Kakteen
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Gesellschaft | fritto misto

Hot’s die?!

Politikerinnen brauchen online ein besonders dickes Fell. Wir können alle dazu beitragen, dass das besser wird.

Auf Facebook kursiert ein Comedy-Video, das ich mir immer wieder gern anschaue. Darin ist eine alltägliche Situation zu sehen, nämlich eine (wenig einfallsreiche) Anmache in einer Bar. Es fallen die üblichen plumpen Sprüche („Schöne Augen“, „Siehst aus wie ein Model“), es gibt unerwünschten Körperkontakt, das Opfer wird durch die hartnäckige Kontaktaufnahme derart in die Enge getrieben, dass es entnervt aufs Klo flüchtet. Szenen wie diese kennen wir aus dem realen Leben zur Genüge, nur dass in diesem Fall die Rollen vertauscht sind: Der penetrante, aber unoriginelle Kavalier des Grauens ist eine Frau, das zunehmend verschreckte Ziel ihrer Aufmerksamkeit ein junger Mann. Das hat einen komischen Effekt, weil das Filmchen unsere Erwartungen durchkreuzt. Es hat aber auch einen entlarvenden Effekt, weil wir aufgrund der vertauschten Rollen, der ungewohnten Situation genauer zuhören, genauer hinsehen. Wie  übergriffig, anmaßend, ja geradezu empörend das Verhalten der Frau auch ist: Käme es von einem Mann, wir fänden es vermutlich nur halb so abstoßend. Solche Typen gibt’s halt, kann man nichts machen. Eh harmlos.

Bei Frauen wird geradezu lustvoll über ihren Körper und ihre Sexualität hergezogen, sobald sie irgendetwas sagen oder tun, was den Hatern nicht passt

Als die Landtagsabgeordnete Brigitte Foppa vor einigen Tagen zum wiederholten Mal online beleidigt wurde, wobei „beleidigt“ eigentlich eine Untertreibung ist, weil der Kommentator ihr fünf „guat bestückte Männer“ wünschte, „dass sie amol so richtig hergnuman weard“, da musste ich an dieses Filmchen denken. Nicht etwa, weil der Herr ihr ebenso plumpe Komplimente macht, nein: Er wünscht ihr, das kann man drehen und wenden wie man will, sexuelle Gewalt zu erfahren. Ich musste dran denken, weil keiner von den anderen Kommentator*innen ihn zurechtwies. Gut, der Kommentar wurde gelöscht, nachdem der Vorfall bekannt wurde, aber ich habe nicht mitbekommen, dass irgendjemand eingeschritten wäre, bevor Frau Foppa die Sache publik machte (und, zum Glück, von allen Seiten Unterstützung bekam). Gelesen haben den Kommentar sicher einige, daran gestoßen hat sich offenbar niemand. Solche Typen gibt’s halt, kann man nichts machen. Wirklich?

 

Stellen wir uns einen Moment lang vor, Foppas männliche Landtagskollegen bekämen solche Reaktionen auf irgendwelche Äußerungen oder Taten. Stellen wir uns vor, ein Thomas Widmann verkündet auf Facebook die Notwendigkeit eines weiteren Lockdowns, und die Maria aus Tisens kommentiert darunter: „Der war lei mol wieder richtig herzunemmen, nor vergeat ihm der Bledsinn schun.“ Stellen wir uns vor, Achammer postet etwas zur Wichtigkeit des Präsenzunterrichts, und die Grete aus Eppan meint dazu: „Schneggele, i tat die net von der Bettkante stoaßn, ober heb decht die Pappn zur Schual.“ Stellen wir uns vor, Arnold Schuler will über die Landwirtschaft reden, und die Theresia aus Nals hat dazu nur eines zu sagen: „Geah du mol gscheider zum Frisehr, und rasieren kannsch die aa mol wieder!“. Ich bin mir ziemlich sicher, es würde nicht lange dauern, bis jemand den Damen die Frage stellt, die sich aufdrängt: “Jo sog amol: Hot’s die?!“ Zu schockierend wäre das Ganze. Dass eine Frau einen Mann derart untergriffig angreift, unerhört! Der Sachverhalt bleibt aber immer der gleiche: Jemand wird auf niederträchtigste Art und Weise beleidigt. Dass man bei Männern als Urheber solcher Kommentare eher darüber hinwegsieht, das ist eigentlich eine Beleidigung für alle Männer. Männer sind nicht so. Die haben nicht in ihrer DNA abgespeichert, dass sie Frauen fertig machen müssen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung.

Solche Typen gibt’s halt, kann man nichts machen. Wirklich?

Und nicht etwa, dass Politiker von Schmähungen verschont blieben – davon kann wohl gerade Philipp Achammer mittlerweile ein leiderprobtes Liedchen singen – aber die Beleidigungen, die sie treffen, sparen das Sexuelle und Äußerliche in der Regel aus. Bei Frauen hingegen wird geradezu lustvoll über ihren Körper und ihre Sexualität hergezogen, ja ihre „fuckability“ diskutiert, sobald sie irgendetwas sagen oder tun, was den Hatern nicht passt. Sie werden auf ihre Körperlichkeit reduziert, klein gemacht, der Lächerlichkeit preisgegeben; auch, weil man(n) ihnen argumentativ meist nicht das Wasser reichen kann. Und fairerweise ist anzumerken, es sind nicht immer nur Männer, die sich solcher Hasskommentare schuldig machen. Auch Frauen fahren diese Schiene, oder applaudieren den Männern, wenn es darum geht, Politikerinnen eines auszuwischen.

Gut also, dass Brigitte Foppa entschieden hat, den Hassposter anzuzeigen. Gut, dass sich so viele Frauen und Männer aller politischen Couleur mit ihr solidarisch gezeigt und dies auch lautstark bekundet haben. Noch besser wäre es allerdings, wenn das nächste Mal sofort Widerspruch da ist. Wenn die Hassposter sofort auf den Deckel bekommen, und zwar von anderen Kommentator*innen. Wenn es Zurechtweisung gibt statt Schweigen oder gar Applaus. Je öfter das passieren würde, umso unattraktiver würde es für die Hater, solche Schweinereien zu posten. Der Wind hat sich gedreht. Fangen wir doch einfach damit an.

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rotaderga Fr., 22.01.2021 - 08:23

"Wenn die Hassposter sofort auf den Deckel bekommen, und zwar von anderen Kommentator*innen. Wenn es Zurechtweisung gibt statt Schweigen oder gar Applaus. "

Hab versucht diese Aussage auf die Politiker*innen bei ihren Reden im Landtag anzudenken. Ich glaube, man möge mich dafür auch kreuzigen, dass auch die Zahl ohnmächtigen und verzweifelten Hassposter weniger würden.

Fr., 22.01.2021 - 08:23 Permalink
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alfred frei Fr., 22.01.2021 - 10:49

es wäre an der Zeit dass die "Hegemoniale Männlichkeit" den Bach runterschwimmt. Vorbei die Zeit: "Frauen an die MACHT ... macht Kaffee und macht Sauber" !! oder nicht Männlein/Männchen ?

Fr., 22.01.2021 - 10:49 Permalink
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Gianguido Piani Fr., 22.01.2021 - 13:28

Das Geschehene erinnert zum Teil an den Fall Sigrid Maurers aus Österreich.
Außer Hassposter anzeigen gäbe es noch eine viel effektivere Möglichkeit sich gegen Hass im Netz zu wehren: Facebook verlassen. Den Account streichen.
Wir sollten keine Zeit mit idiotischen Hassposter-Verfasser verlieren. Stattdessen eine eigene Alternative anbieten. Wie wäre es zum Beispiel mit einem "Tirolbook", von der Provinz unterstützt? Eine Alternative ohne kommerzielle Zwecke und bei der Privacy und Netiquette vom Anfang an eingebaut sind. Selbstverständlich, mit der Idioten-Sperre, die FB nicht so ernst nimmt.
Facebook wurde von einem amerikanischen 20-jährigen Studenten gegründet, das russische VKontakte von einem 22-Jährigen aufgebaut. Sind wir 500 Millionen Europäer so bekloppt, keine einzige Alternative auf die Beine stellen zu können?

Fr., 22.01.2021 - 13:28 Permalink
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Klemens Riegler Fr., 22.01.2021 - 13:54

Antwort auf von Gianguido Piani

Bravo ... da kommt einer der Problemlösung schon ziemlich "näher". Aber solange selbst höchste Politiker, Amtsträger, Künstler & Stars (bei diesen eh immer weniger) und sogar die wichtigsten Presse- und Medienorgane FB nutzen, und sogar "gratis" mit ihren Accounts bewerben, wird sich nicht viel ändern. Oder sagen wir es mal anders; Wenn Ministerpräsidenten oder das ZDF auf ihre eigenen FB-Portale verweisen, dann werten sie damit das "Unkontrollierbare" auf. Wie lange durfte Trumpi trittern? In diesem Sinn trägt sogar Twitter eine gewisse Mitschuld am Trumpismus. Berlusconi war übrigens aus populistischer Sicht der Vorreiter für die ganzen "Schreier", nur hatte dieser damals sogar schon sein eigenes FB (in Form von TV- und Printmedien) ... ohne Kommentarfunktion.

Fr., 22.01.2021 - 13:54 Permalink