Gesellschaft | aus dem Skolast

Südtirol – eine Nestbeschmutzung

In diesem Text geht es nicht um das Südtirolbild, das wir auf holländischen Speck drucken, sondern um alles, was hinter dem Marketing und der Selbstlüge steht.
Almlandschaft
Foto: Pixabay

Dieser Beitrag ist der aktuellen Ausgabe des „Skolast“ (2020) entnommen.*


Wir Südtiroler*innen sind Expert*innen im schönen Schein – das haben wir gelernt: Dolomiten im Hintergrund, weidende Kühe auf grünen Wiesen im Vordergrund. Daneben steht noch eine glückliche Bäuerin im traditionellen Gwandl mit einem alten Melkeimer. Doch die Realität sieht anders aus. In diesem Text geht es nicht um das Südtirolbild, das wir auf holländischen Speck drucken und mit „regionaler Herkunft“ zertifizieren, sondern um alles, was hinter dem Marketing und der Selbstlüge steht.

 

Tiroliban

 

Die Überschrift wird die meisten von uns an unseren bekannten Trachtenverein in den engen Hosen denken lassen. An die tapferen Recken, die ihre Feuerstöckchen in die Luft halten und bei denen dann doch nur heiße Luft und ein wenig Rauch rauskommt - was würde Freud dazu sagen? Obwohl diese und andere volkstümlerische Vereine ein Symbol der Rückwärtsgewandheit und des einfältigen Konservatismus sind, denke ich bei Tiroliban vor allem an eine recht neue Art von Sittenwächter*innen: Den Internetsalafisten. Als vor einigen Jahren das Diskussionsforum „Südtiroler Frühling“ entstand, verfolgte ich das Ganze noch mit einigem Interesse. Inzwischen dominiert aber der Geist des Wirtshauses dort viele Debatten. Menschen, die ihre brutale Lynchmobmeinung nie offen aussprechen würden, weil sie zu feige sind, ihre Menschenfeindlichkeit jemanden offen ins Gesicht zu bekennen, rotten sich hier zusammen und klopfen sich für ihre „Meinungen“ gegenseitig auf die Schulter. Erschreckend ist aber nicht, dass es solche gibt, sondern wie viele es sind und wie schwach die vernünftigen Gegenstimmen. Der Wohlstand, die politische und materielle Sicherheit, haben nicht dazu geführt, dass die Südtiroler*innen großherziger und toleranter werden, sondern im Gegenteil dazu, dass die Angst vor allem Fremden und Unbekannten hysterische Ausmaße annimmt. Liest man sich Südtiroler Onlineforen durch, dann bekommt man einen guten Einblick in die kleinbürgerlichen Mechanismen hinter Lynchmord, Hexenverbrennung und Progrom.  

 

Zweisprachige Apartheid

 

Das erste Schmeichelhafte, worauf man im Ausland in Bezug auf Südtirol oft angesprochen wird, (zumindest, wenn vorher nicht Speck und Berge genannt werden) ist die Zweisprachigkeit. Das passiert sogar recht häufig – offensichtlich hat das Marketing wieder gute Arbeit geleistet. Die Menschen im Ausland verwechseln unseren Bilinguismo aber mit einer offenen und kosmopolitischen Einstellung. In Wirklichkeit haben die Südtiroler*innen es geschafft, dieses unglaubliche Potential, direkt an der Grenze zwischen zwei Kultur- und Sprachräumen zu liegen, fast komplett zu ignorieren. Wir leben in einer Form der Gewohnheitsapartheid, in der alles schön nebeneinander daherlebt und sich dabei möglichst wenig berührt. Vor fünfzig Jahren war diese Vereinbarung nötig, um den Frieden zu erhalten – jetzt ist es ein Relikt, das den Fortschritt behindert, sowie ein weiterer Beweis, dass die Südtiroler Gesellschaft unfähig ist, sich neuen Entwicklungen anzupassen. Vor allem der Proporz führt regelmäßig zu Kopfschütteln, wenn ich davon erzähle. Allein der Gedanke, dass Posten nach einer Sprachgruppenzugehörigkeit vergeben werden, nicht in erster Linie nach Kompetenz, ist für viele verständlicherweise unvorstellbar. Auch im Klassenzimmer nutzen wir das Potential nicht: Längst ist wissenschaftlich erforscht, dass gemischtsprachiger Unterricht viele Möglichkeiten bietet – aber bei uns wird er abgelehnt, weil er die deutsch-südtiroler Kultur zerstören könnte. Wobei natürlich niemand genau weiß, was diese Leitkultur sein soll: Pulverglühwein vor einem Kitschweihnachtsmarktstand trinken oder in Lederhosen beim Après-Ski saufen oder vielleicht auch das Kreuz im Klassenzimmer; immerhin geht der traditionsbewusste Tiroler zu Weihnachten und Ostern in die Kirche.

 

Südtiroler Helden

 

Einen tiefen Einblick in das Gemüt der Südtiroler*innen gibt unsere Heldenverehrung: „Es blutete der Brüder Herz, ganz Deutschland ach in Schmach und Schmerz.“ Zugegeben, Hymnen sind oft stupide, aber wir schaffen es, das dümmste Lied und die rückschrittlichste Persönlichkeit, die wir finden können, an oberste Stelle zu setzen. Gerade Andreas Hofer, dieser Tiroler al-Baghdadi, ist für ein modernes Land als Symbol so ungeeignet wie es nur geht: frauenfeindlich, bigott, ständig besoffen, Impfgegner und eigentlich ziemlich erfolglos. Damit können sich viele unserer tapferen Mand’r offensichtlich gut identifizieren.
Wobei es ja erstaunlich ist, dass es durchaus Symbole und Persönlichkeiten gibt, für die man sich weniger schämen müsste, denken wir an Michael Gaismair, einen der Anführer der Bauernaufstände. Natürlich auch ein Kind seiner Zeit, mit seinen Fehlern und religiösen Wahnvorstellungen, aber wenigstens ein fortschrittlicher Menschenfreund, der viele unserer modernen Ideale von Gleichheit vorweggenommen hat. Oder modernere Charaktere, wie Alexander Langer, Claus Gatterer oder Norbert C. Kaser. Alle drei wurden zu Lebzeiten aber angefeindet und verabscheut und mussten, zumindest, wenn sie nicht wie Gatterer im Ausland zu Renommee kamen, ein Leben in der winzig kleinen Nische der Unangepassten verbringen, die die Südtiroler Gesellschaft solchen Charakteren zugesteht. Da hilft es wenig, wenn man dann, nach ihrem Tod, scheinheilig Bibliotheken nach ihnen benennt.

 

Der Untertan

 

Vielleicht ist es die Abgeschiedenheit durch die Berge, vielleicht auch die Jahrhunderte als Leibeigene, wahrscheinlich eine Mischung von beiden und noch ein paar anderen Faktoren, aber die Südtirolerin und der Südtiroler sind im Herzen immer noch Untertan*innen. Die wichtigste Eigenschaft des Untertanen ist die hündische Gehorsamkeit zu allen Autoritäten und die kriecherische Gehässigkeit zu allen, die vermeintlich unter einem stehen. Die sprichwörtliche Tiroler Sturköpfigkeit, die oft mit Eigenständigkeit und Stolz verwechselt wird, ist mir in Südtirol eigentlich nur begegnet, wenn es um unwichtige Kleinigkeiten oder noch unwichtigere Nachbarschaftsstreitigkeiten ging. Wenn es darum ging, sich mit Chefs anzulegen, sind die meisten Südtiroler*innen still und lassen sich fast alles bieten, dafür sind sie umso tapferer, wenn sie irgendwo nach unten treten können – da ist das Ziel nicht schwer zu finden: Flüchtlinge, Ausländer generell, Arme, Homosexuelle, Frauen. Es ist dabei unerheblich, ob Herr und Frau Südtiroler jemals mit diesen Gruppen zu tun hatten – es reicht, wenn eine Autorität, meist in Form einer Publikation eines allumfassenden Medienimperiums, uns sagt, wen wir hassen müssen.

 

DiDos und andere Student*innen

 

Eine meiner ersten Erfahrungen in der Innsbrucker Studienzeit war der Spott der anderen (lies: nicht Südtiroler) Studierenden. DiDos nannten sie die Südtiroler*innen, weil sie am Dienstag kommen und am Donnerstag heimfahren. Den Großteil der Woche verbringen sie natürlich daheim, weil wer soll den Sugo vorkochen und die Wäsche waschen, für die zwei Tage, die man wöchentlich im Exil verbringt? Diese Unselbstständigkeit, die jeden italienischen mammone zum Erblassen bringen würde, kann noch mit viel gutem Willen als sympathisch-tollpatschige Heimatliebe abgetan werden. Wesentlich erstaunlicher finde ich, dass viele der Studierenden, egal wie lang sie in der Fremde verbringen und wie oft sie heimfahren, nie wirklich weg sind. Inzwischen habe ich unendlich viele Landsmänner und -frauen kennengelernt, die zwar Jahre in Rom, Verona, Bologna, Innsbruck, Wien oder München leben, aber in Wahrheit die Tage zählen, bis sie wieder in ihr Bergnest kommen. Einigermaßen ironisch finde ich, dass es die Südtiroler*innen inzwischen perfektioniert haben, auch in 600 Kilometern Entfernung keinerlei Kontakt zu irgendeiner anderen Bevölkerungsgruppe aufzunehmen, sondern ihre Studienjahre komplett in Südtiroler-Communitys zu verbringen. Die sich natürlich in den Sommerferien auflösen. Niemand integriert sich so schlecht wie der/die Südtiroler*in. Damit verbunden ist auch die erstaunliche Fähigkeit, Jahre des Studiums und der (trotz allem Bemühen unvermeidbaren) Eindrücke hinter sich zu bringen, ohne ein wenig weltoffener und toleranter zu werden.

 

Schöne Welt – Böse Leut

 

Eigentlich sollte hier eine versöhnliche Endnote stehen. Ich sollte darauf hinweisen, was alles gut läuft, wie viele tolle Initiativen es gibt. Wie sauber die Straßen sind. Wie schön der Tiefschnee. Und so weiter. Ich verzichte darauf, denn das machen andere oft genug. Schließen möchte ich eher mit den Worten von Gatterer: Schöne Welt, aber böse Leut.


Julian Fischnaller, Masterstudium der Soziologie an der Universität Wien und nunmehr Mittelschullehrer in Leopoldstadt, Wien. Interessiert an Südtirolbetrachtungen jenseits von Schönfärberei.

 

 

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Christian Mair Mi., 19.05.2021 - 20:01

Antwort auf von Harald Knoflach

Interessanter Schachzug, @HaraldKnoflach, das wilde Umherschiessen des J. Fischnaller in ein Rechtsschema zu pressen. Wer ist da eigentlich gemeint: Mann, deutsch, Alkoholiker?

Andererseits trifft der Autor so manchesmal. Vielleicht lohnt sich ein Vergleich mit Wagenknechts Kritik an der Identitätspolitik der Lifestylelinken:
"Die Identitätspolitik läuft darauf hinaus, das Augenmerk auf immer kleinere und immer skurrilere Minderheiten zu richten, die ihre Identität jeweils in irgendeiner Marotte finden.«( S. Wagenknecht)

So könnte man im "System Südtirol" das Scheitern von Identitätspolitik/ Anerkennungspolitik sehen, die im Grunde darauf abzielt Ungleichheit zu zementieren. Höchste Priorität ist den status quo aufrecht zu erhalten, um wirtschaftliche Privilegien abzupressen, die dann zwar so manches mal vor dem internationalen Markt und neoliberaler Verschlankungskur der öffentl. Hand schützen (Verwaltung, Landwirtschaft, Häuslbauer u.ä.) im Grunde aber einen Sozialstaat für Reiche (Bauern, Hoteliers, ...) erschaffen haben.

Das zeigt, wie weit Südtirol noch davon entfernt ist, Autonomie als einen ständigen Prozess der Selbstbestimmung, demokratischen Teilhabe und nachhaltigem Umbau zu verstehen. Eine derartige Autonomie könnte die Geschichte zwar nicht vergissen, seine Bürger aber nicht durch Abstammung anerkennen sondern anhand von Leistungen, die zum Bau einer widerstandsfähigen und echten demokratischen Gesellschaft beitragen.

Nirgens ist diese, vielleicht gar nicht politische, sondern kulturelle Fragestellung, so gut umgesetzt, wie bei Essgewohnheiten. Ist das nicht ein Triumph von Fleiss und Stolz der Handwerker und Köche, die es im Wettstreit zu einer kulinarischen Blüte gebracht haben? ( ok, bei Ernährungssouverenität geht da noch was).

Mi., 19.05.2021 - 20:01 Permalink
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Mathias Lechthaler Mi., 09.06.2021 - 11:36

Antwort auf von Harald Knoflach

Interessant, dass du das so siehst. Ich habe mich gerade von dieser Passage besonders angesprochen gefühlt, weil es mir genau so geht und es immer wieder der Fall ist, dass ich eigentlich gerne Leute kennenlernen würde, die nicht aus Südtirol kommen. Aber irgendwie funktioniert das immer nur bedingt, meistens ist immer mehr als die Hälfte der Gruppe Südtiroler:innen. Ich finde, der Satz "Einigermaßen ironisch finde ich, dass es die Südtiroler*innen inzwischen perfektioniert haben, auch in 600 Kilometern Entfernung keinerlei Kontakt zu irgendeiner anderen Bevölkerungsgruppe aufzunehmen, sondern ihre Studienjahre komplett in Südtiroler-Communitys zu verbringen." stimmt schon, zumindest kann ich das aus eigener Perspektive bestätigen.
Das Spiel mit dem Substantiv austauschen, mag oft sicher funktionieren und interessante Dinge zum Vorschein bringen. Wenn ich aber den Satz "Die Erde ist rund" zu "Roma und Sinti sind rund" umformuliere, dann ist der erste Satz einfach nur richtig, und nur weil man ihn zu etwas deppatem umformen kann, nicht automatisch problematisch.

Mi., 09.06.2021 - 11:36 Permalink