Politik | Partizipation

“Dann kann die SVP aufhören...”

Der neue Gesetzentwurf zur Direkten Demokratie würde der politischen Kultur Südtirols gut tun, meint Paul Köllensperger. Doch die SVP könnte den Vorschlag kippen.
paul.k.jpg
Foto: Salto.bz

Noch findet sich weit und breit keine Spur vom Gesetzentwurf, den die Arbeitsgruppe Direkte Demokratie im Landtag ausgearbeitet hat. Doch das Dokument ist soweit fertig, bestätigt Brigitte Foppa. Gemeinsam mit Magdalena Amhof und Josef Noggler (beide SVP) hat die Grüne zwei Jahre lang an dem Entwurf gefeilt. Im Oktober 2014 war ein breiter Beteiligungsprozess ins Leben gerufen und die Bürger landesweit aufgerufen worden, am neuen Regelwerk für die Direkte Demokratie mitzuarbeiten. Im April dieses Jahres dann der erste Vorschlag da, der dann weiter diskutiert, angepasst und ausgearbeitet wurde. “Es ist ein Kompromiss, bei dem teilweise diametral entgegengesetzte Interessen von verschiedenen Akteuren zusammengeführt wurden”, sagt Foppa über den Gesetzentwurf, der nun in die Endphase geht. Ende Oktober wird er zum ersten Mal dem zuständigen Gesetzgebungsausschuss vorgelegt, im Dezember oder Jänner soll er dann dort behandelt werden und – falls er gutgeheißen wird – Anfang 2017 im Landtag genehmigt.

Eckpunkte des Gesetzentwurfes:

  • Senkung der Unterschriftenzahl für die Einleitung von Volksbegehren, Volksabstimmungen und Referenden von 13.000 auf 8.000
  • Senkung des Beteiligungsquorums von 40 auf 25 Prozent
  • Möglichkeit, auch über Beschlüsse der Landesregierung abzustimmen, aber nur in Form einer beratenden Volksbefragung
  • 13 Landtagsabgeordnete können bestätigendes Referendum über Landesgesetze beantragen, die mit weniger als 2/3 der Stimmen im Landtag verabschiedet wurden
  • Informationsbroschüren für alle Haushalte im Vorfeld von Abstimmungen
  • Bürgerräte die zwei Tage lang über brennende aktuelle Themen diskutieren und Lösungsvorschläge ausarbeiten
  • Büro für politische Bildung und Bürgerbeteiligung
     

Doch die Zeichen stehen schlecht. Sowohl von Teilen der Opposition als auch aus der Mehrheit selbst kommt bereits Kritik. “Ich kann mich mit diesem Entwurf nicht identifizieren”, meint etwa Landeshauptmann Arno Kompatscher im Gespräch mit den Dolomiten. “Unser Auftrag war, einen Entwurf vorzulegen, der die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses berücksichtigt und nicht einen, der dem Landeshauptmann gefällt”, kontert Foppa. Jemand, der dem Gesetzentwurf zur Direkten Demokratie sehr wohl etwas abgewinnen kann, ist hingegen Paul Köllensperger. Er warnt die SVP davor, den Entwurf im Landtag oder bereits vorher in der Gesetzgebungskommission, abzusägen.

salto.bz: Herr Köllensperger, was halten Sie vom Gesetzentwurf der AG Direkte Demokratie?
Paul Köllensperger: Ich finde den Vorschlag, der aus dieser Arbeitsgruppe herausgekommen ist, positiv. Das ist ein Riesenschritt nach vorne im Vergleich zu dem, was wir heute haben. In mehrerer Hinsicht. Es sollen ja nicht nur Quorum und Unterschriftenzahl gesenkt werden, sondern die Bürger über Bürgerräte und das Büro für politische Bildung etwas mehr eingebunden. Ich denke, dass der Vorschlag sehr viele gute Ansätze enthält und es absolut ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Es gibt nichts auszusetzen?
Klar, es ist eine Kompromisslösung und als solche natürlich nicht perfekt. Aber es ist vielleicht gar nicht ungesund, wenn man schrittweise in Richtung mehr Direkte Demokratie geht. Mehr Demokratie einzubauen kann man nicht von heute auf morgen machen. Wir schauen zwar gerne in die Schweiz, aber auch dort ist die demokratische Kultur im Laufe der Zeit entstanden.

Landeshauptmann Arno Kompatscher und auch Teile der Opposition können dem Gesetzentwurf nicht viel abgewinnen. Kompatscher warnt vor Stillstand und davor, dass die parlamentarische Demokratie blockiert und am Arbeiten gehindert werde. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Ich finde es problematisch, wenn man davon ausgeht; solche Aussagen kann nur jemand treffen, der sich wahrscheinlich bewusst ist, dass er Entscheidungen trifft, die nicht im Sinne der Bürger sind. Ich sehe nicht ein, warum die Bürger wenn es um Landtags- oder Parlamentswahlen geht, als mündig genug empfunden werden und ihnen nachgelaufen wird – aber wenn es darum geht, eine direktdemokratische Entscheidung zu treffen, dann sollten sich die Bürger auf einmal am besten gar nicht einmischen. Wenn man an Demokratie glaubt, ist diese Unterscheidung unseriös. Man sollte den Leuten auch zugestehen, dass sie sich auch zu anderen Themen äußern können.

Ein sinnvolles Gesetz wird nicht gekippt werden. Da haben die Leute Besseres zu tun.

Brigitte Foppa berichtet, dass viele Bürger im Rahmen des Beteiligungsprozesses immer wieder der Wunsch äußerten, auch über Großprojekte abstimmen zu können. Daher ist die Möglichkeit, über Beschlüsse der Landesregierung abstimmen zu können, im Gesetzentwurf enthalten. Das war bisher nicht möglich und sorgt für Zündstoff. Ihre Meinung dazu?
Zu diesem Punkt hat es in der Arbeitsgruppe sicher viel Diskussion gegeben. Und ich denke, dass auch dies ein Kompromissvorschlag ist. Denn erstens geht es hier nur um eine beratende Volksbefragung, die für die Landesregierung nicht bindend ist. Und zweitens soll eine solche Befragung nur bei Projekten möglich sein, die eine gewisse finanzielle Relevanz haben. Man redet von Vorhaben, die Kosten von 25 Millionen Euro überschreiten. Die Landesregierung muss sich wie gesagt an diese Befragungen auch nicht halten. Wenn sie die Courage hat, kann sie einen zweiten Beschluss fassen, der entgegen des Ergebnisses geht. Es ist also vielmehr eine Möglichkeit, dass die Bürger noch einmal ihre Meinung dazu äußern und die Regierung unter Druck setzen können. Aber die Landesregierung ist nicht weiter eingeschränkt, sondern hat weiter freie Hand.

Skeptiker der Direkten Demokratie prophezeien, dass es mit den neuen Bedingungen sozusagen “eine Abstimmung am Tag” geben könnte, sprich, dass die Bürger wirklich überall mitbestimmen wollen und werden. Sind die Südtiroler tatsächlich derart demokratiewütig?
Also diese immense Nachfrage bei den Menschen, sich auf jedes Thema einzulassen und sich bei jeder Frage einzumischen, sehe ich nicht. Ich denke, es gibt Themen – und das zeigt die Flughafenbefragung –, wozu sich die Leute äußern wollen. Und es wäre ja noch schöner, wenn ihnen dieses Recht nicht zugestanden werden würde. Im Übrigen würde etwa bei Gesetzen, die der Landtag mit 2/3-Mehrheit verabschiedet, die Möglichkeit eines bestätigenden Referendums entfallen und damit die Option, dass die Leute darüber noch einmal abstimmen können.

Falls im Landtag keine 2/3-Mehrheit zustande kommt, reichen anstatt der 8.000 Unterschriften auch “nur” 13 Abgeordnete, um eine bestätigende Volksabstimmung über das jeweilige Gesetz zu beantragen. Würde die Opposition im Landtag damit nicht ein sehr starkes Instrument in die Hände bekommen, um Druck auszuüben?
Nun ja, die Mehrheit wäre dazu angehalten, sich andere Mehrheiten im Landtag zu suchen. Was für Südtirol auch nicht ganz ungünstig wäre. Mit unserer Einheitspartei sind wir ja seit 60 Jahren gewohnt, dass alles per Mehrheitsbeschluss durchgedrückt wird. Auf gegenteilige Meinungen geht man im Grunde überhaupt nicht ein. Daher glaube ich, dass diese Neuerung für die politische Kultur des Landes gar nicht schlecht wäre.

Ich glaube, dass die Flughafenbefragung das Interesse der Bevölkerung an Beteiligung ein bisschen geweckt hat.

Aber weniger gut für die SVP? Es kommt schließlich sehr selten vor, dass der Landtag einen Beschluss mit 2/3-Mehrheit trifft.
Das ist heute so, weil sich die SVP nicht im Geringsten darum kümmert, einen breiteren Konsens zu erzielen. Der SVP ist ihre Hälfte genug und der Rest ist ihnen vollkommen egal. Wenn sie sich darum kümmern müssten, eine etwas breitere Mehrheit im Landtag zu finden, schadet ihnen das nicht.

Allerdings rechnen sogar die beiden SVPler, die daran mitgeschrieben haben mit wenig Aussicht auf Erfolg, dass der Gesetzentwurf angenommen wird – zumindest nicht in dieser Form, sondern gegebenenfalls in einer “abgespeckten Version”. Ist der Widerstand innerhalb der Volkspartei zu groß?
Ich finde es ziemlich bezeichnend, dass die SVP solche Angst vor Referenden hat. Sie geht offensichtlich davon aus, dass sie die Referenden verliert. Aber wer sagt das? Wenn ein Gesetzentwurf, der sinnvoll ist, einem Referendum unterzogen wird, dann muss man wohl nicht davon ausgehen, dass man es verliert, oder? Wenn der Vorschlag wirklich sinnvoll ist, dann wird man den Leuten wohl ohne weiters überzeugen können, ihm zuzustimmen. Wenn es hingegen um sinnlose Sachen geht – wie im Falle des Flughafens –, dann steht man natürlich auf verlorenem Posten. Aber dann nimmt die Direkte Demokratie wieder ihre korrigierende Funktion ein. Auf die ich bekanntlich großen Wert lege, nämlich, dass Entscheidungen, die Lobby-getragen oder nicht im Sinne der Allgemeinheit sind, von den Bürgern blockiert werden können. Das bringt der demokratischen Kultur nur Vorteile.

Führt man die Bürger nicht an der Nase herum wenn nach einem groß angelegten Beteiligungsprozess die ganze Arbeit sozusagen umsonst war?
Wenn die SVP diesen Vorschlag im Landtag versenkt, dann zeigt sie halt auch ihr wahres Gesicht. Nämlich, dass ihnen die Meinung der Leute längst schon völlig wurscht ist und das “V” in ihrem Namen längst schon begraben hat. Und falls der Gesetzentwurf tatsächlich versenkt wird, ist es für die Bürger sicher auch ein Wink für die kommenden Landtagswahlen.

Würde die SVP damit den Menschen nicht auch die Lust nehmen, sich überhaupt zu beteiligen?
Wenn dieser Gesetzesvorschlag, der mehr Partizipation ermöglichen sollte, versenkt wird, kann die SVP aufhören, über Partizipation zu reden. Dann können sie auch den Konvent schließen. Aber immerhin wäre es ein nützlicher Hinweis für die Wähler, die dann zumindest wissen, wie die SVP denkt und dass sie kein Interesse an Partizipation hat.

Ihre Unterstützung hat der Vorschlag?
Auf jeden Fall.