Kultur | Salto Afternoon

Das Problem sind nicht die Endungen...

sondern die Verachtung für Frauen. Fazit aus der seit 40 Jahren wiederkehrenden Diskussion um gendergerechte Sprache. Aber wo ansetzen im Alltag? Und wie im Journalismus?
Sprache
Foto: Hannes Pasqualini

Den Titel des Posts habe ich diesmal gestohlen. Er ist die Übersetzung eines der vielen klugen Sätze aus Giulia Blasis 2020 erschienenen Pamphlet-Buchs „Rivoluzione Z. Diventare adulti migliori con il femminismo“, in dem sie Wege aufzeigt von der feministischen Theorie in die feministische Praxis. Und zwar als Methode für eine gesellschaftliche Revolution, die unter dem Deckmantel „intersektionaler Feminismus“ alles auf den Kopf stellt bzw. in die Mitte bugsiert, was bisher am Rand stand oder gar lag. Mit der Vision, eine gerechtere und menschenfreundlichere Welt für ALLE zu gestalten. Weil eine Welt, die nur für einige wenige (weil weiß-männlich-heterosexuell-cisgender-unbeeinträchtigt) funktioniert, eine ist, die nicht wirklich funktioniert und vor allem nicht zukunftsfähig ist. Was sie in ihrem Innersten zusammenhält ist eine Machtkultur, die bisher für viel Leid verantwortlich war. Leid für all jene, die nicht den Attributen in der Klammer oben entsprechen, plus für die Tierwelt und sämtliche natürliche Ressourcen. Die Klimakrise, in die wir uns hineinmanövriert haben, lässt grüßen.

Wie klein ist der Kraftakt zu gendern im Vergleich zu den Auswirkungen, die eine Sprache hat, deren Sprecher*innen mindestens zur Hälfte unsichtbar gemacht werden?

Dieses System gilt es aus den Angeln zu heben in all seiner Selbstherrlichkeit, Gier und letztlich Zerstörungswut. Aber wo anfangen? Und was entgegenhalten oder neu entwerfen, außer einer umweltfreundlichen Solidargesellschaft?
Ich fange bei mir an: weiß-weiblich-heterosexuell-cisgender-unbeeinträchtigt. Privilegiert, bis auf mein „Frausein“, gekoppelt am Alter vielleicht (52 ist für eine Frau in manchen Bereichen bereits jenseits der Grenze). Noch mehr privilegiert, weil eingebettet in rückendeckenden familiären Strukturen, weil akademisch gebildet, weil beruflich erfüllt, weil finanziell auf eigenen Beinen. Der Journalismus, den ich freiberuflich ausübe, ist also mein Spielraum, mein Gestaltungsprinzip, auch mein Schlachtfeld, wenn wir Kampf als Wehrmechanismus (und nicht als Keule) zulassen und uns Schlacht ohne Blutvergießen vorstellen können. Meine Art, mich gesellschaftlich einzumischen, geht also über das Wort. Und natürlich muss sie politisch sein - im urtümlichsten Sinn, nicht parteipolitisch! Politisch in der Ablehnung vom Schönreden genauso wie vom Bagatellisieren. Im Zulassen von Empörung und Wut, wo Unrecht offensichtlich ist. Aktivismus ist dabei eine natürliche Folge, wenn frau und man nicht bereits abgestumpft ist von der Trägheit des Systems. Aktivismus verstanden als Verantwortung übernehmen in dieser Welt für das eigene Handeln und zwar in allen Rollen: in meinem konkreten Fall als Mensch, als Mutter und Großmutter, als Journalistin, als Frau und damit als Feministin. Denn „Feministin zu sein, ist das Mindeste, was eine Frau tun kann“, weise Worte eines konservativen politischen Urgesteins (!) wie Rita Süssmuth in Deutschland. Schluss mit Mann/männlich als Default in der Geschichte der Menschheit. Seit Simone de Beauvoirs wegbereitender Analyse „Das andere Geschlecht“ von 1949 hat sich einiges im Familienrecht, aber sonst nicht wirkliches Bahnbrechendes getan. Und die alte Hirnwäsche zeigt immer noch Wirkung, auch unter Frauen. Jenen Frauen, die am Patriarchat mitbauen oder sich beschämt wegdrücken, wenn von feministischem Auflehnen die Rede ist (Finché non vedi il patriarcato, il patriarcato sei tu! wieder Giulia Blasi, siehe oben).
Schritt Eins: Fangen wir also beim Alltäglichsten an, der Kommunikation. Wenn wir uns miteinander verständigen, benutzen wir Sprache. Und wenn wir Sprache benutzen, fällen wir eine bewusste Entscheidung: im Deutschen heißt diese, Frauen im generischen Maskulinum verschwinden zu lassen oder eben nicht. Letzteres geschieht durch Beidnennung oder Glottisschlag (Knacklaut im Wort) mündlich und durch Genderstern, Gender-Doppelpunkt oder Binnen-I schriftlich. Wie klein ist der Kraftakt zu gendern im Vergleich zu den Auswirkungen, die eine Sprache hat, deren Sprecher*innen mindestens zur Hälfte unsichtbar gemacht werden? Eine Lektion der Geschichte: Wer unsichtbar = minderwertig, d.h. genießt weniger Rechte. Soviel zur Macht von Wortendungen.
Letzter Schritt: Das Ganze hört bei der Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit auf, wenn Urteile gefällt werden, die Machtmissbrauch ahnden oder Gewalt gegen Frauen und deren Spitze, die Femizide, streng bestrafen. Sie nämlich sind das klarste Zeichen von Frauenverachtung, Verdinglichung von Frauen als Anhängsel, Sklavin, Eigentum. Vor wenigen Wochen, im April 2021, wurde in Bozen der beinahe-Mörder und Ehemann von M. - Überlebende eines Gewaltverbrechens im Bozner Stadtteil Oberau 2019 und zwar auf offener Straße, vor Zeugen, vor ihrem minderjährigen Kind – zu 10 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt. Und das feiern sowohl Insider als Outsider als Triumph. Nachdem die Verteidiger des Täters Berufung eingelegt haben, bleibt der Mann bis zum endgültigen Urteil (in vielleicht zwei Jahren) auf freiem Fuß. Bis dahin wird M. weiterhin in ihrem Versteck leben müssen, um sich und ihre Kinder zu schützen. Mein Rechtsempfinden ist zerrüttet.
Zwischen Schritt Eins und dem letzten Schritt sind natürlich viele, viele weitere Schritte fällig: Schritte, die eine gerechtere Vertretung in der Politik ermöglichen, Chancengleichheit im Erwerbsleben schaffen, Schule als Humanbildungs-Institution weiterentwickeln und die Medien revolutionieren. Ja, die Medien. Denn auch sie zementieren viel zu oft genderspezifische Stereotype, ermöglichen Männerbündelei statt sie zu bekämpfen, machen toxischer Männlichkeit Platz. Die Art der Berichterstattung, die Schlagzeilen, die Bildgebung, die Sprache – all diese Bausteine tragen wie auch immer dazu bei, dass sich für Frauen* entweder etwas verbessert oder nicht, dass Missstände als solche benannt oder verharmlost werden (siehe hierzulande Manifesto di Venezia 2017 und Art. 5bis des Testo unico dei doveri del giornalista, Ethikkodex der italienischen Journalist*innen-Kammer). Und weil wir bei den medialen Bausteinen sind: Journalismus verstehe ich persönlich als Schürfen und dann Zusammentragen von Steinchen, um ein möglichst vollständiges Mosaik präsentieren zu können, Orientierung zu bieten, Zusammenhänge verständlich(er) zu machen. Dazu gehört ein kritischer Blick auf den Status-Quo, Scheinwerfer auf jene, die am Rand stehen.

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Martin Daniel Sa., 29.05.2021 - 09:03

Die teilweise unfassbar milden Urteile für Gewalttaten sind, unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit von Opfer und Täter, eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. So werden bspw. 9 Monate Haft verhängt, wenn mit einem Messer mehrfach auf jemanden, u.a. auch am Hals, eingestochen wird und der Täter ist 4 Monaten darauf wieder auf freiem Fuß (https://www.altoadige.it/cronaca/venosta/accoltella-il-rivale-al-parco-…).

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Emil George Ciuffo Sa., 29.05.2021 - 13:03

Ob eine Welt, in der Frauen (mehr) das Sagen haben, wirklich besser wäre, wage ich mal an den eigenen Erfahrungen zu bezweifeln: meine Nachfolgerin im Betrieb bekommt, ohne irgendwelche Fachkenntnisse und Erfahrungen für 30 Stunden den gleichen Lohn wie ich zuletzt für 40 Stunden (nach über 10 Jahren im Betrieb) bekommen habe. Zumindest ich lass mich von solchen Idealisierungen nicht mehr groß beeindrucken ...
Und zu: "... wenn wir Sprache benutzen, fällen wir eine bewusste Entscheidung, ...". Sprache (zumindest die Muttersprache/n) ist ein spontaner Akt, bei dem solche Überlegungen nicht stattfinden, weil im Kopf der Sprechenden/Schreibenden einfach genderunabhängig gedacht wird. Außer jemand bombardiert sie 7*24 mit *:-I/ usw., dann ist die Neutralität im Denkprozess natürlich dahin.

Sa., 29.05.2021 - 13:03 Permalink
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Peter Gasser Sa., 29.05.2021 - 13:54

Im Artikel steht als These:
„Und wenn wir Sprache benutzen, fällen wir eine bewusste Entscheidung“:

das erachte ich als Irrtum: Sprache wird meiner Erfahrung nach automatisiert bzw. memorisiert (also eher „unbewusst“) benutzt ohne dauernde und gleichzeitige Reflexion jeder syntaktischen Verbindung und jeder semantischen Bedeutung jedes einzelnen Wortes bzw. jeder Wortendung.

Sa., 29.05.2021 - 13:54 Permalink
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Erich Daniel Sa., 29.05.2021 - 18:30

Antwort auf von Peter Gasser

Gendergerechte Sprache

Es beginnt mit den Göttern (Zeus, Gottvater, Sohn, Hl. Geist) und den Religionsgründern (Moses, Jesus, Mohammed), den Päpsten, Priestern, Missionären, Inquisitoren; dann kommen Könige, Kaiser und Ritter - alles Männer! Das Patriarchat hat im Abendland also einen saftigen Humus! Und auf diesem Humus pflanzen wir heute noch….
die Familie: Schon vor der Geburt heißt es auf die Frage: Was soll‘s denn werden, a Mädele oder …? Die Anwort: Ganz gleich, Hauptsache, ER ist gsund! Und nach der Geburt: Oh, s Maschele ist rosa, macht nichts, die Buben kommen schon noch.
Und dann kommt die Erziehung: „Männer weinen nicht!“ Spielzeug: Bagger oder Barbiepuppe? Kinderbücher: Der Räuber Hotzenplotz oder Schneewittchen? Sexualerziehung: Im Internet oder in durch die Mama? Sport: Fußball oder Federball? Was tut der Vater? Geld verdienen und Politik machen. Und die Mutter? Sie ist das sorgende Faktotum im Haus, auch wenn sie berufstätig ist und am Abend vor Müdigkeit fast umfällt. Diese Bilder stehen offensichtlich schon genetisch fest.
Und wen wundert‘s, dass unsere Sprache das widerspiegelt, also männlich geprägt ist? Alle mir geläufigen europäischen Sprachen sind Männersprachen. Das ist nicht verwunderlich, sind sie doch alle dem gleichen historisch gewachsenen Macho-Mist erwachsen.
Als pensionierter Deutschlehrer erlaube ich mir jetzt eine Provokation: Die Forderung nach einer geschlechtergerechten Sprache hat bisher eines erreicht: Sie hat die deutsche Sprache verhunzt und schwerfällig gemacht, aber am sozialen Status der Frau wenig verbessert. Ich bin hinreichend linguistisch gebildet, um über die Zusammenhänge zwischen Sprache, Denken und Handeln Bescheid zu wissen, deswegen weiß ich: Wer die Macht hat, bestimmt auch über die Sprache; aber wer an der Sprache ein wenig herummanipuliert, hat deswegen noch lange nicht die Macht, auch wenn zweifelsohne die Sprache das Denken steuert (vgl. die Werbung).
Um Grundsätzliches zu verändern, müssen Politik, Gesetzgebung, Pädagogik und Psychologie andere Akzente setzen. Z.B. müssen Frauen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden, Mutterschaft, Erziehungsarbeit und Frauenarbeit allgemein müssen materiell aufgewertet, nicht nur symbolisch honoriert werden, und Frauen müssen endlich Frauen wählen statt Männer (statt dann zu jammern), und jedes machohafte Benehmen muss soziale Ächtung erfahren.
Wenn einst ein neues Männer- und Frauenbild erreicht ist, wird sich das auch in einer neuen, gendergerechten Sprache niederschlagen – ohne künstlichen Dirigismus.
Erich Daniel

Sa., 29.05.2021 - 18:30 Permalink
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Karl Trojer Mo., 31.05.2021 - 10:35

Antwort auf von Erich Daniel

Den Darlegungen von Herrn Daniel stimme ich weitgehend zu, Jesus selbst kann allerdings nicht als ein Befürworter des Patriarchats hingestellt werden. Frauen gehörten zu seinem engsten Freundeskreis, er verteidigte sie, wenn sie in seiner Anwesenheit von Männern angegriffen wurden; sie waren die letzten, die unter seinem Kreuze ausharren und die ersten, die seine Auferstehung verkünden konnten.

Mo., 31.05.2021 - 10:35 Permalink
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Herta Abram Mo., 31.05.2021 - 08:34

Ich wünschte Anita Rossi wäre die Chefredakteurin, des Tagblatts der Südtiroler*innen ….
Jedenfalls scheint die Zeit reif zu sein für Transformationsprozesse, die nicht nur unsere äußere Welt dramatisch umgestalten und unseren Alltag radikal verändern, sondern auch Umwälzungen im Selbstverständnis von Frau und Mann mit sich bringen.

Mo., 31.05.2021 - 08:34 Permalink