Gesellschaft | Kritik am Schulsystem

Bildung - Burnout mit 10 Jahren. Ein Leben um zu lernen.

Bildung: Kinder in den Gehegen und Ketten unseres Leistungsdenkens. Dabei will ein Adler von Geburt an frei sein. Bildung ist Leistungssport geworden. Ein Gastbeitrag von Benjamin Lechner.

Wissen ist wertvoll, kein Zweifel. Jemand der etwas weiß, kann sich nicht mehr hinter seiner Unwissenheit verstecken. Wissen schützt vor Armut und bringt Fortschritt, vor allem in den Bereichen der WISSENschaft. Maria Theresia aus Österreich war es, die Mitte des 17. Jahrhunderts in Form von Schule ein Pflichtprogramm für heranwachsende Menschen veranlasste. Zur Schule zu gehen ist ein Segen, lernen zu dürfen eine Gunst, die nicht jedem zur Verfügung steht.

Doch es hat sich auch dort einiges verändert. Bildung ist nun Leistungssport. Wer etwas noch nicht weiß, muss es lernen. Bücher über Bücher werden bereits in den Köpfen von heranwachsenden Kindern eingetrichtert, welche sich mehr Gedanken über ihren Legobausatz, als ihren bevorstehenden Beruf machen. Wir wissen anscheinend alles und vor allem was für unsere Kinder das Beste sei. Großeltern wünschen sich Doktoren, Mama wünscht sich eine Absolventin in Psychologie, nur Papa ist noch unentschlossen, immerhin muss er die Rechnung fürs Studium zahlen.

Betrachten wir einmal die Aussichten eines Neugeborenen: Lara, 3450 Gramm schwer, erblickt das Licht der Welt. Jedes Kind, wie auch Lara, hat bis es in die Schule kommt Träume, Talente und eine genaue Vorstellung des eigenen Lebens. Lara will Sängerin werden, denn sie singt für ihr Leben gerne. Egal ob im Bad, am Frühstückstisch oder beim Anziehen gleich nach dem Aufstehen. Jedoch ist ihr freier Geist nur von kurzer Dauer.

Mama sagt am Frühstückstisch darf nicht gesungen werden. Gerade sitzen, Finger aus dem Mund und benehmen. Schon mit wenigen Jahren wird sie mit dem konfrontiert, was sie ein Leben lang begleiten wird: Wettbewerb und Leistung. Und der damit verbundene Kampf, die Beste zu sein. Noten, Tests und Bewertungen begleiten ihren Alltag und sind damit die Prägungen ihres späteren Lebens. Sie kann vor Prüfungen nicht schlafen, sie würde viel lieber singen.

Zu Hause angekommen, ist keine Zeit zum Entspannen, denn Hausaufgaben und Lernen ist Pflicht und dient zur Vorbereitung einer leistungsorientierten Zukunft. Rebellieren wird von ihren Eltern nicht geduldet, immerhin steht ihre Zukunft auf dem Spiel und es sind harte Zeiten für Durchschnittsschüler. Irgendwann dreht Lara durch. Diagnose des Arztes: ADHS, andere Bezeichnung für fehlende Aufmerksamkeit mit Hyperaktivitätsstörung. Für solche Fälle gibt es ein Förderprogramm, immerhin stimmt mit Lara etwas nicht und sie selbst wird in der Schule als „gestört“ bezeichnet. Noch mehr lernen, noch weniger Zeit, noch mehr Stress und noch mehr Hilfeschreie.

Gerald Hüther, bekannter Hirnforscher, in einem einstündigen Video auf youtube.

Kritik von Zeit-Online rund um "Bildungspropheten wie Gerald Hüther, Jasper Juul und Richard David Precht, lesen Sie hier.

„Ihre Tochter sollte Medikamente nehmen!“, so die häufigste Antwort unserer allwissenden Medizin. Die Noten werden schlechter und Lara verliert immer mehr Freunde, denn ihre Nachbarin ist Klassenbeste und deren Eltern wollen für ihr Kind keine Störfaktoren. Ihre Eltern vergleichen sie mit dieser, denn aus ihr wird sicher einmal eine erfolgreiche Unternehmerin. Mit 18 träumt Lara davon, wie schon als kleines Kind, Sängerin zu werden. Doch die Noten ihrer Oberschule und das Gehalt ihrer Eltern verringern die Chancen an einer Hochschule für Musik und Kunst zu studieren. Keine Perspektive, keine Träume mehr. Sie begießt ihren Kummer mit Alkohol und leichten Drogen und gib sich selbst die Schuld dumm auf die Welt gekommen zu sein. Als ihr Sohn Leo geboren wird und sie sieht, wie perfekt und einzigartig er doch ist, kommt ihr der Gedanke, dass er es einmal besser haben soll.

"98 % der Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch 2 %." Dieses Zitat aus dem neuen Dokumentarfilm "ALPHABET", welcher am 31.10.2013 Kinostart hatte, lässt einem erst einmal nachdenken. Kinder wären wie Drachen, welche durch Eltern und Schulen festgehalten werden und diese vom Fliegen abhalten, so ein asiatischer Mann im Kinotrailer. Kinder werden in eine Anstalt geschickt, welche von Erwachsenen entwickelt wurden, ohne auf ihre individuellen Persönlichkeiten einzugehen. Was weiß denn die Schule von den wahren Bedürfnissen der Schüler? Wer selbst Schule ging oder noch geht weiß, wie hart es sein kann. Das ist in Südtirol keineswegs anders.

Seit der Industrialisierung trägt vor allem die Globalisierung dazu bei, dass Kinder über alles und fast jeden Bescheid wissen müssen. Seit Maschinen und Roboter das Arbeiten ersetzen und körperliches Schaffen überflüssig wird, müssen bereits Kinder dem wachsenden Druck in der Arbeitswelt vorbereiten werden. Allgemeinwissen geht von Binomischen Formel, chemischen Zusammensetzungen bis hin zu Daten und Fakten der gesamten Menschheitsgeschichte. Trotz der Tatsache, dass im späteren Leben nur etwas 5 % des angehäuften Wissens aus Schulen gebraucht wird, besteht die Gesellschaft und vor allem Eltern darauf, Kinder bis zu 20 Jahre ihres Lebens hinter Büchern sitzen zu lassen, um dann 50 Jahre ihres Lebens wie ein Roboter zu arbeiten.

Trotz der Tatsache, dass im späteren Leben nur etwas 5 % des angehäuften Wissens aus Schulen gebraucht wird, besteht die Gesellschaft und vor allem Eltern darauf, Kinder bis zu 20 Jahre ihres Lebens hinter Büchern sitzen zu lassen, um dann 50 Jahre ihres Lebens wie ein Roboter zu arbeiten.

Nach bereits wenigen Wochen in Schule und Beruf ist man wieder urlaubsreif. Dabei sind es vor allem menschliche, soziale und moralische Faktoren, welche Kindern dabei entgeht. Wir lernen Bomben und Waffen zu bauen, aber werden keineswegs unterrichtet, wie man sie vermeidet und Frieden auf Erden herstellt. In Biologie wird uns der Akt der Fortpflanzung bis aufs Detail erklärt, jedoch erhält man keine Hilfestellung darüber, wie man eine Beziehung oder eine Ehe bestreitet. Wir kennen jegliche Bestandteile unserer Nahrung und des menschlichen Körpers, jedoch ist Krankheit, Übergewicht und psychischer Stress noch nie so Alltag wie in unserer so "gebildeten" Welt.

Rassismus, politische Korruption und der zerstörerische Umgang mit unsere Natur und deren Bevölkerung lässt daran zweifeln, ob das derzeitige Bildungssystem Entwicklung oder Verlust sei. Kinder und Jugendliche verlieren zunehmend Respekt vor Autorität, Eltern und Behörden; nicht aus Trotz, sondern aus dem gleichen Grund warum sich kein Adler einsperren lässt, wo er doch die unbegrenzten Weiten der Welt erobern will. Von Geburt an wollen Kinder frei und entdeckerisch sein, sie sehen im Unmöglichen das Machbare und sehnen sich nach Freiheiten, bis ihnen Lehrer und Eltern die Grenzen ihres Daseins mit Geboten und leistungsbezogener Bildung aufzeigen.

Sind denn Doktoren und Studierte wirklich die glücklicheren Menschen? Seit wann ist richtige Kindererziehung und Arbeit mit Kindern mit einem bis zu 5 jährigen Studium verbunden? Bücher geben theoretisches Wissen, welches oft in der Praxis keine Relevanz mehr hat, da wir individuelle, denkende, und uns ständig verändernde Lebewesen sind. Unser Durst nach Wissen sorgte für längere Lebenserwartung in der Medizin, welches ein riesiger Fortschritt ist. Ist es daher notwendig, diese gewonnene Zeit durch noch mehr Bildung, Studium und Arbeit einzutauschen? Im Vergleich leben wir dutzende Jahre weniger und unbewusster.

Jugendarbeitslosigkeit soll mit noch mehr Leistungsdruck gefördert werden. Leider lässt unsere Gesellschaft ein Durchbrechen dieses Systems nur selten zu, denn „Anders“ sein ist viel zu oft mit Verachtung und Ausstoßung verbunden. Medien und Bildungsinstitutionen manipulieren das eigene Denken. Kindern wird von Religionen das Entscheidungsrecht entzogen, was sie glauben und denken dürfen. Regierungen und Politik entscheiden über deren Bildungssysteme, in denen die Schwachen meist von Starken selektioniert werden. Geld spielt besonders in der Entwicklung und Prägung unserer Kinder eine zu große Rolle. Auch wenn viele es nicht glauben wollen, wir leben in einer Zeit, wo unsere eigene Meinung ständiger Unterdrückung ausgesetzt ist. Columbus, Galilei und viele andere wurden als Verrückte bezeichnet oder als Ketzer verbrannt, heute wird man „nur“ zum Sozialfall und Ausgegrenzten.

Maria Theresia, hatte wohl kaum die Absichten, mit ihrer Schulpflicht als Grundbildungssystem einen Massenwahn der heutigen Zeit auszulösen. Kein Zweifel, dass wir uns so immer mehr menschlich und sozial voneinander trennen, der Abstand von Reich zu Arm immer größer wird, und Krieg und Gewalt als Resultat fehlender Gemeinsamkeit entsteht. Burnout mit 10, Hoher Blutdruck mit 35 und Herzstillstand mit 50 sind die Folgen unseres unhaltbaren Leistungsdenkens. Ist es vielleicht doch wieder Zeit für Veränderung?

 

Benjamin Lechner ist von Beruf selbstständiger Tanzlehrer ohne Studium, nur Matura, 24 Jahre.

Die Schule ist ein geschlossenes System mit streng hierarchischen Regeln. Wenn es Probleme gibt, hebt das Verwaltungsgericht müde die Seiten der Register hoch und beschliesst: Alles bestens!
Schulamt, LehrerInnen und DirektorInnen freuen sich. Was sich hinter verschlossener Klassentür abspielt ist oft nicht viel mehr als Überwachung der progeniture während der Arbeitszeit der überlasteten Eltern mit wirr aus dem Internet kopierten Arbeitsblättern, auf denen die SchülerInnen lustlos herumstochern. Aber: wenn die Kinder mehr zuhause wären, wo gingen dann in dieser Zeit die Eltern hin?

Mo., 04.11.2013 - 11:45 Permalink