Schnelltest
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Gesellschaft | Südtirol testet

Jede Minute ein Abstrich

Ein paar Gedanken zur geplanten landesweiten Testreihe zur Eindämmung des Coronavirus. Dabei geht es nicht um Wissenschaft, sondern um Arithmetik.
Eines möchte ich gleich zu Beginn klarstellen. Mit diesen Zeilen soll keinesfalls die Sinnhaftigkeit der für dieses Wochenende geplanten Aktion „Südtirol testet“ in Frage gestellt werden. Ich bin weder Virologe noch Politiker, deshalb maße ich mir hier kein Urteil an.
Sehr wohl erlaube ich mir aber als einfacher Bürger, der in der Schule 13 Jahre lang das Fach Mathematik genossen hat, einige Fragen und Gedanken zur geplanten Umsetzung des flächendeckenden Covid-19-Tests zu stellen.
                

Der Südtirol-Test

 
Auf der offiziellen Homepage des Südtiroler Zivilschutzes wird die Testreihe vorgestellt. Das Ziel, das die verantwortlichen Politiker und die Spitze des Südtiroler Sanitätsbetriebes seit Tagen durchaus optimistisch öffentlich vorgeben, ist rund 350.000 Südtiroler und Südtirolerinnen zu testen.
Die zentralen Angaben des Südtiroler Zivilschutzes lauten:
 
  • Es werden landesweit an die 200 Stationen eingerichtet, an denen die Schnelltests durchgeführt werden;
  • Rund 800 Personen aus dem Gesundheitsbereich führen die Tests durch. Unterstützt werden sie von Personal der Landesverwaltung und der Gemeinden, von den Freiwilligen Feuerwehren, vom Weißen und Roten Kreuz und anderen Freiwilligen;
  • Die Initiative „Südtirol testet“ findet vom 20. bis zum 22. November 2020 jeweils von 8 bis 18 Uhr statt. In kleineren Gemeinden wird nur an einem oder zwei Tagen getestet.
 
Das ist bisher die Vorgabe.
 

Die Rechnung

 
Schafft man diese Vorgabe und gehen wirklich 350.000 Bürgerinnen und Bürger zum freiwilligen Test, dann wären das pro Teststation durchschnittlich 1.750 Schnelltests, die gemacht werden müssen. Laut Zivilschutz sind die Teststationen von Freitag bis Sonntag jeweils von 8 bis 18 Uhr geöffnet. Das sind insgesamt 30 Stunden.
Rechnet man die durchschnittlich 1.750 Tests auf die 30 Stunden herunter, dann muss jede Einheit in der Stunde 58,3 Personen testen. Das heißt von Freitag 8 Uhr früh bis Sonntag 18 Uhr muss in jeder Teststation in Südtirol jede Minute mindestens ein Abstich gemacht werden. Nur so schafft man es. Und dies gilt bei drei Testtagen; sind es nur einer oder zwei (siehe oben), verkürzen sich die Zeiten entsprechend.
 
 
Ist das möglich? Wohl kaum.
Laut offiziellen Angaben sollen 800 Fachleute eingesetzt werden, die die Nasenabstriche machen. Das wären durchschnittlich 4 pro Einheit. Damit würde sich die Zeit, die für einen Abstrich bleibt, auf rund 4 Minuten belaufen.
Aber die Testpersonen müssen sich ja auch ausweisen, sie müssen identifiziert werden und ihre Email und Telefonnummer angeben. Ist das in 4 oder 5 Minuten wirklich zu schaffen?
Dazu kommt, dass die Tester, aber auch das Verwaltungspersonal wohl kaum 10 Stunden in diesem Rhythmus durcharbeiten können. Sie brauchen Pausen. Damit aber werden aus den 4 Minuten schnell 3 oder 2,5 Minuten.
Ebenso muss man einberechnen, dass es auch Zeiträume geben wird, in denen niemand ansteht, während es an anderen Tageszeiten zu einem Gedränge und zum Warten kommt. Auch wenn man Termine vergibt, werden nicht alle pünktlich sein.
„Der Test dauert nur ein paar Minuten“, heißt es auf der Homepage des Zivilschutzes.
Die entscheidende Frage ist aber: wie viele Minuten?
Dauert der gesamte Vorgang auch nur 7 Minuten, wird man nur knapp die Hälfte jener Tests schaffen, die man sich zum Ziel gesetzt hat. Und auch dafür wird man so arbeiten müssen, wie die Mechaniker von Red Bull beim Boxenstopp.
Dauert der gesamte Vorgang auch nur 7 Minuten, wird man nur knapp die Hälfte jener Tests schaffen, die man sich zum Ziel gesetzt hat. Und auch dafür wird man so arbeiten müssen, wie die Mechaniker von Red Bull beim Boxenstopp.
Dabei gibt aber auch internationale Vergleichszahlen.
In der Slowakei hat man per Schnelltest die gesamte Bevölkerung in zwei Tagen durchgetestet. Die Slowakei hat 5,5 Mio. Einwohner. Dort hatte man aber 5.000 Teststationen (1.100 Einwohner pro Teststation) und über 40.000 Mitarbeiter, die mitgewirkt haben haben, das heißt mindestens 8 pro Teststation. Dort hat effektiv jede Einheit rund 50 Tests in der Stunde geschafft.
Es ist sehr fraglich, ob das auch in Südtirol gelingen wird.
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Harry Dierstein Mo., 16.11.2020 - 19:33

In seinem hervorragenden Artikel "Test, Test... Pest" hat Karl Hinterwaldner es letzten Donnerstag im "ff-Wochenmagazin" bereits auf den Punkt gebracht:
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=> "Testen, testen, testen – diese Strategie des Landes ist nicht aufgegangen. Am Dienstag dieser Woche kündigte die Landesregierung eine neue Strategie an: harte Ausgangsbeschränkungen für zwei Wochen – und dann ein Massentest für zwei Drittel der Südtiroler.

Damit hofft sie, das Infektionsgeschehen wieder in den Griff zu bekommen. Doch was einfach klingt, ist eine echte Mammutaufgabe: Bisher hat man 2.000 bis 3.500 Tests pro Tag gemacht und ausgewertet; dabei ist man nicht durch Schnelligkeit aufgefallen.

Nun sollen 350.000 Tests innerhalb von drei Tagen gemacht und ausgewertet werden. Das ist vergleichbar mit einer Schildkröte, die die 100 Meter plötzlich in 10 Sekunden laufen soll."
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Selbst wenn nun die Schildkröte die 100 Meter in 30 Sekunden laufen würde, wäre dies ja ein schon ein völliges Wunder. Insofern schaue ich mir das alles recht amüsiert aus einer sicheren, gelben Region (ganz ohne "eigenen Weg") von außen an und bin mal gespannt, was am Wochenende in Vaccaland so los sein wird.

Wo ist eigentlich das Popcorn?

Mo., 16.11.2020 - 19:33 Permalink
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Benetti Bruno Mo., 16.11.2020 - 19:35

Bitte nicht die Wunsch/Sollvorgabe von 350.000 mit den 5,5 M Einwohner der Slowakei vergleichen. Südtirol hat knapp 1/10 der Einwohner der Slowakei, bräuchte also wohl auch ca. 500 Teststationen und ca. 4.000 Mitarbeiter.

Mo., 16.11.2020 - 19:35 Permalink
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Michael Kerschbaumer Mo., 16.11.2020 - 19:41

Danke für das einmal eins. Hoffen wir doch inständig dass endlich andere Köpfe diese sensiblen Kalkulationen durchführen mögen. In einer Eurac wird man sicher jemanden finden der sich dafür Zeit nehmen wird.
Könnte die kritische Presse bitte noch weiteres in Erfahrung bringen:
- bekommt jeder Teilnehmer eine Testbestätigung/ Pass und darf dann Freiheit leben - wie lange ist die Halbwertzeit?
- ist bereits eine Datenbank aufgebaut in der 350.000 Personen erfasst bzw bestätigt werden können (Archiv?)
- wie geht man mit bereits x fach getesteten vor - Menschen in Quarantäne? Doppelzählungen
- wie hoch ist und kann der Prozentsatz von den angewandten Test des falsch positiven Resultate sein?!
- die Kalkulation oben beschreibt das angepeilte Ziel der Schnelltestung von 350.000 Einwohnern. Nehmen wir an 20% positiv (falsch pos inkludiert), 70.000 positive in 3 Tagen - müssen die dann nicht etwa einem vernünftigen Test unterzogen werden ... was ja bedeuten würde das Schlamassel geht weiter... Menschen warten tagelange auf Resultate und und und... würde Wochen dauern...
Schlussfolgerung: es ist richtig und wichtig das Festangebot anzunehmen. Die Konsequenz und die Strategie im Anschluss vermisst man. Das zieht sich leider jetzt schon Monate. Am Montag nach Testende wird sich die Bevölkerung nicht wundern wenn Isolation/ Quarantäne/ schulenschliessungen folgen...

Mo., 16.11.2020 - 19:41 Permalink
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Georg Holzer Mo., 16.11.2020 - 19:51

und bitte noch einen Hirnabstrich für die, die sich das ausgedacht haben.... Test positiv und dann für die laufende Legislaturperiode in Quarantene schicken und einen Mundschutz mit Lärmdämmung zwingend....

Mo., 16.11.2020 - 19:51 Permalink
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Profil für Benutzer gorgias
gorgias Mo., 16.11.2020 - 21:14

>Dazu kommt, dass die Tester, aber auch das Verwaltungspersonal wohl kaum 10 Stunden in diesem Rhythmus durcharbeiten können.<
Ist auch nicht der Fall. Nach 5 Stunden wird das Personal ausgetauscht.

Mo., 16.11.2020 - 21:14 Permalink
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Paul Schöpfer Mo., 16.11.2020 - 21:38

Rein der Abstrich braucht realistisch gerechnet zehn Sekunden. Tampon auspacken, Abstrich machen, Tampon in die Reagenz stecken, auspressen und Reagenz auf die Testprevette tröpfeln ist in einer Minute zu machen. Bei guter Organisation kann man hier mit zwei Minuten Schnitt gut planen.

Wie gesagt bei guter Organisation... Die größere Herausforderung ist die Schreibarbeit und die Datenverarbeitung. Weisses Kreuz, Rotes Kreuz und Feuerwehren werden sicher ihr Bestes geben. Hoffentlich schafft es unser Sanitätsbetrieb diese in die Lage zu versetzen, das zu bewältigen.

Mo., 16.11.2020 - 21:38 Permalink
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Oliver Remus Di., 17.11.2020 - 10:53

Antwort auf von Paul Schöpfer

Genau Herr Schöpfer. Denken wir weiter: es werden Unterschriften zu leisten sein. Jeder Teilnehmer bekommt einen Stift? 350.000 Stifte? (Ein Kommentar bezüglich eventuell zur Verfügung stehender Bezugsquellen schenke ich mir an dieser Stelle, da der Polemik zuzuordnen) Aber im Ernst, noch etwas weiter gedacht: Mitarbeiter des ohnehin knapp besetzten Sanitätsbetriebes werden einem zusätzlichen Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Wie gut Schutzausrüstung wirkt, sehen wir an den Durchseuchungsraten beim Sanitätspersonal. Ist das zu verantworten? Der Kapitän eines in Seenot geratenen Schiffes verschwendet nicht seine Leuchtraketen für ein Feuerwerk...

Di., 17.11.2020 - 10:53 Permalink
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Christoph Wallnöfer Mo., 16.11.2020 - 23:52

Ein Blick auf den Beipackzettel des Covid-19 Antigen-Tests zeigt sofort dass dieser für den hier gedachten Zweck ungeeignet zu sein scheint. Hier einige Zitate daraus - man beachte die unverbindlichen Formulierungen:
"Dieses Set kann für die Zusatzdiagnostik einer Infektion mit dem Coronavirus nützlich sein." - ja, da steht wirklich "kann" und "Zusatzdiagnostik"
"Die Testergebnisse dienen lediglich der klinischen Referenz und dürfen nicht als alleinige Grundlage für die Bestätigung oder den Ausschluss eines Coronafalls verwendet werden" - ja, da steht wirklich "lediglich" und "dürfen nicht"
"Dieser Test ist für die Anwendung ... bei Patienten mit klinischen Symptomen einer Infektion mit SARS-CoV-2 bestimmt. Er liefert lediglich ein erstes Screening-Testergebnis." - ja da steht wirklich "mit klinischen Symptomen" und "lediglich"
"Das Ergebnis dieses Tests sollte nicht die einzige Grundlage für die Diagnosestellung sein ...", ja da steht wirklich "sollte nicht"
"Das Testergebnis muss von einem Arzt stets in Verbindung mit anderen verfügbaren Daten bewertet werden." - ja da steht wirklich "Arzt" und "muss"
Steht alles hier geschrieben - schwarz auf weiß.
Wie würde nun der Hausverstand die Aktion "Südtirol testet" beurteilen"

Mo., 16.11.2020 - 23:52 Permalink
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Profil für Benutzer M E
M E Di., 17.11.2020 - 06:03

Herr Franceschini, wie wäre es mit einem konstruktiven Beitrag in dieser Krise? Beispielsweise mit einem möglichst verständlichen Artikel über:
- Abstand halten
- Maske tragen
- Hygieneregeln beachten
- Soziale Kontakte einschränken
Mein Sinn für Zahlen sagt mir, dass wir SüdtirolerInnen diese einfachen Regeln noch nicht verstanden haben.

Di., 17.11.2020 - 06:03 Permalink
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Salto User
Günther Schwei… Di., 17.11.2020 - 07:50

Diese Berechnungen werden die Organisatoren wohl auch gemacht haben und man hat ja auch Erfahrung aus Sexten und Welsberg-Taisten. Die nächsten Tage werden es zeigen. Spannender bleibt wohl die Frage, ob der Sanitätsdirektor mit seiner Prognose der 10% positiven Tests recht behält. Die Anzahl der positiv Getesteten würde sich dann nämlich auf einen Schlag vervielfachen, auch wenn sie in der Statistik wohl nicht aufscheinen werden.

Di., 17.11.2020 - 07:50 Permalink
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Profil für Benutzer Oliver Remus
Oliver Remus Di., 17.11.2020 - 09:53

Nicht zu vergessen, dass die Tests in Kulturhäusern und Turnhallen etc. stattfinden. Da wäre bei zahlreicher Teilnahme Gedränge beim Rein-,Rausgehen und Warten vorprogrammiert. Mit entsprechender Viruslast.So werden letztendlich Menschenzusammenkünfte provoziert als vermieden. Wie klug das ist, werden dann die Zahlen in 2 Wochen zeigen. Vielleicht wäre es besser, die Menschen in die Natur an die frische Luft zu schicken und zum Wandern/Spaziergehen zu annimieren?

Di., 17.11.2020 - 09:53 Permalink
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Profil für Benutzer Louis de Funès
Louis de Funès So., 22.11.2020 - 09:09

Und nun Herr Franceschini, wie schaut Ihre Rechnung jetzt aus?
Ist doch nicht so schlecht gelaufen das Ganze.
Bitte nicht immer so negativ sein, das tut uns allen nicht gut.

So., 22.11.2020 - 09:09 Permalink