Politics | Russland - Medien

Putin fürchtet Wahrheit

Internationale Organisationen reagierten deutlich auf das Verbot der Nowaja Gaseta. Johannes Schütz fragte das Außenministerium in Berlin um eine Stellungnahme an.
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Foto: CSCE

In Washington wurde bereits am 29. März 2022 ein Hearing durchgeführt. Die U.S. Helsinki Commission (CSCE) untersuchte den russischen Krieg gegen die Wahrheit, der die Invasion in der Ukraine begleitete. Titel des Hearings: "Putin’s War on Truth“.
 

Als Experte befragt wurde auch Peter Pomerantsev, der in Kiew geboren wurde, noch in der Zeit der Sowjetunion. Seine Familie, sein Vater war Schriftsteller, ging mit ihm im Alter von 10 Monaten ins Exil nach Wien, ein Jahr später nach Deutschland. Sein Jugend verbrachte er in London. Pomerantsev ist Senior Fellow an der John Hopkins University. Über russische Desinformation schrieb er das Buch: "Nothing Is True and Everything Is Possible".

Pomerantsev war, vor dem Hearing in Washington, noch in Kiew und Lwiw und betonte, dass er sehr bewegt und besorgt sei: ""I was in Lviv and then in Kyiv. Came back on Sunday. And I was very moved and worried by what I saw".
 

In seinem Statement beim Hearing der CSCE riet er zu deutlichen Maßnahmen, um den russischen Komplex an Desinformation zu bekämpfen: "Action to combat the Russian disinformation complex". Dabei betonte Pomerantsev, dass die Methoden der Desinformation nicht nur von Russland eingesetzt werden, sondern insbesondere auch von China. Russland setze auf Desinformation und Manipulation, Pomerantsev hingegen forderte auf zu Kommunikation und Bürgerbeteiligung.

CSCE verurteilte Angriff auf freie Medien

 

Vorsitzender der CSCE ist Senator Ben Cardin. Nach dem Verbot der Nowaja Gaseta in Russland reagierte er mit klaren Worten:
Der Angriff des Kremls auf die letzten Überreste unabhängiger Medien in Russland bestätigt, dass Wladimir Putin Angst vor der Wahrheit hat. Nowaja Gaseta ist seit ihrer Gründung im Jahr 1993 durch den späteren Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratov mit Unterstützung des verstorbenen sowjetischen Führers Michail Gorbatschow eine Säule der freien russischen Medien.
(„Helsinki Commission Slams Shutdown of Novaya Gazeta“, 8. September 2022)

OSZE für Medienfreiheit

Teresa Ribeiro ist die Sonderbeauftragte der OSZE für Medienfreiheit. Noch wird der Sitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)  in Wien gehalten.
 

Ribeiro stammt aus Portugal und verfügt über wertvolle Erfahrungen. Sie war Staatssekretärin für Europa in portugiesischen Außenministerin, Präsidentin der Nationalen Kommission für Menschenrechte und Präsidentin des Instituts für Medien in Portugal.
 

Teresa Ribeiro zögerte nicht, die Schließung der Nowaja Gaseta zu verurteilen. In ihrer Erklärung vom 6. September forderte sie die russischen Behörden nochmals auf, die Bestimmungen der OSZE bezüglich der Medienfreiheit uneingeschränkt zu beachten.
 

Die Sonderbeauftragte für Medienfreiheit wurde mit dem Mandat ausgestattet, in allen 57 OSZE-Teilnehmerstaaten für den Schutz und die Förderung der Medienfreiheit zu sorgen. Russland ist als Rechtsnachfolger der Sowjetunion ein Mitgliedsstaat der OSZE, die die Schlussakte von Helsinki am 1. August 1975 und die Charta von Paris für ein neues Europa am 1. November 1990 unterzeichnete.
Mit der Pariser Charta sollte „ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und der Einheit“ geschaffen werden. Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freundschaftliche Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten wurden damit vereinbart.  Als Teilnehmerstaat sollte Russland auch freie Meinungsäußerung und freie Medien garantieren.
 

Frankreich fand deutliche Worte
 

Das französische Außenministerium verurteilte entschieden die Übergriffe der russischen Behörden auf die Pressefreiheit. Deutlich im Namen von Frankreich wurde in einem Communiqué am 6. September dazu drei Mal tiefe Besorgnis mitgeteilt: „La France est très préoccupée".
 

In der Stellungnahme des französischen Außenministeriums wurden die Fesseln angeprangert, die der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit in Russland angelegt wurden. Ausdrücklich wurde der Entzug der Lizenz für die Zeitung Nowaja Gaseta bedauert, der nur wenige Tage nach dem Begräbnis von Michail Gorbatschow erfolgte:
„Frankreich ist sehr besorgt über die Kampagne an Unterdrückung, die die russischen Behörden führen, gegen Stimmen, die kritisch über die Machthaber berichten und über deren Angriffskrieg gegen die Ukraine".
 

Frankreich forderte Russland entschieden auf, die Menschenrechte und die Grundrechte zu beachten: „La France appelle les autorités russes à respecter les droits de l’Homme et les libertés fondamentales“.

 

Außenministerium in Berlin wurde angefragt
 

Johannes Schütz fragte in Deutschland das Auswärtige Amt um eine Stellungnahme an. Wir konnten vom Außenministerium in Berlin erfahren, dass das Verbot der Nowaja Gaseta als scherer Angriff auf die Pressefreiheit beurteilt wird:

 

„Der Entzug der Drucklizenz der Nowaja Gazeta, für deren Arbeit Chefredakteur Dmitri Muratow im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden ist, ist ein weiterer, schwerer Schlag für die Presse- und Meinungsfreiheit in Russland, die mittlerweile praktisch abgeschafft ist“, wurde uns vom deutschen Außenministerium mitgeteilt.
 

Dabei wird die Untersagung der Nowaja Gaseta auch in Verbindung mit dem Ende der Ära Gorbatschow gebracht:
„Dieser Schritt, der nur zwei Tage nach der Beerdigung Michail Gorbatschows, des langjährigen Förderers der Nowaja Gazeta erfolgte, ist ein weiterer Beleg, dass die russischen Regierung vor nichts zurückschreckt, um den Menschen in Russland die Wahrheit über den verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dessen Folgen vorzuenthalten“.

Autor:
Johannes Schütz (www.journalist.tel)

Links:

 

Feindpropaganda
Salto, 17. 7. 2022
Eine Desinformationskampagne soll westliche Medien überrollen. Unterstützer der Ukraine werden angegriffen. Die Europäische Union soll damit destabilisiert werden.

Nowaja Gaseta gesperrt
Salto, 12. 9. 2022
Russisches Gericht verbietet Новая газета. Die demokratische Zeitung aus der Epoche von Gorbatschow. Chefredakteur Dmitrij Muratow erhielt 2021 den Friedensnobelpreis

Mit dem Verbot der Nowaja Gaseta endet die Ära Gorbatschow
Tabula Rasa Magazin, 18. 9. 2022
Nach dem Verbot der Printausgabe wird auch die Website der russischen Zeitung Новая газета untersagt. Die Zeitung kritisierte den Krieg in der Ukraine. Chefredakteur Muratow protestierte in seiner Rede vor Gericht gegen die Entscheidung. Er wurde 2021 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
www.tabularasamagazin.de/mit-dem-verbot-der-nowaja-gaseta-endet-die-aera-gorbatschow

© Johannes Schütz, 2022