Wirtschaft | Stau!

Verkehrspolitik? Ah ja, Autopolitik!

Warum der Auto-Stau immer größer wird und was wir dagegen tun können.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Autostau
Foto: S.Kripp

In diesem Sommer haben wir in Südtirol besonders viele Tage mit Verkehrskollaps gehabt! Wobei das falsch gesagt ist, denn es gab Autokollapse, die Züge sind fröhlich weitergefahren. Nur die Autos sind gestanden. Und wie!

Das mag sicher auch Corona geschuldet sein: einerseits, weil viele Menschen im Urlaub in Europa geblieben sind und andererseits, weil die Benutzung von Öffis durch die Corona-Maßnahmen nicht gerade attraktiver wurde. Viele Menschen hatten oder haben Angst, sich in Zug oder Bus zu setzen.

Die Folge ist, dass alle Autobelastungsrekorde gebrochen worden sind und der Autoverkehr (nur dieser!) stillgestanden ist.

So still, dass auch die ansässige Bevölkerung in hohem Maße von diesen Stillständen auf den Hauptstraßen betroffen war. Klassiker waren und bleiben die Staatsstraßen durch das Pustertal, durch den unteren Vinschgau ab Marling bzw. Forst, aber auch Seitentäler wie Passeier und Gröden. Das letzte Wochenende vom 25./26. September hat dann dem Fass den Boden ausgeschlagen: Von der MeBo (Stauende bei Untermais) bis hinter Rabland hat es mit dem Auto fast 2 Stunden gedauert!

Das führt natürlich zu einem Aufschrei in Zeitungen und sozialen Netzwerken! Da kann man gar einiges lesen: „Wir haben zu viele deutsche Touristen!“, „Die Einheimischen werden schikaniert, nur, um die Touristen zu begünstigen!“, „Der Fahrradübergang ist Schuld am Stau!“, „Der Zebrastreifen wurde genau an dem Tag neu gemalt, der Verantwortliche soll sofort entlassen werden!“, „Die Ampeln in Rabland und auf der Töll sind Schuld!“, „Man muss sofort die große Umfahrung von der Töll (= Kiens, = Bozen, = Meran, = Innichen, = Schluderns,) bauen!“, „Es braucht für die Fußgänger bzw. Radfahrer eine Unterführung!“

Diese Liste an gut gemeinten Vorschlägen ließe sich beliebig fortsetzen. Alle Kommentare ähneln sich aber in einem: Es geht ausschließlich darum, den AUTOverkehr „flüssiger“ zu machen! (Dann ist er ja auch weniger umweltbelastend!!)

Kaum ein Kommentar zielt auf radikalere Lösungen hin!

Was wären die radikalen Lösungen?

Wenn ich unter etwas leide, das offensichtlich schon zu viel ist, dann werde ich doch nicht seine Zunahme begünstigen! Doch genau das verlangen die meisten oben zitierten Ausrufe und auch oft die lokale Politik! Nicht ein Weniger an Autos wird verlangt, sondern ein „besseres Fließen“ dieser zu vielen Autos. Und da liegt der Trugschluss, dem seit 60 Jahren die sogenannte Verkehrspolitik aufsitzt: Wer den Autoverkehr vermeintlich flüssiger macht, fördert ihn letztlich! Alle Straßenbaumaßnahmen der letzten 60 Jahre haben immer nur einen einzigen Effekt gehabt: der Autoverkehr hat zugenommen. Um mit Professor Hermann Knoflacher zu sprechen, der auf die Frage, ob eine Umfahrung gebaut werden soll, immer antwortet: „Wenn Sie danach mehr Autoverkehr haben wollen, müssen Sie die Umfahrung bauen!“ Und lacht verschmitzt!

Der Ausweg aus der Autoproblematik muss also darin liegen, das Auto vermeiden zu können. Es muss für unsere Gäste möglich sein, unter zumutbaren Bedingungen mit dem Zug bequem hier her zu reisen. Ich rede hier von Entfernungen bis ca. 800 Kilometer, maximal 1000. Weitere Strecken sind auch mit dem Zug nicht an einem Tag zu schaffen, außer, es gibt gute Nachtzüge.

2017 hat die Sütiroler Freiheit im Landtag den löblichen Antrag gestellt, man möge eine direkte Railjet-Verbindung von Bozen nach Wien ermöglichen. Und siehe da! Schon 2019 gab es diese perfekte und bequeme Verbindung! Es gibt zwar noch die Schwierigkeiten, von anderen Orten Südtirols in der Früh zu diesem Zug öffentlich anzureisen und auch nach dessen Ankunft um 22:20 in Bozen von dort wieder mit Öffis in die Täler zu kommen, aber immerhin, ein Anfang ist gemacht worden. Großes Lob an alle Beteiligte! SFT, Mehrheit im Landtag, ÖBB etc. Denn die Schienen haben wir ja bereits! Da muss nichts ausgebaut werden!

Und genauso könnte es mit relativ geringem Aufwand möglich sein, tägliche, direkte Verbindungen von München nach Meran und von Verona nach Innichen herzustellen. Ich nenne absichtlich keine weiter entfernten Ausgangsbahnhöfe, denn diese beiden genannten sind „Hubs“, wo ein Umstieg aus anderen / in andere Richtungen leicht möglich ist. Wenn man bedenkt, dass es schon vor 40 Jahren direkte „Kurswagen“ aus Deutschland nach Meran gegeben hat, ist dieser heutige Zustand wahrlich ein beschämender Rückschritt! Von Innsbruck nach Meran benötigt man mit den Bummelzügen und dem obligatorischen langen Halt an der Grenze (wozu eigentlich?) fast DREI Stunden!

Wenn nur ein Drittel unserer Gäste mit dem Zug kämen, würde niemand mehr von Verkehrschaos reden müssen! Wobei – das betone ich – die Anschlüsse zu und von diesen Zügen natürlich auch ausgebaut werden müssen, heute – wie gesagt – ist das noch mit etwas Akrobatik verbunden….

Die Autonomie Südtirols muss endlich genutzt werden, um die Gleisanlagen in Südtirol selbst zu verwalten, denn offensichtlich sind die RFI dazu nicht wirklich in der Lage! Das ist eine politische Frage. Aber was haben wir denn nicht schon alles „heimgeholt“!

Der nächste Schritt ist die Zweigleisigkeit der Strecke Meran – Bozen, weil sie jetzt schon von Pendlern stark genutzt wird, und in Zukunft eben auch von Touristen, vielleicht sogar einmal auch von Güterzügen. Wenn dies erreicht wird und Züge im ¼-Stunden-Takt fahren können, wird sich viel ändern. Natürlich brauchen wir dann auch Pendlerparkplätze oder günstige Zubringerdienste von den Dörfern zu den oft sehr abgelegenen Bahnhöfen. Die Tourismusbetriebe können sich zusammentun und Abholdienste zu den Hotels organisieren.

Apropos Bahnhöfe: Die Bahnhöfe hier im schönen Land Südtirol gleichen oft eher einem aufgelassenen Industriegelände, als einem modernen Knotenpunkt der Mobilität. Österreich hat uns gezeigt, was eine „Bahnhofsinitiative“ bewirken kann! Auf einmal wurden dort die Bahnhöfe Treffpunkte, Einkaufszentren, Restaurationen, und natürlich Verkehrshubs. Es wurden Rolltreppen oder zumindest Lifte gebaut, es gibt „kiss-and-ride“-Parkplätze, Fahrradunterstände und Taxidienste. Diese riesengroße Initiative geht nun schon seit 20 Jahren und hat alle 9 Landeshauptstädte, aber auch viele kleinere Bahnhöfe erreicht. Zugreisen ist in Österreich ein Genuss, denn der Anbieter ÖBB sieht sich als Dienstleister, der um Kunden wirbt, und nicht wie die FS, die einem zuerst lautstark die Strafen herunterrattert, falls man beim Zugfahren was falsch machen sollte! All das kann im Rahmen der Autonomie gemacht werden, auch wenn nicht alle Bahnhöfe dem Land gehören! Hier könnten sich gar einige Politikerinnen Ruhm verdienen!

Zusammengefasst lautet die Devise: Keine Maßnahmen mehr setzen, die den Autoverkehr begünstigen und damit vermehren, sondern nur mehr in Systeme investieren, die eine autofreie Mobilität ermöglichen und fördern. Wer dann wirklich noch mit dem Auto fahren muss, weil er transportiert oder extrem entlegen wohnt, der findet dann genügend leere Straßen dafür!

Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Di., 28.09.2021 - 16:53

Mit Ihrer Beschreibung 100% einverstanden. Darf ich zwei Aspekte und eine Frage hinzufügen?
Vor noch 15 Jahren gab es viel bessere Direktverbindungen zwischen Bozen und München als heute. Erste Abfahrt Bozen 8.32, Ank. München 12.25. Letzte Abfahrt München 17.30, Ank. Bozen 21.30. Heute ist es unmöglich, München mit dem Zug tagsüber hin und zurück zu erreichen. Man fährt ja lieber Dienstwagen...
Trenitalia macht das Reisen zu kompliziert. Auf ÖBB- und DB-Strecken gibt es keine Zugbindung, mit einem gültigen Ticket hat man ein gewisses Maß an Flexibilität, was dem Reisende zugute kommt. Die will Trenitalia nicht gewährleisten. Kein Wunder, dass in Italien viel weniger mit dem Zug gefahren wird als in A, CH, D.
Ist es zu kompliziert, den Bahnhof in Bozen wie z.B. in Innsbruck zu gestalten? Kann die Provinz wirklich nicht einsteigen, etwas tun?

Di., 28.09.2021 - 16:53 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Schorsch Peter
Schorsch Peter Do., 30.09.2021 - 12:40

Antwort auf von Gianguido Piani

Absolut einverstanden mit dem Artikel und auch mit Ihnen, Gianguido!
Ich besitze kein Auto und verwende ausschließlich Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel.
Dass trenitalia inzwischen sogar für Regionalfahrscheine Zugbindung eingeführt hat, nervt extrem, und oft schon hätte ich mir gewünscht, dass ich früher am Tag nach Deutschland raus und später abends wieder zurückfahren kann, da ich die Strecke häufig fahre.
Aber das ist aus meiner Sicht nur ein Aspekt, denn auch für die Pendler muss der öffentliche Nahverkehr attraktiver werden im Vergleich zum Auto - meine urlaubenden Bekannte aus Deutschland reisen schon jetzt größtenteils mit dem Zug an, bzw. lassen das Auto dann hier stehen und nutzen vor Ort die insgesamt doch ziemlich gute Infrastruktur.

Für Pendler: Die Zugfahrt Meran-Bozen dauert viel zu lange, Zubringerbusse zum Zug sind nicht ausreichend abgestimmt (das sagen mir meine Kollegen als Grund, weshalb sie mit dem Auto nach Bozen reinpendeln), die bozner Stadtbusse brauchen viel zu lange (Busspuren und intelligente Ampelsteuerungen (d.h. wenn ein Bus kommt, wird auf grün geschaltet) könnten die Busse schneller als die Autos und somit auch attraktiver machen.
Das ist in anderen Städten schon umgesetzt. Klar, die Möglichkeiten für Busspuren sind begrenzt, und ich weiss auch nicht genau, wie die Bus-Ampelsteuerungen funktionieren - aber in Bozen scheint man sich nicht mal damit auseinanderzusetzen.

Weiterer Gesichtspunkt: Radverkehr in Bozen sicherer und attraktiver machen: Wo sind Radfahrer unterwegs und wie kann man für diese den Weg sicherer und attraktiver machen? Wo irgendwie möglich, Einbahnstraßen öffnen. Intelligente Ampelsteuerungen, wo Radfahrer weniger kurz warten müssen, und nicht bei maximaler Wartezeit über zwei Ampeln müssen (z.B. Romstraße, wo der Radweg zwischendurch die Seite wechselt), etc. etc...
Ampelsteuerung so, dass Fussgänger, Radfahrer und Busse möglichst kurze Wartezeiten haben, und nicht mehr so, dass ausschließlich der Autofluss betrachtet wird (natürlich darf man dadurch nicht den Mega-Stau verursachen, aber Autofahren langsamer machen aus meiner Sicht schon).

Do., 30.09.2021 - 12:40 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Di., 28.09.2021 - 18:32

@Freud - Unglaublich, ich bin mit Ihren Betrachtungen einverstanden. Echt.
"Ihre Gedanken sind in Teilen sicher annehmbar, aber die konkreten Umsetzungsmechanismen fehlen. Vielleicht weil sie auch nicht realisierbar sind."
Ich bin auch einverstanden, dass Vieles im heutigen System nicht realisierbar ist. Es heißt, wir brauchen einen Paradigmenwechsel, damit neue Lösungen realisierbar werden: "Less is more".

Di., 28.09.2021 - 18:32 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Harry Dierstein
Harry Dierstein Do., 30.09.2021 - 15:04

Bei aller berechtigten Kritik am Südtiroler "Overtourism", sowie Unzulänglichkeiten beim Bahnverkehr und der damit verbundenen Mehrbelastung der Straßeninfrastruktur möchte ich mir erlauben, noch ein anderes Phänomen zu thematisieren: Die im Grunde völlige Abwesenheit von Fahrgemeinschaften beim Pendlerverkehr.

Wer sich mal die Mühe macht, morgens - so gegen halb acht - den Verkehr aus dem Unterland bzw. Sarntal nach Bozen zu analysieren, muss feststellen, dass in den (nicht selten Zwei-Tonnen-SUV-Panzern mit sieben Sitzplätzen) meist nur eine Person drin sitzt.

Wären die einheimischen Pendler hingegen bereit, Fahrgemeinschaften zu akzeptieren und auch zu organisieren, dann könnte man die morgendliche und abendliche Verkehrsbelastung sicher halbieren oder eventuell sogar dritteln bzw. vierteln.

Do., 30.09.2021 - 15:04 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Gianguido Piani
Gianguido Piani Do., 30.09.2021 - 15:46

Antwort auf von Harry Dierstein

Ihre Beobachtung ist sehr richtig.
In einigen Ländern, beispielsweise in Kalifornien, dürfen bestimmte Strecken oder die Überholspur auf der Autobahn nur von Autos mit zwei oder mehr Personen an Bord genutzt werden.
Auch Fiat-500er anstatt SUV mit sieben Sitzplätzen würden helfen, natürlich.

Do., 30.09.2021 - 15:46 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Stefan S
Stefan S Do., 30.09.2021 - 17:08

Antwort auf von Gianguido Piani

Noch besser wäre ein E-Bike wenn es die Infrastruktur dazu geben würde.
"Zwei-Tonnen-SUV-Panzern mit sieben Sitzplätzen"
7 Sitzplätze ist ganz selten, das Problem bei diesen Panzern ist der damit einhergehende rücksichtslose Fahrstil der meist vom Fahrzeugbediener nicht mal wahr genommen wird. Panda 4x4 ist mir sympathischer :-)

Do., 30.09.2021 - 17:08 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Sigmund Kripp
Sigmund Kripp Do., 30.09.2021 - 20:11

Danke an alle Kommentatorinnen. Mein Anliegen war ja hauptsächlich, den wöchentlichen An- und Abreisekollaps der Gäste anzusprechen. Der rein innersüdtirolerische Verkehr ist ein Teil der Problematik, betrifft aber - von den Kommentaren her - eher die Städte. Was ich erreichen möchte ist eine Diskussion - auch der Touristiker - über die An- und Abreise unsere Gäste. Ich würd mir wünschen, dass mit derselben Vehemenz, mit der der Flughafen gefordert wurde, vorallem der Zugverkehr verstärkt werden soll. Da hört man noch recht wenig. Wir haben die Gleisstrukturen: Warum soll es nicht möglich sein, darauf gute und schnelle Züge laufen zu lassen? LieberManfred Pinzger: Was sagst Du dazu?

Do., 30.09.2021 - 20:11 Permalink
Bild
Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Mi., 09.02.2022 - 22:03

Antwort auf von Sigmund Kripp

Die Eisenbahn hat zur Gründerzeit das Transportproblem von Personen und Waren gelöst. Inzwischen ist sie in der öffentlichen Hand gelandet. Wenn Kunden / Fahrgäste / Speditionen Wünsche vortragen, reagiert das Personal mit: "Vorsicht, das sieht nach Arbeit aus!"
Wenn jeder Sitzplatz in den Flugzeugen in den PC-Netzwerken verwaltet werden kann, sollte auch das auch für den Transfer vom Bahnhof zu den Hotels möglich sein.
Mit der Bereitstellung von Containern und verlässlichen Fahrplänen für die Ankunft der Waren, könnte die Eisenbahn den größten Teil des Überlandwarenverkehrs übernehmen und die Frächter hätten die Möglichkeit den Containertransport, von einem / höchstens zwei Güterbahnhöfen von Südtirol zu den Betrieben, sowie Sondertransporte zu übernehmen.
Mit einem Lastwagensattelzug bewegt ein Fahrer max. 25 Tonnen. Mit der Eisenbahn fahren zwei Lokomotivführer über 1.000 Tonnen Tonnen Nutzlast.

Mi., 09.02.2022 - 22:03 Permalink