Chronik | Sanität

Südtiroler Idiotentest

Südtirols Hausärzte haben in den vergangenen zwei Wochen fast 1.300 Corona-Positive an die Sanitätseinheit gemeldet. Die Meldungen landeten im Papierkorb. Ein Skandal.
Arzt, Symbol
Foto: upi
Am Ende gibt es keine Schuldigen. Außer natürlich den Computer.
Alles wurde bereits aufgearbeitet“, wiegelt Florian Zerzer gegenüber den Dolomiten ab. Der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebs und das Tagblatt der Südtiroler sprechen von einer Peinlichkeit, die man so zu den Akten legen will.
In Wirklichkeit ist es aber ein handfester Skandal, der deutlich macht, wie stümperhaft und fahrlässig an der Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes in der Coronakrise vorgegangen wird.
Ich bitte Sie, diesen Vorfall publik zu machen, in der Hoffnung, dass endlich personelle Konsequenzen gezogen werden“, sagt ein betroffener Südtiroler Hausarzt. Der renommierte Mediziner steht dabei nicht alleine da. „Der Sanitätsbetrieb, der Hygienedienst und die Informatikabteilung werden sicher versuchen, diesen Skandal im Stillen zu bereinigen, d.h. zu vertuschen“, schimpft ein weiterer Kollege, „aber es darf diesmal einfach nicht sein, dass die Verantwortlichen damit ungestraft davonkommen.“
Es darf diesmal einfach nicht sein, dass die Verantwortlichen damit ungestraft davonkommen.
Ein Südtiroler Hausarzt
Verständlich wird der Zorn der Hausärzte, wenn man den Anlass kennt.
 

Die Schnelltests

 
Seit Monaten redet man davon, dass Südtirols Hausärzte Antigen-Schnelltests durchführen sollen, um so nicht nur das Infektionsgeschehen besser einzudämmen, sondern auch das längst schon überforderte Amt für Hygiene zu entlasten.
Mitte Oktober sollte es dann losgehen. Am 16. Oktober 2020 übermittelte der Sanitätsbetrieb eine eigens dafür entwickelte App, mit der die Hausärzte die Ergebnisse der Schnelltests direkt dem Amt für Hygiene übermitteln können. Genau das ist wichtig. Denn bei einem positiven Schnelltest muss die Sanitätseinheit die Patienten einem PCR-Test mit Hals-Nasen-Abstrich unterziehen.
 
 
Das Computerprogramm sieht nicht schlecht aus. Die Sanitätseinheit schickte zudem eine mehrseitige Kurzanleitung an die Ärzte. Der Sinn der App: Das Amt für Hygiene sollte die Daten der positiven Schnelltest in Echtzeit erhalten und so die Betroffenen direkt zu einem PCR-Test vorladen können. So jedenfalls war es geplant.
Die Südtiroler Hausärzte machten ihren Job. Bis um 22 Uhr am vergangenen Samstag wurden über die WebApp südtirolweit die Daten von genau 1261 positiven Schnelltests an die Sanitätseinheit übermittelt.
Doch zum geplanten PCR-Test wurde fast niemand aufgefordert. Denn die Meldungen der Hausärzte landeten – wie sich jetzt herausstellte -  zwei Wochen lang im Nichts.
 

Das Versagen

 
Die absurde Situation wurde durch einen Zufall bekannt. Weil mehrere Patienten bei ihren Hausärzten protestierten, auch nach zehn Tagen noch zu keinem PCR-Test vorgeladen worden zu sein, fragten die Ärzte beim Amt für Hygiene und bei den Verantwortlichen im Sanitätsbetrieb nach. Erst damit dämmerte es den Genies der Datenverarbeitung in der Südtiroler Sanität.
Die App ist so aufgebaut, dass die Meldung „positiv“ nicht genügt. Die zuständigen Mitarbeiter im Amt für Hygiene haben keinen Zugriff auf diese App. Deshalb muss der Hausarzt einen zweiten Schritt machen: Er muss einen dringenden Hals-Nasen-Abstrich für den Patienten anfordern. Nur diese Anforderung geht dann an das Amt für Hygiene.
Das Problem: Niemand hat den Hausärzten dieses Procedere mitgeteilt. Auch in den Mitte Oktober verschickten Kurzanleitungen steht davon nichts. 
 
 
Als man an der Spitze des Sanitätsbetriebes das Schlamassel bemerkt, versucht man, dieses unglaubliche Versagen still und leise zu regeln. So informierte Michele Balsamo vom Departement für Prävention am vergangenen Freitag nach der offiziellen Sitzung der Covid-19-Taskforce die Vertreter der Hausärzte, dass der Hygienedienst die positiven Schnelltest-Meldungen der Hausärzte nicht einsieht, weil sie keinen dringenden Hinweis enthalten.
Wir sind aus allen Wolken gefallen“, beschreiben mehrere Hausärzte Salto.bz gegenüber ihre Reaktion.
Fast gleichzeitig verschickte der Sanitätsbetrieb eine neue „Kurzanleitung“ an die Südtiroler Hausärzte. Dort steht auf Seite 5 - fast am Ende des Textes - recht umständlich, dass man im Falle eines positiven Schnelltests einen „dringenden tampone“ anfordern muss.
Wenn uns unsere Vertreterin am Samstag nicht informiert hätte“, sagt der Hausarzt, „hätten wir von diesen Fehlern bei der Meldung positiv Getesteter nicht einmal erfahren“.
Tatsache ist: Rund 1.300 positiv getestete Südtirolerinnen und Südtiroler haben zwei Wochen lang vergeblich auf einen PCR-Test gewartet. Mit allen Folgen.
Und im Sanitätsbetrieb tut man einfach so, als sei nichts passiert.
 
 
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Matti Messer Mo., 02.11.2020 - 10:21

Das ist doch super!
Dann werden sie zwei Wochen später getestet, sind mittlerweile alle negativ, und alles ist gut!

Mo., 02.11.2020 - 10:21 Permalink
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Enrico Rizzi Mo., 02.11.2020 - 10:38

Das ist gruselig und dramatisch.
Mir war schon klar, als Lehrkraft, dass die Lage irgendwie nicht unter Kontrolle seit mindestens Mitte Oktober war.
Nun die Begründung.
Köpfe werden fallen.
Cadranno teste, wünsch ich mir.

Wir sollen jetzt auch nicht nur das Spielchen des "scaricabarile" beginnen, wie derzeit Thomas Widmann in den Dolomiten sagt, sondern jetzt sich selbst die Frage stellen: "Verzichte ich aufs Verzichtbar?"

Mo., 02.11.2020 - 10:38 Permalink
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Daniel Kofler Mo., 02.11.2020 - 13:08

Antwort auf von Enrico Rizzi

Glaube ich nicht. Diese Herrschaften beziehen ein ansehnliches Gehalt, als Ausgleich für die hohe Verantwortung, die sie tragen.

Aber dann müssten sie halt auch zur Verantwortung gezogen werden. Solange das nicht passiert, wird sich auch nichts ändern. Es geht nicht an, dass jemand gut bezahlt wird und sich dann niemand für die Arbeit interessiert.

Da hohe Posten aber mit der Politik verknüpft sind, und sich so ja vielleicht auch ein Mitglied der Landesregierung der Verantwortung stellen müsste (wofür er fürstlich bezahlt wird), wird da wenig passieren. Wahrscheinlich wird es auf den Praktikanten in der Informatikabteilung abgeschoben.

Mo., 02.11.2020 - 13:08 Permalink
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Michael Kerschbaumer Mo., 02.11.2020 - 10:38

Schaut so aus dass das jetzt der Zeitpunkt für den Rücktritt von Dr. Zerzer gekommen ist. Widmann und Kompatscher wissen ja wie immer nichts davon also muss es jetzt ein kleines Allerheiligen Opfer geben.

Mo., 02.11.2020 - 10:38 Permalink
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Elisabeth Hammer Mo., 02.11.2020 - 12:56

Abgesehen von dieser Panne ist es auch sonst kaum möglich, zu einem Covid-Test zu kommen - selbst wenn man von der Sanitätseinheit in Quarantäne gesetzt wurde. Irgendein Problem scheint auch in der Telefon-Zentrale zu liegen. Laut Auskunft wäre ich insgesamt drei Mal angerufen worden, auf meinem Handy scheint kein einziger Anruf auf. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als schlussendlich ein Bozner Carabinieri-Maresciallo bei mir angerufen hat (er ist sofort bei der von der Sanität angegebenen Nummer durchgekommen ...). Er sei von der Sanitätseinheit gebeten worden, mich ausfindig zu machen, weil sie nicht im Stande wären, mit mir Kontakt aufzunehmen. Dass ich Landesangestellte bin und per beruflichem Lasis-Mail längst sämtliche Quarantäne-Mitteilungen bekommen habe, sei dazu ergänzt erwähnt.

Mo., 02.11.2020 - 12:56 Permalink
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Markus S. Mo., 02.11.2020 - 14:25

Wie stümperhaft der Südtiroler Sanitätsbetrieb agiert, sieht man schon an den Deutschkenntnissen: da wird das italienische "dipartimento" statt mit "Abteilung" oder "Ressort" (wie bei allen anderen Landesabteilungen) mit dem ähnlich klingenden "Department" (das eigentlich für eine französiche Verwaltungseinheit steht) übersetzt. Einfach nur peinlich!

Mo., 02.11.2020 - 14:25 Permalink
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Klemens Riegler Di., 03.11.2020 - 17:52

Na ja, da wird wieder Mal fett aufgetragen. Im Detail betrachtet brauchen sich die Hausärzte eigentlich nicht lange aufregen und schon gar nicht Konsequenzen oder Köpfe fordern. Sie haben es schlicht verabsäumt die "Betriebsanleitung" durchzulesen. Ja, ich gebe zu, ich mach das auch immer erst wenn etwas nicht funktioniert. Dann ärgere mich zwar, fordere dann aber keine Konsequenzen vom Hersteller.
p.s.; Schlecht gelaufen JA, aber schon wieder ein Köpfe-Rollen fordern? Und ganz nebenbei betrachtet bringen die igm-Tests recht zuverlässige Ergebnisse, die meisten durch den PCR bestätigt werden. Also sowieso: Quarantäne!

Di., 03.11.2020 - 17:52 Permalink