Pelikan, Heli, elicottero, elisoccorso, Alto Adige, Flugrettung
Foto: Heli
Gesellschaft | Kommentar

Highway to Hell(i)

Sind das Weiße Kreuz und die Flugrettung der Ansicht, dass der Hubschrauber wichtiger ist als das Leben der Patienten?
Die Aussagen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen.
Es gibt effektiv klare Vorgaben der Betreiberfirma, laut denen ein Patient einem Covid-Antigen-Schnelltest unterzogen werden muss“, sagt der Direktor des Weißen Kreuzes und der Landesflugrettung "Heli" Ivo Bonamico am Donnerstag in der Tageszeitung. Bonamico im Tageszeitungs-Interview weiter: „Positive Patienten können wir nicht transportieren. Einerseits, um die Besatzung nicht in Gefahr zu bringen. Zweitens, um nicht den Ausfall der Flugrettung zu riskieren“.
Anlass des Interviews ist der unglaubliche Fall, den Salto.bz in Innichen am Mittwoch enthüllt hat. Vergangene Woche hatte der „Pelikan 1“ eine 71-jährige Patientin, die einen Schlaganfall erlitten hat, am Boden zurückgelassen, weil das Ergebnis eines Covid-Schnelltests „nicht sauber“ war. Der Rettungshubschrauber flog leer nach Bozen zurück. Als sich wenige Minuten später herausstellte, dass der Schnelltest eindeutig negativ war, startete der Hubschrauber „Pelikan 2“ und brachte die Frau in das Bozner Krankenhaus. Der Eiertanz kostete die Patientin weit über einer Stunde, wobei gerade bei Schlaganfällen Minuten entscheidend sein können.
Für Ivo Bonamico ist dieser Vorfall anscheinend „Business as usual“. Der Direktor der Südtiroler Flugrettung erzählt in der Tageszeitung, dass es erst vor wenigen Tagen zu einem solchen Vorfall im Passeiertal gekommen sei. „Dieser Patient wurde dann im Krankenwagen ins Spital gebracht“, so der oberste Flugretter Südtirols. Bonamico erklärt auch den Hintergrund dieser Regelung: „Es ist fast unmöglich, einen Hubschrauber mit seinen vielen Ecken und Kanten so sauber zu desinfizieren wie ein bodengebundenes Transportmittel“.
 
 
Ja, Sie haben richtig gelesen. Es sind nicht Staats- oder Landesgesetze, die diese Gangart vorschreiben. Auch kein Beschluss der Landesregierung oder eine Vorgabe des Generaldirektors des Sanitätsbetriebes oder des Leiters der Landesnotrufzentrale. Ärzte reden hier anscheinend nicht mit, sondern es handelt sich um eine Vorgabe der „Betreiberfirma“ der drei Südtiroler Rettungshubschrauber.
Rund 10 Millionen Euro gibt das Land im Jahr für die Flugrettung aus. Es ist aber anscheinend ein Dienstleister des Landes, der jene Regeln aufstellt, die über Leben und Tod der Menschen entscheiden können.
Sollte das wirklich so stimmen, dann muss man sich nicht nur Sorgen um die Südtiroler Sanität machen.
Es ist anscheinend ein Dienstleister des Landes, der jene Regeln aufstellt, die über Leben und Tod der Menschen entscheidend sein können.
Halten wir also fest: Ich fahre mit dem Motorrad auf ein Auto und riskiere die Amputation eines Beines. Nach wenigen Minuten landet der Rettungshubschrauber. Bevor man mich aber wegfliegt, muss der Notarzt einen Covid-19-Schnelltest machen. Fällt dieser nach 15 Minuten positiv oder eben auch nur "nicht sauber" aus, hebt der Hubschrauber leer ab und ich werde per Krankenwagen ins Spital gebracht.
Selbst in lebensgefährlichen Situation scheint die Unberührtheit des Fluggerätes wichtiger zu sein als das Leben der Patienten. Nun ist mir klar, dass der Schutz des Helikopters vor Viren kein Selbstzweck ist, sondern seinerseits dem Schutz der Rettungskräfte und der übrigen Patienten dient; nach Aussagen Ivo Bonamicos müsses man so vorgehen, „um nicht den Ausfall der Flugrettung zu riskieren.“ Aber dennoch: Kann es wirklich eine angemessene Policy sein, das Leben eines akut gefährdeten Patienten zu riskieren, um eine Gefahr für andere abzuwenden, die selbst im Falle einer Ansteckung (und schon die Ansteckung selbst ist bei korrektem Vorgehen unwahrscheinlich) signifikant kleiner ist als beim Patienten, dem man den Transport verweigert?
Hat der Verein „Heli“ nicht drei Rettungshubschrauber ständig im Einsatz? Genau 1 Prozent der Südtirolerinnen und Südtiroler sind derzeit laut amtlichen Zahlen Covid-19-positiv. Die Möglichkeit, dass gleichzeitig alle drei Hubschrauber desinfiziert werden müssen, dürfte damit ungefähr so groß sein, wie jene, dass morgen die Welt untergeht.
Eine Flugminute des Landesrettungshubschraubers kostet ca. 135 Euro. 15 Minuten muss man warten, bis das Ergebnis des Covid-19-Schnelltests gesichert da ist. Allein diese Zeitspanne schlägt damit mit knapp 2.000 Euro zu Buche. Für dieses Geld wird man wohl Profis bekommen, die auch die Ecken des Hubschraubers schrubben.
 
 
Natürlich ist die Sicherheit der Besatz des Hubschraubers ebenso wichtig. Ich bin weder Mediziner noch Virologe oder Hubschrauberexperte. Aber seit Monaten sagt man uns, eine echte Gefahr der Ansteckung bestehe nur dann, wenn man mindestens 15 Minuten einer Viruslast ausgesetzt ist. Wenn ich mich nicht täusche, fliegt der Rettungshubschrauber in 16 Minuten innerhalb Südtirols überall hin.
Außerdem dürfte es durchaus Schutzbehelfe auch für Piloten, Flugarzt und Flughelfer geben. Und vor allem: Ist die Gesundheit der Weißes-Kreuz-Helfer in den Krankenwagen weniger wert als jene der Herren und Damen der Lüfte?
Wird man jetzt bei Lawinenabgängen  die Verunglückten ausgraben und danach 15 Minuten auf das Ergebnis des Schnelltest warten?
Noch interessanter wird das Ganze aber, wenn man sich einen anderen Schauplatz anschaut: Die Bergrettung.
In Zukunft wird der „Aiut Alpin“ im Falle einer Bergsteigerin, die schwerverletzt im Seil hängt, den Notarzt per Seilwinde abseilen. Dieser wird dann in der Wand einen Schnelltest machen. Ist dieser positiv, wird man die Patientin am Fuß der Wand ablegen, wo sie dann ins Tal getragen und per Krankenhaus ins Spital gebracht wird.
Oder bei Lawinenabgängen. Wird man dann die Verunglückten ausgraben und danach 15 Minuten auf das Ergebnis des Schnelltests warten?
Es könnte natürlich auch sein, dass diese Vorgaben für ladinische Hubschrauberbesatzungen nicht gelten. Es ist die einzige Hoffnung, die noch bleibt.
Denn der Hippokratische Eid wird derzeit in Südtirol gerade umgeschrieben.
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rotaderga Do., 22.10.2020 - 13:19

Déjà-vu
Krieg. Großvater eben gefallen, Großmutter mit 5 heranwachsenden Kindern wohnen und wirtschaften mehr schlecht als recht auf einem Bauernhöfl. Halbjährlich müssen Getreide und Vieh "gestellt" werden. Eines der Kinder, Onkel Peter mit 16 Jahren, hat hohes Fieber und Bauchschmerzen. Der herbeigerufene Arzt stellt die Diagnose akute Blinddarmentzündung. Kann nur im Bozner Spital operiert werden, kostet ca eineinhalb Kühe. Sind aber nur 3 im Stall. Was tun? Bozen ist weit, mit Pferdewagen und Zug mehr als 12 Stunden.
Die Halbweisen und der Hof müssen weiterleben. Diese finanzielle Verausgabung ist nicht zu stemmen zumal auch niemand wirklich eine Hoffnung sieht, dass Peter die Strapazen eines zwölfstündigen Transportes überleben würde. Peter verstirbt Zuhause nach ca 18 Stunden an Blinddarmdurchbruch.
Das Leben am Hof geht weiter....

Do., 22.10.2020 - 13:19 Permalink
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rotaderga Do., 22.10.2020 - 15:30

Antwort auf von Martin Sitzmann

Frei nach Churchill, Frieden ist Krieg mit anderen Mitteln.
Wir sind in einem Finanzkrieg. Geld ist das Maß aller Dinge.
Übernimmt bei eine Infektion irgendwer die Folgekosten, kann ich die Besatzung zwingend einem hohen Infektionspotential aussetzen, wer steht für die Angehörigen der Besatzung gerade. Heli und KTW sind eben räumlich/sicherheitstechnisch und wirtschaftlich total verschieden zu händeln.
Die Frage aller Fragen, wen rette ich zuerst, den Hunterjährigen oder den Einjährigen.
(ich hinke schon lange, liegt an der fortgeschrittenen Jugend)

Do., 22.10.2020 - 15:30 Permalink
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Daniel Kofler Mo., 02.11.2020 - 01:49

Antwort auf von rotaderga

Maske auf, und das sollte eigentlich reichen.

Bis jetzt war es so, dass sich Angehörige des Sanitätspersonals (ja, auch die Hubschrauberpiloten) sich im Klaren darüber waren, welchen Risiken sie sich durch ihren Beruf aussetzen. So wie ein Feuerwehrmann, oder ein Polizist. Und jetzt auf einmal gibt es eine Gefahr, der sich das Personal nicht aussetzen darf, um Menschenleben zu retten? Weil es halt Corona ist?

Ich warte nur nur drauf, bis an den Notaufnahmen Schnelltests gemacht werden. Wer positiv ist, und habe er 40 Grad Fieber und huste Blut, muss dann wieder nach Hause. Wo kämen wir denn hin, wenn Ärzte und Krankenschwestern bei der Arbeit einem Infektionsrisiko ausgesetzt sind!

Mo., 02.11.2020 - 01:49 Permalink
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Martin Sitzmann Do., 22.10.2020 - 13:27

Ein unwichtiges Detail, aber doch:
Der ärztliche Eid heißt "Hippokratischer Eid". Kommt vom Griechen Hippokrates und hat nichts mit der griechischen Vorsilbe "hypo" zu tun, was so etwas wie "unter, drunter, weniger" bedeutet.
Hoffe, dass die Fakten besser recherchiert sind und das nur ein Lapsus war.

Do., 22.10.2020 - 13:27 Permalink
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Christoph Moar Do., 22.10.2020 - 20:41

Müssen die Bergrettungsleute, die zum Lawinenunfall geflogen werden, auch alle den Schnelltest machen und wir warten 15min ab mit dem Hinflug?

Grübelnd.

Do., 22.10.2020 - 20:41 Permalink
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Hanspeter Holzer Fr., 23.10.2020 - 08:47

Nachdem die Evidenz der Infektionsgefahr mit COVID-19 eindeutig in Richtung Aerosole und Tröpfchen geht, ist die Frage berechtigt, was diese ganze Desinfiziererei überhaupt bringt. Soviel weiß man allerdings: das Virus ist kein Floh, der einem munter von Oberflächen in die Atemwege und Schleimhäute springt.
Es gab auch schon in der Vergangenheit gefährliche Verkeimungen (z.B. bakterielle), die nachweißlich auch über Oberflächen übertragen werden und welche z.B. den transportierten Patienten sehr gefährlich werden konnten. Diesbezüglich wurde kein derartiger Aufwand betrieben, obwohl hier die gründliche Desinfektion evidenzgesichert mehr gebracht hätte.
Das Protokoll für diese Transporte orientiert sich am Wissensstand von März (wie viele andere Protokolle auch). In der Zwischenzeit hätten diese so aktualisiert werden müssen, dass sie nach aktuellem Wissenstand Sinn ergeben und ein möglichst kleines Risiko für Rettungsteam und Patienten bedeuten.
Passende, nicht behindernde Schutzkleidung vor allem auch für die Piloten hätte angeschafft werden müssen. Ein Putzprotokoll hätte nach der 80:20 Regel aufgebaut werden müssen (80% Ergebnis bei 20% Aufwand vs. 80% Aufwand für 20% mehr). Ein Restrisiko lässt sich - entgegen den zwanghaften Versuchen einiger Juristen und Hygieniker - nie ausschließen. Bespielsweise gibt es nachweißlich wirksame Desinfektionsmethoden (abseits der Kaltvernebelung), welche das Restrisiko bei viel weniger Aufwand enorm senken. Hätte, hätte Fahrradkette... "Wir sind vorbereitet."
Die Frage muss erlaubt sein, wo denn letztlich der große (und enorm teure) Vorteil der Flugrettung und der Zentralisierung liegt, wenn nun Patienten nicht transportiert werden können, da der Speerspitze in diesem Krieg schon wieder keine adequaten Mittel zur Verfügung gestellt werden. Der Zeitvorteil ist schon einmal dahin.
Bei diesem speziellen Einsatz war wohl auch die Menschlichkeit ein Opfer.

Fr., 23.10.2020 - 08:47 Permalink
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Profil für Benutzer Martin Koellensperger
Martin Koellen… Fr., 23.10.2020 - 09:10

Antwort auf von Hanspeter Holzer

Es wäre auch zwingend eine Neubeurteilung der Gefährlichkeit der Erkrankung notwendig. Sterblichkeit, Hospitalisierungsrate und vorallem Rate intensivmedizinischer Behandlung muss mit dem jetzigen Wissen der Dunkelziffer, welche wir nun aufgrund von Antikörperstudien besser kennen, neu brechnet werden.
Ein Schlaganfall, ein Herzinfarkt, ein Schwerverletzter sollten immer Vorrang haben vor einem möglichen positiven Coronatest. Vorallem, da nur der Patient als möglicherweise positiv gilt, das behandelnde Personal aber gar nicht berücksichtigt wird.
Es wird Zeit, dass wir uns vom Gedanken verabschieden, Corona kontrollieren zu wollen und für dieses unerreichbare Ziel andere Patienten opfern.

Fr., 23.10.2020 - 09:10 Permalink
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Profil für Benutzer Daniel Kofler
Daniel Kofler Mo., 02.11.2020 - 01:44

Das erinnert mich an eine Meldung aus diesem Sommer: Bademeister in Italian wurden scheinbar angewiesen, Badegäste nur mehr zu retten, wenn dies möglich ist, ohne sich einer Ansteckungsgefahr auszusetzen. Ich hoffe bis heute, dass dieser Artikel nur ein Scherz war. Aber in der aktuellen Situation braucht man sich über gar nichts mehr zu wundern. Pandemie, und alle schalten das Hirn aus, obwohl jetzt Köpfchen gefragt wäre.

Ich hoffe, der Frau mit dem Schlaganfall geht es gut, auch wenn es wahrscheinlich anders ist. Denn die Folgen eines Schlaganfalles verschlimmern sich mit jeder Minute, in der nicht geholfen wird.
Warum schickt man dann eigentlich nicht gleich einen Krankenwagen, wenn man weiß, dass der Hubschrauber die Patienten möglicherweise nicht mitnehmen kann? Man fliegt hin, wartet auf den Test, fliegt wieder weg und lässt dann erst den Krankenwagen kommen? GEHT'S NOCH?

Mo., 02.11.2020 - 01:44 Permalink