Was für ein Schleimer, meine
Was für ein Schleimer, meine Güte. Scheinbar brauchen die Österreicher so was ansonsten würden sie nicht immer wieder auf's Neue auf solche Typen reinfallen.
Es war nicht anders zu erwarten: auch seinen unfreiwilligen Rückzug von der Politik hat Sebastian Kurz exzellent inszeniert. In seiner 17-Minuten-Performance gab „Basti“ alles zum Besten, was den fulminanten Aufstieg und Fall dieses talentierten Blenders und Karrieristen ermöglicht hat. Scheinheiligkeit, falsche Ehrlichkeit, Gefallsucht und Enttäuschung darüber, nicht von allen geliebt zu werden, waren mit Händen zu greifen. „Ich bin weder ein Heiliger noch ein Verbrecher. Ich bin ein Mensch mit Stärken und Schwächen, mit Fehlern und Erfolgen und allem, was sonst noch dazugehört“ sprach Kurz ebenso selbstkontrolliert emotionslos in die Kameras, wie sein seit jeher zur rhetorischen Lieblingsfloskel gehörenden „ich durfte..“.
Er sei so dankbar, dass er so viel für sein Land tun durfte, „Begegnungen mit unglaublichen Persönlichkeiten, vom Dalai Lama bis zum Papst, Gespräche mit den Präsidenten der Weltmächte USA, China und Russland“ erleben durfte und auf seinen Touren durch Österreich die Nöte und Sorgen so vieler Menschen kennenlernen durfte. Und dafür, dass er zehn Jahre im „Dienst für die Republik“ stehen durfte, dankte er neben etlichen Personen, seinem Team und den Wählern, ganz besonders zwei prominenten Förderern: Wolfgang Schüssel und Andreas Khol. Also jenem Ex-Kanzler und dessen ideologischem Begleit-Trommler, die vor 20 Jahren den Bärentaler Jörg Haider und den wenigstens „schönsten“, wenn schon nicht brillantesten Finanzminister aller Zeiten Karl-Heinz Grasser salonfähig gemacht haben. Womit Österreich international geächtet und dem Land mit Hypo-Alpe-Adria und BUWOG zwei Mega-Korruptionsskandale beschert wurden. Wen wundert es also, dass die Wiederauflage von Blau-Schwarz in türkis-blauer Variante mit H.C. Strache per Ibiza-Video mit einem vergleichbaren Desaster geendet hat.
Sebastian Kurz war ein guter Schüler seiner Förderer. Wolfgang Schüssel gelang es im Jahr 2000 mit machiavellistischer Finesse und durch Tabubruch (die bis dahin geltende Abgrenzung gegenüber der Haider-FPÖ zu beenden) Kanzler zu werden, obwohl die ÖVP als Wahlverlierer an dritter Stelle gelandet war. Sebastian Kurz wiederum hatte sich vom äußerst liberalen Staatssekretär für Migration als Außenminister zum Hardliner der Migrationsbekämpfung gewandelt und dabei die Strache-FPÖ rechts überholt. „Australisches Modell“ (also Flüchtlinge auf Inseln im Mittelmeer internieren), Schließung der Balkanroute (da werde man leider „auch schreckliche Bilder“ aushalten müssen) und freundliche bis komplizenhafte Beziehungen zu Halb- und Fastdiktatoren wie Orban, Kaczynski, Babis bis Putin und am Balkan. Und innenpolitisch die permanenten rechtsextremen und neonazistischen „Ausrutscher“ des Koalitionspartners FPÖ sowie die ausländerfeindliche Propaganda und entsprechende Maßnahmen des Innenministers Herbert Kickl hinnehmen. Damit konnte Kurz beeindruckende Wahlerfolge feiern und sich sogar international als Anti-Merkl in der EU-Politik von Migration bis Schuldenunion profilieren.
Mit 24 Jahren Staatssekretär, mit 27 Außenminister, mit 31 Bundeskanzler. Sebastian Kurz hat Talent, das ist unbestritten. Ein komplexes Talent: eine Mischung aus Geschicklichkeit, großer Netzwerkkapazität, opportunistischer Wandelbarkeit, rhetorischer und medialer Gefälligkeit. Aber wie die Untersuchungen der Justiz durch Aberdutzende Beispiele der digitalen Kommunikation mit seinen engsten Vertrauten zutage gebracht haben, auch eine kaltblütig-zynische Gabe zur Intrige, zum zerstörerischen Schachzug gegen Rivalen, Gegnern und als feindlich eingestufte Medien. Eine frappierende Rückseite der Medaille, die die Öffentlichkeit durch die vielen „chats“ plötzlich entdeckt und den Nimbus des ministrantenhaften Lieblingsschwiegersohns der Nation schwer erschüttert hat.
Kritiker hatten vor dieser Hyde-Variante des aufstrebenden Wunderknaben schon gewarnt, als Kurz vor vier Jahren in putschähnlicher Form die traditionsreiche ÖVP übernommen hat. Mit allen Mitteln hatte er seinen Parteikollegen und Vizekanzler in der rot-schwarzen Koalition Reinhold Mitterlehner desavouiert, sabotiert. Durch getrickst gefärbte Umfragen, die noch dazu via Finanzministerium mit Steuergeld finanziert wurden, durch Verhinderung wichtiger Reformen wie etwa der Ganztagsbetreuung für Schüler und durch friendly fire jeder Art. Mitterlehner warf ob des Mobbings das Handtuch. Weil Kurz in den Umfragen – vor allem aufgrund seiner täglichen Anti-Migrations-Propaganda – im Höhenflug war, akzeptierte die ÖVP dessen Bedingungen um als Obmann und Spitzenkandidat in Neuwahlen zu ziehen.
Jung, dynamisch, modern sollte die in den Umfragen schwächelnde, zwischen Bünden, Landeshauptleuten und Lobbies zerstrittene, müde ÖVP werden. Dafür forderte Kurz eine de facto-Unterwerfung der Partei in sieben Punkten. Der Parteiobmann sicherte sich bei allen Postenbesetzungen das letzte Wort, ebenso bei der Ernennung der Kandidaten für Wahlen und bei der Wahl des Koalitionspartners. Aus der Österreichischen Volkspartei wurde die „ÖVPneu“, die Parteifarbe von schwarz zu türkis und die Liste zur Nationalratswahl hieß plötzlich „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei (ÖVP)“.
Absolute Personalisierung und Zuspitzung auf den modernen Chef, absolute Loyalität sämtlicher Minister, Mitarbeiter und Beamten, absolute „message control“ jeder Veröffentlichung und jedes politischen Schritts – all das mit einem einzigen Ziel: die Selbstinszenierung. Das war der neue türkise Stil.
Die der Wirtschaft und ihren Lobbies verheißenen neoliberalen Reformen wurden von Kurz kaum in Angriff genommen – kein Vergleich zu Hartz IV Gerhard Schröders oder den Arbeitsmarktreformen eines Emmanuel Macron. Auf den Ibiza-Skandal folgte eine Interimsregierung und ein neuerlicher Wahlsieg der Türkisen – allerdings mit den Grünen als einzigen möglichen Koalitionspartner. Und diese neue Regierung war nach kürzester Zeit mit dem Ausbruch der Corona-Epidemie sozusagen monothematisch im Ausnahmezustand. Obwohl das an sich gut aufgestellte Sanitätswesen den ersten Schock relativ gut abfangen konnte, zeigte sich schon bald, dass auch in einer so schweren Krise Sebastian Kurz seine ureigenste Politik-Methode nicht ändern konnte. Selbstinszenierung als Retter der Nation mit täglichen Medienauftritten und haltlosen Optimismus-Botschaften, den für die Gesundheit und Epidemiebekämpfung hauptzuständigen grünen Koalitionspartner bei jeder Gelegenheit anrennen lassen, Beschönigung der Lage und mutloses Zögern vor unpopulären Maßnahmen.
Inzwischen brachten ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss und die Justiz allerdings eine Reihe von fragwürdigen und potentiell kriminellen Machenschaften des Kurz-Clans zutage – von Postenschacher, Amtsmissbrauch, Korruption und Falschaussage. Kurz musste „zur Seite treten“ und jetzt letztlich ganz gehen.
Die ÖVP hat nun den bisherigen Innenminister Karl Nehammer – einen gedienten Parteisoldaten – zum Kanzler designiert und eine größere Regierungsumbildung beschlossen. An Neuwahlen – noch dazu am Höhepunkt der Pandemie mit Lockdown – haben weder die ÖVP noch die Grünen derzeit Interesse. Die Opposition fordert Wahlen, aber erst im kommenden Jahr, wenn die Pandemie zumindest verträglich im Griff sei. Inzwischen wird weiter gewurschtelt.
Was für ein Schleimer, meine Güte. Scheinbar brauchen die Österreicher so was ansonsten würden sie nicht immer wieder auf's Neue auf solche Typen reinfallen.
Es geht darum, welche Figuren im Vordergrund die Interessen im Hintergrund am besten realisieren. Viele Wähler sind leicht zu blenden.
Perfekte Personenbeschreibung. Der kommt wieder, der Kurz. Das ist nur ein Manöver.
Interessant für Südtirol wird sein, was nach dem Ende der Türkisen mit der SVP und dem Kurz-Pendant Achammer passiert?
Wird man sich an der deutschen Ampel orientieren?