Gesellschaft | Schule

Unsicherer Neustart

Das neue Schuljahr wirft bei vielen Führungskräften und Lehrpersonen Fragen auf. Es gibt Verunsicherung, Bedenken und Kritik am zentral geplanten Vorgehen.
Schultafel
Foto: Pixabay

Am Dienstag ist das Schuljahr 2019/2020 zu Ende gegangen. Beinahe unbemerkt. Denn bereits seit 4. März waren die Schul- und Kindergartengebäude im gesamten Land ohnehin geschlossen. Das Coronavirus hatte den Unterricht in gewohnter Form unmöglich gemacht, Bildung fand zu Hause statt. Es wird einiges aufzuarbeiten geben. Doch Zeit dafür ist kaum da. Wenn Schüler und Kindergartenkinder im Herbst wieder in ihre Bildungsstätten zurückkehren, gelten keine Ausreden mehr. Die Schule muss vorbereitet sein. Daher lautet die oberste Devise in diesen Wochen: Planung. Doch während die Landesregierung nach außen um Überzeugungsarbeit bemüht ist, rumort es hinter den Kulissen gewaltig.

 

Spielregeln und Stirnrunzeln

 

Dienstag vergangener Woche einigten sich die drei Bildungslandesräte auf “Spielregeln für den Neustart” für das Schuljahr 2020/2021. Zentrale Punkte – neben den allgemeinen Hygienemaßnahmen zum Gesundheitsschutz – sind: an Grund- und Mittelschulen nur Präsenzunterricht am Vormittag; eine Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht an Oberschulen; gestaffelte Eintritts- und Austrittszeiten; Mindestabstand von einem Meter zwischen den Schülern; reduzierte Plätze in den Mensen.

Sogleich nachdem die Nachricht verkündet war, gab es Stirnrunzeln.

“Warum kein Nachmittagsunterricht, warum weniger Mensaplätze? Gäbe es nicht eventuell andere kreative Lösungen, die hier angedacht werden können? Den politischen Handlungsträgern muss klar sein, welche Konsequenzen die Entscheidungen rund um die Schule gesamtgesellschaftlich haben (…) Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf beginnt ganz wesentlich mit den Öffnungszeiten von Kindergärten und Schulen. Und wenn sich die Kinder in der Schule anstecken, dann wird das auch bereits am Vormittag passieren – da nützt die Streichung des Nachmittagsunterrichts auch nichts…”, kommentierte die Userin Elisabeth Hammer auf salto.bz. Solche Regelungen drohten, “zunehmend Frauen aus dem Erwerbsleben zu drängen, um ihre um 12 Uhr von der Schule heimkommenden Kinder zu bekochen”.

 

Von Bozen überrollt?

 

Ganz ähnliche Argumente kriegt zu Ohren, wer sich dieser Tage auf den – noch virtuellen – Schulfluren umhört. Selbst erprobte Führungskräfte raufen sich die Haare. “Es gibt breite Verärgerung”, sagt eine langjährige Schuldirektorin. “Wir werden einfach überrollt.” Die Regeln für die Schule in Phase 2 werden in Bozen geschrieben – und sollen für das gesamte Schuljahr 2020/21 und alle Schulen gleich gelten. Diesen zentralistische Ansatz, der konträr zur Autonomie der Schulen steht, sehen manche skeptisch.

Zumal nicht alle dieselben Voraussetzungen mitbringen. In vielen Grund- und Mittelschulen sei es kein Problem, in den Klassenräumen den Mindestabstand einzuhalten, “die Klassen müssen also nicht geteilt werden und der Unterricht könnte dort wie gewohnt stattfinden”, heißt es vonseiten der zuständigen Führungskräfte. Entsprechend wächst das Unverständnis darüber, dass aufgrund der neuen “Spielregeln” die effektive Unterrichtszeit gekürzt werden soll.

 

Weniger Unterricht, viel Kritik

 

Nach monatelanger unterrichtsfreier Zeit sei es unverantwortlich, den Unterricht – in einzelnen Fächern um bis zu 50 Prozent – zu reduzieren; durch die verringerte Stundenanzahl sei das Recht auf Bildung kaum zu gewährleisten. So eine der Kritiken, die bereits in der deutschen Bildungsdirektion deponiert wurden. “Wie soll in der Grundschule an eineinhalb Wochenstunden ein einigermaßen kompetenzorientierter Sachkundeunterricht durchgeführt werden? Wie können die Schüler an zweieinhalb Stunden die italienische Sprache erlernen?”, sind nur zwei konkrete Fragen, die im Raum stehen.

“Sofern an Schulen die Vorschriften in Hinblick auf die Räume eingehalten werden können und ausreichend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, ist eine Verminderung der Unterrichtszeit kaum zu rechtfertigen. Den Familien gegenüber werden wir allemal in einen großen Erklärungsnotstand geraten”, kommt eine Schulführungskraft in einem Schreiben an Landesschul- und Bildungsdirektion zum Schluss, in dem es auch heißt: “Diese starke Reduzierung der Unterrichtszeit kommt einer Teilschulschließung gleich.” Gegen die Kürzung der Unterrichtsdauer laufen auch die Schulgewerkschaften Sturm.

 

Fragen (noch) ohne Antwort

 

Außerdem gibt es Widerstand gegen die Streichung der von der Schule betreuten Mensa – die Gemeinden könnten einspringen, warten aber selbst auf Informationen vom Land – und die aus Bozen verordnete Staffelung und Dauer der Ein- und Austrittszeit. “Wie werden die gestaltet? Wie abhängig ist man von den Transportdiensten? Wie reagieren die Familien?”, fragt sich etwa Markus Dapunt, Direktor im Schulsprengel Sarntal. Er bestätigt: “Es gibt Bedenken und Unsicherheit und die Lehrer fragen nach, worauf sie sich einstellen müssen.” Diese Frage können die Schulführungskräfte derzeit nicht beantworten. Denn ein verbindliches und offiziell abgesegnetes Konzept gibt es nicht. “Es gibt immer wieder Änderungen, neue Auflagen und Vorgaben”, bemängeln Direktoren.

Aufseiten der Lehrer hingegen pocht man auf Klarheit in Sachen Kollektivvertrag. Denn die Neuverteilung der Stunden, die Neuzuweisung der Klassen und die Neueinteilung der Arbeitszeit werfen arbeitsrechtliche Fragen auf, die mit den Gewerkschaften noch nicht abgeklärt sind. “Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Verwaltung in Bozen so lange damit wartet”, so der Vorwurf.

Dazu gesellt sich bei Führungskräften, Lehrern und Gewerkschaften die Sorge, dass die für Bildung zuständigen Landesräte und Beamten einen radikalen Stellenabbau vorantreiben könnten. Weil aufgrund des reinen Vormittagsunterrichts und der reduzierten Unterrichtszeit zugleich Arbeitszeit für Lehrer entfällt. “Was geschieht mit den ‘überzähligen’ Lehrkräften im September und nach Abklingen der Pandemie? Steht eine Rationalisierung der Lehrerstellen an, werden Lehrkräfte an andere Schule beordert?”, fragt sich eine Schuldirektorin.
“Momentan herrscht generell viel Verunsicherung – daran ist am allermeisten wohl das Virus Schuld”, meint Markus Dapunt. Die Zeit jedenfalls arbeitet gegen einen geregelten und gelassenen Schul-(Neu-)Start im Herbst.

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Herta Abram Fr., 19.06.2020 - 09:07

Schule nach Corona darf nicht Schule vor Corona plus Händewaschen sein. Man kann nicht nur über neue Abstandsregeln sprechen, sondern muss auch von alten Regeln Abstand nehmen.
Schule besser, moderner und menschlicher zu machen könnte auf drei Erfahrungen aufbauen, weiterlesen unter
https://www.zeit.de/2020/24/bildung-schule-zukunft-frei-day-for-future-…
Wir müssen anfangen - als Gesellschaft, - der gesamten Sorgearbeit mehr Wert beizumessen. Wir dürfen es nicht länger zulassen, dass allem Anderen (und egal welchem Job) mehr Wert beigemessen wird, als die nächste Generation heranzuziehen.
„Im Mittelpunkt aller Bildungstätigkeiten stehen die Kinder und Jugendlichen in ihrer Einzigartigkeit und in ihrer Beziehung zu anderen und zur Umwelt“. (Rahmenrichtlinien der Schulen)
Schule ist weit mehr, als eine Kinderaufbewahrungsstätte.

Fr., 19.06.2020 - 09:07 Permalink
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Elisabeth Hammer Fr., 19.06.2020 - 18:07

Antwort auf von Herta Abram

Ich kann der Argumentation nicht ganz folgen. Gerade weil Kinder in Beziehung zu den Mitschülern stehen, plädiere ich für möglichst viel Präsenz-Unterricht. Fernunterricht kann vieles leisten, aber gerade die Beziehungsqualität und die sozialen Kompetenzen leiden stark darunter. Natürlich ist Schule mehr als eine Aufbewahrungsstätte, sie ist ein Ort, wo Lehrer und Schüler miteinander und voneinander lernen - so zumindest habe ich meinen Schulalltag bisher erlebt. Generell vermisse ich in dieser Diskussion auch die Einbeziehung der Stimmen der Kinder und Jugendlichen selbst. Vielleicht fragt man mal bei ihnen nach, wie sie sich die Rückkehr in die Schule vorstellen und was sie sich wünschen würden. Tendenziell höre ich von meinen Schülern eher den Wunsch nach Normalität und Unterricht in der Klasse.

Fr., 19.06.2020 - 18:07 Permalink
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Harry Dierstein Fr., 19.06.2020 - 18:55

Antwort auf von Elisabeth Hammer

Das kann ich absolut bestätigen, verehrte Frau Hammer!

In der letzten Woche (nach den Notenkonferenzen und vor dem Schulende) haben ich mich via "Zoom" noch einmal abschließend mit meinen fünf Klassen (ital. Oberschule, Alter 14-20 Jahre) verbunden, um gemeinsam zu resümieren.
Als Fazit konnte ich konstatieren: Nahezu alle Schüler fanden es in den ersten drei, vier Wochen (also im März) irgendwie cool oder witzig nicht in die Schule kommen zu müssen.

Danach haben bei vielen Entzugserscheinungen eingesetzt: Das klassische Schulleben, der Unterricht mittels physischer Präsenz im Klassenzimmer, die unmittelbaren Gruppenarbeiten, das Lachen in den Korridoren beim Stundenwechsel, das Quatschen in der Pause oder auf der Toilette. Alles das macht - nicht nur, aber vor allem - Schule aus.

Und dies alles fehlte uns allen. Den Schülern, aber auch den Lehrern!

Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin mit den Corona-Entscheidungen der italienischen Staatsregierung absolut einverstanden und unterstützte persönlich jede einzelne Lockdown-Maßnahme. (Insgeheim befürchte ich sogar eine Rückkehr dieses Zustands im Herbst, aber das nur nebenbei.)

Was mich jedoch wirklich extrem gestört hat, war die mangelhafte Unterstützung durch die Landesregierung. Wenn die Südtiroler Lehrer sich nicht in Eigenverantwortung, mit eigenen finanziellen Mitteln diejenigen Tools privat (!) besorgt hätten, die es für DaD (Didattica a Distanza) braucht, dann hätte der Unterricht heuer ab dem 05. März 2020 überhaupt nicht mehr stattgefunden.

Fr., 19.06.2020 - 18:55 Permalink