Italiens angespannte Covid-Atmosphäre eskaliert. Am gestrigen Dienstag kam es vor der Abgeordnetenkammer bei einer Kundgebung von Gastwirten gegen die Schliessung ihrer Lokale erstmals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Polizei in Kampfaustrüstung mit Helmen, Schlagstöcken und Schutzschilden setzte Tränengas ein. Die Demonstranten antworteten mit Sprechchören: "Siamo imprenditori, non delinquenti." Unter den Teilnehmern an der Kundgebung befanden sich auch Mitglieder von Casa Pound und Forza Nuova. Es war nicht die einzige Demonstration. Bei Neapel blockierten aufgebrachte Wanderhändler die Autobahn und zeigten Spruchbänder mit der Aufschrift "Non ce la facciamo più".
Am Mailänder Hauptbahnhof demonstrierten Wanderhändler und Busunternehmer mit einer nicht genehmigten Kundgebung gegen die Einstellung ihrer Tätigkeit. Rund 100 Fahrzeuge blockierten die Via Pisani vor dem Bahnhof. Die Lage droht zu eskalieren. So dauerte etwa die Blockade der Autobahn bei Neapel über 10 Stunden und wurde erst abgebrochen, als eine Vertretung der UGL von der Regierung Zusagen erhalten hatte. Für ein vierstündiges Chaos sorgte auch die Blockade am Mailänder Hauptbahnhof. Dass diese Proteste – wie vor dem römischen Palazzo Montecitorio – auch von rechtsextremen Bewegungen wie Casa Pound geschürt und unterwandert werden, ist ein weiteres Alarmsignal.
Die Statistiken zeigen auch, dass von der Corona-Krise Frauen ungleich mehr betroffen sind als Männer.
Der Verlust des Sozialprodukts durch die Covid-Schliessungen wird auf über 150 Milliarden geschätzt. 38 davon betreffen die Gastbetriebe, 100 den Fremdenverkehr. Die Statistiken zeigen auch, dass von der Corona-Krise Frauen ungleich mehr betroffen sind als Männer: Im vergangenen Dezember waren von 101.000 Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, 99.000 Frauen. Die Statistik bestätigt: Im Corona-Jahr 2020 kamen in Italien auf vier neue Arbeitslose drei Frauen. Unter den am meisten betroffenen Berufsgruppen sind Geschäftsinhaber, Wanderhändler und Friseure.
Die gestrigen Kundgebungen und teilweise gewalttätigen Ausschreitungen sind ein Warnsignal. Die Polizei wurde vor der Abgeordnetenkammer mit Wurfgeschossen bedacht und mit "Giù il casco"-Chören zum Abnehmen der Helme aufgefordet. Der Corriere della Sera ortet in der battaglia tutti contro tutti ein bedrohliches Symptom: "La pandemia ha esasperato la spaccatura, trasformando i garantiti in tifosi acritici del lockdown – conta solo la salute, il resto seguirà – e gli autonomi in negazionisti o minimizzatori. Una guerra tra poveri – anzi tra ex-benestanti – combattuta a colpi di stereotipi: 'fannulloni' contro 'evasori' stipendiati contro autonomi, garantiti contro abbandonati a se stessi."
Wohin dieses gefährliche Gemisch führt, hat sich bei den gestrigen Kundgebungen deutlich gezeigt.