Politik | Oberschule

„Hier läuft etwas falsch“

Bildungslandesrat Philipp Achammer über seinen Ärger, die Notwendigkeit des Präsenzunterrichts, warum er dafür kämpft und den Stichtag 7. Jänner 2021.
Philipp Achammer
Foto: USP
Salto.bz: Am Samstag wissen weder Direktoren und Lehrerinnen, noch die Eltern oder die Schüler und Schülerinnen, ob am Montag der Präsenzunterricht in der Oberschule wieder losgeht. Herr Achammer, ist das nicht eine Zumutung?
 
Philipp Achammer: Ich kann den Ärger verstehen, wenn jetzt jemand sagt: Da hat man viel Lärm um Nichts gemacht. Das kann ich durchaus nachvollziehen. Aber ich kann nur nochmals wiederholen: Wir haben bis zum Schluss alles versucht, damit man in der Oberschule noch vor Weihnachten den Präsenzunterricht wiederaufnehmen kann. Der Plan war es, am Freitag grünes Licht zu geben. Dann habe ich noch am Samstag mit dem Gesundheitsminister verhandeln müssen. Wir haben buchstäblich bis zum letzten Moment versucht, eine Variante zu finden, damit man zumindest die Oberschulen noch vor Weihnachten öffnen kann. Sonntagfrüh war dann klar, dass wir entscheiden müssen.
 
Für viele Schüler und Schülerinnen hätte das geheißen, dass sie vor Weihnachten genau drei Tage in die Schule gehen dürfen. Das ist doch ein Nonsens?
 
Nein. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts für die Schüler notwendig ist. Auch dann, wenn es sich nur im einige Tage vor Weihnachten handelt.
Ich kann den Ärger verstehen, wenn jetzt jemand sagt: Da hat man viel Lärm um Nichts gemacht
Warum ist der Präsenzunterricht für Sie als Bildungslandesrat so wichtig?
 
Ich glaube, derzeit herrscht eine etwas schöngemalte Vorstellung des Onlineunterrichts. Man geht davon aus, dass der Fernunterricht für die Oberschüler kein Problem sei. Die Schüler schalten zuhause den Computer ein und das ist es. Das mag für den allergrößten Teil der Schülerinnen und Schüler durchaus zutreffen. In der Oberschule funktioniert der Fernunterricht gut, auch weil sich die Lehrer enorm bemühen. Aus den Rückmeldungen geht aber auch hervor, dass sich die Lehrer darum bemühen, jungen Menschen überhaupt zu erreichen. Denn Bildung muss für die Besten aber auch für die Schwächsten der Schwächsten da sein….
 
Sie sagen: Dieser Teil der Schüler fällt dabei durch den Rost?
 
Es ist Tatsache, dass man einen Teil der Schüler durch den Fernunterricht erst gar nicht oder nur sehr schwer erreichen­ kann. Das ist bildungspolitisch aber ein sehr großes Problem. Dazu möchte ich Agostino Miozzo zitieren, den Leiter des „Comitato tecnico scientifico“ (Cts) der italienischen Regierung. Er hat gemeint: Man muss die Schulen allein schon zum Schutz der Psyche der jungen Menschen öffnen. Der italienische Oberschüler ist im mitteleuropäischen Vergleich jener Schüler, der am wenigsten Schulzeit im Jahr 2020 hatte. Diese Situation hinterlässt Spuren in der Psyche der junge Leute. Deshalb wären mir der organisatorische Aufwand für die Öffnung noch vor Weihnachten auch nur für drei, vier Tage Wert gewesen.
Es ist Tatsache, dass man einen Teil der Schüler durch den Fernunterricht erst gar nicht oder nur sehr schwer erreichen­ kann. Das ist bildungspolitisch aber ein sehr großes Problem.
Sie sprechen vom organisatorischen Aufwand: Eine Vorlaufzeit von einer Woche zur Umstellung wäre wohl das Mindeste?
 
Die Schulen sind gut vorbereitet. Natürlich war mir klar: Wenn wir am Samstag die Zusagen bekommen, dann können wir nicht am Montag starten. Man hätte dann wahrscheinlich am Dienstag die Oberschulen wieder aufgemacht. Denn die Schulen sind so vorbereitet, dass sie zwischen diesen drei Varianten Rot, Gelb und Grün Switchen können.
 
Was aber ist mit den Schulbussen?
 
Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider hat mir noch Ende der vergangenen Woche gesagt, dass es sehr schwierig ist. Er wird aber alles versuchen, es hinzubekommen, weil es auch ihm als ladinischen Bildungslandesrat ein Anliegen ist. Es wäre möglich gewesen. Dazu kommt, dass man in Italien das Planen über Nacht inzwischen gewohnt ist. Wir hätten uns deshalb im Interesse der jungen Leute irgendwie arrangiert. Aber leider ist es nicht dazu gekommen.
 
 
 
Wenn man feiern und feten gehen kann, aber nicht zur Schule, dann stimmt hier etwas nicht.
 
In meiner Generation war der beste Unterricht, jener der ausgefallen ist. Für meine erwachsenen Kinder war es ebenso. Mein jüngster Sohn, der eine Oberschule besucht, ist überglücklich, dass er nicht mehr um 7 Uhr früh in einen Schulbus steigen muss. Sind Sie sicher, dass die jungen Leute, die Schule so vermissen, wie Sie es beschreiben?
 
Ich habe zu Schulbeginn im Herbst so viele positive Rückmeldungen bekommen wie noch nie. Die Schüler haben durch die Bank gemeint, sie freuen sich auf die Schule und sie wünschen sich endlich ihre Mitschüler wieder zu sehen. Nicht digital, sondern analog. Im Bildungsbereich sagt man es gibt drei Pädagogen. Einer davon sind die Mitschülerinnen und Mitschüler. Von diesen lernt man sehr viel.  Bildung ist auch Beziehung und die beste Videokonferenz der Welt kann diese Beziehung nicht wiedergeben. Deshalb braucht es den Präsenzunterricht.

Sie ärgern sich auch darüber, dass die Menschen auf den Hütten und in den Lokalen feiern dürfen, aber die Oberschulen geschlossen bleiben müssen?
 
Ich ärgere mich wahnsinnig. Nach den unsäglichen Versuchen der Öffnung dieses Wochenende war ich einerseits enttäuscht, andererseits aber auch unheimlich verärgert. Denn die Botschaft ist absurd: Die jungen Leute dürfen miteinander feiern und etwas trinken gehen, aber in der Schule mit Maske und Sicherheitsabstand nebeneinander sitzen dürfen sie nicht. Dabei werden in der Schule, so wie sonst kaum in anderen Bereichen, die Sicherheitsmaßnahmen akribisch eingehalten.
 
Hier hat die Politik entschieden?
 
Sicher. Aber hier läuft in der Prioritätensetzung etwas falsch. Wie es die Bilder gezeigt haben, sind die Einkaufsstraßen nicht nur in Mailand und Rom brechend voll, aber die Schüler dürfen nicht in die Schule gehen. Dabei wäre sowieso nur die Hälfte gleichzeitig im Unterricht. Zudem wollten wir den Unterricht auch noch mit Antigentests verbinden. Wir wollten ein Monitoring machen mit wöchentlichen Tests. Dafür sind wir von der Expertenseite auch noch gelobt worden. Hier läuft etwas falsch. Auch hier kann ich nur Miozzo zustimmen: Es gibt in einer Pandemie keinen sicheren Ort, aber wenn einer sicher ist, dann ist es die Schule. Wenn man feiern und feten gehen kann, aber nicht zur Schule, dann stimmt etwas nicht.
 
 
 
Das ganze Programm wurde jetzt auf den 7. Jänner 2021 verschoben?
 
Natürlich wollen wir am 7. Jänner öffnen. Es ist auch verständlich, dass die Oberschulen sagen, wir wollen endlich Planungssicherheit. Wenn ich aber in den vergangenen Tagen die sehr restriktive Argumentation von Gesundheitsminister Roberto Speranza gehört habe, dann bin ich mir keineswegs sicher, dass auf Staatsebene der 7. Jänner wirklich der Termin für die Öffnung ist. Man redet jetzt schon von einer dritten Welle nach den Feiertagen. Und wenn es so weitergeht, könnte es durchaus passieren, dass es wieder die Schule ist, die dann die Zeche zahlen muss.
 
Was ist mit dem sogenannten „Südtiroler Weg“?
 
Natürlich gibt es diesen Südtiroler Weg. Und einige sagen, ihr könntet ihn ja auch bei den Oberschulen gehen. Aber so einfach ist das nicht. Gerade in der Schule „staatlicher Art“ sind wir kompetenzmäßig etwas schwächer aufgestellt. Außerdem verstehe ich auch den Landeshauptmann, der nicht andauern Verordnungen unterschreiben kann, die von der Regierung angefochten werden. Gerade deshalb hat man versucht, sich vorab mit Rom zu einigen. Was am Ende aber leider nicht möglich war.
So einfach ist das nicht. Gerade in der Schule „staatlicher Art“ sind wir kompetenzmäßig etwas schwächer aufgestellt.
Wagen Sie eine Prognose, werden die Südtiroler Oberschüler am 11. Jänner in ihrer Klasse sitzen?

Das hängt von den Zahlen ab, die wir im Jänner haben werden. Demnach hängt es von uns ab, wie weit man einen Südtiroler Weg gehen kann. Denn kein Mensch, kann bei katastrophalen Zahlen, den mutigsten Weg gehen. Aber ich hoffe, dass immer noch das gilt, was bisher allgemeiner Konsens war: Die Schule müsste jene Institution sein, die als Letztes schließt und als Erstes öffnet. Genau das aber scheint nicht der Fall.
 
Wann wird man Klarheit haben, wie es weitergeht?
 
Wir werden in der Landesregierung auf jeden Fall darauf bestehen, dass es am 7. Jänner mit dem Präsenzunterricht losgehen soll. Wir werden dieses Datum frühzeitig festlegen. Die große Frage aber ist, was bis zu diesem Tag passiert.