefragter denn je zuvor. Das hat sich bereits an den steigenden Studierendenzahlen und der zunehmenden Internationalisierung unseres Studiengangs der vergangenen Jahre gezeigt. Menschen aus der ganzen Welt kommen zu uns, um ökosoziales Design zu studieren oder zu lehren. Aufgrund der gegenwärtigen Situation befürchte ich allerdings, dass dieses Jahr viele davor zurückschrecken, sich für einen Studiengang in Italien zu bewerben, selbst wenn er erst im Oktober startet. Auch hier wäre neben der Internationalisierung eine Relokalisierung toll. In diesem Sinne freue ich mich über viele Bewerber*innen aus Südtirol. Die aktuellen Einschreibungen für das kommende Studienjahr läuft noch bis 28. April, eine zweite Bewerbungsphase ist bis zum 7. Juli offen. Ein abgeschlossenes Designstudium ist übrigens keine Voraussetzung. Bei uns studieren auch Leute mit einem Abschluss in Forstwirtschaft, Nachhaltigkeitswissenschaften, Kultur- und Medienwissenschaften, Urbanistik und vielem mehr. Alle Informationen zum Studiengang und der Bewerbung sind auf der Webseite des Studienganges zu finden.
Interview: Susanne Pitro
Wenn ich das so lese wird mir
Wenn ich das so lese wird mir warm ums Herz. Oder ist es Fieber?
Ökosoziales Design ist "ad-ventus" ... Zukunft, die gerne kommen darf!
wow, klingt toll. Ein ganz
wow, klingt toll. Ein ganz wichtiger Beitrag - ich freu mich schon auf die Ergebnisse auf der Konferenz Homepage und viele, viele konkrete Projekte
danke Kris! Ich hoffe, die
danke Kris! Ich hoffe, die Allianz der Transformationswilligen kann sich ganz schnell mit "konkreten Aussagen und Forferungen" an die politisch Verantwortlichen wenden, um gemeinsam auf neuen Wegen in die Zukunft zu starten!