Gesellschaft | Eiertreter*in

Via Crucis

To|po|no|mas|tik, die: Substantiv, feminin; Wissenschaft von den Ortsnamen. Zumindest bei den Straßennamen hat der Südtiroler eine „via d'uscita/Aus-Weg“ gefunden.
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Straßenschild
Foto: Goggel Totsch

Ich bin gestern umgezogen. Von „In der Roan 10“ in die „via Trauttmansdorff-Straße 5a“. Nicht, dass ich einen Umzugskarton gepackt oder ein Möbel ausgeräumt hätte. Der Gemeinde-Paul ist gekommen, hat das Hausnummernschild ausgetauscht und das war's. Ursprünglich sollte ich in die „Kaiserin-Elisabeth-Straße“ ziehen. Ich wohne nämlich in unmittelbarer Nähe zum Sissi-Stein. Bei uns in Bums soll sich ihre Majestät unterwegs zum Luftkuren nach Meran körperlich erleichtert haben - genau hinterm Porphyrblock unten an der Staatsstraße. Ist alles urkundlich verbürgt. Die Gemeinde hat sich vom Onkel Taa so einen Adelsforscher aus Wien vermitteln lassen und der hat es mit Brief und Siegel bestätigt. Unklar ist nur noch, ob die Sissi Gagga gemacht oder nur gesoacht hat. Ersteres wäre besser. Könnte man wie beim Ötzi eine archäologische Grabung nach mumifizierten Überresten machen und die Fundstücke dem K.u.K. Museum Bad Egart vermachen. Schon mal da gewesen? Die thematischste Messi-Behausung, die ich je gesehen habe. So stelle ich mir die Archive des Ägyptischen Museum Berlin vor. Deren museales Konzept ist mit „Qualität vor Quantität“ diametral entgegengesetzt: Der ganze Ramsch bleibt im Keller und in den Schaukasten kommt nur die Inventarnummer 21300 - der Kopf der Nofretete. Umgemünzt auf das Sammelsurium auf der Töll, würde bedeuten, dass man nur die Bumser Gogln ihrer kaiserlichen Hoheit ausstellt. Ich schweife ab.

Hätte offengestanden lieber in der Sissi-Straße gewohnt, als in einer flüchtigen Reminiszenz an wirklich große Tage; als Tirol in seiner Gesamtheit unter dem Joch der Habsburger litt, anstatt wie jetzt, nur der südliche Teil in ewige Knechtschaft des Bunga-Bunga-Landes gekettet zu sein: Schloss Trauttmansdorff! (Im Dorf geht das Gerücht, dass man den Straßennamen nur wegen der Sekretärin im Meldeamt gewählt hat. Die Hanna hat eine zertifizierte Legasthenie und schreibt das grammatikalische „Trautmannsdorf“ so falsch, dass das historische „Trauttmansdorff“ dann stimmt).
„Kaiserin Elisabeth“ war auf jeden Fall ein No-Go, weil dann die Walschen auf die Übersetzung „via Imperatrice d'Austria Elisabetta“ hätten bestehen können. Den Tolomei kannst du noch dreimal aus seiner Gruft in Glen sprengen, seine „Maus-die-nie-kaut“ (auf Hintrisch „TopoNoMastica“) wird von Amts wegen weitergeführt; Namen die nie in seinem Prontuario standen frisch, fröhlich übersetzt und deshalb wohnte ich bis gestern in der „Nella pendenza ripida 10“. Unser Gemeinderat, besser der Ausschuss, um nicht zu sagen der BM, hat darum eine Flurbereinigung beschlossen, in der alle Bumser Straßen, Wege und Hinterhöfe mono-deutsch werden. Schließlich ist dieses Land - unsere Schützeria betont das ständig - seit 1200 Jahren deutsches Blut und deutscher Boden.

via Anneliese

Pragmatisch wie insere Leit nun einmal sind, hat es sich bewährt für Straßen nur mehr, von „via“ und „Straße“ umrahmte Eigennamen zu verwenden. Darf man natürlich nicht wie die Toaschtn im Nachbarort Rums angehen. Die haben sich an den Schutzpatronen sämtlicher Kirchen, Kapellen und Marterlen der Umgebung orientiert: St. Franziskus-Straße, St. Hubert-Weg, St. Johannes-Platz. Nein, heilige Weiberleit sind keine darunter - warum auch? Ist in der Walsch nicht anders, wo nur 3 bis 5 Prozent der Straßen, Frauennamen tragen. Das letzte Straßenschild war gerade montiert, als der Karpf mit dem Langenscheidt-Wörterbuch seines Sohnemann bei der Rumser Gemeinde vorstellig wurde. Auf „via San Umberto“ oder die „piazza San Giovanni“ hatte ihn welcher Name gestoßen? Genau! Der oberste Scheef der Katholen: Papa Francesco. Die Rumser waren schon immer, mit allem was sie tun, auf dem Holzweg/via Legno. Nicht, dass es die Bumser besser gemacht hätten. Die wollten auf Biegen und Brechen den stolzen Söhnen der Heimatgemeinde ein Denkmal setzen. (Nein, keine Töchter. Beim Chauvinismus sind wir mit den Rumsern Brüder im Geist). Problem ist: Welche Sau kennt bei uns den Toni Plissenrutscher oder den Josl Bettfetzer? Letzterer war der Wilderer, der noch 1897 einen Wolf in Bums „entnommen“ hat - ein Jahr später als der letzte offiziell geschossene Wolf in Villnöss. Ungerechte Welt. Für so eine Mördertat gibt's hundert Jahre später eine Straße, für die heutigen Drei-„Sch“-Wölfe (Schießen-Schaufeln-Schweigen) nur hundert Jahre Knast.
Die Debatte im Gemeinderat, ob das Schild mit oder ohne Bindestrich beschriftet und noch wichtiger - den lokalen Gepflogenheiten Tribut gezollt - der Nachname dem Vornamen vorangestellt wird (man beachte die Vorsilben „Nach“ und „Vor“ und die sich daraus ergebende logische Reihenfolge), konnte erst bei einem Watter im Kreuzwirt am nächsten Morgen einem glücklichen Ende zugeführt werden. Der Gordische Knoten wurde mit einem salomonischen Schulter(Be)schluss zwischen Mehrheit und Bürgerliste zerschlagen. Ich will nicht verheimlichen, dass die Bürgeliste da bereits gestrichen war und mit zwei Schlag und dem Guaten ein aufgelegtes Spiel hatte. Vor allem aber taten die elf Liter Gewürztraminer langsam ihre Wirkung: Meine Nachbarn wohnen jetzt in „via Plissenrutscher-Anton-Straße“ und „vicolo Josl Bettfetzer Weg“.
In Boazn ist das Pendant dazu: „Wilhelm Alexander Loew Cadonna-Platz“ oder der „Piero Siena Platz“ vor dem Museion. Nie von den beiden gehört? Musste auch erst googeln. Ich wette einen Tetrapak „In vino veritas“, dass sich die Bozner Gemeindestube einen eigenen Beamten leistet, dessen Aufgabe darin besteht, für neue Straßennamen aus der Stadtchronik irgendwelche Nobodies auszugraben. Würden sich unsere Oberen an gängigen Promies orientieren, könnte man neue Wohnbauzonen thematisch gruppieren: Via Grace Kelly, Lady Di-Straße, piazza Aristotle Onassis werden zum High Society-Viertel. High Society? Natürlich. Das ist letztlich der Königsweg: „Fachmesse Civil Protect“, „Junior Ranger Naturparks Südtirol“, „Bereich Green Mobility“, „Kampagne #Respect“. Lesen Sie sich die Aussendungen des Landespresseamts der letzten zwei Wochen durch und Sie verstehen, dass der Notausgang aus unserem Sprachdilemma in Richtung der globalen Sprachenendlösung Englisch zeigt. „Trauttmansdorff Road 5a“ klingt doch weltmännisch - geben Sie's zu. Okay, lieber wäre mir Jim Morrison oder Janis Joplin gewesen, von mir aus auch „Roy-Black Lane“ in der Schlager-Zone. Nein, nein, nein - behalten Sie ihre perversen, abartigen Vorschläge wie die Jodelkönigin oder die Goldene Stimme aus Kastelruth für sich. Ginge auch nicht. Laut Artikel 2 des Königlichen Dekretes 1188 vom 23. Juni 1927 muss der Namensspender seit mindestens zehn Jahren unter der Erde sein. Mit den obgenannten Jaulern wird's auch in fünfzig Jahren nix, denn die Zombies aus der Hölle des volksdümmlichen Schlagers sind „untot“ und somit nicht qualifiziert!

Luis-Straße

Was? Bibliothek der unibz? Hochamt des Servilismus vom Conny, dem ehemaligen Präsidenten der Freien Universität Bozen für den Steigbügelhalter seiner Karriere? Der kleine, aber feine Unterschied zwischen der Bibliothek „Luis Durnwalder“ am Sernesiplatz der Weltlandeshauptstadt und einer x-beliebigen Pinco-Pallino-Straße ist ganz einfach: Eine Bibliothek ist keine Straße! Sie übersehen aber kurzsichtig, die viel weitere Tragweite unserem politischen Schwergewicht schon zu Lebzeiten ein Denkmal zu setzen: Die Meriten des Ex-LH wurden damit mehr als ausreichend gewürdigt - muss in Zukunft nicht das vis-à-vis des Silvius-Magnago-Platz in Luis-Durnwalder-Park umbenannt werden, obwohl sich die dort hausenden Penner und Junkies sicher gefreut hätten.
Muss schnell eine Klammer aufmachen. Wenn der „Boazner“ den Luis bei seinen Stegreifreden zeigte und die Hochzeitsfilmer nicht höllisch aufpassten und mitschwenkten, rutschte der LH a. D. immer wieder oben aus dem Bild. Habe nie den Grund verstanden, bis ich mir mal so eine Einweichungsfeier gegeben habe; was nicht schwer war, weil bei uns in Bums - wie im Rest des Landes - jeden Sonntag Kindergarten, Vereinshaus, der umgebaute Kreisverkehr nach Rums oder die sanierten Pissoirs in der Sportbar eingeweiht wurden. Nachdem der Pfaff seine Klobürste geschwungen hatte, stieg der Landesluis aufs Podium, um über Vollbeschäftigung und die anderen Vorzüge eines Lebens unter der Knute seiner Partei zu schwadronieren. Da passierte es: Der Luis wippte immer wieder mit den Hacken in die Höh - stelle sich auf die Zehenspitzen, als wollte er sich noch größer machen, als er ohnehin schon war. Er wippte auch, als der BM ihn mit einer schmalzigen Dankesrede überschüttete, mit dem Unterschied, dass er dazu noch gönnerhaft nickte. Nageln Sie mich nicht fest, aber war es nicht der Silvius, der sagte, die Eitelkeit sei die Schwäche dieses großen Mannes? Nachträglich Happy Birthday zum 80sten, Luis!

Eine Bibliothek jemandem widmen, der laut Anekdote den ersten Charterflug englischer Urlauber mit „First fly“ kommentierte oder dem Dalai Lama ein „Dalai, wait!“ nachrief - wohl in der Annahme es handle sich bei „Dalai Lama“ nicht um den, laut Wikipedia, „Titel des höchsten Trülku innerhalb der Hierarchie der Gelug-Schule des tibetischen Buddhismus“, sondern um Vor- und Nachname von Tenzin Gyatso, dem 14. Dalai Lama - passt. Ich meine, der Alexander Langer hat auch nur eine Fahrradbrücke nördlich der Bozner Rombrücke bekommen. Gut so. Selbstmörder und Ungetaufte werden berechtigterweise nicht in gesegneter Friedhofserde begraben. Wem ein sogenanntes Eselsbegräbnis zuteil wird, soll nicht als Namensspender in Google Maps aufscheinen.

Wolfi Square

Überhaupt. Bevor etwas nach einem linkslinken Gutmenschen benannt wird, muss erst einmal die Liste dahingeschiedener SVP-Apparatschicks abgearbeitet werden: Anton Zelger, als Namensspender für Theater, Kinos und Sackgassen in Anlehnung an seinen „Besser-Trennen-Besser-Verstehen“-Sager; Otto Saurer, Franz Spögler… Alle Zufahrtsstraßen zu neuerrichteten Hofstellen im landwirtschaftlichen Grün werden Alfons Benedikter gewidmet. Ah na, ist in der falschen Partei verstorben. Aber Remo Ferretti als Namenspatron für die Einfahrt zum neuen Knast - wenn er denn 2073 tatsächlich fertig wird - würde ich gut sehen.
Solange will niemand warten. Besser eine Tabula rasa mit Umwidmungen wie bei uns in Bums. Hat allerdings seine Tücken. Laut Königlichem Dekret 1158/23 musst du gut motivieren, warum du einen bestehenden Namen ändern willst und dann musst du noch jede Menge Leute fragen: Den Präfekten, das Ministero dei beni e delle attività culturali und die von der Sopraintendenza müssen auch ihren Servus daruntersetzen. Schlimmer. Das Volk; das nicht goutiert, dass sein Sieges- in Friedensplatz umbenannt wird. Am einfachsten ging so ein Umweibern in Stilfs, wo in der Vergangenheit ohne Straßennamen einfach durchnummeriert worden war und der Neubau 196 schon mal neben der alteingesessenen Hausnummer 13 stand. Stilfs ist der einzige Ort Südtirols in dem die Poste Italiane vermutlich nie Aushilfen angestellt haben. Mit den Stilfsern teile ich nun die Crux, nicht nur die Versandadresse bei einem guten Dutzend Onlinehäusern ajournieren zu müssen, sondern auch Führerschein und Identitätskarte. Das tut weh. Wenn du im walschen Mutterland neben all den braunen Persos mit deinem zweisprachigen, optisch sofort herausstechenden grünen Fetzen herumgewedelt hast, hast du dich sofort als „Teteschko“ geoutet. Bin erst dieses Jahr wieder mit dem Gemeindesekretär auf ein Glasl „Kalterer Milch“ zum Kreuzwirt gegangen - auf dass er meinen Ausweis per l'ennesima volta verlängert. Jetzt führt an diesem neumodischen Scheckkartenformat kein Weg vorbei und möglicherweise übersieht die Rezeptionistin im Ressort „Baia dei Porci“ die Dreisprachigkeit auf diesem Plastikding. Dabei ist es mir doch so wichtig, dass man mich als Irredentist deutscher Zunge dal profondo nord erkennt. Schließlich ist Süd-Tirol nicht Italien! Apropos Schweinebucht. Die wichtigste aller Namensänderungen muss in Bozen gemacht werden! Die Wolfgang-Amadeus-Mozart-Allee irgendwo im Shanghai-Viertel muss verlegt werden; muss zur wichtigsten Straße überhaupt werden: Drusus-Allee, von mir aus auch die Lauben-Gasse. Noch besser ein Stilfs reloaded: Ganz Bozen eine einzige Wolferl-Straße und die Häuser durchnummeriert. Das Wunderkind hat als einziges das Wesen der Weltlandeshauptstadt erkannt, als es am 28. Oktober 1772 dem Brief seines Vaters Leopold Mozart an seine Frau folgendes Postskriptum hinzufügte:

botzen dieß Sauloch.
 
Ein gedichte von einen der über botzen fuchs=teüfel
wild und harb war.
 
soll ich noch komen nach botzen
so schlag ich mich lieber in d’fozen.

Vor soviel Genie muss ich die Segel streichen und kleinlaut eingestehen, dass meine Sprachgewalt niemals an so Großes heranreicht. Kein Ruhm. Kein Fußabdruck in der Ewigkeit. Mein geschundenes Selbstwertgefühl lechzt danach, aber ich sehe ein, dass es nichts werden wird, werden wird mit: „via Goggel-Totsch-Straße“!

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Profil für Benutzer Hartmuth Staffler
Hartmuth Staffler Di., 28.09.2021 - 14:42

In dem von Herrn Totsch fotografierten Straßenschild ist ein Fehler enthalten: Allee wird im Italienischen richtigerweise mit viale und nicht mit via übersetzt. Seltsam, dass ihm das nicht aufgefallen ist.

Di., 28.09.2021 - 14:42 Permalink
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Profil für Benutzer Christoph Franceschini
Christoph Fran… Do., 30.09.2021 - 11:02

"Ich will nicht verheimlichen, dass die Bürgerliste da bereits gestrichen war und mit zwei Schlag und dem Guaten ein aufgelegtes Spiel hatte."
Lieber Goggeltotsch, zwei Schlag und der Guate sind das "Müller"-Spiel aber nicht aufgelegt. Da kann man mit dem Rechten und einem Blinden bei den Gegnern eine ordentlichen 4er bekommen.
Aber Meraner können halt nicht Watten :-)))

Do., 30.09.2021 - 11:02 Permalink