Lieber Thommy,
du darfst nicht glauben, dass mir das jetzt leicht fiele, diese Zeilen zu schreiben. Vermutlich wirst du nicht sehr erfreut sein, sie zu lesen, aber überraschend kommen sie wahrscheinlich auch nicht: Du hast ja selbst gemerkt in letzter Zeit, es funzt nicht mehr so richtig zwischen uns. Bevor wir das also noch unnötig in die Länge ziehen, hab’ ich mir gedacht, lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, weißt eh, und deshalb mache ich jetzt Schluss mit dir, lieber Thommy. Nein, nicht weinen jetzt, ich erklär’s dir.
Es war ja nicht immer alles schlecht, ach nein. Ich bin sicher, wenn ich mich ein bisschen anstrenge, dann fallen mir einige schöne Momente ein, in denen ich mir gedacht habe: Wow, Thommy, du bist genau der Mann, den wir jetzt brauchen. Dynamisch, salopp, spritzig: Beim Verkehr (Straßenverkehr, ich bitte) kommt das ja richtig gut, aber in der Sanität war’s dann vielleicht doch nicht immer das Richtige. So lange alles einigermaßen okay läuft, gut, aber jetzt, in dieser Mega-Krise, da mag man keine Abenteuer, keine Überraschungen. Da sehne ich mich nach einer stabilen, gern auch etwas langweiligen Schulter zum Anlehnen. Da fahr ich lieber Tempo 30 mit dem behäbigen Stadtbus durch die Misere als wendig-pfiffig mit dem Segway. Beim Stadtbus kenne ich die Route und weiß, wo er mich hinbringt, wenn auch mit nervigen Zwischenstopps. Mit dem Segway hingegen mögen wohl die ganzen Abkürzungen und Schleichwege befahrbar sein, der kippt aber auch schnell, und wenn’s richtig anfängt zu schütten, dann kann man den sowieso vergessen.
Ich glaub’, lieber Thommy, es ist für uns alle das Beste, wenn sich unsere Wege hier trennen
Es waren ja nicht einmal die Schlauchtücher, die ich dir übel genommen habe. Die fand ich ja süß. Und du sahst so flirty-verwegen auf dem Desperado-Pressefoto aus. Das war bestimmt nur gut gemeint. Und ob du die nicht auch auf anderem Wege beschaffen hättest können, Kusin hin oder her, das ist mir eigentlich egal. Das hatte bestimmt gute Gründe. Auch, dass du bei den Pressekonferenzen immer so bös geschimpft hast, hab’ ich noch hingenommen. Es hat mich zwar schon ein bisschen gestört, weil ich war ja eigentlich brav, und mein Umfeld, glaub’ ich, auch, und trotzdem warst du immer so streng: Ihr passt nicht auf, ihr haltet euch nicht an die Regeln, ihr macht alles kaputt. Das hat mir nicht gepasst, und vielleicht hätte ich da schon mal sagen sollen, Thommy, ich mag nicht, wenn du so mit mir redest, weil ich bin auch erwachsen und geb’ mein Bestes. Aber dann hab’ ich mir gedacht: Ach, lass ihn, ist ja klar, dass der sie voll hat. Immerhin war er drei Wochen lang daheim eingesperrt und hat den blöden Virus am eigenen Leib erfahren, da hat man halt nicht mehr so viel Geduld mit den Ahnungslosen.
Leider hat sich diese Rolle dann irgendwann gewandelt, sodass ich mich eigentlich gar nicht mehr ausgekannt habe. Ich meine, für mich warst du immer der Gesundheitslandesrat, aber dann hast du so geredet, als wärst du für die Wirtschaft zuständig. Dabei ist das doch der Du, Philipp. Das hat mich sehr verwirrt. „Ein Lockdown würde das Land jeden Tag zig Millionen kosten. Daher ist jeder Tag, an dem wir offen lassen, besser, als wenn wir zusperren“, hast du der Tageszeitung gesagt. Das wird schon stimmen, und Lockdown find ich auch voll pfui, aber solltest du nicht eigentlich sagen: Priorität hat die Sanität, dass nicht alles zusammenbricht dort? Ich weiß schon, Wirtschaft und Gesundheit gehören zusammen, das Eine funktioniert ohne das Andere nicht, aber, wie gesagt, für diese Aussagen haben wir den Du, Philipp, die Verbände, usw. Du musst für die andere Seite kämpfen, damit es ausgewogen bleibt. Wer ist dieser Mann?, hab’ ich mich gefragt. Was will der? Wo steht der eigentlich?
Noch schlimmer wurde es dann, als der Arnold gemeint hat, der Thommy, der redet nicht mit uns in der Landesregierung. Der gibt uns nicht die Zahlen und auch nicht die Zettel von der Expertenkommission. Jo saggra Thommy, ist es mir da entfleucht, wos solln des?! Der Kronbichler hat dich am nächsten Tag arg gescholten, da hatte ich dann schon wieder ein bisschen Mitleid mit dir, weil ich halt einfach zu gut bin. Na na, so schlimm wird’s schon nicht sein, hab’ ich mich da selbst beruhigt, weil: It ain’t over till it’s over, und im Zweifelsfall gebe ich immer noch eine Chance. Wenn er sich jetzt zusammenreißt und ordentlich tut, dann können wir’s noch schaffen. Das war bestimmt alles nur ein großes Missverständnis, und die Zettel von der Expertenkommission hast du bloß nicht weitergegeben, weil du sie vorher säuberlich abtippen und dann in einen schönen Ordner tun wolltest. Die Hennenschrift von diesen Doktern, die kennt man ja.
So lange alles einigermaßen okay läuft, gut, aber jetzt, in dieser Mega-Krise, da mag man keine Abenteuer, keine Überraschungen
Ich war also guten Mutes, bis ich heute morgen im Radio hören muss: Hallo Leute, wir haben dann übrigens nur 50 Intensivbetten statt der versprochenen 100. Lieber Thommy, du hast immer von 100 gesprochen. Wir haben unsere Rechnungen mit diesen 100 gemacht, ich zumindest. Bei den anderen Zahlen habe ich längst keine Über- und Durchblick mehr, aber diese 100, auf die habe ich mich verlassen. Bis 100 kann ich zählen, im Hunderterraum leidlich rechnen, das hat mir Orientierung gegeben. Die habe ich jetzt nicht mehr. Ich hab’ auch kein Vertrauen mehr, leider. Wenn du das nächste Mal in der Pressekonferenz irgendwas sagst, „Wir haben so viele Fälle bla bla“, oder „Die Kurve geht da hin“ oder auch nur „Heute scheint die Sonne“, dann werd' ich mich schwer tun, das zu glauben. Weil mir dann die 100 Betten einfallen, die es offenbar gar nicht gibt. Und das geht wohl nicht nur mir so. Deshalb glaub’ ich, lieber Thommy, es ist für uns alle das Beste, wenn sich unsere Wege hier trennen. Du findest bestimmt bald etwas Anderes, das dich interessiert und wo du dich toll einbringen kannst. Hören wir hier auf, bevor es richtig hässlich wird. Es war eine „schware Partie“ für dich, ganz klar, und ich habe auch keine Ahnung, wer die statt dir übernehmen könnte. Aber „waunst amoi nu so ham kummst, daun is ma des wuascht“. Weil, ich mag einfach nicht mehr. Adieu, Thommy.