Kultur | In Memoriam
Pfiati Gottfried
Foto: Nicola Arrigoni
Fast hätten wir gemeinsam ins Gefängnis gehen müssen.
Als die Südtiroler Sparkasse mehrere Strafanzeigen gegen das Buch „Bancomat“ einbrachte und der Voruntersuchungsrichter am Bozner Landesgericht das Hauptverfahren gegen den Autor dieser Zeilen einleitete, saß auch ein zweiter Übeltäter auf der Anklagebank. Gottfried Solderer, Gründer und Leiter der Edition Raetia - des Verlags, der das Buch herausgegeben hatte.
Kaum jemand nahm davon aber Notiz. Denn Gottfried Solderer war nicht einer der auffälligen, lauten Zeitgenossen, sondern ein Mensch, der im Hintergrund wirkte und der sich auch dann nicht verbiegen ließ, wenn der Wind wirklich rau wurde. „Ich hatte Dutzende von Prozessen, bin aber nicht ein einziges Mal verurteilt worden“, sagte er damals fast schon belustigt, aber mit Stolz.
Gottfried Solderer war ein Mensch, der sich auch dann nicht verbiegen ließ, wenn der Wind wirklich rau wurde.
Wir haben uns in der Redaktion der FF kennengelernt: 1987. Und er hat mir einen der größten Schocks meines Lebens beschert. Ich war damals als Sommerpraktikant bei der Wochenzeitung tätig und auf der Redaktionskonferenz wurde über die Titelgeschichte diskutiert. Sie sollte „Hitler und Südtirol“ heißen. Plötzlich wandte sich Chefredakteur Solderer an mich. „Du studierst doch Geschichte, du schreibst die Titelstory dieser Woche“.
Danach habe ich zwei Nächte nicht mehr geschlafen, am Ende aber unter den gutmütigen Augen und Anweisungen von Gottfried meine erste FF-Titelgeschichte zu Papier gebracht.
Gottfried Solderer war ein mutiger Mensch. Der gebürtige Lajener (St Peter), der mit seinen dichten schwarzen Locken eher einem kalabrischen Maurer ähnelte als einem typischen Südtiroler Bauernbub, der bereits in seinen Studienjahren in Salzburg gegen Richard Nixon und den Vietnamkrieg auf die Straße ging, war keiner, der sich den bequemsten Lebensweg aussuchte.
Als festangestellter Journalist beim „Sender Bozen“ verließ er Ende der 1970er Jahre den sicheren Job auf Lebzeiten bei der RAI für ein publizistisches Himmelfahrtskommando: Die Gründung der Wochenzeitung FF, deren erster Direktor und Chefredakteur er wurde. Mehrmals stand die FF vor dem Aus; es waren Gottfried Solderer und sein breiter Freundeskreis aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die die Wochenzeitung am Leben hielten. Wenn es heute die FF noch gibt, so ist das sein Verdienst, das er sich mit der Gründerfamilie Amonn teilen kann.
Gottfried war ein positiver, optimistischer Mensch, dem auch persönliche Rückschläge nicht den unverbesserlichen Glauben an den Menschen und an das Leben rauben konnten. Vor allem aber war er alles andere als nachtragend.
Anfang der 1990er Jahre „putschten“ die jungen Wilden (damals Hanskarl Peterlini, Josef Rohrer und einige mehr) gegen ihren Chefredakteur, der ihnen zu gemächlich und zu konziliant war. Gottfried Solderer ging ohne großes Murren und gründet mit der „Edition Raetia“ einen Verlag, den er danach drei Jahrzehnte leiten sollte.
Nach der sogenannten Schwimmbad-Affäre und der Entlassung von FF-Chefredakteur Hanskarl Peterlini wollten die FF-Aktionäre, dass Solderer 1993 wieder das Ruder in der FF übernimmt. Man bot ihm das doppelte Gehalt. Doch Gottfried war keiner, der auf Rache oder Revanche aus war. Ganz im Gegenteil: Er schlug das Angebot dankend ab. Später veröffentlichte er Bücher von Peterlini und auch Rohrer in seinem Verlag. Die alten Zwistigkeiten waren längst ausgeräumt. Meistens bei einem Glas Vernatsch.
Im Verlag wiederholte sich das, was bereits bei der FF passiert war. Gottfried Solderer rettete den Verlag mehrmals über die Runden, er improvisierte und schaffte den Durchbruch. Heute ist die „Edition Raetia“ ein Kulturunternehmen mit mehreren Standbeinen. Dahinter steckt Glück, aber auch Können.
Solderer war nicht der abgehobene Intellektuelle, sondern Zeit seines Lebens einer, der mit den Füßen auf dem Südtiroler Boden blieb. Einer, der mit seinem engsten Freund, dem Maler Markus Vallazza, nächtelang philosophieren konnte, um tags drauf beim „Feichter“ stundenlang Witze zu erzählen.
2011 hat Gottfried Solderer die Leitung der „Edition Raetia“ an Thomas Kager (Verleger) und Wilfried Gruber (Geschäftsführer) abgeben. Bis heuer stand er noch als Präsident dem Verwaltungsrat des Verlages vor. Vor einigen Wochen hat der Verlag im Ahoi auf den Bozner Talferwiesen seinen offiziellen Abschied gefeiert. Es war das letzte Mal, dass wir gemeinsam gelacht haben.
„Vielfalt statt Einfalt“ war sein Lebensmotto und diesen Titel hätte auch seine geplante Autobiografie tragen sollen.
Seit über einem Jahr arbeitete Gottfried Solderer an einer Autobiographie. Er konnte sie nicht mehr fertigstellen. Wie der Verlag und seine Familie heute bekanntgeben, ist Gottfried Solderer am Sonntag mit 72 Jahren verstorben. „Zeit seines Lebens trat er für Meinungsvielfalt in Südtirol ein. „Vielfalt statt Einfalt“ war sein Lebensmotto und diesen Titel hätte auch seine geplante Autobiografie tragen sollen“, heißt es in der Aussendung.
Dieses Land wird ohne ihn auf jeden Fall einfältiger sein.
Pfiati Gottfried!
Bitte anmelden um zu kommentieren
Trotz mancher
Trotz mancher Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen hatte ich immer ein ausgezeichnetes persönliches Verhältnis zum Gottfried. Sein Tod betrübt mich daher.
Ich bin einfach nur traurig,
Ich bin einfach nur traurig, dass Gottfried Solderer uns schon so früh verlassen hat. Ich habe ihn als Menschen, als Journalist, als Verleger sehr geschätzt.
Gottfried Solderer
Gottfried Solderer hinterlässt viele sehr wertvolle Spuren ! Mögen seine Lieben heilenden Trost finden.
Kompliment an Ch.
Kompliment an Ch. Franceschini für diesen Nachruf.