Zanella, Maxim
Foto: Familie Zanella
Gesellschaft | Journalismus

Die Schreibtischtäter

Am Mord an Maxim Zanella zeigt sich wieder einmal, dass die Sensationslüsternheit und Scheinheiligkeit mancher Südtiroler Medienhäuser keine Grenzen mehr kennt.
Das Virus ist besonders gefährlich. Es befällt anscheinend vor allem Journalistinnen und Journalisten. Die Krankheit greift dabei direkt den gesunden Hausverstand an. Die Symptome, die auftreten: Die Betroffenen schreiben und melden und denken dann - wenn überhaupt – erst viel zu später darüber nach, was sie angerichtet haben.
Es ist nicht der Mordfall Benno Neumair, der dieses Virus in Südtirol ausgelöst hat. Aber der Bozner Elternmord hat eine Deltavariante dieser gefährlichen Krankheit verbreitet, die noch ansteckender sein muss, als das, was man uns bisher vorexerziert hat. Denn das Virus hat seit einigen Jahren auch ein Verlagshaus befallen, das sich nicht nur in seinem Selbstverständnis als „christlich“ bezeichnet, sondern zu dessen Hauptaktionären auch die Südtiroler Amtskirche gehört.
Doch Weihwasser schützt vor ungezügelter Geschäftemacherei nicht. Das Virus lässt die (Zeitungs)Kassen klingeln.
Dabei sind es nicht die vielgescholtenen sozialen Medien, die von diesem Virus befallen sind. Der Virenherd befindet sich in jenem renommierten, großen Verlagshaus, das sich immer wieder als moralische Instanz in diesem Land gebärdet und deren Herausgeber die mediale Wahrnehmungsgrenze selbst festlegen, unter der selbstverständlich jene Medien fallen, die in dieser Region nicht ihnen gehören.
Weihwasser schützt vor ungezügelter Geschäftemacherei nicht. Das Virus lässt die (Zeitungs)Kassen klingeln.
 

„Herber Dämpfer“

 
In der Nacht vom 27. auf dem 28. Juli 2021 verletzt der 23-jährige Oskar Kozlowski in Bruneck den 30jährigen Maxim Zanella mit einem Messerstich tödlich. Alle Medien berichtet von einem Streit zwischen den beiden in Zanellas Wohnung, den es - wie sich später herausstellt - nie gegeben hat.
Die zwei auflagenstärksten Tageszeitungen Südtirols gehen in ihrer Berichterstattung in den Tagen darauf aber viel weiter:
 

29. Juli

 
Dolomiten:
 
„Indiskretionen zufolge sollen die beiden jungen Männer, die seit Jahren in Bruneck ansässig sind, in der Vergangenheit schon Bekanntschaft mit den Ordnungshütern gemacht haben. Diesen waren sie als Konsumenten von harten Drogen bekannt. Folglich könnte das Motiv für die Bluttat im Drogenmilieu liegen.“
 
Alto Adige
 
L'ipotesi che gli inquirenti ritengono più probabile è che il dramma sia legato alla droga. Sia vittima che assassino erano infatti noti ai carabinieri della val Pusteria per eccesso di uso di sostanze stupefacenti e di alcol. Sarà l'autopsia, programmata già nelle prossime ore, a stabilire se i due protagonisti del dramma abbiano agito sotto gli effetti di sostanze proibite.  ..[…]…  Le indagini nel frattempo proseguono. In primo luogo alla ricerca del telefono cellulare di Maxim che l'omicida ha cercato di eliminare dalla scena del delitto gettandolo nella Rienza (e che potrebbe contenere elementi di riscontro importanti sul fronte del consumo di droga pesante)“
 

30. Juli

 
Dolomiten
 
„Warum er zugestochen hat, darüber soll Oskar Kozlowski bislang keine Angaben gemacht haben. Wie berichtet, gehen die Ermittler davon aus, dass Drogenkonsum mit eine Rolle gespielt haben könnte. Nicht ausgeschlossen ist, dass die Tat im Zusammenhang mit einem satanistischen Ritual stehen könnte.“ 
 
Alto Adige
 
„Gli inquirenti sono convinti che entrambi i protagonisti facessero uso di sostanze proibite. Su questo particolare sarà l'autopsia (programmata per questa mattina alle 10.30 con incarico affidato al dottor Dario Raniero, del servizio di medicina legale dell'Università di Verona) a dover fornire importanti elementi di valutazione alla procuratrice Sara Rielli che conduce l'inchiesta.“ ..[…].. Nell'appartamento della tragedia ed anche nell'alloggio di Oskar Kozlowski non sarebbe stata trovata droga. Così come non sono stati trovati oggetti che possano in qualche maniera avvalorare l'ipotesi di riti satanici." 
 

 

31. Juli

 
Bei der Autopsie der Leiche von Maxim Zanella werden keinerlei Spuren von irgendwelchen Drogen gefunden. Am nächsten Tag dreht sich die Berichterstattung der beiden Blätter, als hätte man mit der Falschnachrichten, die tagelang verbreitet wurden, nichts zu tun.
 
Dolomiten
 
„Indes scheint die anfängliche These der Ermittler, dass der Konsum von Drogen zur Bluttat geführt haben könnte, einen herben Dämpfer erhalten zu haben. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Opfers sollen keinerlei Drogen gefunden worden sein.“
 
Alto Adige
 
„Nel controllo dell'appartamento dove Maxim Zanella è stato accoltellato a morte non è stata trovata traccia alcuna né di riti satanici né di sostanze stupefacenti. Acclarato che la vittima non facesse uso di sostanze stupefacenti e, ora, seppur indirettamente, esclusa anche la possibilità che qualcosa di "soprannaturale" abbia mosso la mano di Kozlowski, tutte le ipotesi restano aperte.
 
 

Leichenfledderer

 
Ich kenne den Vater von Maxim Zanella seit vielen Jahren. Er hat mir auch Maxim vorgestellt. Und ich schäme mich.
Ich schäme mich, einer Kategorie von Leichenfledderern anzugehören, die ohne Rücksicht auf die Gefühle der Angehörigen, die ihren Sohn verloren haben, diesen mit wenigen Sätzen zum Drogensüchtigen oder –händler machen. Und ihn damit ein zweites Mal öffentlich hinrichten.
Und die dann so tun, als wäre diese Falschmeldung ein Rechtschreibfehler, den man dann so en passant korrigiert.
 
 
Dabei berichtet man scheinheilig und heuchlerisch über das "Missgeschick", dass Carlo Alberto und Giuliana Zanella aus den Medien vom Tod ihres Sohnes erfahren haben. Das sei „ein unverzeihlicher Fehler“.
Dass man zwei Tage lang eine jungen Mann zum Drogensüchtigen gestempelt hat, dass man den Satanismus bemüht hat und sich in Wirklichkeit alles als reine Erfindung und als Fake-News herausgestellt hat, darüber kein Wort.
Business as usual! Das Gerede von Ethik, Korrektheit und Menschlichkeit zählt im Journalismus des dritten Jahrtausends nicht mehr.
Dass man zwei Tage lang eine jungen Mann zum Drogensüchtigen gestempelt hat, dass man den Satanismus bemüht hat und sich in Wirklichkeit alles als reine Erfindung und als Fake-News herausgestellt hat, darüber kein Wort.
Die regionale Journalistenkammer, die sich immer dann als Gralshüter der Berufsethik sieht, wenn es darum geht, den kleinen und unabhängigen Medien im Land einen Verweis zu geben, wird wie immer zuschauen und einen Grund finden, warum man nichts tun wird/kann. Bei den Schwachen ist man stark und bei den Mächtigen schwach.
Carlo Alberto, Giuliana und Cristina Zanella wird man mit ihrem Schmerz alleine lassen. Sie müssen jetzt nicht nur um ihren Sohn/Bruder trauern, sondern auch die Würde Maxims wiederherstellen, die man öffentlich tagelang mit Füßen getreten hat.
Maxim Zanella wurde zweimal ermordet. Aber die Schreibtischtäter wird man nicht zur Verantwortung ziehen. Denn die Athesia ist in diesem Land zu mächtig.
 
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Michael Keim Mo., 02.08.2021 - 23:28

Top-Artikel!
Der leider zu allzu vielen anderen Veröffentlichungen des Imperiums passen würde.
Einfach traurig.

Mo., 02.08.2021 - 23:28 Permalink
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Manfred Klotz Di., 03.08.2021 - 08:14

So lange nicht direkt von den Journalisten Druck auf die Berufskammer ausgeübt wird, dass etwas gegen diesen Wildwuchs an Skandalnachrichten unternommen wird, wird die Berufskammer sich natürlich nicht exponieren.
In diesem Fall kann ich mir gut vorstellen, dass die Medien die Schuld auf die Ermittler abschieben, die die These des Drogenhintergrundes aufgestellt haben sollen.
Den Eltern bleibt nur der Gang vor das Gericht, um den guten Namen des verstorbenen Sohnes wiederherzustellen.

Di., 03.08.2021 - 08:14 Permalink
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Georg Niedrist Di., 03.08.2021 - 08:38

Zustimmung! Schade, dass Salto.bz nicht mit derselben Konsequenz gegen fake news auf der eigenen Seite vorgeht. Seit Monaten werden hier im Zusammenhang mit Corona regelmäßig Tote verharmlost, Intensivpatienten als Hypochonder verspottet und Falschmeldungen verbreitet. Das sei freie Meinungsäußerung und hat nichts mit Journalismus zu tun, sagt ihr? Das greift zu kurz: Ihr gebt dieser Art von „Leichenfledderei“ unter eurer Domain Platz und Sichtbarkeit. Ein gelber Hinweisbalken ist zu wenig, um sich dieser Verantwortung zu entziehen.

Di., 03.08.2021 - 08:38 Permalink
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Harald Knoflach Di., 03.08.2021 - 09:43

Die Kritik am Umgang mit Persönlichkeitsrechten ist absolut gerechtfertigt. Es ist ein Wahnsinn, was da passiert. Wobei man auch die Tageszeitung in diesem Zusammenhang erwähnen müsste, da dort tendenziell noch mehr gewütet wird (siehe Mordfall in Bozen).

Paradox ist allerdings, dass Franceschini selbst in dem Artikel eine niveaulose Zurschaustellung a la Bildzeitung betreibt, die die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt. Dann von "Würde" zu sprechen, ist meines Erachtens ein Hohn. Es werden die vollständigen Namen des Opfers sowie von Verwandten (!) und deren Fotos unverpixelt veröffentlicht. Eine Vorgehensweise, die beispielsweise in Nordtirol absolut undenkbar wäre.
Hier ein Beispiel, wie die Tiroler Tageszeitung beim Fünffachmord in Kitzbühel berichtet hat.
https://www.tt.com/artikel/16131451/fuenffachmord-in-kitzbuehel-25-jaeh…
Keine Namen (nicht mal die Initialen), keine Fotos von Personen - weder von den Opfern noch vom Verdächtigen. Solange es sich bei den Beteiligten nicht um Personen des öffentlichen Interesses handelt, sind diese Informationen für die Berichterstattung nicht relevant, da das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen (egal ob Opfer oder Tatverdächtiger) das Informationsrecht überwiegt.

TT-Chefredakteur Mario Zenhäusern hat diesen "medialen Sittenverfall", wie er ihn bezeichnet, in einem Leitartikel damals treffend auf den Punkt gebracht.

Di., 03.08.2021 - 09:43 Permalink
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Stefan S Di., 03.08.2021 - 11:31

Antwort auf von Harald Knoflach

Sie schreiben
"Paradox ist allerdings, dass Franceschini selbst in dem Artikel eine niveaulose Zurschaustellung a la Bildzeitung betreibt,"
Franceschini schreibt
"Ich kenne den Vater von Maxim Zanella seit vielen Jahren. Er hat mir auch Maxim vorgestellt"
Es ist ja wohl mehr als offensichtlich das hier im Namen der geschädigten Familie Widergutmachung praktiziert wird. Was darin Bildzeitungsniveau darstellen soll bleibt wohl Ihr Paradox.

Di., 03.08.2021 - 11:31 Permalink
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Profil für Benutzer Christoph Franceschini
Christoph Fran… Di., 03.08.2021 - 12:37

Antwort auf von Harald Knoflach

Herr Knoflach, nur zwei Erläuterungen:
1. Da Sie selbst in die Journalistenkammer eingeschrieben sind, wissen Sie sicher, dass die Rechtslage in Italien völlig anders ist als in Österreich oder Deutschland;
2. Da ich die Familie Zanella kenne habe ich mir vorab die Erlaubnis für die Publikation der Namen & Fotos eingeholt. Also nix mit "Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzt".

Di., 03.08.2021 - 12:37 Permalink
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Profil für Benutzer Harald Knoflach
Harald Knoflach Di., 03.08.2021 - 14:52

Antwort auf von Christoph Fran…

Vielen Dank für die Info, Herr Franceschini.
Den Vorwurf der "niveaulosen Zurschaustellung a la Bildzeitung" nehme ich hiermit zurück und entschuldige mich dafür.
Die Rechtslage ist in der Tat unterschiedlich, wobei es sowohl in Italien als auch in D und Ö viel Ermessensspielraum gibt, was "öffentliches Interesse" und "essentielle Information" usw. betrifft und es in der Verantwortung der Journalisten liegt, wie weit sie diesen ausreizen. Im Sinne von rechtens muss nicht immer richtig sein. Schwarze Chronik hat viel mit Ethik zu tun. In den USA ist beispielsweise von der Meinungsfreiheit gedeckt (also rechtens), dass die Westboro Baptist Church auf Begräbnissen von Schwulen "God hates fags"-Poster den Angehörigen ins Gesicht hält. Dennoch ist das ethisch verwerflich (nicht richtig). Ähnlich - wenngleich weniger krass - verhält es sich mit der gängigen voyeuristischen Berichterstattung in Südtirol zu Unfällen und Verbrechen, wo Facebook-Konten geplündert werden, um Opfer und Verdächtige zur Schau zu stellen, wo (nicht gesicherte) Ermittlungsdetails mit vollen Namen garniert werden, wo generell stets volle Namen publiziert werden, unabhängig davon, ob sie im entsprechenden Zusammenhang unbedingt notwendigen Informationsgehalt haben oder nicht usw.
Zudem gibt es - wenn ich richtig informiert bin - auch in Italien die Unterscheidung im Bezug auf Persönlichkeitsrechte zwischen "Normalbürgern" und Personen im öffentlichen Interesse. Auch hier gilt das Prinzip der "Essenzialita' dell'informazione" und der "non colpevolezza" bezüglich identifizierender Berichterstattung. Auch gibt es das Prinzip, dass die Würde der Person durch eine Veröffentlichung nicht verletzt werden darf.
Ich denke also schon, dass die italienischen Regelungen auch Zurückhaltung gebieten. Aber vielleicht werden sie halt nicht exekutiert und so entscheiden sich viele Medien für Sensationsjournalismus, Profit und "Leichenfledderei" anstatt für Menschlichkeit.
Und die Tatsache, dass beispielsweise die ff in solchen Dingen (Fotos, Namensnennung usw.) zurückhaltender ist als andere Südtiroler Medien zeigt, dass es eben Ermessensspielraum gibt und ethische Überlegungen eine Rolle spielen können - ungeachtet der rechtlichen Situation.
Oder irre ich da?

Di., 03.08.2021 - 14:52 Permalink