Gesellschaft | Eiertreter*in

Von Lotterern und Zogglern

Südtirol und seine Vereine. Ein Sommermärchen.
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Foto: Pixabay

Mittwoch 9-11:30 Uhr. Ich frage mich, welcher Arbeitnehmerinnenfeind solche Öffnungszeiten für den Recyclinghof festlegt? Der BM - wie sein gesamter Ausschuss Bauer - kann es nicht gewesen sein. Hätte keinen Vorteil davon, denn Mittwoch Vormittag halten sie Sitzung beim Kreuzwirt. Manchmal auch Bilaterale Gespräche mit Salzburgern: „Drei!? Hebn“. Oder Gipfeltreffen mit Franzosen: Sauvignon und Chardonnay.
In meiner Garage stapelt sich nach wie vor das ganze Graffl, das ich während des Lockdowns aus dem Keller gewuchtet habe. Meinen alten 128er muss ich jetzt immer davor parken. Werde das Glump jetzt einfach in den Garten verfrachten; wirst sehen wie schnell die Helga, Präsidentin des Verschönerungsvereins, mit Flügel offen auf meiner Matte steht - wohne zufälligerweise genau hinter unserem Begrüßungsschild „Willkommen in Bums“. Noch vor Jahren hing dieses grenzdebile „Atomwaffenfreie Zone“ darunter. Jetzt, wo unser letzter Risikopatient das Altersheim mit dem Friedhof vertauscht hat, könnte die Helga ja eine „Covid free zone“ drüberpicken … und ich würde in einem nächtlichen Vandalenakt das „Covid“ mit „Intelligence“ übermalen. (Ich schweife ab.)

Neues Los - neues Glück!

Andere Jahre habe ich die Mitbringsel von Tante Traudl oder die Geburtstagsgeschenke von meiner Tota, kurz: den Sperrmüll den andere Menschen im Recyclinghof entsorgen, einfach den lieben Menschen weitergereicht, die halbjährlich vor meiner Tür rumlungern. Nein, nein, nein, nicht die mit den Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! unterm Arm. Seit neuestem auch gerne mit einer Visitenkarte mit einem QR-Code drauf, mit dem man sich eine digitale Bibel auf sein Handy laden kann (Sachen gibt's). Die finde ich ja drollig; die versuche ich immer zum Atheismus zu bekehren.
Ich meine das Gsindl, das dir auflauert, um etwas für den Glückstopf zu lottern: Feuerwehr, Musikkapelle, Männergesangsverein (genannt „Die fidelen Bumser“), Weisses Kreuz, Kegelclub, Skiclub, Bergrettung und last but not least: die Schützen. Die einzigen, den ich gerne etwas gebe. Solchen bemitleidenswerten Kreaturen muss man unter die Arme greifen. Die Schnorrer, die ich sofort verschicke, sind die von der Croce Rossa. Die Sektion Bums hat der Maresciallo zusammen mit ein paar walschen Stadtlern gegründet, als er in Pension ging.
Den Rotkreuz-Ragazzi muss ich nichts aufdeutschen. Die wissen, dass ihr Chef mir trotz zarter fünfzehn Lenze ein Knöllchen verpasst hat, weil ich meine Veps nicht nur mit einem Yankee-Sattel, sondern auch einem 19er-Vergaser frisiert hatte. Dabei war ich die Einzige im Dorf, die es mit den Berger-Brüdern aufnehmen konnte: Im „Mostro“ machen - sie wissen schon, wenn man nur auf dem Hinterrad durchs halbe Dorf düst. (Heute arbeite ich mich weiterhin an Bruderpaaren ab, aber die wohnen nicht wie die Berger am Berg sondern in der Ebene). Tja, Rache ist Blutwurst und wie der Luis (santo subito) und The Bros der Ebene vergesse ich nie was und deshalb gibt's auch nichts für die Lotterie (schon mal aufgefallen, in der „Lotterie“ ist das „Lottern“ schon drinnen).
Blöd ist nur: Dem Lose-Ziehen an sich, kann ich eine gewisse Attraktivität nicht absprechen. Schon als kleines Gitschele hatte ich eine Affinität zu langen Fingernägeln. Damals allerdings nicht um selbige in Männerrücken zu schlagen, sondern um besser die Messingringe von den Losen ziehen zu können. Es gab keine bessere Lebensschule als den Glückstopf: Die Einsicht beispielsweise, dass die Treffer unter all den Nieten spärlich gesät sind. Die Männer meine ich. Dann hast du endlich das große Los gezogen und es passt doch nicht. Wie der Pullover mit Matrosenkragen, vier Nummern zu groß. Die Mama hat ihn dann im Caritas-Sack entsorgt - hätte sie später mit meinem Ex auch machen sollen.

Nicht verzagen - nochmal wagen!

Seit 15. Juli könnten die Vereine mit ihren Sommerfesten die Querfinanzierung ihrer Hobbys betreiben und was ist: Nix, nada! Sogar der Sarner Kirchtag*in wurde abgesagt. Derweil wartet der Tontopf in der Form eines grinsenden Schimpansenkopfs zusammen mit dem anderen Trödel im Garten auf einen neuen Besitzer. Ein sehr schönes Stück übrigens. Erinnert mit seiner fehlenden Schädeldecke ein wenig an die „Mondo Cane“-Filme aus meiner Jugend, wenn die Kannibalen um einen Affengrint herumsitzen und sein Hirn auslöffeln (nach so einer Prozedur taugt so ein Affe nur noch zum Südtiroler Schützen). Wer diese Schätze der italienischen Filmkunst nicht gesehen hat, muss sich nur einen Egger-Lienz vorstellen, wenn die Bauern mit ihren Holzlöffeln um eine Pfanne Muas sitzen - Naturvölker bei der Nahrungsaufnahme. (Ich schweife ab - schon wieder!)

Puh - eine Niete!

Sie merken schon - ich tue mich ein bisschen schwer. Südtirol und sein Vereinswesen ist auch ein heikles Thema. Da braucht es Fingerspitzengefühl. Ich werde versuchen so diplomatisch wie möglich zu sein: VERPISST EUCH!!! Finanziert eure bescheuerten Hobbys gefälligst selber! Ich sammle mit Leidenschaft alte Barbie Puppen. Ziehe ich deshalb zwei mal im Jahr von Haus zu Haus und bitte um eine Spende für die Finanzierung meiner lang ersehnten Barbie Midnight Red von 1965, die bei einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Christie’s für umgerechnet 13.500 Euro den stolzen Besitzer wechselte? Und nein, ich will zu Neujahr weder einen Glendr, noch den Schriebs den ihr Tätigkeitsbericht nennt; verfasst von der einzigen Person in der Kompanie, die überhaupt Lesen und Schreiben kann und deshalb sofort zum Schriftführer befördert wurde - ah, na, „Presseoffizier“ heißt das jetzt. Noch weniger will ich diese akustische Umweltverschmutzung, die ihr Ständchen schimpft. Ein auf Blech transkribiertes „Smoke on the water“ von Deep Purple ist nicht lustig, sondern ein Sakrileg! „Die fidelen Bumser“ stellen sich bei der Christmette auch nicht in den Altarraum und singen statt „Stille Nacht“: „Dio porco puttana ... madonna ... gan dell'oschtia...“. Es soll ja durchaus Menschen geben die mit Blasmusik etwas anfangen können. Meine Nachbarin beispielsweise soll darin beschlagen sein - sagen die Kollegen meines Nachbarn. Nun, ich mag's nicht und ich verwehre mich dagegen, dass mich jemand durch das Drücken meines Klingelknopfs in finanzielle Geiselhaft nehmen darf. Nächstens steht dann „Der Orig. Echte Luschtige City-Roller“ vor meiner Tür, der sich ein neues Roland A-800PRO anschaffen will.

Nimm's leicht - nimm noch ein Los!

Schon mal genauer den Haushalt ihrer Gemeinde in Augenschein genommen? Der Umbau des Probelokals unserer Musi hat 453.600 Euro verschlungen. Hätte man besser in die Schlaglöcher im Moosweg investiert, die dir die Stoßdämpfer durch die Motorhaube drücken. Sympathisch sind mir bei der Finanzierung der Vereine durch die Gemeinde nur die Kegelbrüder, mit ihren exakt 15,23 Euro im Jahr 2019. Sagte ich, dass der Serafin, der Obmann des Kegelclubs, sich erdreistet hat, bei den letzten Gemeinderatswahlen als Bürgermeisterkandidat für die Bürgerliste zu kandidieren? Strafe muss sein. Von der Gemeinde monetär geschnitten, geben sie sich beim Sommerfest besondere Mühe, Opfer anzulocken. Letztes Jahr haben sie mit den Vaia-Windwürfen eine Kegelbahn mit 10 Bahnen in die Roan hinter der Kirche gebaut. Dazu muss man wissen, der Spruch „Wo die Hennen Steigeisen tragen“ wurde bei uns erfunden. Unser Dorf liegt derart am Hang, dass für die Stützmauer der Dorfplatzerweiterung mehr Beton verbaut wurde, als anno dazumal für die Autobahn von Brenner bis Salurn.
Ich sage: Die Gemeindegelder für die Vereinstätigkeit sind das neue Feudalsystem, in dem der Lehensherr BM großzügig Pfründe an seine Günstlinge abgibt - für seine Wiederwahl. Die vierteljährlichen 10.000 Euro für die Feuerwehr sind hingegen schon Teil der Fixkosten im Gemeindehaushalt. Was? Kostspielige Ausrüstung, neuester Stand der Technik und so? Die Kohle für unser neues Rüstfahrzeug für die Wasserrettung wurde aus dem Landestopf für das Feuerwehrwesen bezahlt.
Apropos Land. Schon mal mit Suchbegriffen wie „Musikkapelle“, „Feuerwehr“ oder „Verein“ unter „Subventionen, Beiträge, Zuschüsse und wirtschaftliche Vergünstigungen des Landes“ (Gewährungsakte nennt sich das im Beamtendeutsch) gesucht? Für jeden Fuhn, jede Tracht, jeden Uniformknopf gibt es ein Scherflein vom Land - verständlich, Uniformierung ist auf diesem Flecken Erde etwas vom Wichtigsten. Bräuchte ein neues Salewa-Jaggele für den Berg. Gibt's sicher einen Beitrag, jetzt wo sich Oberalp und Provinz so Freund sind.
Für mich Gore-Tex für unsere Mandr Neopren ... warum zur Hölle brauchen wir eine Wasserrettung? In der Prunze, dem Rinnsal beim Hof vom Hintertoler, wurde zuletzt beim Hochwasser 1966 Spurenelemente dieser chemische Verbindung namens H2O gesichtet - und dann sofort vom Watschinger mit 134.000 m³ Beton gezähmt. Verstehe: Es könnt ja ein Kindergartler im Dorfbrunnen ersaufen. Angeschafft wurden Schlauchboot und Rettungsboje nicht, um die zwei weiblichen Neuzugänge endlich mal in ihren roten Baywatch-Schwimmanzügen zu sehen, sondern weil die Mannen im Nachbardorf Rums jetzt einen ABC-Zug samt Ganzkörperanzügen für Chemieeinsätze haben (die brauchen sie auch, wenn mal wieder eine Kuh in der Surgruab feststeckt). Der Kalte Krieg mag zu Ende sein, aber zwischen den Südtiroler Feuerwehren wird munter weiter wettgerüstet. Schon mal das Zivilschutzzentrum in Neumarkt gesehen? (Zivilschutzzentrum, das neue Vereinshaus). Boah, denkst du, das reicht für's ganze Unterland, aber nein, in Auer, Tramin, Kurtatsch, Salurn… stehen die selben Tempel in der Gegend rum. Kaltern hat acht Freiwillige Feuerwehren - wegen der Ortskenntnis ist dann immer das Totschlagargument. Laut Google Maps beträgt die Distanz zwischen Freiwillige Feuerwehr Kaltern Mitterdorf und Freiwillige Feuerwehr St. Anton Pfuss genau 650 Meter. Herrgottskinder, so besoffen könnt ihr doch gar nicht sein, dass ihr da nicht hin findet.
Und jedes Strahlrohr, jeder Hydrantenschlüssel bekommt seine Einweihungsfeier mit Einmarsch der Musikkapellen von Rums und Bums, Patin, Klobürstenschwingen vom Dorfpfaff und Generaldecharche. Dann weht der Duft von verbrannter Giggerhaut übers Dorf - und löst bei mir einen pawlowschen Würgereflex aus. Es ist zum Kotzen: Jedes Wochenende die selbe Kakaphonie (ja, „Kaka“ nicht „Kako“) vom Festplatz. Anderer Verein; die selben Komatrinker, Schläger, Wildpinkler. Südtiroler FestCultur! „Same procedure as every year“.
Sich dem entziehen zu wollen, kommt einem gesellschaftlichen Suizid gleich - wenn du keine zugezogene NaWeisch bist. Und du solltest möglich viel Geld investieren, um das Gerümpel, das du vorgestern gespendet hast, zurückzukaufen. Ich schütte mich dann schnellstmöglich zu. Volle Dröhnung, weil nüchtern erträgst du dieses Hochfest der Tschöggl nicht. Wie gut, dass wir schon als Kinder unsere Leber für größere Aufgaben stählten, indem wir die Neigen aus den Schnapsgläsern gesoffen haben. Nirgends ist das Klischee des Genusslandes nackter als auf einem x-beliebigen Wald-und-Wiesenfest. Ich sage es jetzt ehrlich, ganz brutal: Gepriesen sei das Sars-CoV-2 und sein Covid-19! Endlich isch a Ruah.

Nur, wie entsorge ich jetzt meinen Müll? Das ist es! Ich veranstalte einen Glückstopf in meinem Garten, mit dem Affenschädel als Hauptgewinn! Von 9-11:30 Uhr (abends). Und damit es etwas geselliger wird, frittiere ich Kniakiachl. Alle bringen etwas zu Trinken mit und nur wer Bier vom Monopolisten anschleppt, muss einen Sicherheitsabstand von 10 Meter einhalten. Apropos: Damit den Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen entsprochen ist, setzt jeder seinen Alu-Hut auf, der uns zusätzlich vor 5G-Strahlung und Chemtrails schützt. HEREINSPAZIERT!

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Werner Beikircher Mi., 12.08.2020 - 13:35

Wow, und bravo! Ein literarisches Highlight in einer tristen Südtiroler Medienlandschaft und weit davon entfernt, überzogen zu sein; Mitterer mit seiner Piefke Saga war noch weiter abgehoben von einer damals denkbaren Realität; jetzt ist es gelebte Tirolität.
Aufpassen (K...oder wie du heißt)! Bleibe in Deckung, sonst hängen dich die braven, gottesfürchtigen Eingeborenen bei der nächsten Prozession an die nächste Linde (pardon: deutsche Eiche natürlich).

Mi., 12.08.2020 - 13:35 Permalink