Arbeit & Zukunft
Unsicherheit, Angst, Stagnation, Resignation. Wut.
Wut auf die als Flexibilität getarnte Unsicherheit. Wut auf die als Freiheit getarnte Angst. Wut auf das Zu Viel an Möglichkeiten, die keine Perspektiven bieten. Wut darauf, dass Veränderung nicht nur aussichtslos scheint, sondern gar nicht erst ansetzen darf. Und immer und immer wieder diese verdammte andauernde Unsicherheit.
Die hier genannten Gefühle entspringen einer Umfrage der Financial Times zur Situation junger Menschen auf dem Arbeitsmarkt. An der Umfrage, die den Erfahrungen junger Menschen seit Beginn der Pandemie auf den Grund geht, nahmen weltweit rund 1700 Menschen zwischen 16 und 35 Jahren teil. Diese Woche wurden die Ergebnisse der Umfrage diskutiert. Überraschenderweise überwog nicht der Wunsch nach mehr Flexibilität, sondern jener nach einem angemessenen Einkommen, Möglichkeiten zur Weiterbildung und nach Sicherheit: Sicherheit, die es jungen Menschen erlaubt, ein eigenes Leben auf die Beine zu stellen.
Beinahe zeitgleich wurde im Centro culturale G. Salvemini in Bozen dasselbe Thema aus einer anderen Perspektive aufgegriffen: Wie den Arbeitsmarkt zukunftssicher gestalten? Die globalen Fragen und Antworten der Financial Times und der lokale Diskurs im Centro culturale G. Salvemini lassen sich überraschend einfach in ein einziges Narrativ verflechten. Sie bieten interessante Ansätze für Veränderung.
Struktureller Wandel
Natürlich gibt es nicht nur Angst und Unsicherheit. Nicht nur Stagnation, Resignation und Wut. Es gibt sie, die anderen, die Glückspilze. Jene jungen Menschen, die sehr wohl über ein sicheres, gut bezahltes und perspektivenreiches Arbeitsverhältnis verfügen. Dass sich der Großteil der jungen Menschen hier jedoch nicht angesprochen fühlt, ist kaum verwunderlich: Vor dem Ausbruch der Pandemie befanden sich die Hälfte der Europäer zwischen 15 und 24 Jahren (Großbritannien ausgeschlossen) in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Viele von ihnen haben durch die Krise ihre Arbeit verloren. Und damit auch ihr Einkommen: Die meisten befristeten oder sogenannten “zero-hours contracts”, die eine Anstellung auf Abruf ermöglichen, sehen keine Sicherheiten wie Lohnausgleich, Ersatzzahlungen, Krankenstand oder gar Pensionsvorsorge vor.
Wie Sarah O’Connor, Kolumnistin der Financial Times, erklärt, legt die Pandemie grundlegende strukturelle Verschiebungen bloß: Obwohl sich der Arbeitsmarkt schnell verändert und junge Menschen immer häufiger als “job-hoppers”, also Menschen, die von einem Job zum nächsten springen, bezeichnet werden, sind die Arbeitsverhältnisse in den letzten Jahren stabiler geworden; der Arbeitsmarkt ist sozusagen abgekühlt. Wer eine feste Anstellung hatte, hielt auch dann an einem bestehenden Arbeitsverhältnis fest, wenn die Arbeitsverhältnisse prekär und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung nicht vorhanden waren. Unsicherheit und scharfe Konkurrenz mahnten zur Vorsicht. Junge Menschen wechselten ihre Anstellung vor allem aus Notwendigkeit, viele wünschten sich mehr Stabilität.
Abhängige Unabhängigkeit
Dabei hat fehlende Stabilität nichts damit zu tun, die eigene Arbeit flexibel gestalten zu können. Im Gegenteil: Wie O’Connor erklärt, ist Flexibilität heute viel mehr eine Forderung, die Arbeitgeber an ihre Arbeitnehmer stellen. “Arbeitgeber erwarten die Verfügbarkeit ihrer Angestellten. Wer verfügbar ist, dem oder der werden weiterhin Aufträge vermittelt; die anderen gehen leer aus.” Das, so O’Connor, dürfe nicht als Flexibilität durchgewinkt werden. "Solche Verhältnisse sind nicht flexibel, sondern angsteinflößend. Sie untergraben die Möglichkeit, das eigene Leben gestalten zu können."
Für viele liegt ein berufliches etwas Werden oder etwas Sein außerhalb ihrer Reichweite – Guy Standing, The Precariat.
Michele Buonerba, Gewerkschafter und Generalsekretär der SGB/ CISL, beschreibt eine ähnliche Situation, wenn er darauf hinweist, dass die Grenze zwischen unabhängiger und abhängiger Arbeit immer weiter verschwimmt. "Die Arbeit in einer Redaktion, – so Buonerba – ist in vielen Fällen ein Paradebeispiel dafür: Viele Journalisten und Journalistinnen arbeiten freiberuflich, dabei ist ihre Arbeit oftmals alles andere als autonom. Sowohl Arbeit als auch Arbeitszeit sind den Ansprüchen der Redaktion unterstellt. Gleichzeitig müssen die Arbeitnehmer auf viele Sicherheiten eines geregelten abhängigen Verhältnisses verzichten."
Folgen nicht nur für Einzelne
Die Folgen eines unsicheren Arbeitsmarktes sind vielfältig.
Einerseits wirkt sich die Unsicherheit negativ auf das Einkommen der einzelnen Arbeiter aus: Fehlen die wahrgenommenen Aufstiegsmöglichkeiten, bleiben auch eine kontinuierliche Gehaltserhöhung und die damit verbundenen wirtschaftlichen Sicherheiten der einzelnen Arbeiter aus. Dies hat wiederum negative Folgen für die Kaufkraft der Einzelnen und somit indirekt auch für die gesamtwirtschaftliche Situation.
Andererseits bleiben Handlungsfähigkeit und Perspektiven der jungen Menschen auf der Strecke: Wie Michele Buonerba betont, sind die Möglichkeiten junger Menschen, eigenständige Projekte zu entwickeln, begrenzt. Dies betrifft nicht nur das Berufsleben vieler junger Menschen: Auch die private Situation, wie beispielsweise die Aussicht eine Familie zu gründen, wird durch die prekäre Situation auf dem Arbeitsmarkt, die zudem verhältnismäßig viele Frauen betrifft, immer weiter eingeschränkt.
Dass Veränderung möglich ist, zeigen die konkreten Lösungsansätze, um die man sich sowohl in Bozen als auch bei der Financial Times bemüht.
Wenige Flugstunden westwärts, schließt sich O’Connor, die sich in ihren Kolumnen mit Arbeitsthemen beschäftigt, Buonerbas Analyse an: “Junge Menschen mitsamt ihren innovativen Ideen werden durch prekäre Anstellungen an den Rand der Unternehmen gedrängt”, so O’Connor. “Die Möglichkeit, Unternehmen und ihre Arbeit selbst mitzugestalten, wird ihnen so genommen.” Auch zwinge die Unsicherheit viele junge, gut ausgebildete Menschen dazu, irgendeine Anstellung anzunehmen, wenn sie selbst ein neues, zukunftsweisendes Unternehmen auf die Beine hätten stellen können, so O’Connor. “Um eigenständige unternehmerische Tätigkeiten zu fördern, sind wirtschaftliche und soziale Sicherheiten in -und außerhalb der Arbeitsverhältnisse unumgänglich.”
The lucky few, oder: beißen bringt nichts
Nicht nur jene, die sich selbst in einer prekären Situation befinden, empfinden die Situation als problematisch. Wie aus den Umfragewerten der Financial Times hervorgeht, bezeichnen viele, die auf ein stabiles Arbeitsverhältnis mit angemessenem Einkommen und Zukunftsperspektiven bauen können, die eigene Situation als “lucky”. Lucky, dass sie aus einem Topf aus tausenden, oftmals hoch qualifizierten BewerberInnen gefischt wurden; lucky, mit entsprechenden Qualifikationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Glückspilze. Das Gefühl, die eigene Zukunft in der Hand zu haben, Projekte und Lebensziele verwirklichen zu können, wird vielfach durch die Gunst des Schicksals ersetzt – oder eben nicht.
Wie Guy Standing schon 2011 in seinem Bestseller “The Precariat” erörterte, wird es immer schwerer, ein berufliches Narrativ zu finden. Für viele liegt etwas Werden oder etwas Sein außerhalb ihrer Reichweite. Sie mühen sich vergeblich an nicht anständig bezahlter und gewerteter Arbeit ab, ohne konkrete Aussichten darauf, ihre Erfahrung als Trittbrett nutzen zu können.
Stagnation, Resignation, Wut
Einerseits wird die Forderung nach einer ausgewogenen “Work-Life-Balance” immer lauter. Warum in jungen Jahren in den sauren Apfel beißen, wenn die Aussicht auf eine gesicherte, angemessen bezahlte und den eigenen Qualifikationen entsprechende Arbeit unerreichbar scheint? “Viele glauben ganz einfach nicht mehr daran, – so O’Connor – dass das Sich-Abmühen, Früchte tragen wird. Warum sich also mit 60-Stunden-Wochen abmühen?”
Andererseits zehr auch hier die Unsicherheit. Der Boden, auf dem viele Arbeitnehmer und -suchende stehen, auf dem Rechte vertreten und Forderungen gestellt werden könnten, wird immer brüchiger: "Viele haben keine Möglichkeit, sich durch Weiterbildungen einem sich stetig wandelnden Arbeitsmarkt anzupassen. Und das in einem Land, in dem 49 Prozent der arbeitenden Bevölkerung nur über einen Mittelschulabschluss verfügen. Anderen, gut ausgebildeten jungen Menschen fehlt eine der Zeit angemessene Vertretung", ist der Gewerkschafter Buonerba überzeugt.
Es könnte auch anders sein
Dass Veränderung möglich ist, zeigen die konkreten Lösungsansätze, um die man sich sowohl in Bozen als auch bei der Financial Times bemüht. Diese beziehen sich vor allem auf Ausbildung, gesetzliche Möglichkeiten und eine angemessene Vertretung.
Schon die Schule müsse junge Menschen darauf vorbereiten, sich auf einem sich wandelnden Arbeitsmarkt zurechtzufinden. “Up-Skilling” nennt Buonerba diesen Prozess, der jungen Menschen vor allem kritisches Denken, Kommunikation, Zusammenarbeit und Kreativität vermitteln soll. Spezifische berufsbezogene Kompetenzen sind hier zweitrangig. Gleichzeitig sei es nötig, die Soft-Skills der arbeitsfähigen Bevölkerung kontinuierlich zu schulen, um so ein Re-Skilling, ein sich Anpassen an die spezifischen und wandelnden Anforderungen verschiedener Branchen auf dem Arbeitsmarkt zu erreichen.
Im Bezug auf die rechtlichen Möglichkeiten wird vor allem auf die Reglementierung der flexiblen Arbeitsverhältnisse hingewiesen. Einerseits, so O’Connor, haben sich Homeoffice und flexible Arbeitszeiten, was die Produktivität der Arbeitnehmer betrifft, bewährt. “Die Arbeitgeber wissen, dass sie sich auf ihre Angestellten verlassen können. Viele haben sogar mehr gearbeitet als sonst”. Es sei aber nötig, eine Lösung zu finden, um diese Flexibilität nicht in eine ständig erwartete Arbeitsbereitschaft zu verwandeln. Hier weist O’Connor auf Experimente in New York und Chicago hin, wo Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten schon einige Wochen vorher angeben können. Sollte mehr Flexibilität nötig sein, so muss diese auch entsprechend vergütet werden.
“Junge Menschen mitsamt ihren innovativen Ideen werden durch prekäre Anstellungen an den Rand der Unternehmen gedrängt” – Sarah O'Connor.
Ähnlich argumentiert Buonerba, der ein formalisiertes Abkommen für Menschen im Homeoffice vorschlägt. Dieses soll unter anderem das Recht auf Abschalten vom Arbeitsalltag beinhalten und auch gesundheitliche Risiken sowie den möglichen finanziellen Mehraufwand für den Arbeitnehmer – Heizung und Mittagessen beispielsweise – reglementieren. Zudem, so Buonerba, dürfe das Homeoffice die Präsenzarbeit nicht komplett abschaffen.
Ein letzter Punkt betrifft die Vertretung der Arbeitnehmer: Buonerba schlägt hier vor, Personen aufgrund ihrer Kompetenzen und nicht aufgrund ihrer spezifischen Berufsbezeichnungen zu vertreten. Somit könnte beispielsweise eine Informatikerin, die in einem IT-Unternehmen arbeitet, nicht nur auf dieselben Rechte wie ein Informatiker in der Automobilbranche zurückgreifen. Sie hätten zudem eine stabilere Grundlage, um ihre Rechte gemeinsam und ihren Kompetenzen entsprechend zu vertreten.
Ein sehr wichtiger und
Ein sehr wichtiger und interessanter Beitrag.
Ergänzend empfehle ich Dokumentationen zum Themen auf Arte, u.a:
https://www.arte.tv/de/videos/075833-000-A/arbeit-auf-abruf/
https://www.arte.tv/de/videos/069881-000-A/im-schatten-der-netzwelt-the…
„Kim“???
„Kim“???
„Sobald es einen Ausbeuter gibt, egal, wie der sich anzieht und was der seiert, gibt es Ausgebeutete“, steht oben:
Ja, bei den Beispielen ist dann der Staat mit seiner Führungsclique der „Ausbeuter“, der alle versklavt und jeden Mehrwert abschöpft.
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Mit Stalin und Mao haben Sie zudem 2 Massenmörder epischen Ausmaßes in Ihre Liste aufgenommen. Ideologie in Reinkultur.
Sie kennen - so zeigt es sich hier - weder die (bankrotte) DDR wirklich, noch auch nur ansatzweise das Leben in Nordkorea.
(Brachten nicht Flugzeuge Fleisch für die Hunde - für die Hunde! - der Frauen der DDR-Führungsebene aus dem Westen, die abgeschottet und beschützt in einem „Reservat“ relativ luxuriös lebten?).