Gesellschaft | Gastkommentar

Etwas differenzieren, bitte!

In der aktuellen Debatte werden die Leistungsstipendien zu etwas gemacht, das sie gar nicht sind. Vor welchen Problemen die Südtiroler Studierenden wirklich stehen.
Student in Bibliothek
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Es schaut auch für die Studierenden schlecht aus. Die Corona-Pandemie hat die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit verschärft und Verteilungsfragen stellen sich stärker als noch vor einem Jahr. Die typischen Jobs, mit denen sich nicht wenige von uns über Wasser halten oder versuchen, etwas besser zu leben (in Österreich z.B. arbeiteten rund zwei Drittel der Studierenden neben ihrem Studium), sind großteils weggefallen. Nur wenige von uns kommen in den Genuss von Arbeitslosengeld oder anderen sozialstaatlichen Benefits – der prekären Beschäftigung sei’s gedankt. Gleichzeitig verarmen unsere Familien. In beiden Fällen droht die gleiche Folge: Studienabbruch aufgrund von Geldmangel. Da somit das Recht auf freien Hochschulzugang gefährdet ist, pochte die Südtiroler HochschülerInnenschaft letztes Jahr darauf, mehr Studierende von der ordentlichen Studienbeihilfe profitieren zu lassen, zweitens, diese rückwirkend für die Gewinner des alljährlichen Wettbewerbs zu erhöhen und drittens eine außerordentliche Beihilfe vorzusehen, die ausgezahlt würde, wenn die eigene Familie einen Einkommenseinbruch von mindestens 20% erleiden musste. Während wir letztes Jahr keinerlei Unterstützung durch irgendeine Landtagsfraktion erhielten, als es um diese essentielle Forderungen ging, scheinen studentische Themen jetzt opportun geworden zu sein. Teile der Opposition haben sich ihrer lautstark angenommen. Das Problem dabei: Es geht nur um die Leistungsstipendien. Bekanntlich sollen sie heuer ausgesetzt werden. Der Grund: Geldmangel.

Ich weiß, es klingt so, als wollte ich hier Studierende gegeneinander ausspielen – doch das wäre ein grobes Missverständnis

 

Leistungsstipendien sind keine soziale Stützmaßnahme

 

Die Leistungsstipendien weisen seit jeher strukturelle Defizite auf und sind in unseren Augen durchaus reformbedürftig. Hiervon abgesehen – denn diese Frage stellt sich nun nicht primär – gibt es für ihre Existenz gewiss treffliche Argumente und ihr meritokratisches Grundanliegen ist auf jeden Fall gerechtfertigt. Herausragende Leistung muss belohnt werden, als Ansporn für andere und als sichtbare Wertschätzung der Öffentlichkeit gegenüber Studierenden, die in Hinblick auf (messbare) Leistung etwas erreicht haben. In der aktuellen Debatte werden die Leistungsstipendien allerdings zu etwas gemacht, das sie gar nicht sind. Die Landtagsabgeordneten Ploner, Köllensperger und Repetto kritisieren die Aussetzung der Leistungsstipendien vor allem vor dem Hintergrund gestiegener Lebenskosten, verminderter Einkommen der Studierenden, ja aus einer sozialen Perspektive. Doch entspricht das dem Wesen der Stipendien? Nun ja. Die Leistungsstipendien sind leistungsbezogene Prämien, ein sinnvoller Bonus, der verdienten Studierenden freilich ganz konkret, materiell im Studium weiterhilft, sie dienen aber im Allgemeinen nicht der Existenzsicherung. Selbst wenn sie das im Einzelfall tun – hierfür konzipiert sind die Leistungsstipendien nicht. Warum? Wir dürfen die Leistungsstipendien in ihrer Breitenwirkung nicht so überschätzen. Nicht einmal 2% der Südtiroler Studierenden kommen in deren Genuss, und wenn, dann unabhängig von ihrer sozialen Lage. Zum Vergleich: Bei den Leistungsstipendien sprechen wir von 265 Empängern, bei den ordentlichen Studienbeihilfen von fast 4.000, immer bezogen auf das vergangene Jahr. Zugunsten dieser rund 30% der Südtiroler Studierenden investiert das Land letztlich in seine eigene Zukunft. Es sichert jungen Menschen den halbwegs freien Zugang zur Bildung, die ansonsten keine Möglichkeit hätten, ihr Talent überhaupt zu entwickeln – geschweige denn, „stipendienfähige“ Bestleistungen zu erzielen. Und muss aus Sicht der öffentlichen Hand der Sicherung gleicher Startbedingungen im Zweifelsfalle nicht Vorrang gewährt werden gegenüber der Prämierung einiger, die schon im Rennen sind? Das sind keine schöne Fragen und Gedanken. Aber es sind auch keine schönen Zeiten.

Wir wollen kein Entweder-oder, sondern nur eine sozial gerechte Schwerpunktsetzung

Wenn es jetzt heißt, die Stipendien dienten als Ergänzung oder Ersatz für die mangelhafte ordentliche Studienbeihilfe, so beweist das nur, dass die HochschülerInnenschaft mit ihrer Forderung, die ordentliche Studienbeihilfe massiv auszuweiten, richtig liegt. Ganz genau, damit auch die Kinder der „Mittelschicht“ im Verhältnis zu ihrer objektiven Bedürftigkeit von den Landesgeldern profitieren können. Es handelt sich um eine Klasse, die unter den gegenwärtigen Bedingungen direkt vom Abstieg bedroht ist und deren sinkende Finanzkraft sich natürlich auch auf die Möglichkeiten ihrer Studierenden negativ auswirkt. In der neuen Realität der „Abstiegsgesellschaft“ droht Bildung, besonders akademische Bildung, sich zu einem Privileg eines immer engeren Zirkels von Begüterten zu entwickeln. Dann kann auch gar keine Leistung mehr gefördert werden, da viele junge Menschen a priori von der Universität ausgesschlossen werden und sich gar nicht erst beweisen können. Dem kann das Land entgegenwirken, indem es den Fonds für die ordentliche Studienbeihilfe aufstockt und gleichzeitig den Zugang zu ihr erleichtert. In diese Richtung arbeiten wir schon lange, besonders intensiv und nicht ohne Erfolg aber seit dem Beginn der Pandemie. Weil wir einen sozialen Notstand haben, setzen wir bei sozialen Maßnahmen an. Der Landesregierung haben wir zu verstehen gegeben, dass sie sich auf einen größeren Andrang auf die Studienbeihilfe einstellen muss und dass es fatal wäre, allzuviele Studierende dabei leer ausgehen zu lassen. Deshalb ist es ein Konsens, den wir aus Gerechtigkeitserwägungen mittragen, alle Kräfte auf die Studienbeihilfen zu bündeln – weil die, und ich sage es nocheinmal, effektiv an Personen gehen, die diese Mittel benötigen.

 

Eine soziale gerechte Schwerpunktsetzung – senken, aber nicht streichen!

 

Ich weiß, es klingt so, als wollte ich hier Studierende gegeneinander ausspielen. Doch das wäre ein grobes Missverständnis. Denn wir von der sh.asus sagen: Unter der Prämisse, dass wirklich gespart werden muss, können wir eine Reduzierung des Umfangs der Leistungsstipendien nachvollziehen, sofern die soziale Abfederung der Studierenden gesichert bleibt. Und ich wiederhole: Anders als manche Landtagsabgeordnete das jetzt suggerieren, erfolgt letztere gerade nicht durch die Leistungsstipendien, sondern durch die ordentliche Studienbeihilfe. Wir wollen also kein Entweder-oder, sondern nur eine sozial gerechte Schwerpunktsetzung. Wir verlangen nicht nach der Aussetzung, können den Schritt aber verstehen. Bevorzugen würden wir freilich eine bloße Reduzierung, eine Anpassung des Umfangs der Leistungsstipendien an die Haushaltslage. Über den Umfang der Reduzierung und die Art und Weise der Verteilung des übrigbleibenden Betrages sollte mit den Studierenden diskutiert werden. Auch wären die genauen Modalitäten der Reduzierung zu prüfen, denn sie impliziert eine juristisch durchaus komplexe Operation. Aber warum so kompliziert?

Wer sich mit studentischen Themen profiliert, ohne die studentischen Organisationen zu konsultieren, sorgt dafür, dass die Jugend „keine Lobby“ hat

Es wäre zwar für uns, den Vorstand der sh.asus, wesentlich einfacher, jetzt in den Chor der Fundamentalopposition einzustimmen. Doch die Maßstäbe, mit denen wir – auf gesellschaftspolitischer Ebene – die Haltung anderer Interessenverbände in Südtirol bewerten, gelten auch für uns: Sachlichkeit und ein vernünftiges Maß zwischen dem Beharren auf Vorteile für die eigene Gruppe einerseits und dem Ausgleich mit gesamtgesellschaftlichen Erfordernissen andererseits. Leider ist es nach über einem Jahr Corona-Dauer-Empörung normal geworden, einfach so lange zu schreien, bis das Geld fließt. Jedoch hält die Südtiroler HochschülerInnenschaft seit ihrer Gründung vor mehr als 65 Jahren am Prinzip fest, nicht ausschließlich in eigener Sache zu agieren, sondern sich zum Wohle einer offenen, demokratischen und solidarischen Gesellschaft insgesamt einzusetzen. Das erfordert mitunter die Abwägung verschiedener, konträrer Interessen – besonders in Krisenzeiten, wenn es um die bestmögliche Verwaltung von Ressourcen geht.

 

Der Knackpunkt: Durch Transparenz Akzeptanz fördern

 

Aber was sind schon 300.000 Euro Leistungsstipendien bei 6 Haushalts-Milliarden? Ist es wirklich nötig, bei uns zu sparen? Ich will ehrlich sein: Wir wissen es nicht. Ein politisch betrachtet katastrophales Signal ist es allemal – sehr freiwillig dürfte es niemand setzen. Unsere Generation fühlt sich sowieso schon abgehängt, nicht ernst genommen, vernachlässigt von der herrschenden Politik und ihrem Unwillen, über den nächsten Wahlgang hinausgehende, überzeugende Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Das Bewusstsein, einst für die Fehler der vergangenen Jahrzehnte büßen und all die Schulden abbezahlen zu müssen, die jetzt angehäuft werden (denn welcher Politiker wird es sich trauen, die wirklich fetten Vermögen zu belangen?), dann aber unter den ersten zu sein, die Kürzungen erleiden müssen, stimmt nicht gerade hoffungsvoll. Uns als Studierendenvertretung fehlt jedoch der tiefere Einblick in die Komplexitäten des Landeshaushaltes, sodass uns wenig anderes übrigbleibt, als mit den Aussagen unserer Partner in Politik und Verwaltung zu arbeiten. Ist das naiv? Vielleicht. Jedenfalls wollen wir unsere Linie nicht auf Halbwissen oder Vermutungen stützen und haben es auch nicht nötig, aus Prinzip zu polemisieren. Aber um Akzeptanz zu schaffen, sollte die Landespolitik tatsächlich die genauen Gründe für die Sparerfordernis offenlegen – das sehen wir wie Ploner, Köllensperger und Repetto. Über andere Kürzungen im Jugend- und Kulturbereich sind wir bereits im Bilde und können somit die Streichung der Stipendien zumindest verhältnismäßig verstehen, aber bis dato fehlt uns der Vergleich zu Einsparungen in anderen Bereichen bzw. in Angelegenheiten, die sich weniger einschneidend auf die Zukunft unserer Generation auswirken.

Die Corona-Pandemie hat die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit verschärft und Verteilungsfragen stellen sich stärker als noch vor einem Jahr

Erst wenn die effektive Notwendigkeit belegt wird, den Sparstift (auch) bei der Bildungsförderung anzusetzen, werden wir das Gefühl der ungerechten Behandlung los. Dann kann uns auch jeder beim Wort nehmen; gerade uns, die wir oft die Idee der Solidarität beschwören. Denn diese ist keine Einbahnstraße, sondern bringt mit sich, dass alle Bevölkerungsteile, wenn es denn nicht anders geht, materielle Opfer bringen – auch die jungen Bürgerinnen und Bürger. Wenn die Dinge also so stehen, bedürfen wir keiner langen Überlegung, worauf bei knappen Ressourcen die Priorität zu legen ist: auf die soziale Gerechtigkeit. Als Südtiroler HochschülerInnenschaft werden wir den Dialog mit Politik und Verwaltung fortsetzen und die objektiven und gemeinsamen Interessen der Studierenden sachlich, beharrlich und unaufgeregt vertreten. Vereinnahmen lassen wir uns nicht, wem es aber um die Sache geht, ist immer unser Partner. Am besten ist immer noch, überhaupt mit uns zu reden. Das gilt umso mehr für politische Kräfte, die von sich behaupten, jugendfreundlich zu sein. Wer sich, wie jetzt mancheiner, mit studentischen Themen profiliert, ohne die studentischen Organisationen zu konsultieren, sorgt gerade durch diese paternalistische Haltung dafür, dass die Jugend „keine Lobby“ hat und zeigt, die gemeinsamen, freien und selbstkontrollierten Institutionen der Studierenden nicht ernst zu nehmen.

 

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Julian Nikolau… Mi., 07.04.2021 - 11:30

Herr Freud,

auf Ihre (wodurch auch immer bedingte) gehässigen Unterstellungen gegen meine Person brauche ich nicht einzugehen, Sie scheinen mir da sowieso zu festgefahrene Ansichten zu haben. Habe anderes zu tun. Ich finde es dennoch amüsant, dass Sie von meinem Studium oder meiner Tätigkeit in der Interessenvertretung schließen, dass ich ein fauler Nichtsnutz bin, der auf dem Weg dazu ist, ein volksfeindlicher Schmarotzer (= für Sie sind Politiker das ja wohl) zu werden. Da wissen Sie mehr über mich als ich selbst. Und dass ich nie gearbeitet habe - naja, glauben Sie das, wenn das Ihr Weltbild bestätigt - bin Ihnen nicht böse ;)

Ich weiß nicht, wo sie herauslesen, dass Studierende stärker als alle anderen von Ihnen genannten Berufs- bzw. Bevölkerungsgruppen betroffen sein sollen. Ich nehme an, Sie schätzen große Teile der akademische Bildung so oder so gering und haben jetzt eben eine Gelegenheit gefunden, es der linksgrünversifften SH auszuwischen. Gerne, da sind Sie nicht der erste. Wahrscheinlich hätten Sie gewollt, dass ich den Text mit „Es reicht“ oder „Wie lange noch“ oder anderen Slogans der Gastronomen beginnen müssen, um Sie glücklich zu machen? Aber ich habe über die Studierenden geschrieben. Stellen Sie sich vor, ich hätte über Rentner und Gastronomen gesprochen, da hätten dann Leute wie Sie gesagt: „Wos erlab der sich denn?!“

Alle übrigen Aussagen sind dermaßen grenzwertig, dass ich mich nicht dazu äußere. Es geht Ihnen ja eh nicht um die Sache, sonst hätten Sie nicht bei einem spezifischen Gastbeitrag extra über mich recherchiert, was Sie so finden, um dann Ihrem Frust freien Lauf zu lassen. Sehen Sie Südtirol so, wie Sie es für richtig befinden - nur ein schneller Hinweis: Das von Juristen geknechtete Südtirol produziert in seiner Bozner Universität streng genommen vor allem Absolventen, die in den von Ihnen genannten Fächern ausgebildet wurden.

Ich mache mir für die Zukunft mehr Sorgen bei Menschen wie Ihnen die China als Vorbild nehmen. Jedenfalls könnten Sie in diesem so fortschrittlichen Land nicht Ihre Meinung in Kommentaren äußern. Ich würde darin keinen Fortschritt erkennen, selbst wenn Sie glauben, mich verachten zu müssen.

Mi., 07.04.2021 - 11:30 Permalink
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Herta Abram Mi., 07.04.2021 - 13:20

Wie wenig, enge Denkmuster, negative Vorurteile, abwertende Bewertungen, Schulmeisterei, unbelegbare Behauptungen und von-oben- herab Zuschreibungen mit seriöser Themenauseinandersetzung bzw. bereichernder Diskussionskultur zu tun haben, kann man an diesem Kommentar von Siegfried Freud gut erkennen.
Wie wohltuend hingegen ist der Kommunikationsstil des jungen Autors Julian Nikolaus Rensi!
Anscheinend sind es die Jungen, die es besser verstehen, dass es in der Debatte oder Kommunikation gilt, Inhalt von Person zu trennen. Und die Person/die Persönlichkeit des Diskutanten zu respektieren.

Mi., 07.04.2021 - 13:20 Permalink
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Profil für Benutzer Julian Nikolaus Rensi
Julian Nikolau… Mi., 07.04.2021 - 15:47

Sie haben eine interessante Auffassung von konstruktiver Kritik. Wer hier „dünnhäutig“ ist, sei dahingestellt. Ich merke nur, dass man mit Ihnen kaum reden kann, weil Sie aus mir irgendeine Fantasieperson in Ihrer persönlichen Vorstellung gemacht haben - von Wegen neue Generation der SVP, irgendwen beerben...Was soll ich Ihnen darauf antworten? Wenn Sie ein Problem mit - ich rate mal - LH Kompatscher haben, melden Sie sich besser bei ihm, nicht bei mir. Oder Senator Durnwalder? Der war auch in Innsbruck...
Ich vertrete nicht „die gesamte Bevölkerung“, weil mich auch niemand dazu befugt oder beauftragt hat, genauso wenig wie Sie, sondern nur die Studierenden im Rahmen meiner Tätigkeit in der sh.asus - und die ist kein Landtag, sondern eine Interessenvertretung. Aber und in Bezug auf „aufmerksam lesen“: Schreibe ich im Beitrag nicht gerade, dass jede Interessenvertretung immer auch das Allgemeinwohl vor Augen haben muss? Somit erteile ich genau diesem lobbyistischen Ansatz, der ausschließlich auf die eigene Gruppe schaut, eine klare Absage.

Sie können sich nun gerne weiter ausdenken, was ich alles so vorhabe, wie sehr ich mit der unfähigen Politik unter einer Decke stecke oder sonst was. Konstruktive Kritik braucht jede Organisation, aber Sie äußern sich nicht zur Angelegenheit, über die ich für die SH geschrieben habe und üben somit auch keine „konstruktive“ Kritik.

Mi., 07.04.2021 - 15:47 Permalink