Museen Bozen: Vision vs. Standortstreit
Heinz Peter Hager ist über die Analyse der Firma SINLOC zur Frage des Standorts für ein neues Archäologiemuseum sehr verärgert. Das ist verständlich. Im Grunde müsste er aber über das Ergebnis froh sein. Denn es ist ein klarer Pyrrhussieg seiner Gegenspieler in der vorwiegend deutschen Politik und Geschäftswelt Bozen, die das Ötzimuseum partout im Stadtzentrum sehen wollen. Alle Hoffnungen und Versuche, den Ötzi in der Nähe der Lauben zu halten, gehen nämlich ins Leere.
Von zehn vorgeschlagenen Objekten wurden fünf aus der Untersuchung ausgeschlossen. Zwei Objekte, denen eine gute Lage bescheinigt wird, sind für die Unterbringung eines zeitgemäßen Museums mit Erweiterungsmöglichkeit schlicht ungeeignet. Eines kann in diesem Jahrhundert nicht realisiert werden. Und der Projektsieger, das Ex-ENEL-Areal, wird sicher nicht Sitz des neuen Archäologiemuseums. Aber der Reihe nach!
Die fünf ausgeschlossenen Standorte
Um das Archäologiemuseum mit dem Goldschatz Ötzi in der Nähe des Stadtzentrums zu belassen, wurden alle möglichen Standorte ins Spiel gebracht, u.a. auch das Schloss Maretsch, der ehemalige Schulkomplex Longon-Pascoli, ein Athesia Gebäude in der Museumsstraße, die Sparkassenakademie in der Sparkassenstraße und die ehemaligen FS-Werkstätten auf dem Bahnhofsareal. Diese fünf Standorte wurden im Rahmen der Analyse definitiv ausgeschlossen, weil sie entweder die Mindestanforderungen nicht erfüllen oder bereits für andere Vorhaben bestimmt sind. Kein Ebner, kein Seehauser und kein Rizzoli kann diese Phantomprojekte mehr ernsthaft ins Spiel bringen. Allein schon wegen dieses eindeutigen Befunds wurden die Gelder der Standortanalyse nicht umsonst ausgegeben.
Die zwei ungeeigneten Objekte
Das Ex-INA-Gebäude an der Talferbrücke, in dem derzeit noch die Stadtbibliothek untergebracht ist, und der schräg gegenüberliegende Sparkassen-Hauptsitz punkten zwar hinsichtlich der von maßgeblichen Teilen der Stadtpolitiker gewünschten Lage. Als denkmalgeschützte Gebäude mit quasi Null-Erweiterungsmöglichkeit können sie aber für ein Museum des 21. Jahrhunderts nicht in Frage kommen. Das könnte die Landesregierung nie verantworten. Wer das nicht glaubt, braucht nur ins benachbarte Trentino oder nach Mestre schauen. Das MUSE in Trient, das MART in Rovereto und das M9 Museo dell‘900 in Mestre sind nicht zuletzt wegen ihrer besonderen Architektur und dem dadurch erst möglichen modernen Konzept so erfolgreich. Im Ex-INA-Gebäude ist das schlicht nicht machbar. Jeder dafür aufgewendete Cent wäre eine nicht zu verantwortende Verschwendung.
Die zwei erstgereihten Standorte
Die Firma SINLOC hat aufgrund seiner diskutablen Bewertungskriterien das Ex-ENEL-Gebäude an der Drususbrücke und das daneben liegende Gefängnis ganz vorne gereiht. Das Gefängnis scheidet schon deswegen aus, weil der geplante Neubau in Bozen Süd buchstäblich in der Luft hängt. Und das an erster Stelle gereihte Ex-ENEL-Gebäude wird zumindest aus den folgenden drei Gründen nicht realisiert werden: 1) Obwohl ihm die SINLOC* aus unverständlichen Gründen hinsichtlich Erreichbarkeit 17,3 von 18 Punkten gegeben hat, ist es weder zu Fuß noch mit dem Auto noch mit der Bahn gut erreichbar. 2) Für die Bozner Hotellerie und Beherbergungswirtschaft und wohl auch für die Laubenkönige liegt es äußerst ungünstig. Diese Kreise können diesen Standort nicht befürworten. 3) Die leerstehenden oder in Zukunft freiwerdenden Gebäude an der Dantestraße wie das Ex-ENEL-Gebäude und das Gefängnis werden früher oder später für die Erweiterung des Universitäts-Campus gebraucht werden. Kein Landeshauptmann mit etwas Weitblick, ob er Kompatscher oder in Zukunft eventuell wieder mal Durnwalder heißt, wird sich diese Wissensachse zwischen Universität und EURAC durch ein Museum verbauen. Bleibt also nur mehr der Standort Virgl übrig. Aber dazu kommen wir noch.
*Fußnote: Der Firmenname SINLOC sagte mir zunächst nichts. Aber als ich dann las, dass diese Firma dem Ex-ENEL-Gebäude hinsichtlich Erreichbarkeit quasi die Höchstnote gegeben hat, wurde mir die Bedeutung des Akronyms SINLOC klar: sine logicae / ohne Logik.
Gemeinsamer Standort für Archäologiemuseum und Naturmuseum
Dass das im Jahr 1998 eröffnete Archäologiemuseum inzwischen einfach zu eng ist und dringend einen größeren Sitz benötigt, ist allgemein bekannt. Dasselbe gilt aber auch für das seit 1997 aktive Naturmuseum in der Bindergasse. Beide Landesmuseen sind in über 20 Jahren gewachsen, haben sich entwickelt und erfüllen wichtige Funktionen. Sie sind in touristischer, wirtschaftlicher, kultureller, pädagogischer und allgemeinbildender Hinsicht wichtige Infrastrukturen des Landes in der Stadt Bozen. Aber beide Museen können heute ihr Potential nicht voll ausspielen. Denn sie platzen aus allen Nähten und brauchen dringend eine neue Unterkunft. Wäre es da nicht sinnvoll, einen gemeinsamen neuen Sitz für diese zwei Landesmuseen in Bozen zu suchen oder zu errichten?
Naturmuseum und Archäologiemuseum passen auch thematisch gut zusammen. Das eine erzählt und präsentiert die faszinierende Naturgeschichte unseres Landes, seine Geologie, seine Lebensräume für Fauna und Flora. Mit der Weltsensation Dolomiten als Highlight. Das andere erzählt das frühe Auftreten des Menschen in diesen Lebensräumen, von den Jägern und Sammlern in der Steinzeit über die ersten Siedlungen bis zur Römerzeit. Mit der Weltsensation Ötzi als Highlight.
Präsentieren wir doch die Südtiroler Naturräume und die frühzeitlichen Lebensräume in einem Haus! Mit markanter Sichtbarkeit und toller Architektur! Unter Ausnützung aller Synergien bei Führung, Forschung und Marketing! Und geben wir ihm einen passenden Namen. Ich schlage einfach mal folgenden vor: „MUST - Museum South Tyrol: dolomites, iceman & more. Südtiroler Archäologie- und Naturmuseum“.
Wo könnte das MUST seinen gebührenden Platz finden? Sicher nicht in den von SINLOC gereihten Standorten in der Altstadt, die schon für ein neues Archäologiemuseum allein nicht taugen. Wohl aber auf dem weithin sichtbaren Balkon Bozens, dem Virgl, im Nahbereich des Zentrums. Oder, wenn man mit der Realisierung länger warten will, eventuell im zum verbauenden ehemaligen Bahnhofsareal. Oder vielleicht in Bozen Süd, warum auch nicht?
Beim Marktrecherche
Beim Marktrecherche-Wettbewerb für ein Museumsquartier im Jahr 2019 war noch eine gemeinsame Unterbringung des Archäologiemuseums und des Stadtmuseums angedacht. Den Grund habe ich nie verstanden. Diese beiden Museen haben ja nur gemeinsam, dass sie derzeit zu eng bzw. ohne Erweiterungsmöglichkeit untergebracht sind. Thematisch haben sie kaum Berührungspunkte. Für das eine ist das Land zuständig und verantwortlich, für das andere die Stadt. Eine gemeinsame Führung einer solchen Struktur ist kompliziert.
Allzuviele Stadtpolitiker, vor allem von der Bozner SVP und vom Team K, wollen dem Land ständig dreinreden, wo es das neue Archäologiemuseum ansiedeln soll (in einem sehr eng gedachten historischen Zentrum) und wo ja nicht (auf dem Virgl). Wenn diese Leute wenigstens fünf Prozent der Energie, die sie für das künftige Bett von Ötzi aufwenden, für ein Konzept zur Revitalisierung des Stadtmuseums aufbringen würden, könnte dieses von seinem Dornröschenschlaf erweckt werden. Auch bei Stadtmuseen gibt es inzwischen nämlich sehr spannende und innovative Beispiele. Man muss sich nur bei Museumsexpertinnen oder im Internet kundig machen. Ein erfrischend erneuertes Stadtmuseum kann eine Altstadt ebenfalls sehr beleben. Aber daran denkt ja niemand. Hauptsache der Ötzi liegt neben dem Laden meines Klientel!
Schon mal die Eurac gesehen?
Schon mal die Eurac gesehen? Denkmalgeschütztes Gebäude, großartig erweitert. Konnte sich angesichts des Pornokinos seinerzeit auch niemand vorstellen. Um ein städtebauliches Potenzial zu erkennen, brauchts natürlich ein bisschen Weitblick und Gespür für eine nachhaltige Stadtentwicklung zum Wohle der Bevölkerung. Aber Sie müssen sich natürlich weder mit den Folgen einer Fehlentscheidung noch mit dem Klimawandel und den damit einhergehenden Veränderungen in Lebensweise, Tourismus, Verkehr etc. auseinandersetzen. In Anlehnung an Helmut Kohl: Die Gnade der frühen Geburt.
Antwort auf Schon mal die Eurac gesehen? von Lukas Abram
@Lukas Abram: Ich kenne die
@Lukas Abram: Ich kenne die EURAC und das denkmalgeschützte Gebäude, das für diese Forschungseinrichtung großartig erweitert wurde, wahrscheinlich wesentlich länger und besser als Sie. Aber nicht jedes denkmalgeschützte Gebäude ist in ähnlicher Weise eo ipso für die Unterbringung eines Museums im Standard des 21. Jahrhunderts ausbaubar und erweiterbar. Das Ex-INA-Gebäude ist es schlicht nicht.
Das Ex-ENEL-Gebäude und das Gefängnis hätten sicher das architektonische und städtebauliche Potential für ein Museumsquartier. Aber da geht es auch um den Weitblick, dieses Areal für die Erweiterung des Universitäts- und Forschungs-Campus zwischen Uni und EURAC zu reservieren.
Was ich Ihnen grundsätzlich nicht verzeihen kann, ist, dass Sie Menschen mit einer anderen Meinung unterstellen "Aber Sie müssen sich natürlich weder mit den Folgen einer Fehlentscheidung noch mit dem Klimawandel und den damit einhergehenden Veränderungen in Lebensweise, Tourismus, Verkehr etc. auseinandersetzen." Das empfinde ich arrogant.
Ich finde den Vorschlag von
Ich finde den Vorschlag von Franz Berger, die beiden Museen, einschließlich "Ötzi", in ein einziges Gebäude zu verlegen und dafür den Virgl als Standort zu nutzen, sinnvoll und relativ kurzfristig machbar.