Die Wunde von Pflersch – Teil 2
Was bisher berichtet wurde: Im Pflerschtal (Gemeinde Brenner) startet die Wipptaler Bau AG einen erneuten Anlauf zum Schotterabbau in der Grube “Lochen”. Die letzte vergebene Konzession stammt aus dem Jahr 1997, 2013 wurde ein Abbau-Antrag nicht genehmigt. Jetzt bemängeln Anrainer, darunter der Bio-Kräuterbauer Bernhard Auckenthaler, dass sie nicht informiert wurden und stellen sich gegen das Projekt. Vor dem Lokalaugenschein der Dienststellenkonferenz sind die Fronten zunehmend verhärtet.
Beim Grubenbetreiber sieht man keine größeren Schwierigkeiten bei der Wiederaufnahme des Schotterabbaus – handle es sich doch “um die Erneuerung einer verfallenen Genehmigung” für ein Projekt, das bereits vor über 20 Jahren (1997) “ohne Einwand” genehmigt worden sei, wie Michael Egartner von der Wipptaler Bau AG in der aktuellen Ausgabe der Bezirkszeitung ERKER meint. Außerdem sei die gesamte Logistik für Abbau und Abtransport des Materials im Vergleich zu 2013 überarbeitet worden.
Bürgermeister Martin Alber ist überzeugt: Der Schotterabbau ist notwendig, um eine – wegen der bisher nicht erfolgten Renaturierung – “bestehende Umweltsünde” zu beseitigen und die Gefahrenzone, in der die Grube “Lochen” liegt, zu beseitigen. “Der Hang, der gefährliche Neigungen bis zu 45 Grad aufweist, wird durch den Abbau angeebnet, da er sonst nicht renaturierbar wäre”, sagt Alber, als er am 6. April – einen Tag vor der geplanten und dann vertagten Entscheidung der Dienststellenkonferenz – den Gemeinderat über das Projekt “Lochen” informiert. Für den amtierenden Bürgermeister ist die Vorentscheidung bereits 2015 gefallen: Der damals einstimmig getroffene Beschluss der Waldinteressentschaft als Grundstückseigentümerin sei für die Baukommission ausschlaggebend gewesen, um das Vorhaben im Februar positiv zu begutachten, so Alber. Dieser Beschluss habe nach wie vor Gültigkeit, stimmt der Obmann der Interessentschaft Franz Schwitzer im ERKER zu. Daher hätten er und der Ausschuss es auch nicht für notwendig befunden, die Anrainer erneut zu kontaktieren oder gar die Vollversammlung mit dem neuen Projekt zu befassen.
Die Einverständniserklärung für das bereits ausgearbeitete Projekt unterzeichnet Schwitzer im Dezember 2020. Für die Waldinteressentschaft würden damit in zehn Jahren etwa 700.000 Euro an Einkünften anfallen – knapp 500 Euro für jedes der 142 Mitglieder jährlich, ausgezahlt in Holz. Für die Bauern(bund-)vertreter der Gemeinde Brenner mit ein Grund, sich hinter das Vorhaben zu stellen.
Immer gleich weiter?
“Erstaunlich” findet es hingegen Bernhard Auckenthaler, dass die Anrainer seit dem Bekanntwerden der Pläne im Dezember von keiner Seite informiert wurden. Der Bio-Kräuterbauer, der um seinen Betrieb am Fuße der Schottergrube bangt, ist selbst Mitglied der Waldinteressentschaft Pflersch. Und für ihn steht eines außer Zweifel: 2015 hat die Vollversammlung Ja dazu gesagt, “dass in der ‘Loche’ grundsätzlich für maximal zehn Jahre Schotter abgebaut werden kann”, nicht zu einem Projekt der Wipptaler Bau AG. Dieses müsse der Vollversammlung auf jeden Fall vorgelegt werden. Erst recht, weil mit der Archivierung der Unterlagen im Februar 2020 das Projekt von 2013 endgültig vom Tisch sei – auch wenn jenes vom Dezember 2020 so gut wie identisch ist. “Die Voraussetzungen sind heute völlig andere als vor acht oder sechs Jahren”, sagt Auckenthaler. Er meint nicht nur seinen inzwischen erweiterten Kräuterbetrieb.
Das Pflerschtal hat in den vergangenen Jahren verstärkt auf sanften Tourismus gesetzt. Es “gilt als Geheimtipp und besonderer Ort der Ruhe und Erholung” und ist “vor allem bei Aktivurlaubern sehr beliebt”, wird auch in der Umweltvorstudie der Wipptaler Bau AG betont. Die Touristiker wollen das Tal “vermehrt als Natur- und Blumental” vermarkten und in den nächsten Jahren “einen nachhaltigen Wander- und Naturtourismus etablieren”. “Da sticht eine Schottergrube mitten im Tal doch sehr ins Auge”, findet man beim Tourismusverein.
Ganz ähnliche Töne schlägt Ex-Bürgermeister Franz Kompatscher an: “Meine Vision für die Zukunft von Pflersch war immer die einer Verkehrsberuhigung und -reduzierung – die gehört zu so einem wunderschönen Tal mit tollen Möglichkeiten im Sommer wie im Winter dazu.” Mit dieser Überzeugung hat er sich in seiner bisherigen Laufbahn als Gemeindepolitiker nicht nur Freunde gemacht. Das weiß er, es stört ihn aber nicht. Er sieht das Tal auf dem richtigen Weg: “Mit Aktivitäten wie Radfahren, Bergsteigen, Skitouren, den Initiativen für regionale Produkte und der fast gänzlich autonomen Energieversorgung bietet Pflersch eine hohe Lebensqualität sowohl für Einheimische als auch für Gäste und kann sich besser positionieren als viele andere.”
Keine einfache Kommunikation
“Das Vorhaben ‘Lochen’ so wie es vorliegt, ist nicht mehr zeitgemäß”, fasst es Auckenthaler zusammen. Ihm geht es nicht alleine so. Mitte April wenden sich die Bewohner von Anichen mit einem Positionspapier an die Gemeinde Brenner. Zur Kenntnis geht es auch an die Landesregierung und Wipptaler Entscheidungsträger. Die Anicher prangern die nicht erfolgte Einbeziehung an und bringen ihre Sorgen erneut zum Ausdruck: “Ein solches Abbauprojekt bringt zwar für ein paar Beteiligte einen kurzfristigen Geldsegen. Jedoch ist dieser Eingriff heute (…) aus sozialer, ökologischer und auch ökonomischer Sicht nicht mehr vertretbar. Der enorme Schaden für ganz Pflersch, seine Bewohner, den Tourismus und die Umwelt wäre viel größer. (…) Sollte dieses Projekt aber in der bisher vorgelegten Form umgesetzt und genehmigt werden, werden nicht nur vitale Interessen der Anwohner und der Talschaft gefährdet, sondern auch demokratische Grundsätze einer Gemeinde und eines Landes im Kern verletzt.” Außerdem wird ein Lokalaugenschein mit den Anrainern gefordert.
Keine Woche später trifft eine Antwort aus dem Rathaus der Marktgemeinde Brenner ein. Bürgermeister Alber findet in Vertretung des Gemeindeausschusses harsche Worte für das Positionspapier aus dem Tal. “Der Inhalt dieser an zahlreichen Stellen unsachlichen, ausfallenden und sogar diffamierenden Zeilen (der oder die Autoren sind ganz bestimmt nicht alle Bewohner von Anichen!) nötigt uns zu einer stringenten Stellungnahme”, schreibt Alber. “Die Vorwürfe und Feststellungen Ihrerseits gegenüber uns und damit gegenüber der mehrheitlich gewählten politischen Vertretung dieser Gemeinde sind despektierlich und unverständlich. (…) Wir werden Ihrer Aufforderung zum Lokalaugenschein (…) deshalb nicht Folge leisten (…).”
Franz Kompatscher hingegen kommt als Gemeinderat zum vorgeschlagenen Termin der Anrainer nach Anichen zur “Loche”. Pflersch ohne Schotter ist auch für ihn eine Chimäre. Doch aufwändig abbauen muss nicht sein: “Material kommt hier aufgrund der natürlichen Gegebenheiten mit Muren und Felsabgängen immer zuwege und wird auch in Zukunft schon allein aus Sicherheitsgründen abtransportiert werden müssen.” Als ehemaliger Bürgermeister und zugleich Mitglied der Waldinteressentschaft verstehe er die unterschiedlichen und teils gegensätzlichen Positionen, sagt Kompatscher: “Die paar hundert Euro im Jahr sind für viele ein wichtiges Einkommen.” Noch wichtiger ist ihm aber, dass “die Leute im Tal zufrieden” sind. Und dafür “wird die Baufirma Federn lassen müssen”.
Von der Wunde zum Wunder?
Sich zusammensetzten, auf Augenhöhe miteinander reden und um einen Kompromiss ringen: Für Kompatscher ist dies der einzige gangbare Weg, um aus der verfahrenen Situation herauszufinden. Insbesondere plädiert er dafür, dass sich der Gemeinderat mit der Thematik befasst und dazu äußert. “Das ist vom Gesetz nicht vorgesehen, aber sollte trotzdem passieren, denn die Thematik hat große Auswirkungen” – weit über Pflersch hinaus: Mittlerweile haben mehrere Oppositionspolitiker im Landtag Anfragen zur Grube “Lochen” eingereicht. Auch das Büro des für Schottergruben zuständigen Landesrats Philipp Achammer hat sich bereits genauer über die Situation vor Ort informiert.
Im Amt für Umweltprüfungen hält man die Wiedereröffnung der Grube für ein “relativ problematisches Vorhaben”, hütet sich aber davor, das Gutachten vorwegzunehmen. Bernhard Auckenthaler will beim Lokalaugenschein der Dienststellenkonferenz dabei sein. Er hat sich umfassend informiert und dokumentiert. Sein Ziel: “Die Waldinteressentschaft dazu zu bewegen, sich von diesem Projekt loszulösen und, wenn es sein soll, ein sinnvolles kleines Renaturierungsprojekt in Gang zu setzen, das einen Mehrwert für das Pflerschtal und darüber hinaus darstellt.”
Die Geschichte der Schottergrube “Lochen” hat eine Wunde nicht nur in die Natur, sondern auch die Gemeinschaft vor Ort gerissen. Noch bleibt Zeit, um zu verhindern, dass sie noch tiefer, sondern möglicherweise sogar zum Wunder wird. Franz Kompatschers Rezept dafür: “Größe zeigen, solidarisch mit den Anrainern sein und nicht nur den eigenen Vorteil sehen.”
Dass unter Kompatschers
Dass unter Kompatschers Herrschaft der Ausverkauf des Tales so vorangetrieben wurde wie von keinem Anderen vor Ihm, hat man wohl wieder vergessen....
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