Gesellschaft | Schilda

Der Vanitätsbetrieb

Der Sanitätsbetrieb verschickt 4.000 amtliche Quarantäne-Aufforderungen mit bis zu 9 Monaten Verspätung. Die Aktion ist mehr als nur eine Peinlichkeit. Die Hintergründe.
Brief
Foto: salto, bz
Florian Zerzer will anfänglich nicht mehr darüber reden. „Ich habe bereits den Dolomiten und dem Alto Adige Auskunft gegeben und ich möchte das nicht nochmal wiederholen“, erklärt der Generaldirektor des Südtiroler Sanitätsbetriebes am Dienstagvormittag gegenüber der RAI-Südtirol-Journalistin Gudrun Esser. Im Laufe des Tages bricht der Chef der Südtiroler Sanität dann doch noch sein Schweigen und gibt der Tagesschau ein Interview.
Das Zaudern und noch mehr der Auftritt von Florian Zerzer machen deutlich, wie heillos überfordert die Spitze der Südtiroler Sanität seit Monaten ist. Die Episode gewährt gleichzeitig einen Einblick in das Repertoire der Taschenspielertricks, die man unverblümt in dieser Krisenzeit anwendet, um Verantwortlichkeiten abschieben und vom eigenen Versagen abzulenken. Es ist durchaus beeindruckend, wie man sich hier die Wirklichkeit nach eigenen Gutdünken zurechtrückt.
Ausgangspunkt ist eine weitere Peinlichkeit in einer Reihe von unzähligen Nachlässigkeiten im Sanitätsbetrieb.
 

Schirs Brief

 
Es war die Tageszeitung Dolomiten, die am vergangenen Freitag, die „Posse“ ausgegraben hat. Die Team K-Politikerin Francesca Schir bekam am 1. Dezember Post vom Sanitätsbetrieb. Die ehemalige Präsidentin des Meraner Gemeinderates staunte nicht schlecht als sie den Einschreibebrief öffnete. Darin enthalten: Die amtliche „Mitteilung des Zeitraums der Quarantäne“. Anfänglich erschrickt die Politikerin und glaubt schon wieder mit einer infizierten Person in Kontakt gekommen zu sein. Doch dann schaut sich Schir die im Brief enthaltenen Daten genauer an. Im Schreiben wird ihr eine Quarantäne vom 13. bis zum 18. März 2020 verordnet. Wie sich bei genauerem Hinsehen herausstellt, bezieht sich die Mitteilung auf den Kontakt den Francesca Schir im März 2020 mit ihrem später positiv getesteten Parteichef Paul Köllensperger hatte. Das Schreiben, das Mitte März ankommen sollte, wurde vom Sanitätsbetrieb mit 9 Monaten Verspätung verschickt.
 
 
Diese Aktion entbehrt jeder Logik“, reagierte Francesca Schir verärgert und verwies auf die Verschwendung von Ressourcen. Das Resümee der Meraner Politikerin: „Hier wird offensichtlich, dass im Sanitätsbetrieb etwas nicht funktioniert“.
Von den Dolomiten befragt, erklärte Florian Zerzer: „Das sind leider Gottes Altbestände von Quarantäne-Briefen, die rechtlich gesehen an alle Betroffenen verschickt werden müssen. Allerdings hatte ich angeordnet, dass ein Begleitschreiben dabei sein sollte. Aber das ist offensichtlich nicht erfolgt. Das tut mir sehr leid.“. Der Generaldirektor gibt auch zu, dass noch einige weitere solcher Briefe unterwegs sind.
 

Zerzers Einheiten

 
Während die Dolomiten bewusst den Scoop auf der Meraner Bezirksseite verstecken, übernimmt ihn drei Tage später der Alto Adige. Am Dienstag schwappt der Fauxpas dann über „skytg24“ in die nationalen Medien. Spätestens damit besteht Erklärungsbedarf.
Am Nachmittag lässt sich Florian Zerzer dann doch noch von RAI Südtirol für die Tagesschau interviewen. Der Generaldirektor gibt sich dabei plötzlich durchaus selbstkritisch: „Dass das keinen Sinn hat, ist offensichtlich und dass das ein Fehler ist, ist genauso offensichtlich“.
Florian Zerzer erklärt dann, wie es zu diesem Fehler kam:
 
„Es war vor allem der Versuch Altlasten auf und abzuarbeiten. Und hier hat es ein Missverständnis zwischen zwei unserer Einheiten gegeben. Dass man nämlich auf eine alte Information des Rechtsamtes zurückgegriffen hatte, die festgestellt hatte, dass diese Mitteilungen formaljuridisch notwendig, als Bürokratie gewissermaßen verschickt werden müssen. Wir haben das inzwischen geklärt und ich habe am Samstagfrüh verfügt, dass keiner dieser Briefe mehr verschickt wird.“
 
 
Die Botschaft ist klar: Der Generaldirektor hat durchgegriffen und das Schlamassel behoben.
Schade, dass das so nicht der Realität entspricht.
 

Unterholzners Mail

 
Josef Unterholzer kann sich nur mehr ärgern. „Denen ist wirklich nicht mehr zu helfen“, sagt der Enzian-Landtagsabgeordnete zu Salto.bz.
Unterholzner weiß wovon er redet. Er ist in dieser Geschichte nicht nur einer der direkt Betroffenen, sondern er war auch derjenige, der von der absurden Briefaktion als einer der Ersten erfahren hat. Noch bevor einer der Einschreibebriefe abgeschickt worden war.
Eine Mitarbeiterin des Sanitätsbetriebes übermittelte dem Landtagsabgeordneten eine kritische Sachverhaltsdarstellung. In dem Schreiben heißt es:
 
„Ich habe gestern Briefe eingesackelt, die Menschen ihre Quarantäne bestätigen. Das sind zertifizierte Briefe woran viele Menschen arbeiten, zudem kommt noch Papier, Drucker und Versandkosten hinzu. Wenn die Briefe die Menschen erreichen sind viele schon wieder aus der Quarantäne entlassen. Die ganzen Ressourcen an Personal und Kosten sind also für die Katz.“
 
Als Beweis legte die Mitarbeiterin den Ausschnitt einer anonymisierten Mitteilung bei, in der die Quarantäne längst schon abgelaufen war. Zudem erklärte die Mitarbeiterin, dass der Landtagsabgeordnete ihr Schreiben durchaus an den Landtag und Landesrat Thomas Widmann weiterleiten könne.
 
 
Noch am 25. November schickt der Gründer der Bewegung Enzian das Schreiben samt Anlagen an Florian Zerzer, Thomas Widmann und Landeshauptmann Arno Kompatscher weiter. Salto.bz liegt der gesamte Schriftverkehr vor.  
Meine Information und Hinweis war eigentlich gedacht zur Unterstützung um diese unverständlichen Umstände abzustellen“, sagt Josef Unterholzner heute. Nach einigem Nachfragen kam es auch zu Telefongesprächen zwischen Unterholzner, Widmann und Zerzer. Der Generaldirektor erklärt dem Landtagsabgeordneten bereits damals, was er 20 Tage später auch den Dolomiten sagte: Die Mitteilungen müssten aus rechtlichen Gründen verschickt werden, er würde aber veranlassen, dass ein Begleitschreiben dazugelegt werde.
 

Gefährliches Eigentor?

 
Josef Unterholzner ging davon aus, dass damit die mögliche Peinlichkeit entschärft war. In Wirklichkeit taten aber weder Zerzer noch die verantwortlichen Politiker etwas. Die Briefaktion lief so – als wäre nichts gewesen – drei Wochen lang weiter.
Das wurde Josef Unterholzner vergangene Woche mehr als nur klar. Denn auch dem Landtagsabgeordneten flatterte plötzlich ein Einschreibebrief der Sanitätseinheit ins Haus. Es ist dasselbe Schreiben, das auch Francesca Schir bekommen hat.
Das am 7. Dezember 2020 verschickte Schreiben verordnet, dass Unterholzner vom 12. bis 20. März 2020 in Quarantäne gehen muss. Der Grund war damals ebenfalls der persönliche Kontakt mit Paul Köllensperger.
Meine Hinweise wurden also ignoriert und nicht ernst genommen“, resümiert Unterholzner jetzt. Zudem verweist der Politiker auf ein ernsthaftes rechtliches Problem. In jedem dieser Schreiben wird in Berufung auf die Europäische Datenschutzrichtlinie angeben, dass die persönlichen Daten nach 60 Tagen vernichtet werden müssen. „Wir kann es dann sein, dass nach neun Monaten, diese Daten immer noch herumgeschickt werden?“, fragt sich der Völlaner Politiker.
Hier könnte dem Sanitätsbetrieb ein neues ernsthaftes rechtliches Problem entstehen.
 

4.000 Briefe

 
Dabei wird immer deutlicher, dass die bisher bekannten Peinlichkeiten weit größer sind.
So wurde Salto.bz eine offizielle Quarantäne-Mitteilung zugeschickt, die am Montag dieser Woche zugestellt wurde. Auch in diesem Schreiben wurde eine Quarantäne vom 6. bis 19. März 2020 verordnet. Der Betroffene traute seinen Augen nicht, denn er wusste bis vor zwei Tagen überhaupt nichts von seiner angeblichen Quarantäne. „Ich wurde weder jemals vom Sanitätsbetrieb kontaktiert, noch habe ich vor dem Massentest einen Abstrich gemacht“, sagt er zu Salto.bz.
Vor allem aber geht aus allen Schreiben, die jetzt mit fast 9 Monaten Verspätung verschickt wurden, eindeutig hervor, dass sie völliger Humbug sind. Laut Gesetz muss ein ärztlicher Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Hygienedienstes formal die Versetzung in den „treuhänderischen Hausaufenthalt“ verordnen.
 
 
Die Logik und der Hausverstand sagen, dass die Quarantäne frühestens am Tag dieser Verordnung beginnen kann. Aber auch hier werden im Südtiroler Sanitätsbetrieb die  Gesetze der Schwerkraft kurzerhand aufgehoben.
Denn in diesem Schreiben, aber auch in jenem an Josef Unterholzner, schlagen die Mitarbeiter des Hygienedienstes die Quarantäne jeweils am 22. März 2020 vor. Zu einem Zeitpunkt an dem die nur wenigen Zeilen darunter verordnete Quarantäne-Periode längst abgelaufen ist.
Wie das geht, wird die Südtiroler Sanitätsspitze erklären müssen. Ebenso wird man erklären müssen, wie viele solcher Schreiben wirklich verschickt wurden.
In den Dolomiten spricht Florian Zerzer von „einigen“. Im Alto Adige sind es bereits einige Hundert. Nach Informationen von Salto.bz sind es aber insgesamt rund 4.000 solcher Einschreibebriefe auf die Reise gegangen.
Bild
Salto User
Günther Alois … Mi., 16.12.2020 - 09:59

An Ignoranz-Peinlichkeit und Unprofessionalität nicht mehr zu überbieten. Zudem sind dies noch unsere Steuergelder die hier verpulfert wurden für eingeschriebene Briefe,die ja auch nicht mehr billig sind bei den "POSTE ITALIANE""Und der herr zerzer gibt zwar den Fehler zu,aber von Entschuldigung keine Spur,erbärmlich.

Mi., 16.12.2020 - 09:59 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Harry Dierstein
Harry Dierstein Mi., 16.12.2020 - 10:32

Wenn Zerzer Italiener oder Deutscher wäre, dann wäre er nach ein paar Wochen weg vom Fenster. (Aber als einheimischer Athesia-Günstling genießt er kurioserweise Welpenschutz und wir müssen alle darunter leiden.) Auguri!

Mi., 16.12.2020 - 10:32 Permalink
Bild
Profil für Benutzer S. Bernhard
S. Bernhard Mi., 16.12.2020 - 13:28

Was hat genau Dr. Schäl nochmal verbrochen, dass er gehen musste? Der Neue wurschtelt rum ohne Sinn und Zweck, alles scheinbar kein Problem. Verkehrte SVP-Welt.

Mi., 16.12.2020 - 13:28 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Elisabeth Hammer
Elisabeth Hammer Mi., 16.12.2020 - 15:36

Habe bis heute noch keinen Brief für meine Quarantäne ab dem 14. Oktober bekommen und werde mir definitiv die Zeit sparen, einen allfälligen eingeschriebenen Brief bei der Post abzuholen. Freut mich, dass die Italienische Post so querfinanziert wird, der Sanitätsbetrieb scheint ja genug Geld zu haben, um es beim Fenster rauszuwerfen. (Fast) alles kann heute online gemacht werden. Gibt es da keine bessere Lösung, z.B. über den Spid? Muss da wirklich noch Papier in der Gegend herum gesendet werden?

Mi., 16.12.2020 - 15:36 Permalink
Bild
Profil für Benutzer G. P.
G. P. Mi., 16.12.2020 - 19:13

Ich sage nur, wie weit ist die Menschheit, sind wir gesunken, wenn ein Einschreibebrief nach neun Monaten verschickt werden muss, um dem Gesetz genüge zu tun.

Mi., 16.12.2020 - 19:13 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Toni Schgaguler
Toni Schgaguler Do., 17.12.2020 - 08:37

Abgesehen von der Peinlichkeit und dem Unvermögen stört mich noch mehr, wieviel öffentliches Geld hier vom Sanitätsbetrieb „verschleudert“ wird. Siehe die letzte „bekannte Aktion“ der Südtiroler Covid-Spürhunde von € 150.000,00

Do., 17.12.2020 - 08:37 Permalink