Decision 2020 – Eine Anleitung
Die USA mögen uns in manchen Sachen ähnlicher sein als wir meinen, doch vor allem auf dem politischen Parkett gibt es zahlreiche Unterschiede. Ein herausragendes Beispiel dafür ist ein alle vier Jahre stattfindendes Spektakel: die Wahl zum Präsidenten. Aber wie genau funktionieren die Wahlen in den USA eigentlich? Und was wird heuer, in diesem besonderen Jahr, anders sein?
Eine Übersicht der wohl wichtigsten Wahl des Jahres von Maximilian Thaler und Fabian Gufler.
Wie wird gewählt?
Das Wahlrecht ist in der Verfassung der Vereinigten Staaten bereits in seiner ursprünglichen Fassung von 1787 geregelt. Im Laufe der Zeit ist es durch mehrere Zusatzartikel erweitert worden, ein zentrales Wahlgesetz und landesweites Wahlregister gibt es jedoch nicht. Für die Durchführung der Wahl sind die 50 Bundesstaaten zuständig – mit jeweils eigenen Wahlgesetzen.
Offizieller Wahltag ist seit 1845 der Dienstag nach dem ersten Montag im November – also dieses Jahr der 3. November. Auch die vorgezogene Stimmabgabe und Briefwahlen sind möglich. Am Tag der amerikanischen Präsidentschaftswahlen finden zudem zahlreiche weitere Wahlen statt - das führt oft zu umfangreichen Wahlzetteln.
Es handelt sich bei den Präsidentschaftswahlen um eine indirekte Wahl: die Stimmzettel enthalten meist zwar die Namen der Teams – der sogenannten Presidential Tickets – tatsächlich gewählt wird allerdings das Wahlkollegium (Electoral College), aktuell bestehend aus 538 Wahlmännern und -frauen. Jeder Bundesstaat hat so viele Wahlmänner wie Kongressmitglieder.
In 48 der 50 Staaten gilt das Prinzip der Mehrheitswahl, auch als “winner takes all”-Prinzip bekannt: dabei erhält der Präsidentschaftskandidat, der die relative Mehrheit der Stimmen erzielt, sämtliche Wahlmänner des Bundesstaats. Maine und Nebraska verteilen – aufgrund von geographisch diversen politischen Ideologien – ihre Electoral Votes nach Kongressdistrikt und bieten somit die Möglichkeit, ihre Wahlpersonen aufzuteilen. Auch solche Faktoren könnten am Dienstag entscheidend sein.
Um ins Weiße Haus einziehen zu können, benötigt ein Kandidat aktuell mindestens 270 der 538 Wahlmänner – in anderen Worten: 50% + 1.
Die Wahlpersonen geben genau 41 Tage nach dem Wahltag in den Hauptstädten ihrer jeweiligen Bundesstaaten ihre Stimme ab, welche am 3. Januar vom US-Kongress in Anwesenheit beider Kammern (Senat und Repräsentantenhaus) ausgezählt werden. Präsident und Vizepräsident werden diejenigen Kandidaten, die jeweils die absolute Mehrheit der Electoral Votes auf sich vereinigen. Der ganze Prozess endet mit der Angelobung der beiden am 20. Jänner des folgenden Jahres.
Das Wahlsystem der USA gilt unter Kritikern als manipulierbar und ungerecht – und das aus einer Vielzahl von Gründen. Ohne im Rahmen dieses Artikels genauer darauf einzugehen, möchten wir trotzdem einige davon nennen: die nach Bundesstaat variierende Wählerregistrierung, die zu einer tieferen Wahlbeteiligung und der Benachteiligung von Minderheiten aus sozial schwachen Bevölkerungsgruppen führt, das Gerrymandering, wo Parteien sich nach der Verschaffung einer Mehrheit Wahlbezirke zum eigenen Vorteil nach Belieben zurechtschneiden, das Verlegen oder Schließen von Wahllokalen sowie die (nicht-) Bereinigung von Wählerlisten – alles demokratiepolitisch mehr als fragwürdige Maßnahmen.
Doch in diesem besonderen Jahr nehmen solche Strategien nur eine Randrolle in der Diskussion ein.
Was dieses Jahr anders sein wird
In diesem Jahr können wir uns auf eine besondere Election Night einstellen – die sehr leicht in eine Election Week umschlagen kann, denn wie die New York Times berichtet, werden viele Bundesstaaten aufgrund der erheblichen Zunahme an Briefwahlstimmen in Zeiten der Pandemie wohl nicht vollständige Resultate am Abend des Wahltags liefern können. (Quelle: https://www.nytimes.com/interactive/2020/10/27/upshot/election-results-timing.html)
In 22 Staaten und dem District of Columbia werden Briefumschläge auch nach dem Wahltag noch angenommen, solange der Poststempel das Datum des 3. November (oder ein früheres Datum) aufweist. Die gesamte Situation könnte also recht unübersichtlich werden – deshalb, für alle BeobachterInnen in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, sowie darüber hinaus, im Folgenden einige Hinweise:
Exit Polls nicht für bare Münze nehmen
Die Exit Polls, welche traditionell um 18 Uhr New Yorker Zeit (ET) veröffentlicht werden, laufen in diesem Jahr besonders Gefahr, falsch oder zumindest irreführend zu sein – mit einem Rekordanteil an Briefwahlstimmen und der Tatsache, dass vor allem Anhänger einer Partei von der Briefwahl Gebrauch machen und gleichzeitig Unterstützer der anderen Partei Großteils persönlich am Wahltag an die Wahlurne treten, könnten die Ergebnisse der Exit Polls entscheidend verzerrt werden.
Early Returns nicht überbewerten
Frühe Ergebnisse sollten mit größter Vorsicht behandelt werden: Die Reihenfolge, in der die einzelnen Bundesstaaten die verschiedenen Arten von abgegebenen Stimmen veröffentlichen, könnte einen an jedem beliebigen Punkt des Wahlabends fälschlicherweise stärker oder schwächer dastehen lassen, als er in Wirklichkeit ist. Demokraten wählen in viel größeren Massen per Briefwahl, was unvermeidbar dazu führen wird, dass Joe Biden in jenen Bundesstaaten, die die Briefwahlstimmen als erstes veröffentlichen – wie etwa die Swing States Arizona, Florida und North Carolina – zu Beginn der Auszählungen vorne liegen wird. In Bundesstaaten – wie z.B. Virginia – die zuerst die am Wahltag persönlich abgegebenen Stimmen veröffentlichen, werden zu Beginn deutlich besser für Präsident Trump aussehen. Deshalb ist Vorsicht geboten.
Auf der Suche nach Indikatoren
Worauf sollte man also achten, um am Wahlabend ein Gefühl dafür zu entwickeln, in welche Richtung der Kampf ums Weiße Haus geht? Zum einen wäre da der ultimative Swing State, Florida, mit seinen 29 Electoral Votes. Florida wird um 20:30 Uhr ET alle bereits gezählten Briefwahl- und Early Voting-Stimmen veröffentlichen, die allermeisten weiteren Stimmen sollten dann im Laufe des Abends folgen. Wenn Joe Biden recht komfortabel Florida gewinnen sollte, dann könnte alles recht schnell gehen. Wenn sich aber ein knappes Rennen entwickelt oder Donald Trump den Bundesstaat seiner Residenz halten kann, müssen wir für weitere Indizien Ausschau halten.
Als solche könnten North Carolina – ein ebenfalls essentieller Swing State – oder, in einer kleineren Einheit, Maines konservativerer, zweiter Kongressdistrikt herhalten. Beide gelten als völlig offen, Trump konnte in beiden Fällen vor vier Jahren siegen (North Carolina +3,6%, Maine 2nd + 10,3%). Sollte hier ein deutlicher Trend in die eine oder die andere Richtung feststellbar werden, könnte dies ein Indiz dafür sein, in welche Richtung das Ganze geht.
Auch wenn in den einzelnen Swing States kein eindeutiger Trend ersichtlich werden sollte, sollte man am besten noch eine Ebene tiefer gehen – auf jene der „Counties“, der Provinzen. Sobald bestimmte Provinzen den Großteil ihrer Resultate berichtet haben, sollte man jene mit den Ergebnissen von 2016 vergleichen, um ein Gefühl für die Richtung der Wahl zu entwickeln. Die Antwort auf die Frage, ob eine Provinz zum Beispiel mehr oder weniger in Richtung Trump tendiert als noch 2016, wird am Wahlabend sehr informativ sein.
Was am Ende auch passieren wird – Dienstagabend wird uns viele, wenn auch noch nicht alle, Antworten liefern.