Umwelt | Pestizidprozess

Wo zwei Kläger...

Die Obstwirtschaft steigt aus dem “Pestizidprozess” aus. Warum dieser trotzdem stattfinden könnte – und welche zweifelhafte Auszeichnung Landesrat Schuler nicht erhält.
Gericht Bozen
Foto: Hannes Prousch

Am Mittwoch Abend hat Landwirtschaftslandesrat Arnold Schuler offiziell mitgeteilt, was schon länger im Raum stand: Er selbst und die Südtiroler Obstwirtschaft ziehen sich als Nebenkläger aus dem Strafprozess gegen Karl Bär vom Umweltinstitut München und den Autor und Filmemacher Alexander Schiebel zurück. Doch der Rechtsstreit, der inzwischen besser als “Pestizidprozess” bekannt ist, ist damit nicht beendet. Noch nicht. Denn nicht alle Bauern ziehen mit.

 

Da waren’s immer noch zwei

 

Zur Erinnerung: 2017 hatten die Verantwortungsträger der Südtiroler Obstwirtschaft und über 1.300 Landwirte Arnold Schulers Strafanträge gegen Bär und Schiebel mitunterzeichnet. Sie sahen sich von deren Arbeit verunglimpft und verleumdet, klagten auf üble Nachrede. Bereits im September 2020 teilte Schuler mit, die Anzeige zurückziehen zu wollen, im November dann hieß es: “Sie (Obstbauern, Schiebel, Bär, Anm.d.Red.) wollen künftig in einen konstruktiven und respektvollen Dialog treten, statt vor Gericht weiter über die Zukunft der Obstwirtschaft zu streiten.” Jetzt, ein halbes Jahr später, ist die schriftliche Mitteilung ergangen: Die Anwälte von Schuler, der Obmänner der Erzeugergenossenschaften VOG, Georg Kössler, und VIP, Thomas Oberhofer sowie jene der Obstbauern, haben am Mittwoch, 26. Mai, um 18 Uhr die Gegenseite über den Rückzug aus den Prozessen benachrichtigt.

Der Haken dabei: Zwei Bauern weigern sich bisher, die Strafanträge zurückzunehmen. Und wenn auch nur eine Anzeige aufrecht erhalten wird, gehen die Prozesse gegen Bär und Schiebel unverändert weiter. Das weiß auch Arnold Schuler. Am morgigen Freitag, 28. Mai, findet der nächste Gerichtstermin statt. “Sollten die beiden auch beim Prozesstermin am Freitag noch bei ihrer Haltung bleiben, wäre dies sehr bedauerlich”, so Schuler.

 

Reaktionen und rundherum

 

“Erst wenn jede einzelne Anzeige gegen uns zurückgezogen ist, ist der Angriff auf die Meinungsfreiheit in Südtirol beendet – und erst dann hat Arnold Schuler wirklich sein Tiroler Wort gehalten”, reagiert Karl Bär auf die Nachricht des Rückzugs. Er erinnert daran, dass Schulers Klage laut der Menschenrechtskommissarin des Europarates Dunja Mijatovic alle Merkmale einer SLAPP-Klage (“strategic lawsuit against public participation”) aufweist. Damit werden Klagen bezeichnet, die das Ziel verfolgen, unliebsame öffentliche Kritik zu unterdrücken bzw. politische Gegner mundtot zu machen.

Die europaweit agierende Organisation CASE – ein Zusammenschluss von Nicht-Regierungsorganisationen gegen SLAPP-Klagen – hat Schuler jüngst im Rahmen der “European SLAPP Contest Awards” für den “SLAPP-Politiker des Jahres” nominiert. Gemeinsam mit keinen geringeren als Matteo Salvini und Jaroslaw Kaczynski, der am Ende auch die unrühmliche Auszeichnung gewann. In der Begründung für die Nominierung hieß es:

“Arnold Schuler ist Landwirtschaftsminister und ehemaliger Vizepräsident der autonomen Provinz Bozen in Italien, einer Provinz, die 10 % der in der EU verkauften Äpfel produziert. Der hohe Einsatz von Pestiziden im Apfelanbau ist ein Hauptanliegen von Umweltschützern in der Region und Herr Schuler zeigte wenig Toleranz für diese abweichenden Stimmen. Um einen Aktivisten und einen Autor - sowie deren Vorstandsmitglieder bzw. Verleger - ins Visier zu nehmen, hat er eine SLAPP-Klage mit potenziellem Schadenersatz in Millionenhöhe eingereicht. Angesichts der öffentlichen Gegenreaktion auf die Klage kündigte Schuler an, seine Klage zurückzuziehen - machte diesen Rückzug dann aber davon abhängig, dass die Beklagten die Veröffentlichung von Daten zum Pestizideinsatz unterlassen. Die Beklagten wiesen diesen Versuch, die Veröffentlichung zu blockieren, zurück. Ob und wie der Fall weitergeht, ist seit September 2020 unklar.”

 

Alexander Schiebel hat indes angekündigt, nach “Das Wunder von Mals”, mit der er sich die Klage eingehandelt hat, auch ein Buch “zu den Hintergründen des Prozesses” veröffentlichen zu wollen. Und einen 90-minütigen Kinofilm, den er über Crowdfunding finanzieren will. “Ich möchte darin den Prozess dokumentieren, die Mechanismen dahinter aufzeigen und vor allem Zeugen zu Wort kommen lassen, die auf die Gefahr des Einsatzes synthetischer Pestizide aufmerksam machen”, erklärt Schiebel.

Er wird, genauso wie Karl Bär, beim Prozesstermin am morgigen Freitag am Landesgericht Bozen anwesend sein. Man darf davon ausgehen, dass dieser alles andere als unauffällig über die Bühne geht. Nicht zuletzt, weil sich eine Reihe prominenter Prozessbeobachter angekündigt haben: Sarah Wiener (EU-Parlamentarierin der österreichischen Grünen), Claudia Köhler (Landtagsabgeordnete in Bayern), Rosi Steinberger (Landtagsabgeordnete in Bayern und Vorsitzende im Ausschuss für Umwelt- und Verbraucherschutz), Margarete Bause (Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecherin für Menschenrechte der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen), Hanspeter Staffler (Landtagsabgeordneter der Grünen).

Es kommen Leute Politiker aus Deutschland und Österreich, haben diese in Ihren Länder keine Probleme ???
Jeder soll im eigenen Land für Ordnung sorge, was geht diesen Politikerinnen Südtirol an??
Schiebel und Bär sollen uns in Ruhe lassen und ihre Arbeit in ihren Länder machen, haben schon genug Spendengelder gesammelt und wollen noch mehr, schämt euch.

Do., 27.05.2021 - 17:28 Permalink

Solange Abdrift von Pflanzenschutzmitteln weit über alle Berge geblasen wird und damit auch Grenzen überschreitet, hat jeder Nachbarstaat (und dessen Bewohnerinnen) das Recht, sich einzumischen. Und solange die Äpfel aus Südtirol exportiert werden, hat jede Konsumentin dasselbe Recht, sich einzumischen.

Fr., 28.05.2021 - 07:05 Permalink

In Hinblick auf die täglichen Kohleschiffe aus Kolumbien für billigen nachbarschaftlichen Strom und auf die schwerölbetriebenen Containerschiffe für billige nachbarschaftliche Konsumgüter sind die südtiroler Äpfel wohl das geringste Problem des nachbarschaftlichen Konsumenten.
Ich bin mir jetzt nicht sicher, ob es die landwirtschaftlich tätige Bevölkerung ist, welche in unserem Lande für die Vielfalt und Menge an Umweltbelastung verantwortlich sei, oder ob diese nicht doch aus der landwirtschaftlich nicht tätigen Bevölkerung stammt.
Doch, eigentlich bin ich mir schon sicher.
Da der Teil der Bevölkerung, der nicht landwirtschaftlich tätig ist, in der Mehrzahl ist, kann man Import und Verkauf von mit Pflanzenschutzmitteln behandelten Produkten und Rohstoffen verbieten: das wäre konsequenter und ehrlicher Einstand für sein Vorhaben, sein Ideal.
(Das aber, so fürchte ich - also das unbehandelte Produkt - das will der Konsument gar nicht; er will nur das billige geschönte behandelte Produkt von anderswo her zukaufen, so zeigt sich auch die Diskussion dazu hier auf Salto).
Ich bin für das Verbot, Konsumartikel, welche mit Pflanzenschutzmitteln behandelt und mit Schweröl transportiert sind, in den Verkauf zu bringen.

Das wird eine Revolution.

(Wer nachbarschaftlich billigen Strom aus kolumbianischer Kohle mit schwerölbetriebenen Schiffen nach Europa zur Verstromung transportiert, konsumiert, und sich, dadurch gewärmt, und wer gesättigt ist mit Lebensmitteln, welche weltweit mit Pflanzenschutzmitteln ohne ausreichenden Schutz von Umwelt und Menschenwürde erzeugt werden, bleibt unglaubwürdig und sieht kurz, wenn er mit erhobenem Finger auf den Südtiroler Bauern zeigt).
Ich frage: wie kann man selbst eine Banane essen, eine Avocado, wie kann man Schokolade essen, wie kann man selbst Computer und Handy benutzen, und gleichzeitig glaubwürdig über die Südtiroler Landwirtschaft herfallen?

Wie kann ich mit eigenen sichtbar blutbefleckten Händen ständig anklagend auf den anderen, den Bauern zeigen?

Fr., 28.05.2021 - 07:39 Permalink

Der Vorwurf des „whataboutism“ ist hier fehl am Platz und greift völlig ins Leere. Weder wurde das Thema gewechselt bzw. von diesem abgelenkt, noch wurde auf einer falschen Aussage bestanden bzw. wiederum von dieser abgelenkt, um vom eigentlichen Thema wegzukommen.
Der gesamte Kommentar bleibt beim Thema, die Kernaussage bleibt klar, ich zitiere: „Ich bin für das Verbot, Konsumartikel, welche mit Pflanzenschutzmitteln behandelt und mit Schweröl transportiert sind, in den Verkauf zu bringen. Das wird eine Revolution“.
Schade, dass man einer Diskussion und Argumentation in die Breite und Tiefe nicht zu folgen vermag, auch den Einbezug der eigenen Person in die allgemeine Thematik abzulehnen versucht - gleichsam die Mitverantwortung von sich weg zu schieben.
Da schreit jemand im Geschäft XY nach dem Dieb des Apfels, der selbst gerade eine Birne gestohlen hat: und verkneift sich, beim Gespräch über den Apfeldieb im Geschäft xy auch den Birnendieb zu benennen.
Semantisch bzw. dialektisch zudem:
„Umgekehrt kann der an einen Gesprächspartner gerichtete Vorwurf, sich auf einen Whataboutism gestützt zu haben, selbst manipulativer Natur sein und der Diskreditierung dieses Gesprächspartners dienen“ (wikipedia) - was sich hier ja auch als Zweck des obigen Beitrages zeige, da zum eigentlichen Thema ja nichts beigetragen wird.

Sa., 29.05.2021 - 11:10 Permalink

Jetzt bedienen Sie sich aber selbst eines geradezu klassischen Whataboutism und hüpfen damit auf Ihre eigene Tretmine - zudem auch abseits der eigentlichen Thematik.

Ich habe das meine zur sachlichen Thematik dargelegt, blosse Wadelbeissereien oder dialektische Leerläufe interessieren niemanden.

(Wenn Sie der Ansicht sind, die allmächtige sonderweggeübte Südtiroler Landesregierung könne den chemischen Pflanzenschutz verbieten, wieso sollte diese dann nicht auch den Verkauf solcherart erzeugter Produkte verbieten können - das erschliesst sich nicht; der Unterschied liegt nur darin, dass man für das kleine Schein-Ergebnis im ersteren Fall eine kleine Personengruppe einschränkt, im zweiten Fall für das eigentliche Ziel aber *alle* mitmachen müssen: Alle, auch Sie, wollen aber nicht, das ist zur Zeit eben fact).

Sa., 29.05.2021 - 12:47 Permalink

Es ist doch so: da kommen welche aus dem größten Abnahmeland der südtiroler Äpfel und sagen: Hey Leute ihr könnt nicht Heileweltäpfel verkaufen und gleichzeitig tonnenweise Pestizide einsetzen. Anstatt zu sagen, ja ihr habt recht, wir haben Alternativen und sind sogar gut darin, reagieren sie mit "verzichten Sie doch erstmal auf Baumwolle" und verharmlosen die Pestizide (nur bei direktem Kontakt bevor es abtrocknet, sic!). Sie wissen wahrscheinlich besser als die meisten hier, dass der Auszahlungspreis für Äpfel seit Jahren zurück geht (Ausnahme Dank Corona 2020). Ich weiß, sie sind eigentlich für ein weltweites Totalverbot von giftigen Substanzen. Zum Glück gibt es viele Bauern die umstellen, auf Produktveredelung und zweite Standbeine setzen. Ich bin froh, dass nicht alle so denken wie Sie, also entweder Totalverbot, sonst weiter wie bisher und eben mit Vollgas auf den Abgrund zu.

Sa., 29.05.2021 - 13:24 Permalink

Ach kommen Sie, Sie schaffen es trotz all meiner Hinweise nicht, mit falschen Behauptungen einen Konflikt ad personam zu unterlassen, bzw. die Diskussion in der Sache zu einer Diskussion um die Person zu verbiegen - das ist lästig, dabei versage ich mein Beitun.
(Wo bitte habe ich mich dahingehend geäußert, ich zitiere Sie:
„Ich bin froh, dass nicht alle so denken wie Sie, also entweder Totalverbot, sonst weiter wie bisher und eben mit Vollgas auf den Abgrund zu“.
Diese falsche Behauptung finden Sie nirgends belegt, aber solche Diskussion killenden Methoden ad personam und Provokationen sind eben manchermenschs Stil - dazu gebe ich meine Zeit nicht her, das wissen Sie doch längst, und versuchen es doch immer wieder).
Sie verletzen §F2, ich übe mich daher in §G6 (engagiertees Deeskalieren), daher: wünsche guten Tag.

Sa., 29.05.2021 - 13:49 Permalink

Na mindestens scheinen Sie verstanden zu haben, was whataboutism ist. Dass Sie nicht einsehen, dass wir ein Pestizidproblem haben, oder mir endlich die Quelle für Ihre Behauptung liefern würden, Pestizide seien nur in nicht abgetrocknetem Zustand und nur dann bei direktem Kontakt schädlich oder giftig für den Menschen, damit hatte ich eigentlich gerechnet. Ich hatte nicht die Absicht ad hominem zu argumentieren. Entschuldigen Sie bitte. Sie können uns gerne sagen, was Ihnen für eine Alternative zum massiven Pestizideinsatz vorschwebt.

Sa., 29.05.2021 - 15:30 Permalink

Herr Kripp, ein Konsument hat das Recht keine Äpfel aus Südtirol zu kaufen, wenn er befürchtet sie seien verseucht.
Hier geht es gar nicht mal in erster Linie um umwelttechnische Fragen, sondern um Verleumdung (und damit zusammenhängend Geschäftsschädigung) und Markenrechtsverletzung. Das Ärgerliche an der ganzen Angelegenheit ist, dass sich das UI NIE an die Vereinbarungen hält, die Angelegenheit auf den Boden der Sachlichkeit zurückzubringen. Das beweist die aktuellste Pressemitteilung in dieser Sache wieder ganz klar. Bär und Schiebel versuchen eine Täter-Opfer-Umkehr zu erreichen. Bei einigen Südtirolern hat das schon funktioniert. Hoffentlich nicht bei der Gerichtsbarkeit.

Fr., 28.05.2021 - 07:50 Permalink

Herr Kripp, das Glück Schiebels war es, dass sich die Nebenkläger zurückgezogen haben. Ich warte auf die Urteilsbegründung, kann mir aber vorstellen, dass der Freispruch darauf begründet ist, dass seine Aussage, die Bauern würden den Tod von Menschen fahrlässig in Kauf nehmen (ob das keine Diffamierung ist, kann jeder für sich selbst entscheiden), nicht an klar identifizierbare Personen gegangen ist. Es ist also nicht so, dass es grundsätzlich keine Diffamierung ist. Abgesehen davon, sind wir in der ersten Instanz. Mal sehen, ob die Staatsanwaltschaft Berufung einlegt.

Sa., 29.05.2021 - 07:44 Permalink
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rotaderga

Es scheint zwei Fronten zu geben, eine die den Prozess gewinnen möchte und die andere die den Prozess verlieren möchte. Ich glaube an ein schmutziges Spielchen.

Do., 27.05.2021 - 21:53 Permalink