Economy | Tourismus

Was wollen wir?

Braucht Südtirol Motorradtouristen und Erreichbarkeit für alle? Klaus Egger, Ex-Sprecher der Grünen Wirtschaft, bricht zur nächsten Mission in Sachen Nachhaltigkeit auf.

Herr Egger, vom Sprecher der Grünen Wirtschaft und Landtagskandidaten zum Terra Institut, wo Sie künftig vor allem Tourismusunternehmen in Sachen Gemeinwohl und Nachhaltigkeit begleiten werden. Eine konsequente Fortsetzung Ihres bisherigen Weges?

Klaus Egger: Ja, das ist es wirklich. Ich muss auch sagen, dass ich keinen meiner bisherigen Schritte missen möchte. Und die Tätigkeit für Terra ist tatsächlich so etwas wie eine natürliche Fortsetzung, die sich sukzessive nach meiner Begegnung mit Günther Reifer vor einem Jahr entwickelt hat.

Nachhaltigkeit wird in Südtirols Tourismuswerbung und Standortmarketing letzthin immer größer geschrieben. Wie viel ist dabei nur Marketing bzw. wie nachhaltig wird in der heimischen Tourismusbranche tatsächlich gearbeitet?

Ich maße mir nicht an, hier eine zahlenmäßige Wertung abzugeben. Tatsache ist, dass in der Vergangenheit sicher wenig in die Richtung passiert ist, aber Südtirol sowohl was die Kleinstrukturiertheit der Betriebe als auch was Landschaft und Natur betrifft bessere Voraussetzungen hat, sich in Richtung Nachhaltigkeit zu entwickeln als viele andere Destinationen.

"Heute kann man mit vielen Unternehmern über Nachhaltigkeit sprechen, die einem vorher die Tür vor der Nase zugeschlagen hätten."

Doch bislang geschieht das noch zu wenig?

Man muss sagen, dass nachhaltiges Wirtschaften erst seit der Krise 2008 weiter verbreitet ist. Davor haben die üblichen Spinner oder Pioniere so gearbeitet. Heute kann man dagegen auch mit vielen Unternehmern darüber sprechen, die einem vorher die Tür vor der Nase zugeschlagen hätten. Und es gibt auch ein boomendes Angebot an neuen Modellen und Ansätzen, die es leichter machen, den eigenen Weg zu finden. Aber klarerweise gibt es immer noch viel Unsicherheit unter den Touristikern, viel altes Denken. Sprich, die Mauern sind schon auch noch da.

Wo zum Beispiel?

Zum Beispiel beim Stichwort Erreichbarkeit und Flughafen. Hier fehlt mir die Diskussion, was wir überhaupt wollen. Also, wollen wir tatsächlich eine Destination sein, die sich als grüner Fleck inmitten von Europa positioniert, die eine Vision im Sinne von Landschaft und Umwelt hat, oder müssen wir für jeden und alle erreichbar sein? Ich kann die Überlegungen in Richtung Russen oder Engländer schon nachvollziehen. Doch ich denke, wenn die Menschen einmal so in die Dolomiten kommen wollen wie sie zum Grand Canyon wollen, dann ist es für niemanden ein Problem, in Innsbruck oder Verona zu landen, um dann mit einem perfekt organsierten Shuttle-Dienst hierherzukommen. Wenn wir natürlich ein 0815-Angbeot haben und Disneyland jedermann sind, könnten die Gäste tatsächlich in Innsbruck bleiben.

"Wollen wir tatsächlich eine Destination sein, die sich als grüner Fleck inmitten von Europa positioniert, die eine Vision im Sinne von Landschaft und Umwelt hat, oder müssen wir für jeden und alle erreichbar sein?"

Das führt zu Frage, wie sich ein Weltnaturerbe Dolomiten mit einem Paradies für Motorradfahrer verträgt....

Eben, auch hier müssen wir entscheiden: Wollen wir alle bedienen, oder wollen wir eine stärkere Attraktivität in bestimmten Bereichen entwickeln. Wenn ich mit Hoteliers über Motorräder diskutiere, werde ich immer im Konflikt landen, denn es gibt eben viele von ihnen, die von den Motorradfahrern leben. Deshalb müssen wir zuerst die Frage beantworten, wohin wir wollen. Und dann müssen wir in einem schrittweisen Transformationsprozess natürlich auch all jenen Alternativen bieten, denen wir dadurch etwas wegnehmen. Denn natürlich reagieren viele Unternehmer aus einer Existenzangst heraus auf solche Veränderungen.

Wie wollen Sie ihnen diese Angst nehmen?

Indem wir die nicht die Angst, sondern die Hoffnung auf Transformation bedienen, indem wir ihnen zeigen, dass diese Wandel ein Mehr statt ein Weniger bringen kann. Vielleicht haben all jene Hoteliers, die nun von Motorradfahrern leben, das Haus danach mit Fahrradtouristen voll – die aus der ganzen Welt hierherkommen, weil sie hier noch auf die Pässe kommen.

"Vielleicht haben all jene Hoteliers, die nun von Motorradfahrern leben, das Haus danach mit Fahrradtouristen voll – die aus der ganzen Welt hierherkommen, weil sie hier noch auf die Pässe kommen."

Wie können solche Visionen entwickelt werden?

Das ist ein sehr intensiver Prozess, wobei im Vordergrund der Nutzen stehen muss. Wenn wir sagen unser System ist das Land Südtirol, dann gibt es darin nicht nur um die Wirtschaft, sondern auch die Menschen, die hier leben, und die Natur. Und dann ist zu fragen, was wir tun können, damit alle drei Komponenten den größtmöglichen Nutzen haben bzw. erhalten bleiben. Wenn ich so vorgehe, bekomme ich recht klare Antworten auf Fragen wie Super-Erreichbarkeit, Verkehr oder Lärm. Aber dafür muss ich eben zuerst eine solche Vision für Südtirol zeichnen, der alle gesellschaftlichen Stakeholder zustimmen.

Sie sagen, Südtirol hat mehr Potential als andere Destinationen zu einer Art Mekka des sanften Tourismus zu werden. Doch ist es nicht teilweise ohnehin schon zu spät, einen solchen Weg einzuschlagen – wenn wir uns extrem verbaute Täler, Skikaruselle oder bestimmte Hotelstrukturen vor Augen halten?

Ich würd hier nicht dogmatisch vorgehen und sanften Tourismus so extrem definieren, wie es in linken Kreisen gerne gemacht wird. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß, es gibt viele Zwischenstufen, und manches bekommen wir vielleicht erst in 20 Jahren so hin, wie es uns vorschwebt. Dafür müssen wir nun einmal mit einem Zwischenziel für die nächsten fünf Jahre beginnen. Es gibt beispielsweise Luxushotels, deren Luxus darin besteht, dass die Badewanne auf einem Baum ist. So etwas ist vielleicht nicht der tollste sanfte Tourismus, aber es bietet immerhin eine Form des Naturkontakts, die ich nicht schlecht reden will. Und vor allem ist klar, dass der Unternehmer am Ende schwarze Zahlen schreiben muss. Schon allein deshalb, ist sicherlich der Weg der kleinen Schritte vielfach angebrachter als eine zu extreme Umstellung.

"Es passiert unheimlich viel, wenn man beginnt, die Dinge neu zu betrachten statt immer schneller im selben Hamsterrad zu laufen. Da entstehen plötzlich neue Ideen, die man davor nie für möglich gehalten hätte."

Wie begleiten Sie Unternehmen bei einem solchen Prozess ?

Da gibt es zwei Schienen beim Terra Institute: Einerseits die Sensibilisierung über Veranstaltungen wie „Think more about“ oder Vorträge, anderseits Projekte mit einzelnen Unternehmen oder Unternehmensgruppen, bei denen gemeinsam an einer solchen Transformation gearbeitet wird. Derzeit unterzieht sich gerade eine Gruppe einem solchen Prozess, an der auch einige renommierte Hotels und Restaurants beteiligt sind, Solche Leuchttürme wirken dann wiederum als Multiplikatoren. Denn es passiert unheimlich vieles, wenn man beginnt, die Dinge neu zu betrachten statt immer schneller im selben Hamsterrad zu laufen. Da entstehen plötzlich neue Ideen, die man davor nie für möglich gehalten hätte. Natürlich gibt es auch viele Probleme und konkrete Hürden, doch immer wieder neue Lösungen.

Was sind so typische Probleme oder Hürden?

Ein Beispiel: die Produktehrlichkeit. Lebensmittel können auf dem Teller ganz nett aussehen, aber ich muss auch die Frage nach ihrem Entstehungsprozess stellen. Wenn wir in Südtirol von Speck reden, hat das einen schalen Geschmack, wenn wir von Milch sprechen, wissen wir, dass unsere Kühe mittlerweile das Doppelte an Milch produzieren wie eine normale Kuh. Ich kann nachvollziehen, wie es soweit gekommen ist. Dennoch würde ich mich hier gerne mit den großen Produzenten zusammensetzen und sagen: Sehen wir den Tatsachen in die Augen, die Dinge haben sich geändert, können wir Lösungen finden?

Wenn wir in Südtirol von Speck reden, hat das einen schalen Geschmack, wenn wir von Milch sprechen, wissen wir, dass unsere Kühe mittlerweile das Doppelte an Milch produzieren wie eine normale Kuh.

Wenn wir an bekannte Betriebe im Land denken, die bislang auf das Thema Nachhaltigkeit setzen, bewegen wir uns vorwiegend im Luxussegment. Ist Nachhaltigkeit eine elitäre Sache oder können bei dieser Entwicklung auch die Betriebe im mittleren und unteren Segment mitgenommen werden?

Das wird eine spannende Frage. Sicher ist, dass wir kein Elitedenken fördern wollen und dass gerade in dieser Kategorie von Betrieben die größte Angst herrscht, weil sie kurz vor dem Abrutschen sind. Ich bin zutiefst überzeugt, dass auch hier neue Wege möglich sind, doch  vorgefertigten Antworten habe ich keine. Die können nur in einem gemeinsamen Prozess entstehen, den wir mit vielen Ideen und Modellen begleiten können – ob bei der Visionsfindung, der Standortbestimmung oder der Produktentwicklung.  

Sie sind selbst Touristiker mit Gemeinwohlbilanz. Wie sieht Nachhaltigkeit auf dem Campingplatz aus?

Wir haben nicht nur einen Campingplatz, sondern auch ein Geschäft mit über 1000 Produkten und ein Restaurant. Das Thema Nachhaltigkeit ist da eine 360-Grad-Geschichte, die von Energieeinsparungen bis hin zu Ausflugtipps reicht, bei denen wir die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anregen. An vorderster Stelle steht natürlich auch das Thema Regionalität. Aber wir lassen uns auch in anderen Bereichen intensiv von unseren Lieferanten beraten, zum Beispiel beim Thema Fisch. So gibt es in unserem Restaurant eine Thunfischpizza, die aber nicht mit Thunfisch, sondern mit einem gleich schmeckenden Fisch belegt ist, der nicht bedroht ist.

Zielen solche Maßnahmen darauf ab, um mehr Gäste zu bekommen oder ein aus ethischer Sicht besserer Unternehmer zu sein?

Mir geht es vor allem darum, ein besserer Mensch zu sein (lacht).  Aber es hängt alles zusammen. Wenn ich von etwas überzeugt bin, mache ich es auf die richtige Art und Weise und erreiche meine Zielgruppe. Wir haben unsere Auslastung in den vergangenen sieben Jahren fast verdoppelt – dank einer klaren Marke und einer klaren Kommunikation. Auf diese Art bekommt jeder, die Gäste, die er verdient. 

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gorgias Mon, 08/11/2014 - 12:52

"Sicher ist, dass wir kein Elitedenken fördern wollen"

Das sieht man gerade bei den Ticketpreisen für die Veranstaltung "Think more about"!

Mon, 08/11/2014 - 12:52 Permalink