Alles wie gehabt. Seit Kammerpräsident Roberto Fico vom Staatsoberhaupt einen Sondierungsauftrag erhalten hat, blühen die Spekulationen. Nicht zuletzt darüber, wo die Grenzen eines solchen Auftrags liegen. Darf nur über die wesentlichen Punkte eines Regierungsprogramms gesprochen werden oder auch über die Personen, die es verwirklichen sollen?
Natürlich übt sich Italiens Presse in den gewohnten Spekulationen des totoministri. Und natürlich spielt der 73-jährige Mario Draghi in diesen Spekulationen eine wesentliche Rolle. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Draghi äussert sich dazu nicht, sei aber nach Indiskretionen bereit, das Schatzministerium in einer Regierung zu übernehmen, die auch von Berlusconi und der Lega unterstützt werden müsse. Das löst im Partito Democratico Naserümpfen aus.
Im Gespräch ist auch eine andere Lösung: die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts, Marta Cartabia führt eine Regierung mit Draghi als Schatzminister. Kernfrage: Bleibt Giuseppe Conte Regierungschef? Seine Bestätigung gilt als nahezu sicher, auch wenn sein Erzfeind Matteo Renzi ihn ersetzen will. Dabei riskiert er jedoch Rücktritte in den eigenen Reihen. Auch die Vorstellung eines governo istituzionale löst bei PD-Chef Nicola Zingaretti unliebsame Erinnerungen an Mario Monti aus. Als besonders gefährdet gelten Verkehrsministerin Paola De Michelis, Justizminister Alfonso Bonafede und Unterrichtsministerin Lucia Azzolina. Paola Severino könnte nach mehrjähriger Pause ins Justizministerium zurückkehren. Die in Südtirol gewählte Senatorin Maria Elena Boschi ist als ministra alle riforme im Gespräch.
Natürlich übt sich Italiens Presse in den gewohnten Spekulationen des totoministri. Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Für den Fünf-Sterne-Chef Vito Crimi bleibt Giuseppe Conte "una scelta indiscutibile che garantisce un equilibrio". Ein wesentlicher Faktor in diesem Tauziehen ist, dass der Ausweg vorgezogener Neuwahlen weitgehend versperrt bleibt: Mit dem Beginn des semestre bianco, das zur Neuwahl des Staatspräsidenten führt, kann nicht mehr gewählt werden. Für das Tagblatt La Stampa ist diese Regierungskrise "una straziante e straniante opera buffa".
Und was man im Rest Europas über eine Regierungskrise mitten in der Pandemie denkt, formuliert die Frankfurter Allgemeine mit unmissverständlicher Deutlichkeit:
"In Italien hat sich die politische Klasse daran gewöhnt, entweder der EU oder Deutschland die Schuld an der Misere des Landes zu geben. Dabei ist es fast schon egal, worum es geht; zuletzt schnappte die böse deutsche Regierung den Italienern angeblich Impfdosen weg. Und was haben die Politiker des Landes auf die europäischen Partner geschimpft, weil die im Frühjahr nicht sofort bereit waren, riesige Hilfspakete für die von Corona schwer getroffenen Mitgliedstaaten zu schnüren. Jetzt ist das Geld da, Italien bekommt die gigantische Summe von 209 Milliarden Euro. Kein anderes EU-Land erhält mehr. Undwas passiert passiert in Rom? Das, was seit Jahren geschieht: Die regierende Koalition zerfleischt sich in internem Streit und fällt auseinander."
Aufschlussreich ist vor diesem Hintergrund eine am Wochenende publizierte Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts Ipsos, nach der Giuseppe Conte mit 58 Prozent Italiens beliebtester Politiker ist. Es folgen Roberto Speranza (39), Giorgia Meloni (33), Nicola Zingaretti (30), Dario Franceschini (30), Matteo Salvini und Luigi Di Maio (28), Silvio Berlusconi (27), Vito Crimi (22) und Matteo Renzi (10). Unter den Parteien führt die Lega mit 22 Prozent vor dem Partito Democratico mit 19,3 , der Fünf Sterne-Bewegung mit 18 und Fratelli d'Italia mit 15,3 Prozent. Italia Viva bildet das Schlusslicht mit 2.3 Prozent.
Kammerpräsident Fico beginnt am Montag früh mit seinen Beratungen. Am Verhandlungstisch sitzen PD, die Fünfsterne-Bewegung, LEU, Forza Italia, Lega, gemischte Fraktion, Autonomie-Gruppe, Italia viva und der neu gebildete gruppo dei responsabili um Tabacci. Bereits morgen muss Fico dem Staatspräsidenten über das Ergebnis seiner Beratungen berichten.
Renzi hat die vergangenen Tage zu einem umstrittenen Besuch in Saudi-Arabien benützt, wo er sich mit dem Kronprinzen traf, für 80.000 Euro einen Vortrag hielt und sich als Werbeträger für das saudische. Regime betätigte. In dem diktatorisch regierten Land ortete Renzi eine "erhebliche Dynamik."