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Politik | Kommentar

Das Abziehbild

Die neue Regierung um Paolo Gentiloni ist die Quintessenz eines politischen Recycling-Systems, dessen Unbekümmertheit frustrierend anmutet.
Ein Akt politischer Hilflosigkeit.  Die Regierung, die Italiens neuer Premier Paolo Gentiloni am Montagabend vorgestellt hat, ist Quintessenz eines politischen Recycling-Systems, dessen Unbekümmertheit frustrierend anmutet.
Denn mit wenigen Ausnahmen ist das Übergangskabinett ein Abziehbild der soeben zurückgetretenen Regierung Renzi. Mit einigen Schönheitsfehlern, die in der Fünf-Sterne-Bewegung berechtigten Jubel auslösen. Maria Elena Boschi überlebt das Scheitern ihrer Verfassungsreform als einzige Staatssekretärin im Ministerratspräsidium. Ihr Versprechen, bei Ablehnung ihres Gesetzes zurückzutreten, hat sie verdrängt. Für den stets unfrisierten Renzi-Intimus Luca Lotti erfindet man ein peinliches Sport-Ministerium. Nach dem Wahldesaster im Süden schiebt man Claudio De Vincenti in ein flugs erfundenes ministero per coesione territoriale e mezzogiorno. Angelino Alfano wechselt vom Innen- ins Außenministerium - so wie man eine Hose wechselt. Die Fraktion um den ehemaligen Berlusconi-Intimus Denis Verdini, auf deren Stimmen Gentiloni im Senat angewiesen ist, dürfte am Dienstag mit Staatssekretären vertröstet werden. 19 Minister, 2 neue Namen. Squadra che perde non si cambia.
„Angelino Alfano wechselt vom Innen- ins Außenministerium - so wie man eine Hose wechselt.“
Eine Regierung, die bis zu den fälligen Neuwahlen im Amt bleiben soll. Der Polit-Zirkus gebärdet sich wie immer so, als würden Neuwahlen entscheidende Veränderungen bringen. "I nostri fuori dall'aula", kündigt Beppe Grillo an:
"Da domani tutti i nostri 140 parlamentari usciranno da questo parlamento finto e antidemocratico e usciremo nelle piazze", brüllt der Komiker in einem Genueser Theater. Alles wie gehabt. Wie bei der Wahl Napolitanos im April 2013, als Grillo sei Fußvolk nach Rom beorderte, um "den drohenden Putsch zu verhindern". Die "neue" Regierung "copia e incolla" könnte der Fünsterne-Bewegung in den Umfragen durchaus einige Punkte einbringen. Pech freilich, dass just zur selben Zeit, als im Palazzo Chigi das Kabinett Gentiloni vorgestellt wurde, aus dem nahen Kapitol eine Meldung sickerte, die das Hochgefühl im M5S jäh abkühlte: Roms umstrittene Umwelt-Stadträtin Muraro ist zurückgetreten, weil gegen sie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen. Damit wächst der Druck auf die bisher weitgehend erfolglose Bürgermeisterin Virginia Raggi, deren Scheitern sich auf die Bewegung fatal auswirken würde.
Ansonsten scheint alles beim Alten: Zum wiederholten Mal liegt das Schicksal der Politik in den Händen greiser Verfassungsrichter, die ihre Entscheidung unbekümmert von Monat zu Monat verschieben. Am 24. Jänner wollen sie damit beginnen, das Italicum auf seine Verfassungsmässigkeit zu überprüfen. Wie lang das dauert, weiß niemand.
Derweil bietet die Krise der hemmungslosen Propaganda optimalen Freiraum.  "Non faremo parte del palazzo. E' un governo indecente e vergognoso", verkündet Lega-Chef Matteo Salvini - Vorsitzender einer Partei, die fast zehn Jahre mit Berlusconi regiert und Italien an den Rand des Abgrunds gebracht hat.
„Die politischen Rituale des Landes öden an. Statt auf das Urteil des Verfassungsgerichts zu warten, könnten sich die Parteien in wenigen Tagen auf ein neues Wahlrecht einigen.“
Die politischen Rituale des Landes öden an. Statt auf das Urteil des Verfassungsgerichts zu warten, könnten sich die Parteien in wenigen Tagen auf ein neues Wahlrecht einigen - etwa ein leicht korrigiertes Mattarellum für Kammer und Senat. Doch dafür müsste die Politik aus dem geliebten Zirkus in die Realität wechseln - ein unangenehmer Sprung ins kalte Wasser. Der als Premier zurückgetrene Matteo Renzi muss nun entscheiden, ob er weiterhin Vorsitzender des tief zerstrittenen Partito Democratico bleiben will. Roberto Speranza, arroganter Emporkömmling von Bersanis Gnaden stellt ihm die Rute ins Fenster. Und als möglcher Kandidat für den Vorsitz wird bereits ein neues Gesicht gehandelt: Pier Luigi Bersani, seit einem halben Jahrhundert in der Politik. Nihil novi sub sole.
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Martin Daniel Di., 13.12.2016 - 08:55

Im Grunde ist diese öde Regierung ein gelungener Geniestreich des geschlagenen Premiers: Renzi tritt ab, um dem Volk seine Prinzipientreue zu beweisen und installiert eine Marionettenregierung, die seinen Willen ausführen soll, ohne mit ihr (in den Augen der Wähler) identifiziert zu werden. Gentiloni, Lotti, Boschi sind seine Platzhalter und die mangelnde Unterstützung seines florentiner Intimus Verdini garantiert ihm die kurze Dauer dieser Regierung. Denn darum geht es Renzi: Einfluss auf das neue Wahlgesetz und auf das Timing der Neuwahlen. Nur wenn möglichst zeitnah, also noch im Frühjahr, gewählt wird, rechnet er sich Chancen auf eine erfolgreiche Rückkehr aus. Ob er mit diesem überholten Ritual der Regierungsumbildung seiner Partei nicht eher schadet, hängt auch davon ab, ob die Italiener seine Spielchen durchschauen oder nicht.

Di., 13.12.2016 - 08:55 Permalink
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Marcus A. Di., 13.12.2016 - 14:12

Antwort auf von Martin Daniel

Vielleicht weniger ein Geniestreich von Renzi, sondern vielmehr ein Zeichen für einen extremen Machtinstinkt. Versprechen sind in dieser politischen Klasse nichts wert sobald der Machterhalt Opfer fordert.
Dies wird auch die SVP erkennen müssen, vielleicht früher, vielleicht später.
Dieses enge Bündnis mit dem PD war und ist ein Fehler. Doch für Selbsteinsicht dürfte es zu spät sein.

Di., 13.12.2016 - 14:12 Permalink
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alfred frei Di., 13.12.2016 - 11:35

Die "Spielchen" von Renzi haben leider einen größeren Hintergrund und beziehen sich auf die Vorgaben der Europäischen Union: Flexibilisierung, Globalisierung, Deregulierung, Strukturreformen und Wettbewerbsfähigkeit > zusammengefaßt "Weniger Staat-mehr Privat". Bleibt nur zu hoffen, daß der kommende Parteikongress des PD die fortschrittlichen Lebenszeichen nicht in einer brutalen Machtlogik erstickt.

Di., 13.12.2016 - 11:35 Permalink
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Karl Trojer Mi., 14.12.2016 - 17:29

Politik bleibt die Kunst des Möglichen. Ein Italien mit Grillo oder/und Salvini am Ruder wäre wohl noch grottesker als diese vom durchaus weisen Präsidenten Mattarella nominierte Regierung Gentiloni. Die Lösung der dringendsten Probleme Italiens liegen vor der Tür und sind nicht aufschiebbar, will man keinen Absturz riskieren und Europa stärken. Dafür braucht es aber ein Mimimum an Kontinuität und internationaler Verlässlichkleit. Was das Thema Globalisierung anbelangt, so schlage ich vor, dass wir uns mehr darauf konzentrieren regionale Waren- und Finanzkreisläufe zu fördern, also wo irgend möglich, im Sinne der Subsidiarität, selbst aktiver werden.

Mi., 14.12.2016 - 17:29 Permalink