"30 bis 35 Euro am Tag bekommen sie für diese zermürbende Arbeit in der sengenden Hitze. Sie leben in Hütten und Verschlägen auf den Feldern, weitab von jeder Stadt, ohne Kanalisation, ohne Wasseranschluss, ohne jegliche Infrastruktur. Italien will sie als Arbeiter haben, aber sie sollen möglichst unsichtbar bleiben. Zehntausende leben in solchen Slums. Sie ernten Tomaten, Melonen, Orangen. Sie ziehen immer dorthin, wo gerade die nächste Frucht abgeerntet werden soll. In den vergangenen Jahren sind Zehntausende dazugekommen, es sind die Männer, die es über das Mittelmeer nach Italien geschafft haben. Gelandet sind sie in diesem Elend, in der modernen Sklaverei".
So beschreibt der Meraner Journalist Ulrich Ladurner in einer ZEIT-Reportage das Los ausländischer Erntehelfer in Süditalien, das sich in den letzten Jahren kaum gebessert hat – zumindest im Süden der Halbinsel. In diesem Jahr ist die Lage aus anderen Gründen besonders dramatisch. Denn das Heer der Erntehelfer kommt fast ausschliesslich aus Osteuropa: aus Ungarn, Polen, Bulgarien, Albanien und der Slowakei. Wegen der Pandemie ist ihre Einreise in diesem Jahr gefährdet. Für sie bleiben die Grenzen weitgehend zu. Viele verzichten auch wegen der Ansteckungsgefahr auf die Arbeit in Italien. Die beginnt mit der
Spargelernte im Frühjahr in Norditalien und wird dann mit der Pfirsichernte in Piemont fortgesetzt – bis zur Tomaten- und Orangenernte in Süditalien. Dort drohen den Helfern freilich Ausbeutung und Kontrolle durch die
Caporali.
Über ihre Zahl gibt es unterschiedliche Spekulationen. Ein Viertel der in der Landwirtschaft anfallenden Arbeit wird von Ausländern verrichtet - rund 350.000.
Die Bauernverbände schätzen die Zahl auf eine Grössenordung zwischen 270- und 350.000. Ihre Forderung, die Erntehelfer zumindest vorübergehend zu legalisieren, hat heftige Diskussionen ausgelöst.
Zu denen, die den Notruf der Bauernverbände aufgreifen, gehört Bergamos Bürgermeister Giorgio Gori: "Nell'agricoltura italiana lavorano 400 mila lavoratori stranieri regolari, il 36% del totale, la maggior parte dei quali rumeni. Quest'anno non arriveranno. Chi raccoglierà gli ortaggi e la frutta? Servono almeno 200 mila lavoratori extracomunitari. Serve subito un decreto flussi". Lega-Chef Matteo Salvini kontert umgehend:" Nessuna maxi-sanatoria per 600.000 clandestini da far lavorare nei campi." Salvinis Vorschlag: "Ci vogliono voucher per il tempo necessario a disoccupati, studenti e pensionati italiani."
Deren potentielle Zahl freilich wird von Experten als relativ niedrig eingestuft. Landwirtsschaftsministerin Teresa Bellanova lancierte einen Gegenvorschlag: "Regolarizziamo i braccianti che ricevono offerte di lavoro." Ein Vorschlag, den wiederum Salvini als "scandalosa sanatoria" anprangert. Jetzt soll Bellanova zusammen mit Innenministerin Luciana Lamorgese eine brauchbare Lösung suchen. Lamorgese will dabei auch das Problem der colf und badanti einer Lösung zuführen. Von zwei Millionen dieser meist aus Osteuropa kommenden Betreuerinnen seien nur 850.000 legalisiert.
Für Salvini stellt auch das eine "ungeheuere Provokation" dar.
Italiens Bauernverband Coldiretti schlägt auch wegen einer andere Invasion Alarm, die nicht aus dem Ausland kommt: "Nelle campagne mancano stagionali per i raccolti che sono facile preda di oltre un milione di cinghiali che scorrazzano liberamente nei terreni coltivati causano gravi danni a frutta, ortaggi e vigneti minacciando gli animali delle fattorie. La situazione è drammatica".
Für den Bauernverband Coldiretti ist ein weiterer Aufschub nicht tragbar, Allein in Foggia, der Hochburg des Tomatenanbaus in italien, fehlen trotz fortschreitender Mechanisierung der Ernte Tausende von Arbeitern. Marino Pilatti, Coldiretti-Vorsitzender der Provinz Foggia setzt einen Notruf ab: "Qui mancano almeno 10.000 braccianti".
Woher die angesichts der Covid-Krise kommen sollen, weiss freilich niemand.