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Die Verletzung des Ethikkodex

Vier junge Menschen haben zur Berichterstattung über den Fall Perselli/Neumair eine Eingabe beim Ethikrat der Journalistenkammer gemacht. Man darf jetzt gespannt sein.
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Foto: upi
Wir Journalisten kritisieren gerne. Umso schwerer tun wir uns, wenn wir und unsere Arbeit kritisiert werden.
Vor diesem Hintergrund wird diese Geschichte besonders interessant werden.
Vier junge Menschen haben in einem Brief an den Ethikrat der regionalen Journalistenkammer die Berichterstattung im Fall Perselli/Neumair auf Schärfste kritisiert. Es sind vier AkademikerInnen, die mit der Tochter des vermissten Ehepaares befreundet sind und die als Privatpersonen die Art und Weise der Berichterstattung mehr als nur kritisch hinterfragen.
Da ist der Jurist Clemens Pichler, der sich gerade auf eine Laufbahn als Richter vorbereitet, die angehende Neurologin Kathrin Marini, die an der Universitätsklinik Innsbruck forscht und die im Amt für Gesetzgebung des Landes tätige Juristin Judith Kronbichler. Kronbichler ist die Tochter des Journalisten und ehemaligen Parlamentariers Florian Kronbichler. Einen noch prominenteren Vater hat aber die Erstunterzeichnerin des Schreibens. Anna Kompatscher, Die Tochter von Landeshauptmann Arno Kompatscher, ist ebenfalls studierte Juristin, hat aber auch als Pressereferentin gearbeitet und setzt sich seit Jahren für Flüchtlinge und Obdachlose ein. Derzeit ist Kompatscher für „European Federation of National Organisations Working with the Homeless” (FEANTSA) in Brüssel tätig.
 

Das Schreiben

 
In dem Brief an den Präsidenten des Ethikrates der Journalistenkammer Trentino- Südtirol, dem RAI-Journalisten Alberto Folgheraiter mit dem Betreff „Eingabe wegen Verletzung des Ethikkodex in der Berichterstattung im Fall Perselli/ Neumair“ heißt es:
 
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Mitglieder des Ethikrates der Journalistenkammer,
Mit diesem Schreiben möchten wir unserer Empörung über die Berichterstattung der lokalen Medien im Fall Perselli/Neumair Ausdruck verleihen. Sie stehen für uns nicht im Einklang mit den deontologischen Anforderungen und Grundsätzen des Ethikkodex für Journalisten.
Eine investigative Berichterstattung über und Auseinandersetzung mit den tragischen Ereignissen ist legitim, doch auch das Recht auf Berichterstattung muss sich im Rahmen des öffentlichen Interesses bewegen und dabei die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen wahren. Diese dürfen nämlich laut Ethikkodex nur soweit eingeschränkt werden, wie dies für eine vollständige, wahrheitsgetreue und sachdienliche Berichterstattung erforderlich ist.
Ein erheblicher Teil der Berichterstattung über gegenständlichen Fall hat sich klar außerhalb dieses Rahmens bewegt und ist auf erschütternde Weise abgedriftet in einen reinen Sensationsjournalismus auf Kosten der Angehörigen des Paares.
Wiederholt wurden Fotos der Angehörigen von Laura Perselli und Peter Neumair veröffentlicht, sowie deren vollständige Namen genannt. Im Ethikkodex Artikel 3 f) wird festgelegt, dass die Namen Angehöriger nur veröffentlicht werden dürfen, sofern dies dem öffentlichen Interesse dient. Name, Fotos und persönliche Details wie Angaben zum Arbeitsplatz, Wohnsitz und Aufenthaltsort der Tochter als auch der Geschwister des Paares sind hinsichtlich der Information zu den Ermittlungen nicht relevant. Die Angehörigen haben ein Recht auf Privatsphäre. Sie sind keine Personen des öffentlichen Lebens und sollten auch nicht so behandelt werden.
Was wir in der bisherigen Berichterstattung schmerzlich vermissen, ist Menschlichkeit, Empathie mit den Angehörigen in Hinblick auf das tragische Ereignis,
Beispielsweise wurden verschiedene Bilder der Tochter mehrfach sogar auf Titelseiten abgedruckt, womit es für sie fortan unmöglich ist, offen aufzutreten, ohne in diesen Zusammenhang gebracht zu werden. Die Veröffentlichung solcher Informationen führt unvermeidlich dazu, dass diese nicht nur unmittelbar, sondern auch künftig für jeden zugänglich sind.
 
 
Inhalt und Wortwahl der Berichterstattung verletzen die menschliche Würde der Angehörigen. Die Betroffenen haben so schon eine extreme Ausnahmesituation zu ertragen. Die mediale Belagerung ist eine zusätzliche, absolut unnötige Belastung. In den letzten Wochen wurde die ganze Familie regelrecht einem medialen Prozess unterzogen. Die systematische Unterlassung der Konjunktivform lässt jede distanzierte Dokumentation der Ereignisse vermissen. Das Preisgeben intimster Details des Familienlebens, gepaart mit wilden Spekulationen, sowie das Zurschaustellen des tragischen Verlustes zwecks Unterhaltung und Auflagensteigerung sind geschmacklos, belastend und nicht vertretbar.
Die Ferndiagnosen der Familiensituation in Interviews mit Psychologen, die weder die Familie, noch die Details der Ermittlungen kennen, disqualifizieren die Berichterstattung vollends.
Die Ferndiagnosen der Familiensituation in Interviews mit Psychologen, die weder die Familie, noch die Details der Ermittlungen kennen, disqualifizieren die Berichterstattung vollends. Es ist nämlich Aufgabe und Verantwortung der Journalisten und Redakteure abzuwägen, welche Äußerungen und Stellungnahmen sachdienlich und verhältnismäßig sind und somit abgedruckt und veröffentlicht werden können.
Was wir in der bisherigen Berichterstattung schmerzlich vermissen, ist Menschlichkeit, Empathie mit den Angehörigen in Hinblick auf das tragische Ereignis, Respekt vor den Betroffenen und Pietät angesichts einer Situation, der ausgesetzt zu sein, wir uns nicht vorstellen können.
Aus diesem Grund ersuchen wir Sie, die beigelegten Artikel auf Verletzung des Ethikkodex zu prüfen und dazu Stellung zu nehmen.
Hochachtungsvoll,
Anna Kompatscher, Judith Kronbichler, Kathrin Marini, Clemens Pichler.
 
Man darf gespannt sein, ob der Ethikrat der Journalistenkammer antwortet und was er sagen wird.
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Evi Keifl Di., 16.02.2021 - 13:05

Ich kannte Laura vom Sehen, so wie man sich zwischen diesseits und jenseits der Talfer halt kennt, wenn die Kinder gleich alt und die täglichen Wege zum Einkauf und auf die Promenade dieselben sind: freundlicher Austausch zwischen Müttern, kurze Kommentare zum Welt- und Stadtgeschehen in beidseitigem Wohlwollen und Respekt (und meist in einvernehmlicher Übereinstimmung). Und jetzt…unerträglich die brutale Zurschaustellung von Fotos und Privatleben. Ein tiefer Schmerz, jedes Mal. Schande über den journalistischen Voyeurismus, Schande aber auch über die Gier derjenigen, für die geschrieben und gesendet wird.

Di., 16.02.2021 - 13:05 Permalink