Politik | Abstimmung

“Dorfmann hätte Stimme erheben müssen”

Der Südtiroler Schützenbund kritisiert in einem offenen Brief die Haltung von Herbert Dorfmann zu Katalonien.
Katalonien
Foto: Twitter

Die Abstimmung war am 8. März. Die Abgeordneten im Europäische Parlament stimmten darüber ab, die Immunität des ehemaligen Regionalpräsidenten von Katalonien Carles Puigdemont und weiterer katalanischer Abgeordneter aufzuheben. Die Abstimmung ging deutlich für die Aufhebung der Immunität aus.

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei stimmte mehr oder weniger geschlossen dafür. Ihr gehört auch Herbert Dorfmann an. Der Südtiroler EU-Parlamentarier wollte aber öffentlich keine Auskunft darüber geben, wie er abgestimmt hat. “Sie können es sich denken”, meinte er ausweichend auf Nachfrage von salto.bz.

Die SVP-Altmandatare verurteilten die Entscheidung hart. Jetzt wenden sich die Schützen mit einem offenen Brief an Herbert Dorfmann, den Landeshauptmann, Landesregierung, Landtagsabgeordnete und die SVP-Parlamentarier in Rom. Sie zeigen Unverständnis für die fehlende Positionierung Dorfmanns und fordern “eine klare Stellungnahme für die Minderheiten”.

 

Der offene Brief im Wortlaut

 

Sehr geehrter Herr Landeshauptmann,
sehr geehrter Herr Abgeordneter zum Europäischen Parlament,
sehr geehrte Damen und Herren!
 
Die Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes möchte Ihnen mit diesem offenen Brief ihre tief empfundene Unverständlichkeit betreffend der Vorgehensweise und Haltung des Südtiroler Abgeordneten im Europäischen Parlament Dr. Herbert Dorfmann zur Aufhebung der Immunität für die im Exil lebenden Volksvertreter Kataloniens ausdrücken.
 
Die katalanische Autonomieregierung unter Präsident Carles Puigdemont hatte bekanntlich im Jahr 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum für Katalonien abgehalten. Die Verantwortlichen wurden dafür von den spanischen Gerichten des Vergehens der Rebellion überführt und zu Haftstrafen verurteilt. Einige der katalanischen Volksvertreter – wie Carles Puigdemont – entzogen sich aber der Verhaftung, indem sie sich ins Ausland nach Brüssel abgesetzt und somit ein Leben im Exil gewählt haben. Die europäischen Mitgliedsstaaten, aber auch alle anderen Minderheiten in der Europäischen Union unternahmen nichts gegen diese grobe Missachtung demokratischer Grundrechte seitens der spanischen Zentralregierung.

Wie konnte es dazu kommen, dass der Südtiroler Europaparlamentarier Dr. Herbert Dorfmann als Vertreter einer Minderheit sich nicht klar gegen diesen Antrag ausgesprochen hat?

Bezogen auf diese in Brüssel im Exil lebenden Volksvertreter Kataloniens kam es erst kürzlich im Europaparlament zur Annahme des Antrags auf Aufhebung der Immunität. Dadurch ist der Weg für die Inhaftierung und Auslieferung dieser Personen an Spanien geebnet worden. Auch in Südtirol wurde dieser Vorfall diskutiert. Viele Mitbürger haben nicht verstanden, wie es dazu kommen konnte, dass der Südtiroler Europaparlamentarier Dr. Herbert Dorfmann als Vertreter einer Minderheit sich nicht klar gegen diesen Antrag ausgesprochen hat. Er hätte im Europaparlament mit anderen Minderheitenvertretern seine Stimme erheben müssen.
 
Fehlt uns Südtirolern mittlerweile auch der politische Weitblick? Die Frage scheint berechtigt zu sein, wenn man bedenkt, dass die Südtiroler Geschichte nicht wegzudiskutierende Parallelen zur Geschichte Kataloniens aufweist. Denn das faschistische Franco-Regime hat genauso Minderheiten und Andersdenkende verfolgt wie die italienischen Gesinnungsgenossen von Benito Mussolini. Und die den beiden Diktaturen nachfolgenden demokratischen Zentralstaaten hatten in der Repression Andersdenkender vielfach dort weitergemacht, wo ihre Vorgänger aufgehört haben. Oft mit Hilfe faschistischer Gesetzesparagraphen, die einfach von den “Demokraten” übernommen worden sind. Oder hat man in Südtirol keine Kenntnisse mehr zum “Codice Rocco”? Und ist es nicht purer Faschismus, Volksvertreter der Rebellion anzuklagen, wenn sie – wie die Katalanen – mit friedlichen und demokratischen Mitteln die Unabhängigkeit eines Gebietes von einem Staat anstreben und durchzusetzen versuchen?

Fehlt uns Südtirolern mittlerweile auch der politische Weitblick?

Wie soll das in den Statuten von Südtiroler Parteien verankerte Recht auf Selbstbestimmung umgesetzt werden, wenn Südtiroler Volksvertreter dieses Recht nicht einmal Volksvertretern anderer Minderheiten zubilligen, indem sie durch die Aufhebung der Immunität diese Demokraten der Verfolgung durch einen fremden Staat ausliefern?
 
Haben die Südtiroler Volksvertreter schon vergessen, wie es ihren Freiheitskämpfern in den 1960er Jahren ergangen ist? Die einen wurden in Südtirol verhaftet, gefoltert und eingesperrt, andere im österreichischen Exil verfolgt und in Schubhaft für eine eventuelle Auslieferung genommen. Nur durch die konsequente Haltung des damaligen Justizministers Univ. Prof. Dr. Hans Klecatsky wurde die Auslieferung von Klotz, Amplatz, den Pusterer Buam und anderer verhindert, weil das österreichische Recht eine Auslieferung an einen anderen Staat wegen politisch motivierter Vergehen nicht vorsah. Dieses Recht sollte auch für die im Exil lebenden Katalanen gelten. Nämlich keine Aufhebung der politischen Immunität, wenn das “Vergehen” darin bestanden hat, mit demokratischen Mitteln die Unabhängigkeit Kataloniens vom spanischen Staat einzufordern.
 
Die Bundesleitung des Südtiroler Schützenbundes fordert deshalb von allen Südtiroler Volksvertretern eine klare Stellungnahme und eine klare Positionierung für die Minderheiten, die für die Südtiroler Bevölkerung wegweisend sein sollte.
 
Hochachtungsvoll
 
Im Namen der Bundesleitung
 
Mjr. Renato des Dorides
Landeskommandant-Stellvertreter

 

++ Update 17.30 Uhr ++

 

Dorfmanns Antwort

 

EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann lässt ausrichten, dass er den Schützen inzwischen mit folgenden Zeilen geantwortet hat:

Sehr geehrter Mrj. des Dorides,

mit einiger Verwunderung lese ich Ihren heutigen Brief zu meinem Stimmverhalten im Europäischen Parlament betreffend die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von drei katalanischen Abgeordneten.

Eine kurze Rückfrage bei mir hätte gereicht, um meine Meinung dazu zu erfahren, der Brief hätte sich dann wahrscheinlich erübrigt.

Sie beziehen sich in Ihrem Schreiben wahrscheinlich auf die misständliche Darstellung eines südtiroler Nachrichtenportals in dieser Sache.

Das Vorgehen der spanischen Justiz und der spanischen Politik in der Katalonien-Krise ist vollkommen ungeeignet, um die Katalonien-Frage zu befrieden

Ich darf Ihnen daher kurz meine diesbezügliche Position mitteilen:

Das Europäische Parlament regelt die parlamentarische Immunität seiner Abgeordneten sehr strikt. Die Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments sieht vor, dass die parlamentarische Immunität den Abgeordneten nur dann zusteht, wenn sie in In Gerichtsverfahren angeklagt sind, welche direkt mit ihrer Tätigkeit als Abgeordnete des Europäischen Parlaments zu tun haben und zwar zeitlich, als auch inhaltlich, und wo die Justiz durch ihre Ermittlungen die Ausübung des freien Mandats beeinträchtigen könnten. Deshalb gewährt das Europäische Parlament die parlamentarische Immunität nur sehr selten. In meiner ganzen Zeit als Europaparlamentarier kann ich mich nur an sehr wenige Fälle erinnern, während wir bei fast jeder Plenarsitzung des Parlaments die parlamentarische Immunität auf Anfrage von nationalen Behörden für einzelne Abgeordnete aufheben, weil diese in irgendwelche Verfahren zuhause verstrickt sind, welche weder Inhaltlich noch zeitlich mit ihrer Tätigkeit als Abgeordnete zusammenhängen.

Der zuständige Ausschuss des Parlaments hat den Fall der drei Abgeordneten aus Katalonien überprüft und hat, juridisch meiner Meinung nach folgerichtig, dem Plenum des Parlaments empfohlen, die parlamentarische Immunität aufzuheben. Es besteht nämlich kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vergehen, welche die spanische Justiz diesen Abgeordneten vorwirft und ihrer Tätigkeit im Europäischen Parlament. Die angenommenen Vergehen passierten Jahre bevor diese Abgeordneten überhaupt in das Europäische Parlament gewählt wurden.

Sie beziehen sich in Ihrem Schreiben wahrscheinlich auf die misständliche Darstellung eines südtiroler Nachrichtenportals in dieser Sache

Neben dieser juridischen Betrachtung gibt es aber natürlich auch eine politische. Ich habe im Vorfeld der Abstimmung im Europäischen Parlament meinen Kolleginnen und Kollegen aus Spanien in meiner Fraktion mitgeteilt, dass ich gegen die Aufhebung der parlamentarischen Immunität stimmen werde und dass eine anderes Stimmverhalten aufgrund meiner besonderen Situation nicht denkbar wäre. Entsprechend habe ich dann im Europäischen Parlament auch abgestimmt. Dies auch deshalb, weil ich überzeugt bin, dass das Vorgehen der spanischen Justiz und der spanischen Politik in der Katalonien-Krise vollkommen ungeeignet ist, um die Katalonien-Frage zu befrieden. 

Ich habe das auf Nachfrage allen südtiroler Medien auch so gesagt. 

Abschließend lassen Sie mich noch anmerken, dass die parlamentarische Immunität nichts mit der Auslieferung einer Person zu tun hat. Über die Auslieferung entscheidet nicht das Europäische Parlament, sondern die zuständigen Justizbehörden in Belgien bzw. Schottland, wo sich die entsprechenden Abgeordneten derzeit aufhalten.

Mit freundlichen Grüßen,
Herbert Dorfmann

 

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Hartmuth Staffler Mo., 17.05.2021 - 15:19

Antwort auf von Brenner Flo

Der Schützenbund ist ein unbedingt notwendiger Traditionsverein, der in diesem Fall auf das rückgratlose Verhalten eines Lobbyisten aufmerksam gemacht hat, der an einem ewiggestrigen Nationalismus nichts auszusetzen hat. Wer hat sonst dagegen protestiert, dass der Dorfmann die Anliegen einer Minderheit schmählich verraten hat? Und der will die Südtiroler Minderheit vertreten? Lächerlich.

Mo., 17.05.2021 - 15:19 Permalink
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Manfred Klotz Mo., 17.05.2021 - 15:46

Antwort auf von Hartmuth Staffler

Sofern er sich um Traditionen kümmert ist er nicht lächerlich, sobald er glaubt sich ins politische Geschehen einmischen zu müssen, wird er es. Leider überwiegt Letzteres. Es besteht kein Zweifel daran, dass der SSB kein Kulturverein, sondern ein versteckter politischer Organismus ist.
Im Zusammenhang mit der Aufhebung der Immunität, ist die Entscheidung des EU-Parlaments schlüssig und kohärent, denn die mutmaßlichen Vergehen haben vor der Wahl ins EU-Parlament stattgefunden.

Mo., 17.05.2021 - 15:46 Permalink
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Hartmuth Staffler Mo., 17.05.2021 - 16:21

Antwort auf von Manfred Klotz

Jeder einzelne Mensch und auch jeder Verein hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, sich in das politische Geschehen einzumischen. Politik ist ja kein Monopol der Berufspolitiker, sondern geht alle Menschen an. Südtiroler, die gegen ihren Willen als Minderheit in einem fremden Staat leben müssen, sollten auch Solidarität mit anderen Minderheiten zeigen. Wenn die Aufhebung der Immunität wirklich so schlüssig und kohärent gewesen war, dann hätte man nicht darüber abstimmen müssen. Es hat auch Rechtsgutachten gegeben, die etwas anderes gesagt haben.

Mo., 17.05.2021 - 16:21 Permalink
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Brenner Flo Mi., 19.05.2021 - 12:33

Antwort auf von Hartmuth Staffler

nein, leider liegen sie mit allem was sie schreiben komplett daneben.
der schützenbund ist selbstverständlich nicht "unbedingt notwendig", sondern relativ nutzlos, diese Tatsache könne sie ja auch nicht widerlegen.
ihre Behauptung mit dem "rückgradlosen verhalten von Lobbyisten" ist leider auch falsch und realitätsfern, offensichtlich haben sie das Thema nicht genau verstanden. Sie scheinen hier grundsätzlich überfordert, denn sie verwechseln einiges.

Mi., 19.05.2021 - 12:33 Permalink
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rotaderga Mo., 17.05.2021 - 17:49

Wie war das nochmal, es soll eine Rochade geplant sein? AK und HD, na dann schaun wir mal, ob das Fußvolk, na ja schaun wir mal.
Nichts ist unmöglich.

Mo., 17.05.2021 - 17:49 Permalink
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pérvasion Mo., 17.05.2021 - 20:22

»Der zuständige Ausschuss des Parlaments hat den Fall der drei Abgeordneten aus Katalonien überprüft und hat, juridisch meiner Meinung nach folgerichtig, dem Plenum des Parlaments empfohlen, die parlamentarische Immunität aufzuheben. Es besteht nämlich kein zeitlicher Zusammenhang zwischen den Vergehen, welche die spanische Justiz diesen Abgeordneten vorwirft und ihrer Tätigkeit im Europäischen Parlament. Die angenommenen Vergehen passierten Jahre bevor diese Abgeordneten überhaupt in das Europäische Parlament gewählt wurden.«

Der zeitliche Zusammenhang ist völlig irrelevant, Herr Dorfmann.

Mo., 17.05.2021 - 20:22 Permalink