Gesellschaft | Diskussion

Wegweiser mit Warnblinker

Eine Debatte über die Zukunft der SVP wird – unweigerlich – zur Debatte über die Zukunft Südtirols. Wird das Land um die Lega als Regierungskraft umhin kommen?
Edelweiß
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Als Ex hat Siegfried Brugger leicht reden. “Warum hat die SVP in Zeiten des Wandels nicht einen neuen Ansatz gewählt, sondern das Team Köllensperger von Anfang an von ernsthaften Verhandlungen ausgeschlossen?” Für seine Idee von einem breiten “Pakt für Südtirol” wurde Brugger nach den Landtagswahlen parteiintern heftig kritisiert.

Doch er weiß seine Rolle, die er in der SVP (zumindest nach außen) nicht mehr spielt  zu schätzen. Als Ex-Parlamentarier muss sich Siegfried Brugger im Jahr 2018 nicht um gute Beziehungen zur römischen Regierung sorgen – und als Ex-Parteiobmann am Donnerstag Abend nicht die Verhandlungsgespräche begleiten, die die SVP einzeln mit Lega und Grünen führt (der PD ist am Samstag dran). Er kann im Presseclub in der Bozner Wangergasse mit Grazia Barbiero, Günther Pallaver und Toni Visentini über die Frage “Quo Vadis, SVP?” diskutieren. Unweigerlich wird die Debatte nicht nur eine über die Zukunft der SVP. Sondern eine über die Zukunft Südtirols.

 

Von einer verhängnisvollen Umarmung…

“Ich bin froh, dass ich die Verhandlungen nicht führen muss”, gesteht Brugger – und schießt einen Giftpfeil gegen die aktuelle Parteiführung.
Aus seiner Zeit in Rom und Bozen sei er es gewohnt, “ernsthafte Abkommen” abzuschließen, sagt Brugger, “ohne dabei eine Partei derart eng zu umschlingen wie es mit dem PD von Matteo Renzi der Fall war”. Ein fataler Fehler, den er seiner Partei nicht zum ersten Mal vorwirft. Mit den Pakteleien mit dem PD habe sich die SVP auch in die Situation manövriert, in der sie sich jetzt wiederfindet, meint Brugger: Der bisherige Regierungspartner PD, ohnehin geschwächt, wurde bei den Landtagswahlen abgestraft. “Auch, weil die italienischen, sozialdemokratisch geprägten Kräfte ihrerseits nicht imstande gewesen sind, sich zu sammeln.” Und so findet die Volkspartei nach dem 21. Oktober als Verhandlungspartner keine starke, moderate, italienischsprachige Partei wieder. Sondern – nach dem Ausschluss von Köllensperger – drei Kräfte, auf die sich die Sympathien und Antipathien der SVP gleichmäßig aufteilen.

Dem PD rät Siegfried Brugger, sich aus der Opposition neu zu erfinden. Bei den Grünen sieht er Schwierigkeiten vor allem bei “grünen Themen” wie Flughafen, Mobilität, Landwirtschaft und Schule – “was aber nicht heißen soll, dass man mit den Grünen nicht regieren kann – das ist nicht so”. Bleibt noch die Lega.
“Die Lega gefällt mir nicht”, gesteht Brugger. Er gibt seiner Partei den Rat: “Sollte die SVP ein Abkommen mit der Lega abschließen, würde ich ihr nachdrücklich raten, es auf die Südtirol-Agenden zu beschränken und keinerlei Allianzen in Rom oder gar auf europäischer Ebene zu suchen – das wäre gravierend.”

Dann erlischt der kleine ideologische Funke, der kurz davor schien, sich zu entzünden. Der Pragmatismus kehrt in Bruggers Worte zurück. Am Ende des Tages gehe es darum, “ein gutes Regierungsprogramm” auf die Beine zu stellen, darum, das Land bestmöglich zu regieren und die Situation “nicht überzubewerten”.

 

… in die nächste?

Aufmerksam lauschen Siegfried Bruggers Sitznachbarn seinen Ausführungen. Moderator Toni Visentini übergibt das Wort Günther Pallaver und Grazia Barbiero. Im Duett führen die beiden dem ehemaligen SVP-Funktionär und dem Publikum im Presseclub vor Augen, warum die Volkspartei sich ihrer Meinung nach nicht mit der Lega einlassen kann, ohne ihre ureigensten Werte zu verraten und Südtirol in eine finstere Zukunft zu führen.

Grazia Barbiero begann ihre politische Karriere 1974, als sie für den Partito Comunista Italiano in den Gemeinderat von Meran einzog. Von 1979 bis 1988 saß die kämpferische Frauenpolitikerin für den PCI im Landtag. Nach den Landtagswahlen am 21. Oktober hat sie der SVP einen Brief geschrieben. Darin erinnert sie die Volkspartei an ihre Gründungsgedanken und an die Kohärenz, mit der sie sie über die Jahre hinweg verfolgt habe.

“Sie gestaltet Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes. Die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit bilden das unverrückbare Fundament ihres politischen Einsatzes. Ihr Handeln orientiert sich am Geiste der europäischen Idee, des Föderalismus und an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft.”
So steht es in Paragraf 1 des Parteistatutes der SVP.

Autonomie. Friedliches Zusammenleben. Europa. So lauten die drei Grundprinzipien, von denen die SVP bei der Koalitionsbildung eigenen Angaben nach nicht abrücken wird. “Es heißt immer, dass die ersten beiden bei der Lega kein Problem seien, sondern nur Europa. Aber Vorsicht!” Der Politologe Günther Pallaver gräbt den Finger tief in die Wunde: “Die Lega ist keine europaskeptische, sondern eine antieuropäische, Partei, die eine Abkehr von der EU und eine Rückkehr zum Nationalstaat fordert. Unsere Autonomie und deren Absicherung aber ist im europäischen Kontext verankert – in diesem Sinne kann die Lega keine Autonomie-Partei sein, weil sie die Basis der Autonomie zerstören will. Genauso gibt es keine Autonomie, keinen Minderheitenschutz ohne Menschenrechte – und die tritt die Lega jeden Tag mit Füßen. Jeden Tag hetzt sie gegen Teile der Gesellschaft – daher ist sie auch keine Partei, die für ein friedliches Zusammenleben steht.”

 

Keine Wegweiser am Scheideweg?

Rechtsextrem, mit gleichgesinnten Verbündeten in ganz Europa, einem Propagandatreiber Steve Bannon, der unverblümt zugibt, mit Matteo Salvini dieselben Pläne zu haben wie mit Donald Trump, keine Scheu vor Schulterschlüssen mit den Neofaschisten von CasaPound und Forza Nuova und einem Autonomieverständnis, das allerhöchstens “antisolidarisch” ist (“weil für sie immer jemand zuerst kommt”, erklärt Barbiero): Das ist für Pallaver und Barbiero die Lega von heute. Die Lega von Salvini, die in Südtirol einen großen Wahlerfolg erzielt hat. “Die Wähler der Lega in Südtirol mögen nicht dieselben sein wie anderswo in Italien – rechts bis rechtsextrem, mit dem Wunsch nach einem starken Leader und dafür, individuelle Rechte wie jenes auf Abtreibung abzuschaffen”, greift Pallaver jüngste Studien auf, “aber die Stimmen, die diese Wähler ihr gegeben haben, gehören für fünf Jahre ihr”.

Fünf Jahre, in denen in Südtirol als Grenzregion, als “kleines Europa in Europa”, auf das die SVP so stolz ist, zwei Nationalismen aufeinanderprallen könnten. Erneut. Die Vorzeichen stehen denkbar schlecht. Österreich hat angekündigt, ein mögliches Defizitverfahren der EU gegen Italien zu unterstützen. Der SVP-Verbündete Kurz und der Salvini-Freund Strache haben dafür bereits Kritik aus Rom geerntet.

Gerade auch deshalb beschwören Grazia Barbiero und Günther Pallaver die SVP, sich nicht in die Arme der Lega treiben zu lassen. “Wenn der europäische Integrationsprozess verlassen, gar zerstört wird, wird Südtirols Autonomie stark in Mitleidenschaft gezogen werden”, warnte Pallaver schon kurz nach den Wahlen.
Grazia Barbiero lässt die Nabelschau, die Siegfried Brugger mit seinem “es geht um gutes Regieren” nicht so im Raum stehen: “Südtirol ist nicht irgend ein kleines Stück Land, sondern nimmt aufgrund seiner geografischen Lage und seiner kulturellen Bedeutung eine strategisch unheimlich wichtige Position für den Aufbau Europas ein. Ich pflege immer zu sagen: Wir sind nicht ‘in Europa’, sondern wir sind schon Europa. Das waren wir immer schon – und in diesem Sinne sollten wir weitermachen. Wir haben die Pflicht, Europa zu verteidigen.
Mit einem Matteo Salvini an ihrer Seite wird die SVP das schwerlich schaffen. Denn der wird mit seiner Hetze, mit seinen Parolen und Aktionen gegen Europa nicht aufhören, nur weil seine Partei eine Provinz mit regiert, die es ohne Europa so nicht geben würde.