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Ein Kopf will nicht rollen

Die missglückte Hinrichtung des Antholzer Fischers Peter Paßler löste den Bauernkrieg aus.
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Foto: gg

Der Tiroler Bauernkrieg begann am Dienstag, 9. Mai 1525, gegen zehn. Selten, dass eine Revolution sich so genau datieren lässt: An diesem Morgen sollte der Fischer Peter Paßler in Brixen hingerichtet werden. Es kam nicht dazu, weil er im letzten Moment in einem Handstreich befreit wurde. Anschließend versammelten sich die Bauern, um ihrem Landesherrn, dem Fürstbischof Sebastian Sprenz, ihre Beschwerden und Forderungen vorzutragen. Zwei Tage später besetzten sie die Brixener Hofburg, Sprenz‘ Dienstsitz und Residenz, sowie das Kloster Neustift vor den Toren der Stadt. Es war der Beginn eines Aufstands, der bis in den Herbst andauerte und im Folgejahr noch einmal aufflackern sollte, als Epilog in Salzburg.   
Treibende Kraft der Bauern war Michael Gaismair, bis zum 9. Mai 1525 Hilfsschreiber in der Kanzlei Sprenz‘ und am 13. Mai zum Anführer des Aufstands gewählt. Er organisierte die Besetzung und generalstabmäßige Plünderung Neustifts. Auf sein Konto geht auch die Einberufung des Innsbrucker Landtags, auf dem den Bauern zwar nicht ihre radikalsten Forderungen erfüllt, aber immerhin einige Rechte gegenüber Adel und Klerus bestätigt oder sogar neu gewährt wurden. 

Paßler und Gaismair wurden in eine Zeit hineingeboren, in der die mittelalterliche Welt aus den Fugen geriet.

Im Gaismairs Gefolge, etwa in Salzburg oder bei der Flucht der Aufständischen nach Venedig, befand sich meist Peter Paßler. Nur im Tod waren die beiden nicht vereint. Paßler starb 1527, Gaismair 1532; beide durch gedungene Mörder, letzterer im Auftrag des Vatikan mit ausdrücklicher Billigung des Tiroler Landesfürsten und späteren Kaisers Ferdinand. 
Paßler und Gaismair wurden in eine Zeit hineingeboren, in der die mittelalterliche Welt aus den Fugen geriet. Luthers Reformation leitete eine religiöse, die Bauernkriege im Ansatz auch eine politische Wende ein. Der feudale Ständestaat geriet in Gefahr. Was den Aufständischen abging, war ein Konzept, die überholte alte durch eine neue Ordnung zu ersetzen. Für Tirol jedoch entwarf der Bauernführer Michael Gaismair ein alternatives Staatsmodell, das er dem althergebrachten gegenüberstellte. Es gibt nicht wenige Historiker, die seinen Verfassungsentwurf für den progressivsten bis zur Französischen Revolution halten.  Seinen Traum einer freien Bauernrepublik konnte Gaismair am Ende allerdings nicht verwirklichen. 

Rebellen haben eine Idee, Revolutionäre einen Plan

Tirol war bis zu den spanischen Eroberungen in Mexiko und Peru eines der wichtigsten industriellen Zentren der Welt. Hier wurden die Metalle geschürft, auf denen sich der europäische Frühkapitalismus gründete. Konflikte blieben nicht aus: Bergleute kämpften für bessere Arbeitsbedingungen, Bauern um ihre Scholle, Bürger für ihre Rechte. Tiroler Arbeiter wurden nicht schlimmer ausgebeutet, Bauern nicht stärker unterdrückt und Städter nicht mehr gegängelt als anderswo. Im Gegenteil: Kaum irgendwo bekamen Arbeiter höhere Löhne, lebten die Bauern freier und war der Herrscher mehr auf Ausgleich bedacht als im Land an Inn und Etsch. Doch lag hier auch das Problem. Niemand wollte bislang erreichte Freiheiten und Standards aufgeben; niemand sah ein, dass es ihm um der Profite anderer willen schlechter gehen sollte – gesellschaftliches Konfliktpotenzial, wie man es auch heute auf der Welt findet. 
Selbst eine Ausländerproblematik gab es schon im internationalisierten Tirol. Wichtige politisch Handelnde wiesen, wie es heute so schön heißt, einen Migrationshintergrund auf. Ferdinand entstammte der spanischen Linie des Hauses Habsburg. Als er 1521 Herrscher über Tirol wurde, konnte er kein Deutsch, die deutsche Kultur war ihm fremd. Der Brixener Fürstbischof Sprenz kam wie Jakob und Anton Fugger aus Augsburg; alle drei waren auch aus diesem Grund unpopulär. Ferdinands engster Berater und Schatzmeister, Gabriel Salamanca, war als Spanier und mehr noch als Jude antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt. 
Rebellen haben eine Idee, Revolutionäre einen Plan: Anders als in anderen Regionen des deutschen Reichs beschränkte Gaismair seine Forderungen während des Bauernkriegs nicht auf das bloße Abstellen von Beschwerden. Sein Ziel war eine Gemeinschaft von Gleichen, in der es fürsorglicher und gerechter zugehen sollte. In diesem Sinn ist seine Tiroler Landesordnung geschrieben. Sie war so modern, dass sie heute noch als Kritik einer globalisierten, merkantilistischen, rein auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden Gesellschaft gelesen werden kann.

Dennoch nimmt Gaismair unter den Tiroler Freiheitshelden nur Rang zwei ein. Woran liegt’s? Die  konservativen Wertvorstellungen eines Andreas Hofer seien massenkompatibler und gesellschaftsfähiger...

Interessant ist auch die Rezeption Gaismairs durch spätere Generationen: Als Reformer und Freiheitskämpfer priesen ihn die Liberalen der bürgerlichen Revolution von 1848/49, als Sozialrebell und Frühsozialist reklamierte ihn Friedrich Engels. Sogar die Nationalsozialisten und – wenn auch aus völlig unterschiedlichen Motiven – die Südtiroler Separatisten vereinnahmten seine Person für ihre Propagandazwecke. Der Wahrheit als nächstes kommt vielleicht der Historiker Günther Franz, der in seinem Standardwerk zum Bauernkrieg Gaismair als „größte Gestalt des ganzen Bauernkrieges, der einzige wirkliche Revolutionär und Führer" bezeichnet. Leider fand Gaismair auch in der Nazi-Ideologie seinen Platz als der "edle Kämpfer für Scholle, Volk und Reich". 

Dennoch nimmt Gaismair unter den Tiroler Freiheitshelden nur Rang zwei ein. Woran liegt’s? Die  konservativen Wertvorstellungen eines Andreas Hofer seien massenkompatibler und gesellschaftsfähiger gewesen als diejenigen Gaismairs, meinen die Historiker Steffen Leins (Tübingen) und Robert Rebitsch (Innsbruck). Zudem habe Gaismair gegen eigene Autoritäten, Hofer gegen ein auswärtiges Regime und fremde Autoritäten revoltiert; dem Widerstand gegen die Fremdherrschaft würden die Tiroler die höhere Bedeutung beimessen. Doch kämpfte Gaismair nicht ebenfalls gegen fremde Herrscher? Fast alle seine Gegner bedienten xenophobe Stereotype: der aus Spanien reingeschmeckte Ferdinand, sein jüdischer Berater Salamanca, die Brixener Kleriker Sprenz und Angerer (der Fürstbischof aus Franken, der Dompropst aus Wien stammend), der schwäbische Unternehmer Fugger …

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Markus Lobis Mo., 07.06.2021 - 18:12

Wichtiges Thema, bin gespannt auf das Buch!

Der Hofer-Mythos ist nur zum Teil aus dem Volk heraus entstanden. Er wurde vielmehr am Ende des 19. Jahrhunderts als mikronationales Narrativ in den "Gängen der Wiener Hofburg" neu entwickelt, um die vielen Völker im auseinanderdriftenden Reich bei der Stange zu halten und am kaiserlichen Lichtpunkt in Wien auszurichten.

Zu Andreas Hofer wurde nun so viel gearbeitet, dass der Mythos nur mehr unter größten Mühen und partiell aufrecht erhalten werden kann. Und das ist gut so.

Mo., 07.06.2021 - 18:12 Permalink