Wirtschaft | Transitverbote

Im Unionsrecht gefesselt

Der italienische Frächterverband will im Streit um die Nordtiroler Fahrverbote gegen die EU-Kommission klagen. Welche Chancen werden solch einer Klage eingeräumt?
LKW-Stau
Foto: wiki

Am 21. Oktober kündigte der italienische Frächterverband an, die Europäsche Kommission wegen fehlendem Eingreifen in Bezug auf die sektoralen und nächtlichen Lkw-Fahrverbote in Österreich verklagen zu wollen. Der Grund: Die Fahrverbote würden der italienischen, aber auch der gesamten europäischen Wirtschaft schaden. Trotz Hinweisen auf eine mögliche Wettbewerbsverzerrung habe die EU jegliches Einschreiten unterlassen. Deshalb sehe man sich gezwungen, mit rechtlichen Mitteln gegen die EU-Kommission vorzugehen.

 
 
Während das Problem vielfach als bilateraler Konflikt zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Frächterverbände und dem Ziel der Tiroler Regierung, die Lärm- und Umweltbelastung zu senken, abgetan wird, ist die Problematik – wie Stefania Baroncelli von der Freien Universität Bozen erklärt – komplexer. Vor allem deshalb, weil die Umweltproblematik durch die nächtlichen und sektoralen Lkw-Fahrverbote im Tiroler Teil der Brennerautobahn nicht gelöst, sondern bloß auf die italienische Seite des Brenners verschoben wird: “Solange es keine konkrete Alternative zum Lkw-Verkehr auf der Straße gibt, werden die Lkws auch weiterhin dort zirkulieren und in langen Autobahnschlangen auf die Durchfahrtserlaubnis warten”, so Baroncelli. “Die möglichen positiven Auswirkungen eines partiellen Lkw-Fahrverbotes nördlich des Brenners werden also mit einer erhöhten Lärm- und Abgasbelastung südlich des Brenners bezahlt.”
 
Sollte es tatsächlich zum geplanten Rechtsstreit kommen, könnte dieses Detail das Zünglein an der Waage sein; jedoch nur, wenn die Maßnahmen zum Schutz der Umwelt als unverhältnismäßig erachtet werden und das Prinzip des freien Waren- und Personenverkehrs auch tatsächlich verletzt wurde.

 

Ist die Klage formell möglich?

Eine erste Schwierigkeit der geplanten Klage des Frächterverbands gegen die EU-Kommission liegt darin, dass es sich beim Frächterverband um einen privaten Kläger handelt, so Baroncelli. Der private Kläger muss beweisen, dass die EU-Kommission ihrer rechtlich verpflichtenden Verantwortung nicht nachgekommen ist. Einfacher wäre es, wenn die Klage direkt über den italienischen Staat abgewickelt werden würde. Die private Natur der Kläger in der Brenner-Affäre könnte das Ganze verkomplizieren. Unmöglich ist die Klage aber nicht.

 

Liegt eine Verletzung des freien Waren- und Personenverkehrs vor?

Wie Baroncelli erklärt, ist eine Verletzung des freien Waren- und Personenverkehrs – mit Blick auf die bei der EU-Kommission eingegangenen Hinweise – möglich. Im Anbetracht dessen, dass die nächtlichen und sektoralen Fahrverbote aber für alle Lkws, einschließlich jener aus Österreich gelten, handelt es sich um keine direkte Diskriminierung. Es scheint auf den ersten Blick also keine Diskriminierung zwischen den verschiedenen EU-Ländern und somit auch keine direkte Verletzung des freien Waren- und Personenverkehrs innerhalb der EU vorzuliegen.

 

Ist eine Nichtbeachtung des freien Waren- und Personenverkehrs mit geltendem EU-Recht vereinbar?

Sollte im Rechtsstreit tatsächlich eine Verletzung des freien Waren- und Personenverkehrs festgestellt werden, so stellt sich die Frage, ob diese mit dem geltenden EU-Recht vereinbar ist. Ausnahmen können beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen (sprich die Eindämmung von Covid-19) oder aber auch aus umweltschutztechnischen Gründen erlaubt werden.

Gehen die Einschränkungen auf umweltschutztechnische Gründe zurück, müssen diese als verhältnismäßig und notwendig erachtet werden, um die angestrebte Reduzierung der Umweltbelastung zu erreichen. Als grob vergleichbaren Präzedenzfall nennt Baroncelli das Verbot von Einweg-Verpackungen für Getränke in Dänemark: Dieses wurde 1988 für “nicht rechtmäßig” erklärt, da es sich um eine unverhältnismäßige Einschränkung handle und der Umweltschutz auch durch andere, weniger einschneidende Methoden garantiert werden könnte. Anders fiel das Urteil im Fall der verpflichtenden Wiederverwertung von Glasbehältern in Baden-Württemberg aus: Hier bestimmte Europäische Gerichtshof 2004, dass ein entsprechendes Gesetz zulässig sei, wenn die Produzenten anderer EU-Länder sich mittels einer Übergangsfrist am Markt beteiligen könnten.

Mit Blick auf die Brenner-Problematik, insbesondere die (partielle) Verschiebung der Umweltbelastung von der Nord- auf die Südseite des Brenners muss die verhältnismäßige Reduzierung der Umweltbelastung jedoch infrage gestellt werden. Wie Baroncelli erklärt, vertritt die EU-Kommission die Interessen aller EU-Bürger; eine Verschiebung der Lärm- und Umweltbelastung von Nord- auf Süd zu Lasten der Wirtschaft könnte somit nicht in Kauf genommen werden. Es stellt sich die Frage, ob die österreichischen Vorschriften für den vom Brenner kommenden Verkehr besonders belastend sind, da die vorgesehenen Ausnahmen vom Transitverbot (z. B. Tiertransporte, frische Lebensmittel usw.) Grenzkontrollen zur Überprüfung der Warenart erfordern: “Dies führt zu Warteschlangen und Staus, die den Verkehr über das zur Verringerung der Lärm- und Luftverschmutzung erforderliche Maß hinaus verlangsamen”, so Baroncelli. Während ein Verkehrsverbot aus Umweltgründen in Stadtzentren oder dicht besiedelten Gebieten gerechtfertigt sein könnte, sei dies bei Autobahnen und dünn besiedelten Ortschaften an Handelswegen, die für den Warenaustausch in der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung sind, nicht unbedingt der Fall.

 

Liebe Frau Gianera, liebe Frau Baroncelli,
es ist zu billig, untätig zu sein und sich dann zu beschweren, wenn einer dann alleine nach praktikablen Lösungen sucht.

Di., 09.11.2021 - 00:15 Permalink

Soweit ich in diese Angelegenheit Einblick habe, glauben Deutschland und Italien, dass sie mit dem Bau des Brennerbasistunnels ihre Hausaufgaben schon gemacht haben. Mehr könnte man inzwischen nicht tun, weil man den freien Warenfluss nicht stören darf. Man müsse eben bis zur Inbetriebnahme desselben durchhalten. Dass es da jede Menge Überfahrten gibt, die mit dem Brenner die billigere und nicht die kürzere Strecke wählen, es Fahrten gibt, die erst durch Exportsubventionen Sinn machen usw. wären z.B. Punkte, an denen man ansetzen könnte.

Di., 09.11.2021 - 07:59 Permalink

Sektorales und Nachtfahrverbot finde ich praktikabel, wenn auch nicht ausreichend. Österreich/Tirol hat schon versucht Italien/Südtirol mit ins Boot zu holen, ist aber abgeblitzt. Warum sollten sie dann keinen Alleingang machen?

Di., 09.11.2021 - 09:06 Permalink

Im Grunde müssten wir Bürger massenweise auf die Barrikaden gehen, wenn Gerichte die wenigen Umweltmaßnahmen der demokratisch legitimierten politischen Organe kippen wie bei den Einweg-Verpackungen in Dänemark geschehen. Oder wenn angesichts der Handlungsunfähigkeit der Politik in der Klimakatastrophe die wenigen Maßnahmen wie jene Tirols (wenngleich zum Zwecke des Schutzes der lokalen Bevölkerung und nicht der gesamten Menschheit erlassen) von einheimischen und nationalen Wirtschaftsverbänden politisch und juristisch attackiert und in diese Richtung gehende Gutachten anscheinend mit Geldern der hiesigen, zum Teil mit Steuergeldern ausgestatteten Handelskammer finanziert werden. Unfassbar, welche Hierarchie in der Güterabwägung uns aufgesetzt werden bzw. durch die EU-Verträge worden sein soll.

Di., 09.11.2021 - 08:50 Permalink

Deutschland ist bei seinem Beitrag zum BBT mehr als säumig: In Bayern werden die vertraglich vereinbarten Zulaufstrecken noch nicht einmal diskutiert. Dafür macht die Wirtschaft dort - ähnlich wie in Südtirol - auf alle möglichen Weisen Druck. Bisher hat das immer funktioniert, weil die Bürgerrechte untergeordnet werden.

Sa., 13.11.2021 - 07:00 Permalink