Schwazer, Alex
Foto: RAI 1
Gesellschaft | San Remo

Der große Mann aus Kalch

Alex Schwazer hat im Ariston einen bewegenden Auftritt hingelegt. Der Südtiroler Geher hat etwas gezeigt, was nicht nur im Spitzensport immer rarer wird: Rückgrat.

Ich habe noch nie im Leben ein Wort mit Alex Schwazer gewechselt. Vielleicht bin ich deshalb vom Auftritt des Südtiroler Olympiasiegers beim Festival von San Remo so beeindruckt.
Als ich hörte, dass der Kalcher Geher bei der größten italienischen Schlager-Kermesse als Gast auftreten wird, habe ich mir gedacht: „Eieiei, wenn das nur gutgeht“. Als ich dann aber am Mittwochabend das Interview von Amadeus mit Alex Schwazer am Bildschirm verfolgte, hat es mir die Sprache verschlagen.
Ich kann nur den Hut (den ich nicht habe) vor Alex Schwazer ziehen. Selten habe ich einen Auftritt eines Sportlers erlebt, der mich so berührt hat. Schwazer hat vor einem Millionenpublikum gezeigt, dass er ein Mensch ist, der nicht nur Hirn und Feingefühl hat, sondern vor allem eines: Rückgrat.
 
Als Journalist habe ich den Dopingfall Schwazer von Anfang an verfolgt. Den Aufstieg zum jüngsten Olympiasieger im Gehen und seinen tiefen Fall in den Dopingsumpf. Ich kann nicht sagen, dass mich Schwazers öffentlicher Heulanfall nach seinem Geständnis wirklich überzeugt hat. Sehr wohl aber die Wahl seines Trainers für sein Comeback.
Mit dem heute 74-jährigen Sandro Donati hat Alex Schwazer auf einen Mann gesetzt, der weit mehr als ein Sportlehrer ist. Donatis Lebenswerk ist der unerbittliche Kampf gegen das Doping. Ihm geht es dabei weniger darum, einzelne Dopingsünder zu entlarven, als das System der Mitwisser und –täter, der heuchlerischen Moralapostel und der Omertá der großen Verbände und Player im Leistungssport aufzudecken.
 
 
Sandro Donati ist durch seine persönliche Integrität, seine Unerschrockenheit und seinen unbedingten Willen zur Wahrhaftigkeit seit vielen Jahren eine ersthafte Gefahr für das gutgeölte Betrugssystem im globalen Spitzensport.
 
Sandro Donati ist durch seine persönliche Integrität, seine Unerschrockenheit und seinen unbedingten Willen zur Wahrhaftigkeit seit vielen Jahren eine ersthafte Gefahr für das gutgeölte Betrugssystem im globalen Spitzensport. Mit Alex Schwazer und dessen Vorgeschichte hatte der erklärte Feind jener, die angeblich für Sauberkeit im Sport zu sorgen, plötzlich aber eine Projektionsfläche in der Hand, die für die organisierte Sportkriminalität gefährlich werden konnte.
Deshalb musste das Duo Donati/Schwazer aus dem Spiel genommen werden. Man besorgte das am Neujahrtag 2016 mit dem Dopingtest im Kalch.
 
Dass Alex Schwazers Urinproben manipuliert wurden und der Südtiroler Spitzensportler und sein Trainer Opfer eines Komplottes wurden, ist für mich spätestens seit Sommeranfang 2017 klar.
Anfang Juni 2017 finde ich eine E-Mail von einer anonymen E-Mail-Adresse in meinem Posteingang. Es sind nur drei Zeilen: „Hello. Here are the docs you need. Waiting for your story. Best regards.“ Angehängt ein Link, von dem sich eine Zip-Datei laden lässt. Es sind 23 Mails, in deren Betreff sich immer wieder ein Name findet: Alex Schwazer.
Das russische Hackerkollektiv „Fancy bear“ hatte im Frühjahr 2017 die Server der World Anti Doping Agency (WADA) und des internationalen Leichtathletikverbandes (IAAF) gehackt. Die Mails stammen aus diesem Hack. Auf meine direkte Nachfrage hin haben mir die russischen Hacker die Mails damals unkompliziert und schnell übermittelt.
 
Aus den Mails geht eindeutig hervor, dass Spitzenfunktionäre der beiden internationalen Organisationen und ihre Söldner in den nationalen Verbänden ein Komplott geschmiedet haben, um Alex Schwazer auszuschalten.
Diese Mails sind auch in das Strafverfahren gegen Alex Schwazer eingeflossen, und sie sind auch einer der zentralen Punkte im Urteil des Bozner Richters für die Vorerhebungen Walter Pelino, der am 18. Februar nach über drei Jahren das Strafverfahren wegen Dopings gegen Schwazer archiviert hat. Pelino erhebt in seinem Urteil auch schwerste Vorwürfe gegen die WADA und den IAAF.
Alex Schwazer ist damit vor Gericht rehabilitiert. Dennoch will die Sportgerichtsbarkeit seine Sperre bis 2024 aufrechterhalten.
 
Es wäre für den Kalcher Geher ein Leichtes gewesen, auf der Bühne von San Remo seine Unschuld hinauszuschreien. Oder auf die Mitleidstaste zu drücken. Fast jeder oder jede in seiner Situation wäre dieser Versuchung erlegen.
Alex Schwazer hat am Mittwoch aber anschaulich gezeigt, was für ein Mensch er ist. Der Südtiroler Geher ist das Interview gescheit, überlegt und mit viel Demut angegangen. In seinen Worten schwang weder Hass und Verzweiflung noch Arroganz oder Selbstgefälligkeit durch. Er verabsäumte es dabei auch nicht, noch einmal den Mut des Bozner Richters Walter Pelino herauszustreichen, der mit diesem Urteil ins Fadenkreuz mächtiger Lobbys geraten ist.
 
 
Auf der Bühne in San Remo stand nicht einer dieser wehleidigen Spitzensportler, die Zeit ihres Lebens darüber jammern, dass ihnen der Sieg gestohlen wurde. Sondern einer, der authentisch und geradlinig ist. Einer der bereit ist.
 
Auf der Bühne in San Remo stand nicht einer dieser wehleidigen Spitzensportler, die Zeit ihres Lebens darüber jammern, dass ihnen der Sieg gestohlen wurde. Sondern einer, der authentisch und geradlinig ist. Einer, der genau weiß, wie lang der Weg noch ist, den er zu gehen hat. Einer, der bereit ist. Vor allem aber strahlte der junge Mann Zuversicht und Optimismus aus.
Alex Schwazer hat die größten sportlichen Erfolge erreicht, die ein kleiner Mann aus einem Südtiroler Bergtal erreichen kann. Am Mittwoch aber dürfte er den wohl wichtigsten Sieg seines Lebens errungen haben.
Für diesen Auftritt in San Remo gibt es keine Goldmedaille, dafür aber die Hochachtung vieler, vieler Menschen.
Chapeau Alex!

 

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Hartmuth Staffler Do., 04.03.2021 - 21:53

Ich weiß nicht recht, was Herr Franceschini unter Rückgrat versteht, aber für mich war der Auftritt des Herrn Schwazer in San Remo einfach nur peinlich. Und das, obwohl ich ihm durchaus glaube, dass ihm jemand in seine Urinproben gepinkelt hat. Deswegen muss er sich aber nicht zum Hampelmann machen.

Do., 04.03.2021 - 21:53 Permalink
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Arne Saknussemm Fr., 05.03.2021 - 09:03

Die Zurschaustellung seiner eigenen Leidensgeschichte an das seelenlose Monstrum der Unterhaltungsindustrie zeugt nicht von Rückgrat sondern von Opportunismus der schlimmsten Sorte. Mit seiner unsäglichen Opferrolle versucht Schwazer seine "Würde" wiederzuerlangen und verliert sie doch nur endgültig. Eine Sportlerpassion für die Einschaltquoten. Er kann einem eigentlich nur leid tun.

Fr., 05.03.2021 - 09:03 Permalink
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rotaderga Sa., 06.03.2021 - 08:24

Und damit werden Rundfunkabgaben gerechtfertigt. Geht mit Gott, aber geht. Alle.

Sa., 06.03.2021 - 08:24 Permalink