Wirtschaft | Geschichte

Des Apfels Heimat ist nicht unsre

Über den Vater aller Äpfel in Kasachstan, seinen Niedergang durch den Staat, und seinen Weg zu uns – eine kleine Geschichte der Südtiroler Symbolfrucht.
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Foto: Gabriele Lasser on Unsplash

Und wieder ringt Asien im Wettstreit um ein prestigereiches Lebensmittelprodukt Italien den Titel der Ursprungsnation ab: Bereits bei der Erfindung der Nudeln mussten sich die Spaghetti-liebenden Italiener ausgerechnet China geschlagen geben – der Reisnation schlechthin! Doch kaum ist das erste kultur-kulinarische Trauma überwunden, setzen die Asiaten zum zweiten Schlag aus. Und der trifft diesmal das schönste Fleckchen des Landes (eigentlich auch der Welt): das kleine Südtirol und sein knackiges, pausbäckiges landwirtschaftliches Aushänge-Produkt. Sie haben richtig geahnt, der Südtiroler Apfel hat seinen Ursprung nicht in Südtirol, und noch nicht mal in Europa; der Urapfel stammt aus Kasachstan in Zentralasien. Unsere geliebte Heimat, die 20 Prozent der europäischen Apfelernte schöpft, unser Südtirol, das mit seinen Apfelplantagen fast 26 Tausend Fußballfelder füllen kann, unser Alto Adige (ohne Trentino), Monokultur-Paradies für Insektenfeinde, ist also nicht des Apfels natürliche Heimat? Liebe Apfelfreunde, verzagen Sie nicht. Mittlerweile fühlen sich Äpfel auch bei uns zuhause. Zwar werden sie, erst einmal gepflückt, schnell ins Ausland abgeschoben, doch haben sie mittlerweile in unseren Brieftasch... Herzen!, in unseren Herzen ein festes Plätzchen gefunden.

Wie Südtirol die Apfelspitze erklomm, und was aus dem Urapfel in Kasachstan wurde...

 

„Alma- Ata“ – Vater des Apfels

 

Die Geburtsstadt des Apfels liegt im Süd-Osten Kasachstans, am Fuße des Tien Schan Gebirges, und heißt Almaty (früher Alma-Ata). Ihren Namen verdankt die größte Stadt Kasachstans und ehemalige Hauptstadt dem Apfel, denn übersetzt bedeutet Alma-Ata „Vater der Äpfel.“ Der Namensgeber Almatys, der Urvater der Äpfel, ist der sogenannten Aport. 

Der Biologe Nikolaj Wawilow entdeckte Anfang des 20. Jahrhunderts den Ursprungsort des Apfels und verfolgte als Erster das Genom des Apfels zurück auf Almaty. Dort wuchsen die Apfelbäume wild und eng aneinander verschlungen – ein einzigartiges Phänomen auf der Welt. Heute noch gibt es vereinzelt wilde Apfelwälder in der Umgebung Almatys, die zum Naturschutzgebiet erklärt wurden. Der Almatiner Apfel ist unter den Stadtbewohnern zur Legende geworden. Heute ist der Aport aber leider kaum mehr als das, eine Legende, denn der Urapfel ist kurz vor dem Aussterben.

Sein Ruhm setzte sich bis in die Sowjetunion fort, zu welcher Zeit, so heißt es unter den Almatinern, der Saft des Aports so süß geschmeckt habe, dass man ihr gar als Bestechung gegen sture Moskauer Beamte einsetzen konnte

Wie der Aport früher aussah, welch besondere Frucht er war, kann man nur mehr aus den Erzählungen älterer Stadtbewohner erahnen. Die deutsche Reisebuchautorin Dagmar Schreiber ist die erste, die Kasachstan in einem deutschsprachigen Reiseführer beschreibt und seine kulturellen Besonderheiten festhält. Darin lässt sie auch Almatiner zu Wort kommen, die erzählen, von den guten alten Zeiten, als Alma-Ata noch wahrlich die Stadt der Äpfel war: „Und stell Dir vor, im September haben wir an den Aryks [Bewässerungsgräben an den Straßen Almatys, Anm. d. Red] gesessen und die Äpfel rausgefischt, die von den Gärten heruntergeschwommen kamen. Wir konnten sie gleich essen, das Wasser war absolut sauber,“ erzählt etwa ein Taxifahrer. Der ursprüngliche Aport, so erzählen die Bewohner, fiel wegen seiner Größe auf. Er soll so riesig gewesen sein, dass man nach einem halben schon satt war. Bis zu 1,2 Kilogramm soll die Frucht gewogen haben. 

 

Der Aport machte die Stadt in der Peripherie des Zarenreichs bereits im 19. Jahrhundert berühmt. Der saftige Apfel wurde gar nach Übersee exportiert. Sein Ruhm setzte sich bis in die Sowjetunion fort, zu welcher Zeit, so heißt es unter den Almatinern, der Saft des Aports so süß geschmeckt habe, dass man ihr gar als Bestechung gegen sture Moskauer Beamte einsetzen konnte. Seine wundersamen Eigenschaften verdankt der Aport dem milden Klima, das in Almaty dank des schützenden Gebirges herrscht, und so den Apfelanbau an den sonnigen Hängen des Tien Schans, zwischen 900 und 12000 m Höhe erlaubt. Perfekt wurde der Riesen-Aport schließlich dank der Züchtung des ukrainischen Obstbauern Jegor Redko, der auf Befehl der russischen Zaren die einheimischen Äpfel mit einer Kultursore aus Russland kreuzte.

 

Der Mythos des verschwundenen Apfels

 

Doch der Wunderapfel ist heute nur mehr ein Mythos. Zwar besitzen einzelne Familien Aport-Apfelbäume in ihren Gärten, ein paar Tonnen zirkulieren im Spätsommer in der Stadt. Doch mit dem Zerfall der Sowjetunion begann auch der Zerfall des Wunderapfels aus Almaty. Das wirtschaftliche Chaos der frühen 90er Jahre bewegte viele nicht-kasachische Arbeiter dazu, auszuwandern, die Obstwirtschaft blieb liegen. Der Hauptgrund für den Rückgang des Aports liegt jedoch im wirtschaftlichen Wiederaufbau Kasachstans. Mit der Modernisierung der Stadt zählte die Größe des Apfels nicht mehr, sondern die Größe der Bauten. Wo früher Apfelgärten südlich der Stadt den Gebirgshang hinaufkletterten, ragen heute Hochhäuser, Banken und Luxusvillen der neuen Mittelschicht hervor. Aus riesigen Apfelbäumen wurde ein riesiges Finanzviertel.

 

Mit der Modernisierung der Stadt zählte die Größe des Apfels nicht mehr, sondern die Größe der Bauten. Wo früher Apfelgärten südlich der Stadt den Gebirgshang hinaufkletterten, ragen heute Hochhäuser, Banken und Luxusvillen

An das Wahrzeichen Almatys erinnern einzig Denkmäler, etwa ein Riesenapfel aus Bronze auf dem Köktöbe, Hügel und Tourismuszentrum der Stadt. Hier und da finden einzelne Wiederbelebungsversuche statt. Kampagnen rufen immer wieder dazu auf, den Vater der Äpfel zu retten. Auch Tachmina und ihr Mann Achmed bewirtschaften etwa 60 Aport-Apfelbäume, vor ihrem Haus in Issyk, nahe Almaty. Die Deutsche Allgemeine Zeitung (DAZ) in Kasachstan berichtete vor einigen Jahren die Geschichte der Familie. Mit ihren sechzig Jahre alten Apfelbäumen beliefern sie Märkte in und um Almaty. Doch die Apfelbäume kränkeln, die Bestände schrumpfen, und das Geschäft leidet. Zwar gibt es Hilfe vom Staat, jedoch zu wenig. Das Geld, das die Stadt Issyk für die Rettung des Aports zur Verfügung stellt, landet laut DAZ nicht bei den Apfelbauern. Es scheint, der einstige Glanz des Aports sei nicht wiederherzustellen. Mittlerweile lebt Kasachstans Apfelverbrauch von Importen aus den Nachbarländern China und Usbekistan.

 

Der lange Weg nach Südtirol

 

Doch wie wurde Südtirol dann, mehr als sechstausend Kilometer vom Geburtsort des Apfels entfernt, zum Apfelland Europas? Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Samen des Wildapfels von Vögeln und Bären bereits aus Kasachstan exportiert wurden, bevor die Menschheit begann, Äpfel zu kultivieren. Der künstliche Anbau wurde aus Syrien von den Römern nach Europa gebracht, um die Frucht schließlich auf der ganzen Welt zu verbreiten. Im Alpenraum wurde der Apfel erstmals im 13. Jahrhundert angepflanzt.

 

Das Pendant zum Aport, also die erste Apfelsorte in Südtirol hieß „Potzner“ (in Anlenung an Bozen), und beschränkte sich zunächst auf private „Bamgarten“ zur Selbstversorgung der Familien. Allmählich begann man, Südtiroler Äpfel mit Pferden und Trägern auch über die Landesgrenzen hinaus an Adelshöfen zu verkaufen. Einen richtigen Boom erlebte der Südtiroler Apfelexport im 20. Jahrhundert, dank Entwicklungen im Transportnetz und der landwirtschaftlichen Maschinerie. So wurde der Apfelanbau zur wichtigen Einnahmequelle für die Südtiroler Landwirtschaft. Heute besitzt die Provinz die größte geschlossene Anbaufläche für Äpfel Europas, und exportiert seine Äpfel in rund fünfzig verschiedene Staaten. Doch anders als in Almaty, wo die Ökologie und der Apfel wirtschaftlichen Interessen weichen mussten, durfte der Apfel bei uns bleiben. Er vermehrte sich sogar so sehr, dass vegetative Vielfalt, Insekten und ökologisches Denken dem Wirtschaftswunder Apfel teilweise weichen mussten.

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Karl Trojer Fr., 28.08.2020 - 10:40

Ein sehr interessanter Bericht ! Lag das Paradies, mit dem Apfelbaum in der Mitte, in Kasachstan ? ... Ich habe den Eindruck, dass der Apfel (gewaschen) so gesund ist, weil er aus dem Paradies stammt.

Fr., 28.08.2020 - 10:40 Permalink