Gullotta, Vincenzo
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Politik | Kommentar

Schulamtsleiter & Privacy

Der Fall Gullotta zeigt exemplarisch, wie man sein Amt missbrauchen und sich danach noch als Opfer hochstilisieren kann. In diesem Land geht anscheinend alles.
Ich kenne Vincenzo Gullotta nicht persönlich.
Ich werde den Hauptschulamtsleiter und höchsten Beamten der Südtiroler Schulhierarchie aber demnächst vor Gericht kennen lernen.
Denn Gullotta hat per Pressemitteilung verkündet, dass er all jene klagen wird, die Details über die nachträgliche Anhebung der Noten seines Sohnes publiziert haben. Der Hauptschulamtsleiter schreibt in einer Stellungnahme, die Salto.bz am Samstag vollinhaltlich veröffentlicht hat:
 
„Ho dato disposizioni ai miei legali di denunciare alle autorità competenti coloro che mi hanno diffamato e anche la scuola sta procedendo con azioni legali. Non va dimenticato che in questa occasione è stato violato il segreto d’ufficio e sono stati divulgati dati sensibili relativi ad un minore.“
 
Da der Unterfertige und Salto.bz das Protokoll der außerordentlichen Notenkonferenz in der Mittelschule „Ugo Foscolo“ veröffentlicht haben, dürften neben anderen Medien auch wir gemeint sein.
Der Vorwurf: Die Veröffentlichung von zwei Noten des Schülers Gullotta verstoße gegen die Privacy-Bestimmungen.
 
Wie sich die Zeiten und Sitten ändern. Als der Autor dieser Zeilen noch die Schulbank drückte, mussten die Noten per Gesetz an der Anschlagtafel der Schule öffentlich ausgehängt werden und die Maturaergebnisse wurden in der Tageszeitung publiziert. Inzwischen sind die Schulnoten anscheinend „sensible Daten“, die dem Staatsgeheimnis unterliegen.
Außerdem komme – laut Gullotta – die Veröffentlichung des Sitzungsprotokolles dem Strafbestand der Verletzung des Amtsgeheimnisses gleich.
Auch das ist eine Nebelgranate, um vom eigentlichen Skandal abzulenken. Denn hier stilisiert sich ein mutmaßlicher Täter ungeniert zum Opfer auf.
Auch das ist eine Nebelgranate, um vom eigentlichen Skandal abzulenken.
Der Fall Gullotta dreht sich in Wirklichkeit um eine ganz andere Frage: Hat der höchste Schulbeamte sein Amt missbraucht, um ein privates Anliegen umzusetzen?
In seiner Stellungnahme bestätigt der italienische Schulamtsleiter den Anruf beim Direktor der Schule an jenem Tag. Laut Gullotta sei es ein Dienstgespräch gewesen, bei dem es um andere Dinge gegangen sei. Während des Gesprächs habe er die gerade publizierten Noten seines Sohnes angeschaut und daraufhin angemerkt, dass da etwas nicht stimmen könne.
Danach sei alles wie das Butterschmelzen gegangen. Der Direktor habe den Technik-Professor angerufen, dieser habe eine schriftliche Stellungnahme verfasst, in der er erklärt, alles falsch gemacht zu haben. Daraufhin wurde eine außerordentliche Notenkonferenz einberufen und die Note von 6 auf 8 angehoben.
Und weil man gerade dabei war, wurde auch die Musiknote von 7 auf 8 angehoben. Obwohl der Musikprofessor sich dagegen ausgesprochen hat. Zwischen dem Telefongespräch und der Abschluss der Sitzung vergehen keine sechs Stunden.
Vincenzo Gullotta sagt, er habe weder etwas verlangt noch angeschaffen.
 
 
Tatsache ist, dass der Schulamtsleiter in einem amtlichen Gespräch mit einem Schuldirektor private Dinge anspricht und bemängelt. Es wird schwer werden zu behaupten, dass Gullotta seine Verwunderung über die Noten seines Sohnes als Vater und nicht als Schulamtsleiter geäußert hat.
Geht diese Sicht der Dinge durch, dann gute Nacht.
Dann kann der Ministerpräsident oder Landeshauptmann den Generaldirektor einer Bank anrufen, um mit ihm über die neuen gesetzlichen Bankenbestimmungen zu reden und während des Gesprächs merkt der Politiker, dass seine Brieftasche leer ist. Deshalb fragt er auch gleich nach, ob er einen Kredit bekommen könnte. Und der Banker beruft eine außerordentliche Sitzung des Kreditkomitees ein. Nach wenigen Stunden ist der Kredit dann genehmigt.
Geht das? Wobei zwischen dem Politiker und dem Banker nicht jenes hierarchische Dienstverhältnis besteht, das zwischen Schulamtsleiter und Direktor unzweifelhaft vorhanden ist.
Geht diese Sicht der Dinge durch, dann gute Nacht.
Was die ganze Affäre aber noch schwerwiegender macht. Geht man davon aus, dass Vater Gullotta Recht hat und seinem Sohn bei der Notenvergabe wirklich Unrecht angetan wurde. Wäre es dann nicht die Aufgabe des Schulamtsleiters gewesen, sich die logische Frage zu stellen, ob dann nicht auch die Noten der anderen Schüler „fehlerhaft“ sind.
Hätten dann nicht alle Noten dieser Klasse und dieser Professoren „korrigiert“ werden müssen?
Dass weder Vincenzo Gullotta noch Direktor Franco Lever das in Betracht gezogen haben, macht deutlich, dass es sich um eine gezielte Bevorzugung des Sohnes des Schulamtsleiters handelt.
Vicenzo Gullottas Amtsauffassung zeigt sich auch in seiner Stellungnahme. Der Schulamtsleiter gibt eine folgenschwere Entscheidung bekannt, noch bevor sie das Führungsgremium einer autonomen Schule überhaupt gefasst hat.
Aus einem Detail der Stellungnahme geht auch die Amtsauffassung Vincenzo Gullottas hervor.
In der oben zitierten Passage heißt es: „Anche la scuola sta procedendo con azioni legali.
Zwei Stunden nachdem der Schulamtsleiter am Freitagnachmittag seine Stellungnahme an die Medien verschickt hat, folgte um 18.07 Uhr auch eine Pressemitteilung der Schule „Ugo Foscolo“.
Direktor Franco Lever schreibt:
 
„In considerazione del fatto che la campagna di stampa ha reso pubblico l’Istituto di appartenenza del minore coinvolto, la scuola prima di intraprendere qualsivoglia iniziativa, ritiene opportuno convocare un Consiglio di Istituto straordinario con la partecipazione della coordinatrice della classe interessata, al quale saranno demandate le eventuali iniziative da intraprendere.“
 
Demnach gibt der Schulamtsleiter eine folgenschwere Entscheidung bekannt, noch bevor sie das Führungsgremium einer autonomen Schule überhaupt gefasst hat.
Man kann sich vorstellen, wie unbeeinflusst der Schul- bzw. Klassenrat die anstehende Entscheidung fällen wird.
In jedem anderem Land müsste Vincenzo Gullotta nach dieser Affäre als Hauptschulsamtsleiter umgehend zurücktreten. Nur in Südtirol gelten andere Regeln.
In jedem anderem Land müsste Vincenzo Gullotta nach dieser Affäre als Hauptschulsamtsleiter umgehend zurücktreten. Nur in Südtirol gelten andere Regeln.
Dort kann man sich als hilfloses Opfer der bösen politischen Presse hochstilisieren.
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Profil für Benutzer Greta Karlegger
Greta Karlegger Di., 23.06.2020 - 04:03

Ich spiele hier ungern den Advocatus Gullottae, aber Noten sind nun Mal sensible Daten.
Die Privatsphäre des Jungen wurde durch die Verletzung des Amtsgeheimnisses und voreilige Berichterstattung eindeutig verletzt!
Was bei dem Telefongespräch genau gesagt oder besprochen wurde, kann ich nicht beurteilen. Wenn es so abgelaufen ist, wie Gullotta es nachzeichnet, ist ein Amtsmissbrauch natürlich nicht gegeben.
Der Klassenrat ist der Beanstandung der Notenvergabe gefolgt. Gullotta hat nach eigenen Angaben keinen Druck ausgeübt und die Noten wurden en passent nach oben korrigiert.
So what?
Auch das Argument von Franceschini, dass G. sich auch für die Verbesserung der Noten der anderen Schüler hätte stark machen sollen, ist nicht schlüssig und führt ins Leere: Denn woher hätte G. die Noten der anderen kennen sollen?
Das Recht auf Wahrung sensibler Daten des Minderjährigen hat in diesem Fall mehr Gewicht, als irgendwelche Mutmaßungen von Dritten, welche wohl nur schwer beweisbar sind.

Di., 23.06.2020 - 04:03 Permalink
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Manfred Klotz Di., 23.06.2020 - 08:00

Antwort auf von Greta Karlegger

Gegen Gullotta spricht aber genau die Tatsache, dass er, angesichts des Fehlers, den er bei der Benotung seines Sohnes entdeckt haben will, nicht eine generelle Überprüfung empfohlen hat (so wie es scheint), denn so wie man sich bei seinem Sohn, seiner Aussage nach, geirrt hat, so könnte es bei den anderen auch gewesen sein. Dazu muss er nicht deren Noten kennen. Wir bewegen uns auf der Ebene der Hypothesen, aber das stellt Christoph Franceschini schon richtig dar.

Di., 23.06.2020 - 08:00 Permalink
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Michele De Luca Di., 23.06.2020 - 10:00

Degna di nota è la consueta confusione, fra utenti ma incredibilmente anche fra i diretti interessati della vicenda, che si fa fra dati "personali" e dati "sensibili", che il GDPR definisce ora "particolari" (art. 9). Questi ultimi sono ben definiti, basta andare sul sito del Garante per avere le idee chiare. Su privacy e scuola ci sono pure le FAQ del Garante. In poche parole, a tirar in ballo la "privacy" sono tutti bravi, meno però ad azzeccarla "sparando" delle discrete bufalate.

Di., 23.06.2020 - 10:00 Permalink
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Christoph Fran… Di., 23.06.2020 - 10:38

Antwort auf von Michele De Luca

Grazie Michele De Luca.
Hier die Klärung des Garante per le protezione dei dati personali (Granate della Privacy):

Gli esiti degli scrutini o degli esami di Stato sono pubblici?

Sì. Le informazioni sul rendimento scolastico sono soggette ad un regime di conoscibilità stabilito dal MIUR. Nel pubblicare i voti degli scrutini e degli esami nei tabelloni, l’istituto scolastico deve evitare, però, di fornire informazioni sulle condizioni di salute degli studenti o altri dati personali non pertinenti. Il riferimento alle “prove differenziate” sostenute, ad esempio, dagli studenti con disturbi specifici di apprendimento (DSA) non va inserito nei tabelloni, ma deve essere indicato solamente nell’attestazione da rilasciare allo studente.

Di., 23.06.2020 - 10:38 Permalink
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Profil für Benutzer Elisabeth Schnitzer
Elisabeth Schnitzer Di., 23.06.2020 - 15:10

Ich darf hier Mal Licht ins Dunkle bringen:

Die sogenannten "dati sensibili" wurden mit Einführung der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung von den "besonderen Kategorien personenbezogener Daten" abgelöst (Art. 9 und 10 DSGVO). Zu den besonderen Kategorien von personenbezogenen Daten gehören Daten zur rassischen oder ethnischen Herkunft, zur politischen Meinung, zur religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung, Informationen über Gewerkschaftszugehörigkeit, genetische- oder biometrische Daten, Gesundheitsdaten und Daten zur sexuellen Orientierung sowie Daten über strafrechtliche Verurteilungen und Strafdaten. Diese Einteilung wurde auch vom Codice della Privacy in geltender Fassung übernommen.
Umgangssprachlich wird "leider" nach wie vor der Begriff sensible Daten verwendet, welcher sich allerdings auf die alte Version des Datenschutzgesetzes bezieht und in der Zwischenzeit überholt ist.
In jedem Fall gehören Noten (so sensibel sie auch für die Betroffenen wahrgenommen werden) nicht zu den besonderen Kategorien und dürfen/müssen im Übrigen auch publiziert werden (natürlich unter Einhaltung der Privacy-Bestimmungen.)

Di., 23.06.2020 - 15:10 Permalink